Himmel und Erde von Idhren (nur Regen verbindet) ================================================================================ Polartraum ---------- *~*~*~*~* Eigentlich war der Titel des Kapitels Polarstern, weil dieses Kapitel sich nur um Mitsuko dreht und ich ihr eigentlich ihren Weg aufzeigen wollte. Dass sie sich am Schluß selbst entscheidet, war so eigentlich nicht geplant (aber meine Charaktere verselbständigen sich ja auch igendwie immer), hat aber für eine Änderung gesorgt. *~*~*~*~* Der Frühling neigte sich dem Ende zu und es war Sommer, als ich meine Fastenzeit fast beendet hatte. Das Studium, das ich nach der Priesterweihe absolvieren musste, hatte ich bereits hinter mir. Es war eine anstrengende Zeit gewesen, und ich freute mich bereits auf den Tag, an dem ich auch das Fasten, das nunmehr über zwei Monate angehalten hatte und das ich nicht gewohnt war, ebenfalls endete. Müde stand ich am Ufer des Sees nahe unserem Anwesen. Die Bäume rauschten im sachten Wind, der mir kühl durchs Gesicht strich und mit meinem Haar spielte. Ich hatte es ausnahmsweise nicht hochgebunden, ohne den straffen Zug an der Kopfhaut war es deutlich angenehmer. Die schwarze Winterrobe hatte ich inzwischen mit der hellblauen des Frühlings und der roten des Sommers getauscht, leichtere Gewänder, die wunderschön von weitem aussahen, wenn sie, wie jetzt, in der kühlen Brise flatterten. „Herrin?“ Ich drehte mich um. Dort stand Miyuki, eine junge Novizin in ihrem schlicht gehaltenen Kimono. „Ja?“ Sie kam näher, mit gesenktem Blick, trotzdem schien sie alles in ihrer Umgebung zu mustern. „Meister Nakazato verlangt nach Ihnen. Er will Sie so schnell wie möglich treffen.“ Errötend vor Nervosität nickte ich. „Ja, natürlich… Sag ihm, ich werde in Kürze zu ihm kommen.“ Mir stieg das Blut weiter ins Gesicht. Meister Nakazato? Hatte ich etwas falsch gemacht, wenn es doch so dringend schien? Miyuki verneigte sich vor mir und ging dann in schnellen, kleinen Schritten zwischen den Bäumen hindurch, über den Kiesweg unter dem Torbogen hindurch in Richtung Anwesen. Mit der linken Hand fing ich mein Haar so gut wie möglich ein, mit der rechten zog ich einen Kamm, Haarspangen und Haarschmuck aus dem Gürtel. So schnell ich konnte ging ich Miyuki hinterher, durch das Tor hinein zum Anwesen. Ein paar Novizinnen, die mir unbekannt waren, winkte ich zu mir herüber. „Herrin?“ Sie hielten den Blick nur mäßig gesenkt, ich konnte ihren Gesichtern ansehen, dass sie mein offenes Haar verwirrte. „Würdet ihr mir bitte das Haar zurück binden? Ich muss eilig zu Meister Nakazato. Hier sind Kamm, Spangen und Schmuck. Ich bitte euch nur ungern, aber alleine kann ich es nicht“, sagte ich und drückte den beiden alles in die Hand. „Gerne, Herrin“, meinte die kleinere, aber wohl ältere der beiden und begann augenblicklich, mir mein Haar zu kämmen. Ich hatte Glück. Bei den beiden saß jeder Handgriff, schnell sah ich angemessen aus, um vor Meister Nakazato zu treten. „Ich werde euch gut in Erinnerung behalten.“ Die beiden lächelten mich offen an. Da ich noch nicht lange Priesterin war, hatte ich noch nicht vergessen, wie gut es einem Novizen tat, von Priestern ein Lob zu bekommen oder von ihnen unterstützt zu werden. Mir tat damals das Wohlwollen Akiras, des Priesters, der mir unter den Kirschblüten Gesellschaft leistete, ebenso gut. Meine Robe wehte hinter mir her, als ich eilig auf das Haupthaus in der Mitte des Anwesens zuging, die Tür aufschob, meine Holzschuhe auszog und auf Socken in den Raum der Meister, wie wir ihn nannten, ging. Meister Nakazato, ein noch recht junger Meister, wenn man ihn mit den anderen verglich, saß am Tisch und schenkte Tee ein. Ich kniete mich nieder, verbeugte mich und drückte die Stirn auf den Boden. Dort harrte ich kurz aus. „Komm näher, Katana Mitsuko.“ Mit einer leichten Bewegung schlug ich die langen Ärmel meines Gewandes zurück und erhob mich, darauf bedacht, dass das Metall an meinem linken Arm noch leicht sichtbar war. „Ihr habt nach mir gerufen, Meister?“, fragte ich und stand vor dem Tisch, an dem er kniete. „Setz dich.“ Einen kurzen Moment fanden seine Augen die meinen. Seine Iris war in einem strahlenden Ton zwischen blau und grün gehalten, Augen, die mir Respekt einflößten. Sofort senkte ich den Blick, angemessen, wie es sich gehörte. Ich tat wie mir geheißen und setzte mich ihm gegenüber, er bot mir Tee an. Dankend nahm ich an. Mit leisem Schlürfen nahm er einen Schluck und stellte seinen Becher dann hin. „Ich hörte, du hast deine Fastenzeit verlängert“, sagte er und behielt mich genau im Auge. Ich zögerte. War das in seinen Augen eine schlechte Tat, weshalb er mich zu sich rief? Errötend begann ich, mich auf jede meiner Bewegungen zu konzentrieren und versuchte, so starr wie möglich zu sitzen, dabei aber entspannt auszusehen. „Ja, Meister.“ „Warum?“ Ich stellte meinen Becher ebenfalls ab, der Ton knirschte leise. Ein Geräusch, das ich ganz und gar nicht mochte. „Als das Fasten begann, dachte ich, ich könne es gut durchhalten. Als es endete, merkte ich, wie erschöpft ich war. Mein Geist soll nicht von dem abhängig sein, was mein Körper verlangt, mein Körper soll meinem Geist folgen – in jeder Situation“, erklärte ich und wagte es, Meister Nakazato direkt anzusehen, doch noch immer nur sehr kurz. Ich nahm einen zu geringen Rang gegenüber ihm ein, auch wenn er, wie es immer hieß, gerne in die Augen seines Gegenübers sah. Ich musterte ihn also immer nur in kurzen Zügen. Die jungen Falten auf seiner Stirn begannen allmählich zu altern. Das lange, zu einem Zopf gebundene Haar war an den Spitzen noch Schwarz wie die tiefste Nacht, am Ansatz oben und an den Schläfen aber begann es, sich weiß zu verfärben. Ich wusste ungefähr um sein Alter, und das Grau machte ihn nicht zu einem Greis, sondern sein Äußeres nur interessanter. Seine schmalen Augen, die eine so irritierende Farbe hatten – waren doch sonst alle, die ich kannte, mit dunklen Augen gezeichnet – sahen mich durchdringend an. Dann nickte er. „Ich verstehe. Bewundernswert, dass du an solche Dinge denkst. Ich kenne nicht viele Priester, die wegen der Abhängigkeit des Geistes die Fastenzeit verlängern würden. Warum ich dich zu mir gerufen habe, ist aber ein anderes Anliegen“, meinte er und winkte einem Dienstmädchen. „Bring und Reis, danach geh.“ Das Mädchen, das an der Tür saß, verbeugte sich, stand auf und verließ vorerst den Raum. „Wir wünschen, dass du dein Fasten abbrichst. Du hast dein Studium abgeschlossen, das heißt, du bist endlich eine vollwertige Priesterin. Erinnerst du dich, was Akira dir von uns ausrichtete, bevor du geweiht wurdest?“ Ich musste nur sehr kurz nachdenken. „Ja, Meister. Er erzählte mir von Aufständen, entstanden durch die Funde von Leichen auf offener Straße.“ Nakazato nickte. Er wirkte plötzlich müde, die vorher dünnen Falten in seinem Gesicht schienen sich tiefer eingegraben zu haben. „Ja. Die Aufstände greifen hart um sich. Zwischen den Bürgern, aber auch dem Magierclan und Fujishimas Männern. Niemand weiß, was tatsächlich los ist, und viele greifen zu Waffen, weil sie verwirrt sind und hoffen, mit Gewalt Antworten zu bekommen. Ich möchte dich, Akira und Natsumi bitten, in eine der betroffenen Städte zu reisen. Ich sollt nur in Erfahrung bringen, wie es dort aussieht, wer die Toten sind und wie sie wahrscheinlich getötet wurden, danach habt ihr heimzukehren.“ Das Dienstmädchen zog die Tür zur Seite, brachte zwei Schüsseln Reis, ein wenig Fisch und Reiswein, danach ging sie wieder. Beim Anblick des Reises spürte ich extremen Hunger, war mich aber nicht sicher, ob ich ihn gut vertragen könnte, schließlich war mein Magen zu vielen Nährstoffen gegenüber empfindlich geworden. Ich betete kurz, wartete, bis Nakazato seine Stäbchen nahm und griff dann nach den meinen. Um den Reis in kleinen Bissen zu essen. „Welche Stadt ist es, Meister?“ Nakazato trank einen Schluck Tee. „Es handelt sich um eine sehr kleine Stadt, kaum größer als ein Dorf, sie haben uns viele Tote nicht nur in der Stadt, sondern auch im Umfeld gemeldet. Offenbar sind noch immer hier und da Leichen, in den Wäldern oder in den Reisfeldern. Natsumi wir da sicher helfen können. Der Name der Stadt ist Soyokaze, ich denke nicht, dass du davon gehört hast.“ Ich stellte die Reisschale ab. „Doch, Meister. Meine Großmutter stammte aus diesem Dorf.“ Er blickte mir prüfend in die Augen. „Kennt dich dort noch jemand?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, davon gehe ich nicht aus.“ Er nickte. Eine kleine Strähne fiel aus seinem Haarknoten, er nahm sie und warf sie über seinen Kopf zurück. „Gut, dann steht euerer Abreise nichts mehr im Weg. Die Reise ist lang und ihr braucht Pferde, ich wünsche, dass du ein Tier aus den Jungställen auswählst. Es wird dir gehören. Akira und Natsumi wissen bereits Bescheid, ihr werdet morgen in der Dämmerung aufbrechen, du solltest dich zeitig schlafen legen. Es ist dir erlaubt, zu gehen.“ Ich erhob mich, verbeugte mich tief und ging aus der Halle. Der Wind fuhr mir wieder einmal durchs Haar und fegte meinen Kopf kurz leer von all den Gedanken, die sich immer wieder in den Vordergrund drängen wollten und mich nicht zur Ruhe kommen ließen, meinen Kopf sprengen zu wollen schienen. Erneut hatte ich meine Oase der Ruhe aufgesucht, der Kirschbaum in der Nähe des Teiches. Ich konnte das Wasser leise plätschern hören, mit dem steten, penetranten Unterton zirpender Grillen. Tief atmete ich die warme Luft ein. Diese Reise, die mir bevorstand, stellte meine Feuerprobe als Magierin dar, dessen war ich mir bewusst. Ich war unglaublich nervös; doch gleichzeitig kribbelte meine Haut vor zufriedener Neugier. Endlich konnte ich meine Freiheit, die ich seit Beginn angestrebt hatte, ausleben. Die Zedern im Umkreis begannen leise zu flüstern, kurze Zeit später konnte ich die leichte Böe, welche die Bäume zum Rauschen brachte, im Gesicht spüren. Am Nachmittag hatte ich mich in die Ställe begeben um mir ein Pferd auszusuchen. Eichi, ein junger Mann, der selbst nicht die Gelegenheit bekommen hatte, eine Ausbildung wie ich zu genießen, kümmerte sich dort um die Tiere. Er war einer meiner besten Freunde hier, und ich vertraute ihm blind, wenn er mir ein Pferd empfahl und anvertraute. Der Hengst, ein dunkler Fuchs, trug den Namen Yûzuki und war noch recht jung und temperamentvoll, weshalb ich mir Sorgen gemacht hatte, aber Eichi war standhaft der Meinung, dies sei nur ein Vorteil für mich. Ich seufzte. Hoffentlich hatte er Recht. Diese Reise konnte, musste zwar nicht, aber konnte gefährlich werden. Wo eine Menge Leichen lagen, war mindestens ein Mörder gewesen. Beunruhigend empfand ich ebenfalls, dass die meisten der Toten in den Reisfeldern gefunden wurden, ein guter Platz um zu modern – ich wusste nicht, ob ich auf widerliche Anblicke gefasst war. Denn die würde ich zweifelsohne sehen. Deshalb wurde Natsumi ausgesucht, mit mir und Akira diese Aufgabe zu erfüllen. Sie war keine sehr begabte Priesterin, eher im Gegenteil, aber sie hatte eine besondere Gabe, die ihr erlauben würde, jede Leiche aufzuspüren, sollte es von Nöten sein. Die Aufgabenverteilung war klar ersichtlich und munterte mich keineswegs auf. Natsumi suchte und untersuchte, wenn es zwingen war, die toten Körper in Soyokaze, Akira war derjenige, der die Menschen im Dorf befragen sollte, und meine Kräfte galten zum Schutz. Meine Kraft war zum Angriff und zur Verteidigung konzipiert, aber als unerfahrene Priesterin die Verantwortung zweier Leben plus meines eigenen Lebens auf den Schultern zu tragen – ich hoffte diese Last würde mich nicht um meine Konzentration bringen und somit in die Knie zwingen. Wieder musste ich mich selbst ermahnen, diese Gedanken auszusperren. Sie würden den Weg schnell wieder finden, aber ich hatte nur noch einen halben Tag Ruhe. Die Sonne, zuletzt eine hellrote Scheibe im Westen, war langsam untergegangen und die ersten Sterne funkelten am Firmament auf. Es war ein unglaublich schwüler Tag gewesen, und ich sehnte mich nach dem erlösenden Regenguss. Langsam schloß ich müde die Augen. Der Tag war spät geworden, und eigentlich sollte ich am anderen Tag früh aufstehen. Aber wer konnte unter solchen Umständen schon schlafen? Einen Moment die Augen zu schließen entspannte wahrscheinlich mehr als jeder miserable Ansatz Ruhe, den ich heute finden könnte. Ich sah den Regen geistig vor mir, in dem kleinen Bambushain, wo ich so lange still gestanden und gewartet hatte, vom Regen ganz und gar durchnässt; die Kleider am Körper klebend. Doch der Mann, von dem ich mich losreißen musste, hatte sich verändert. Sein Blick war härter geworden, trotzdem umspielte ein Lächeln seine Lippen. Mir stiegen Tränen in die Augen, aber ich konnte und wollte nicht weinen. Sein Körper war muskulöser geworden, er machte einen Schritt auf mich zu. Ich wich zurück. Doch meine Knie gaben nach. Wer konnte ewig davon laufen? Niemand. Und wenn insgeheim jemand seine Hand ergriff, warst man machtlos. Er zog mich mühelos vom Boden und hielt mich in den Armen. Ich begann zu weinen. Zuerst nur ganz leise, doch dann ließ ich meinen Gefühlen freien Lauf und krallte mich in seiner Kleidung fest. Schützend und wärmend legte er die Arme um mich, eine Geste, die ich längst nicht mehr verdient hatte, und trotzdem tat er es. Unaufhörlich bahnte sich ein salziger Strom den Weg über meine Wangen. Ich hatte diese Wärme, seine Wärme so sehr vermisst, dass mein ganzer Körper geschmerzt hatte. Jetzt aber fiel eine Last von mir, die ich zu tragen eigentlich nie in der Lage gewesen war. „Mitsuko?“ Meine Lider öffneten sich blitzschnell, die Wimpern tränenverschmiert. War ich tatsächlich eingeschlafen? Akira stand vor mir und lächelte leicht gezwungen. Meine Tränen verwirrten ihn sichtlich. Er reichte mir seine Hand. „Komm, es gibt bessere Orte zum Schlafen als auf dem Boden. Das wirst du noch häufig genug tun müssen.“ Ich lächelte zurück, ergriff seine Hand und ließ mich von ihm hochziehen. Erst jetzt bemerkte ich, dass mir die Tränen tatsächlich stark über die Wangen gelaufen waren und wischte sie schnell, aber mit diskreter Selbstverständlichkeit weg. Neben Akira ging ich auf die Häuser zu. Mein Weg lag nicht in der Richtung, die mein Traum mir als Option gezeigt hatte. Vor diesem Weg würde ich ewig zurückweichen, und wenn ich noch so oft einbrechen und auf dem Boden landen sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)