Children of the night von Tak-lung (Die Geschichte des Kilian) ================================================================================ Kapitel 12: Erfahrung --------------------- Kapitel 12 Warm. Um mich herum war alles warm. Benommen schlug ich die Augen auf. Alles schien verschwommen, es dauerte eine Weile, bis ich mich an das dunkle Licht gewöhnte und mich umsehen konnte. Ich befand mich in einem Bett. Die weiche Bettdecke umhüllte meinen kalten toten Körper und wärmte ihn. Der Geruch von brennendem Buchenholz lag in der Luft und ich hörte das prasseln eines Feuers. Aber wie ich es hörte, roch und spürte. Langsam hob ich meine Hände vor mein Gesicht. Die selben etwas groben Hände denen man doch noch das Bauernhandwerk ansehen konnte, und doch waren sie... anders als sonst. Sie waren blass, geradezu weiß, doch das war es nicht, was mich so an ihnen beschäftigte. Ohne die Augen von ihnen zu wenden drehte ich sie leicht, betrachtete jeden Zentimeter meiner neuen Haut genau. Die Adern, durch welche mein neues, unsterbliches Blut floss. Die Zellen, welche zu einer Einheit verschmolzen zu sein schienen. Die Fingernägel, wie Glas. Stunden hätte ich meine Hände betrachten können, ohne, dass es mir langweilig geworden wäre, denn mit jeder Bewegung, mochte sie noch so klein, noch so unbedeutend erscheinen veränderte sich die ganze Hand. Das Licht viel anders, warf Schatten sie nicht veränderten, das Blut floss ein wenig anders... all diese Kleinigkeiten waren schon immer da gewesen, doch noch nie hatte ich sie so wahrgenommen. Nach einiger Zeit zwang ich mich dazu meinen Blick abzuwenden und betrachtete nun den Stoff der über meinen Körper gelegt war. Das Muster aus Farben und Formen schien sich geradezu zu bewegen, doch veränderte sich nichts. Es sein zu tanzen zu leuchten und mich zu hypnotisieren, doch war es immer noch eine ganz normale Decke und kein Sterblicher hätte je gesehen was ich sah. Voller Staunen und Verwunderung richtete ich mich gemächlich auf, spürte wie der Stoff von meinem Oberkörper fiel. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich nicht mehr in meine alten Kleider gehüllt war. Mein Oberkörper war bar doch trug ich eine bequeme Stoffhose. Weiter sah ich mich im Raum um. Der Teppich, die leicht wehenden Vorhänge, das prasselnde Feuer, alles hatte seine eigene Faszination und es kostete mich einiges an Selbstüberwindung mich der Gestalt am Fenster zu zuwenden. Doch hatte ich meinen Blick erst auf sie gerichtet war es mir unmöglich mich von ihr abzuwenden. Schön wie die Nacht, zart wie ein Engel. Der schwarze Stoff glänzte im matten Licht einer Kerze, welche auf dem Tisch stand. Er stand mit dem Rücken zu mir starrte aus dem Fenster welches offen stand und eine leichte Brise hinein ließ. Zwar sah ich sein Gesicht nicht, doch das brauchte ich auch gar nicht. Das ganze Bild, seine Haltung, die Art wie seine Schultern hinunter hingen, ein Arm an den Rahmen, die dunkel braunen Haare offen hinunterhängend... er war traurig. Warum? Warum war er traurig, wo dies doch der schönste Tag meines Lebens... - nun ja, als war auch immer man es bezeichnen wollte- war. Langsam erhob ich mich, verließ das Bett und ging zu ihm. Meine Hand ruhte auf seiner Schulter. „Bist du jetzt zufrieden?“ Noch immer sah Xavier mich nicht an, starrte nur hinaus in den Regen. Ich schwieg. Sein Ton schockierte, verletzte mich ein wenig. Warum fragte er das? Natürlich war ich glücklich und ich erwartete, dass auch er diese Freude teilte. Ein neues Leben, UNSER neues Leben hatte begonnen, doch es schien ihn nicht zu tangieren. Ich wollte es ihm sagen, wollte ihn umdrehen und ins Gesicht sehen, ihm sagen das sich mein Traum erfüllt hatte, dass uns nun Nichts und Niemand mehr trennen könne, dass von nun an alles wunderbar sein würde, schöner als alles zu vor. Doch ich konnte es nicht, nicht bei seinem Anblick. Ich spürte wie sein Brustkorb sich einmal hob und wieder senkte, hörte ein Seufzen und schließlich drehte er sich um. 2000 Jahre alte Augen schauten mich aus dem Gesicht eines 18 Jährigen an. Ich schreckte etwas zurück. War das tatsächlich mein Xavier? Es war der Selbe Körper, die selben zauberhafte Augen, das selbe weiche Haar und doch schien es... anders zu sein als sonst, auch wenn ich nicht spezifizieren konnte was genau es war das mich zurückschrecken ließ. Ernst lag in ihnen, diesen unglaublich dunklen Augen, welche mich beobachteten, in meine Seele einzudringen schienen. Doch dieses mal nicht so tief wie sonst. Das lag daran, dass er mein Erschaffer war. Er konnte meine Gedanken nicht mehr lesen. Mir war dies zu jenem Zeitpunkt natürlich nicht bewusst, ich sah nur diese Augen. Doch. Es war mein Xavier. Langsam bekam ich mein altes Gefühl des Vertrauens zu ihm zurück. Ich lächelte. „Jetzt bist du einer der Unseren.“ Sprach Xavier leise, doch jedes Wort hatte eine Bedeutung, seinen Platz und seine Wirkung. „Nie wieder Sonne, nie wieder Wärme. Nur noch Tod wirst du bringen, kein Leben...“ Ich hob meine Hand, sehr langsam und doch schneller, als das ein Menschliches Auge es hätte verfolgen können. „Sorg dich nicht um mich. Es war meine Entscheidung und ich bereue es nicht“ „Noch nicht.“ Es folgte eine Stille, lediglich unterbrochen durch das Knistern des Feuers und das Plätschern des Regens, jenen furchtbaren Geräuschen, welche die Eigenschaft haben Stille noch leiser zu machen. „Xerxes“ es war das erste mal, dass ich ihn mit seinem richtigen Namen ansprach, er sah auf zu mir und zum ersten mal seit ich bei ihm war wirkte er tatsächlich wie ein 18 Jähriger, unsicherer Junge der Angst hatte das einzige zu verlieren was er liebte. „Solange du bei mir bist kann ich alles überstehen.“ Er schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht. Ich weiß, dass du stark bist, Kilian. Darum habe ich dich ausgewählt. Es ist...“ er brach ab und wich meinem Blick aus. „Es ist... was?“ fragte ich und versuchte seinen Blick wieder einzufangen. „Nichts.“ Endlich schlich sich wieder ein Lächeln auf sein Gesicht. Er schüttelte den Kopf, als wolle er die letzten Zweifel nun auch wegschieben. „Nun, du hast noch viel zu lernen“ Auf einmal schien alles wieder normal, alles war wie es sein sollte. Ich nickte bei seinen Worten, überglücklich. Ein nicht auszuradierenes Lächeln lag auf meinen Lippen. Geschwind griff ich nach meinen Kleidern, zog mich an. Ein weißes Rüschenhemd, ein hellblauer Gehrock eine schwarze sans-culotes und schwarze Gamaschen. Schließlich wollte ich mein Haar wie gewohnt nach hinten binden, doch spürte ich Xaviers Finger. „Lass sie offen.“ Bittend waren seine Worte und ich erfüllte ihme idesen Wunsch. Der erste Abend als Wesen der Nacht. Wir verließen das Hotel, ich lachend und jeden Sterblich betrachtend, Xavier erzählend was sie gerade dachten. Die Kleinigkeiten die mir auffielen berichtete ich ihm, mit einer Begeisterun wie ein kleiner Junge an seinem ersten Schultag. „Und diese Frau dort, sie ist auf dem Weg zu ihrem Liebhaber, das lustige ist, dass ihr Collier ein Geschenk ihres letzten Ehemanns der auf 'seltsame Art' ums Leben gekommen ist.“ Ich lachte bei dem Gedanken daran „Und der Herr dort, siehst du die Knöpfe an seiner Weste? Die müssen aus England stammen! So etwas sieht man in Frankreich gar nicht! Darum wohl auch diese schmutzigen Gedanken“ Xavier hörte meine Ausführungen geduldig zu, obgleich er das natürlich ebenso die Gedanken der Sterblichen lesen konnte. Ich jedoch kannte das noch gar nicht. Ich musste eine Person nur etwas länger anschauen und schon waren ihre Gedanken, ihre Ängste und ihre Hoffnungen ein offenes Buch für mich. „Ach wie süß, die Frau scheint ihre Begleitung wirklich zu lieben. Nun leider ist sie damit nicht alleine, 3 weitere Frauen sind auf diesen Kerl herein gefallen. Aber, dass er allen so eine hässliche Brosche schenken muss! Ist ja nicht mal echtes Gold, gerade mal Gold überzogen. Na, so was gehört sich aber nun wirklich nicht“ Ich schüttelte in gespielten Entsetzen den Kopf und lächelte Xavier zu. „Warum hast du mir nie gesagt dass du so einfach Gedanken lesen kannst?“ Xavier lächelte zurück, ruhig und beflissen antwortete er; „Nun du scheinst ein besonderes Talent darin zu haben, bei mir bedurfte es etwas mehr Übung, um die Gedanken so genau lesen zu können wie du. Insbesondere auf der Straße wo so viele Menschen ein und ausgehen, so viele Gedanken.... Bis heute nehme ich eher Gefühle, als präzise Gedanken wahr. Doch die dunkle Gabe fällt letztlich bei jedem anders aus und du scheinst ein Talent für das Lesen der Gedanken anderer zu haben.“ „Deine kann ich nicht lesen“ stellte ich halb enttäuscht fest „Geht es nur bei Sterblichen?“ „Natürlich nicht, doch mein Blut fließt durch deine Adern, so wie deines durch meine. Da ich dich erschaffen habe kannst du meine Gedanken genauso wenig lesen wie ich die deinen. Außerdem solltest du bei Vampiren vorsichtig sein. Sie können spüren, wenn du in ihre Gedanken eindringst. Je älter sie sind umso besser können sie sich gegen deine Kräfte wehren und einigen gefällt es nicht, wenn man ohne zu fragen in ihren Gedanken ließt“ Ich nickte verstehend. Einen Moment dachte ich über seine Worte nach. Er konnte also nicht mehr in meine Gedanken lesen... oder viel mehr: Er konnte also vorher in meinen Gedanken lesen! Für mich was dies ja eine völlig neue Erkenntnis . Mein Lächeln wuchs zu einem Lachen. So hat er es also die ganze Zeit gemacht! Darum hat er mich so gut verstanden und immer das richtige sagen können. Ich kam mir so unglaublich dumm vor, oder viel mehr, der Sterbliche der ich einst war kam sich unglaublich dumm vor. „Also du kannst jetzt meine Gedanken nicht mehr lesen, nein?“ Xavier nickte, jedoch lag der Hauch eines Lächelns auf den dünnen Lippen. „Wir haben zum ersten mal eine richtige Unterhaltung.“ So konnte man es natürlich auch sehen. Ja, ich sah es auch so, je länger ich darüber nachdachte. Er hatte schließlich nie zuvor mit MIR, DEM Kilian geredet der da vor ihm stand. „Also gut. Was ist Lektion Nummero uno?“ Ich rieb mir die Hände, vor Freude, vor Aufregung. „Eile mit weile“ Unweigerlich rollte ich mit den Augen. Das sah Xavier wieder einmal Typisch, vermutlich ist dieses Sprichwort sein Lebensmotto. „So, und Lektion Nummer Eins für dich ist...“ Ich überlegte einen Moment ehe ich fort fuhr: „Genieße jeden Tag als wär’ es dein letzter“ Mein Lebensmotto im übrigen. Simultan begannen wir zu lachen. All die Trauer, die Last die so schwer wie eisen auf unseren Schultern gelastet hatte schien vom Regen davon gespült zu werden. Kein Wort mehr über falsche Entscheidungen, über Ängste oder Befürchtungen. Stattdessen das Lachen zweier junger, lebenslustiger Gesellen die sich ein schönes Leben machten. Einfach Lachen... wann hatte ich Xavier jemals einfach aus freiem Herzen heraus lachen sehen? Noch nie. Er schmunzelte, lächelte aber blieb immer unnahbar, ruhig und kühl. Nicht Fröhlich, nicht wütend, nur unsagbar traurig. Doch an jenem Abend kam er mir ein Stückchen näher. Er lachte, er hatte einfach Spaß. Spaß am Leben. Endlich erreichten wir eine Schenke (ein Ball wäre doch noch etwas zu hoch für einen Anfänger wiem ich gewesen). Das in einer der Kneipen jemand ermordet wurde, dass war damals noch alltäglich. Die Devise lautete stirb oder töte und es wurde wenig aufheben um eine Leiche mehr oder weniger gemacht. Wenn jedoch auf einem Ball etwas falsch lief, jemand zu schreien anfing oder sonst etwas bemerkte, dann wurde es heikel. Des Weiteren tötete Xavier grundsätzlich nur Verbrecher, oder jene die schon kein Leben mehr besaßen. Er bestrafte oder erlöste, tötete jedoch nie aus Lust oder Leidenschaft. Er tötete aus der Not heraus. Er hatte keine Wahl. Wir erreichten also die Schenke. „Black Dragon“ war der eher weniger passende Name. Die schwarzen Lettern waren schon am abblättern und das kleine Etwas, das anscheinend einen Drachen darstellen sollte war er süß als furchterregend. Ein muffiger, typischer Kneipengeruch kam uns entgegen. Immer hatte ich sie gehasst die Spielunken, den Gestank nach Brandy und Zigaretten, jetzt fand ich ihn zwar immer noch nicht angenehm, jedoch interessant, faszinierend. Und erst der Rauch an sich, wie er sich nach oben Schlängelte, mal in langen geschwungenen Bahnen, mit einen kleinen Windhauch wurde darauf auf einmal eine eng umschlungene Spirale und schließlich verlor er sich in der Luft. Xavier beobachtete mich, das spürte ich, und es störte mich nicht. Wahrscheinlich fand er es amüsant wie ich mit großen Augen durch die Welt lief, als hätte ich sie nie zuvor gesehen, was ja auch gar nicht so falsch war. Noch nie hatte sie die Welt auf diese Art und Weise gesehen wie an jenem Abend. „Also Kilian, das Töten ist ein Notwendigkeit. Als solche sehe ich es zumindest, jeder Vampir hat da seine Vorlieben. Ich benutze meine Fähigkeiten, erspüre ein in meine Augen passendes Opfer, wie jenen Herren dort. Ein Mörder, tötet, stielt und säuft nur, um morgen wieder zu töten. Wir mögen auch jede Nacht aufs neue Töten, doch haben wir eine Wahl wen wir töten.“ Ich schaute in die Richtung in die Xavier gedeutet hatte. Auf einem Schemel saß ein beleibter Mann, ein Narbe zog sich Quer über das rote Gesicht, wie ein Wunde zog sich ein Schlitz horizontal über das Gesicht, kaum zu glauben das es sich dabei um einen Mund hatte. Die Haare waren abrasiert und am Hinterkopf schien eine art Bemalung zu sein. Schwach wirkte der Kerl jedenfalls nicht, was vielleicht auch schon der einzige Grund des Wirtes war trotz des zunehmend betrunkenen Zustands seines Gastes diesen weiter zu bewirten. Das und noch der Sack voll Gold der unbedacht neben ihm auf der Thresen lag. Irgendwas schien er zu lallen, etwas das keiner wirklich verstehen konnte, und ich fächerte mir grob Luft zu. „Seinen Mundgeruch kann man ja bis hier hin riechen... und davon ernährst du dich?“ Halb angewidert starrte ich das Etwas auf dem Stuhl an. Doch das Nicken Xaviers schien tatsächlich die Antwort auf meine Frage zu sein. „Gut.“, sagte ich schließlich und schluckte meinen Ekel hinunter „Natürlich kann ich, ein 18 Jähriger Knabe nicht einfach in einer Schenke jemanden aussaugen“ Das war einleuchtend. Schon alleine seine Präsenz in besagter Schenke war verwunderlich. Nicht das Jungendlich keine Alkohol kriegten oder so, wir schreiben das Jahr 14hundert, nicht 1989 und das hier ist schließlich Frankreich. Nein, allein der Umstand dass Xavier 1. Nicht unbedingt in dieses Milieu passte, zumindest nicht mit den feinen Samtkleidern und edlen Lackschuhen und er 2. nicht gerade robust wirkte. Kaum ein Mensch mit gesundem Menschenverstand und dieser Statur wagte sich nachts in eine solche Schenke. Er fiel auf und das war schlecht. „Nun um das zu umgehen halte ich mich an das alte Sprichwort“ Ich rechnete schon mit etwas wie: `Reden ist Silber und Schweigen ist Gold` oder `Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben`, würde schließlich wunderbar zu seinem Motto passen... „Wenn der Prophet nicht zum Berg kommen kann, muss der Berg eben zum Propheten“ Etwas verwundert musterte ich ihn. Wie sollte man so einen Berg von Fleisch dazu bringen einem reichen Sohn zu folgen, ohne, dass es großes Aufsehen erregte? Das Folgen an sich würde wahrlich das kleinere Problem darstellen, so einfache Beute kriegte man schließlich nicht alle Tage, aber es sollte nicht die ganze Schenke mit kommen um sich das erbeutete Geld zu teilen oder sich gegenseitig umzubringen um es hinterher ergattern zu können. „Sieh zu und lerne“ Xavier drehte sich um und verließ das Gebäude. Verwirrt folgte ich ihm. „Aber ich dachte du wolltest ihn...“ Ich verstummte, als ich hörte wie schon kurze Zeit später die Tür hinter uns auf ging. Einen Moment war das Reden der Menschen von drinnen zu vernehmen, das laute Auflachen einer Kellnerin und ein Prost, dann war die Tür auch schon klappernd zu gefallen. Draußen auf der Straße stand zu meiner Überraschung der Mann. Dabei hatte er nicht wirklich den Eindruck gemacht er wolle heute noch mit dem trinken aufhören... Ohne sich umzudrehen ging Xavier weiter und ich folgte ihm, einmal um eine Ecke und in eine der kleinen Seitengasse. Der Koloss folgte und mit seinen trägen, schweren Schritten und ich begann zu begreifen. Wenn der Prophet nicht zum Berg kam, so musste der Berg zum Prophet. Also konnte man sogar den Geist der Sterbliche kontrollieren, sie in die Falle locken, ohne dass sie es merkten. Endlich kamen wir zu stehen. Ich sprang auf eines der umliegenden Dächer, um eine bessere Aussicht auf das Stück zu haben, welches in Kürze beginnen würde. Es trug den Titel: „Das erste Mahl“ und die Hauptrolle hatte Xavier. Immer näher kam ihm der Hüne, eine Gestallt von gut zwei Metern Größe, die den kleinen schmächtigen Knaben überragte. Verwirrt und langsam schaute der Mann von einer Seite zur andern. Gespannt las ich in seine Gedanken, konnte jedoch kein Zeichen dafür finden dass er tatsächlich direkt von Xavier gesteuert wurde. Ein Runzeln trat auf meiner Stirn. Wenn nicht durch Gedanken Manipulation, wie dann? Gespannt verfolgte ich das Geschehen. Der Hüne dessen Blick, die kleinen blauen Schweinzäuglein, auf Xavier liegen blieb war stehen gebliben. Xavier stand wie ein kleiner Engel mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck vor ihm, wirkte wie eine Porzellan Figur so klein und zerbrechlich. Ohne groß weiter nachzudenken warum er hier war oder wer dieser Fremde da vor ihm war lief der Sterbliche in die Falle. Es war zwar nicht so, als hätte er jetzt noch fliehen können, Xavier hätte ihn so oder so erwischt, aber so machte er es noch einfacher und anschaulicher wie dumm die Menschen doch eigentlich waren. Der Rest spielte sich in Sekunden ab. Mit einem Satz war Xavier auf ihn gesprungen drückte den schweren Körper zu Boden (ich erwischte mich dabei verwundert zusein und mich zu fragen, wo er denn die Kraft her hatte), um ihn schließlich in den Hals zu beißen. Binnen Sekunden war er Tot. Eine neue Leiche in den Slums von Paris. Eine weitere Namenlose Seele die ihren Weg in die Hölle gefunden hatte und dort für seine Sünde zahlen würde und niemand, nicht einmal die Ratten dies einen Kadaver zernagen würden, würden um ihn trauern. Kein Grab gab es für ihn, keine Seele die sich je an ihn erinnern würde, es war, als hätte es ihn nie gegeben. Doch ich, ich sah angewiedert zu. Es tat mir sogar Leid um ihn, und sicher verwunderte dies niemanden mehr als mich. Doch wie er dort lag, die kleinen Augen in starrem Entsetzen aufgerissen. Noch war mein menschliches Gewissen nicht verstummt, doch ich verdrängte es, sah den toten Körper nicht mehr an und erinnerte mich schnell an meine neue Existenz. Ich sprang hinunter zu meinem Lehrer „Wie hast du das gemacht? Ich meine, dass er dir folgte, ich spürte keine Gedankenkontrolle oder ähnliches, ...“ Verwundert besah ich mir Xavier. Nun wirkte er mehr denn je wie ein 18 Jähriger Grafensohn. Die roten Bäckchen, das dunkelbraune Haar, welches sein Gesicht umrandete, die großen Augen, die mich interessiert musterten. „Du hast nichts ungewöhnliches gespürt?“, fragte er in dem sanften Tonfall eines Buben der seinem kleinen Bruder versuchte auf die Sprünge bei einer Matheaufgabe zu helfen. Ich überlegte, auch, wenn es mir gewissermaßen zuwieder war mir diesen ungleichen Kampf wieder durch den Kopfgehen zulassen.... „Nein“ sagte ich schließlich „Ich habe nicht, nichts ungewöhnliches gespürt.... aber ich habe jedenfalls keinen zweiten Geist der ihn steuerte gespürt, und was weiß ich schon was normal ist bei Sterblichen?“ Trotzdem dachte ich noch weiter nach. Mein Gefühl sagte mir, dass etwas dahinter steckte, dass etwas an dem Geist des Verstobenen dran gewesen war... verstohlen schaut ich zu ihm herunter, sah in sie leeren Augäpfel, ein einziges Abbild des Schrecken der ihn erst vor einem Moment heimgesucht hatte. Xavier beobachte wie ich auf den Leichnam zu Schritt, wie ich ihn mir noch mal besah und versuchte mich an das Gefühl zu erinnern, das ich beim lesenseiner Gedanken hatte... kein Wort kam über seine Lippen, er stand nur da, sein Blick verfolgte jede meiner Bewegungen, jedes Runzeln meiner Stirn und jedes Falte die ich warf wenn ich einfach nicht dahinter kam. Er ließ mir Zeit mit meiner Antwort, denn alles vor zusagen brachte seiner Meinung nach nicht viel. Man musste selber lernen, selber Begreifen und verstehen. Zuhören konnte man viel, aber wirkliches Begreifen entstand aus eigenem Denken heraus. Erst wenn wirklich nichts mehr ging würde er mit die Lösung des Rätsels verraten, oder gar nie, bis ich es verstand. Doch ich begann von alleine zu verstehen. Es war nicht so gewesen, dass jemand den Geist verdrängt hätte, oder den Körper gelenkt hätte, gegen den Willen der Besitzers. Nein, es war viel mehr so, dass das ganze Wesen des Mannes plötzlich nur noch auf die Gasse fixiert gewesen war. Nicht einmal auf Xavier, er war sogar überrascht gewesen den Knaben dort zu finden. Der Tote war einfach davon ausgegangen dorthin gehen zu müssen, ohne einen besonderen Grund, einfach einem Gefühl folgen, mehr unbewusst als bewusst. Meine Miene hellte sich auf. „Du hast...“ Xavier nickte „Man sollte nicht immer seinem 'Gefühl' trauen, es könnte sein, dass ein Vampir seine Finger im Spiel hat. Allerdings gibt es durchaus elegantere und einfacherer Methoden um an seine Beute zukommen. Vor allem dir bieten sich weit mehr Möglichkeiten als mir, zumal ich in diesem Körper gefangen bin. Nun ist es an dir“ Auf diese Worte hatte ich nur gewartet. Alles in mir Schrie nach Blut, nach dieser göttlichen Essenz des Lebens, welche ich nur einmal hatte kosten dürfen bisher. Mein Körper lechzte geradezu nach der warmen Flüssigkeit, welche Erlösung von dem Hunger versprach. „Mit Vergnügen“ Ich sagte es, doch bei dem Gedanken wurde mir schlecht. Dennoch mein ganze Körper schrie danach, und was für eine Wahl hatte ich? Und ich wollte es ja auch. Ich wollte so sein wie er, den Gedanken ans Töten hatte ich schon lange in mir, doch noch nie zuvor war ich damit so konfrontiert worden. Und nun war die Stunde der Wahrheit gekommen. Ich drehte mich auf dem Absatz um, verlies die Gasse, gefolgt von Xavier. Ich wusste er würde nichts mehr sagen, mir keine Tips geben außer: „Kilian“ ich blieb einen Moment etwas überrascht stehen, mit einer Unterbrechung hätte ich nicht mehr gerechnet. „Eine wichtige Regel: Trinke nie nach dem letzten Herzschlag, oder der Tod zieht dich mit ins Verderben.“ Das war das Letzte, was er mir für meine erste Jagd mit auf den Weg gab und es reichte völlig aus. Wieder suchten wir eine Schenke auf. Natürlich war ich derjenige, der sie wählte und es war nicht die selbe Schenke wie am Abend zuvor. Zwei Morde in einer Spielunke, oder dessen Nähe wäre doch etwas auffällig gewesen. Außerdem wollte ich Paris noch ein wenig genießen. Schließlich umhüllte uns doch wieder der Muff der Kneipe. Alkohol, Tabak und Schweiß mischten sich in der Luft zu einem Gebräu durch das wir unseren Weg bahnten. An der Theke deutete ein Mann auf mich, ich wusste es ohne hinsehen zu müssen, neben ihm stand eine Frau,.. mager, ausgelaugt das blonde Haar zu einem Dutt gesteckt. Ein Muttermahl auf der einen Seite, blau-graue Augen starrten aus blutunterlaufenen Augenringen zu mir herüber. Sie schien bald mehr Skelett, als Mensch zu sein. Halb verhungert war sie, den Abend hatte sie durch geweint. Vor kurzer Zeit war ihr Kind gestorben, von ihrem Lebensgefährten wurde sie regelmäßig geschlagen und den hart erarbeiteten, kargen Lohn verlor sie an seinem Wein und Bier. Ein tristes, sinnloses Leben. Ein Dahin-Vegetieren von einem Tag in den Nächsten, ohne jemals die Hoffnung auf eine Erlösung zu haben, und im tiefsten ihres Herzen der Schrei. Der Schrei nach der einzigen Erlösung aus dieser Hölle die ihr Leben darstellte. „Siehst du den reichen Herren dort?“ Sie nickte stumpf, so wie sie immer nickte, wenn man etwas von ihr verlangte. „Der hat Geld, viel Geld, das wir gebrauchen können. Also versuch es mir zu beschaffen, gib ihm alles was er will, und wenn ich sage alles meine ich es auch so.“ Die Ohren eines Vampirs waren berauschend. Trotz all der Geräusche um mich herum konnte ich ihn reden hören, konnte ich genau verstehen was er sagte ich musste mich nur etwas konzentrieren. Xavier schien keiner im Raum Beachtung zu schenken. Vielleicht lag es an diesem gewissen Zauber den er ausübte, wie hatte er doch gesagt? `Menschen sehen nur was sie sehen wollen. Ich nutze die Eigenschaft aus`. Sicher erwartete keiner in diesem Raum einen 18 Jährigen Buben in der Tracht eines Fürsten. Ich hatte jedoch keine Zeit nach ihm zu schauen denn schon stand die Bedienung vor mir. Scheu blickte sie zu Boden, wagte es nicht mich anzusehen. „Der Herr wünscht?“ fragte sie und trotz all der Mühen schaffte sie es nicht da Zittern aus der traurigen, rauchigen Stimme zu verbannen. Schön hätte sie sein können, doch das Gesicht war von Kummer und Sorge wie auch Hunger und Armut entstellt. Sie hatte nichts mehr zum Leben. Sanft berührte meine Hand ihre warme Haut, hob ihren Kopf und ließ sie in meine Augen blicken. „Die Frage ist was ich für euch tun kann.“, waren meine Worte mit denen ich sie in ein Hinterzimmer geleitete. Und für einen Moment vergaß sie ihre Furcht, für einen Moment verlor sie sich in den weiten meiner Augen und konnte all ihr Leid vergessen. Diesen Moment schenkte ich ihr, kurz bevor sich meine Zähne in ihr Fleisch bohrten, um sie ein für alle Mal von dieser grausamen Welt zu befreien. Es war einfach herrlich, und auch scheußlich. Gerade dass es mich so belbte, mir dieses Gefühl der Wonne und Glückseligkeit gab bestürzte mich, hatte ich doch Schmerz und Trauer erwartet. Nun wurde ich mit Glück und Wollust empfangen. Es war jedenfalls anders, als das Blut Xaviers welches ich ohne Gewissen hatte trinken können. Irgendwie war es süßer und heißer, doch nicht ganz so berauschend, es nahm nicht mein ganzes Wesen so in beschlag wie sein Blut es getan hatte. Doch was gleich war, waren jene Trommeln, welche dieses mal jedoch nicht zu einer Symphony anschwellen wollten. Trotz allem war es ein berauschendes Gefühl, wie sich die Trommeln aneinander anpassten, wie Wärme durch meine Körper schoss und ich Ausschnitte aus ihrem Leben sah. Alles grau, alles trist du traurig. Nicht ein Funken schien mehr in ihr zu glühen. Einst war da ihr Sohn doch der starb. Einst war da ihre Mutter, verreckt an einer Krankheit. Ihre Freundin, als Jüdin vertrieben und nie wieder gesehen. Bilder in meinem Kopf die mir ihre Lebensgeschichte erzählten, bis das Trommeln langsamer wurde, leiser, nur noch ein schwacher Wiederhall. Ich erinnerte mich an die Worte Xaviers und ließ wiederwillig von ihr ab. Blaue Augen ruhten auf dem leblosen Körper dessen Blut durch meine Körper floss, mir nun seine Lebenskraft schenkte. Und eine, zwei, drei, immer mehr Tränen flossen über mein nun von Blut gerötetes Gesicht. Braune Augen lagen auf mir, strahlten mich von der gegenüberliegenden Wand an. „Das wird dich von nun an jede Nacht erwarten“ sprach eine ruhige feste Stimme. Ich zuckte mit den Schultern, wischte mir über die Wangen, um die Tränen zu tilgen. „Du hast ihr eine Gefallen getan.“ Ich spürte sein Hand auf meiner Schulter „Für die meisten ist es schwer, beim ersten Mal, doch denke daran: Such dir Opfer, die es verdienen, oder ersehenen. Dann bleibt dein Gewissen so rein, wie es die Umstände billigen.“ Tröstend waren seine Worte, und ich klammerte mich an sie. Doch ich konnte diese kalten Augen die mich ansahen nicht ertragen, konnte den Gedanken jemanden getötet zu haben nicht ertragen. Noch immer leise Schluchzend beugte ich mich zu meinem Opfer herunter, strich über ihre Augenlider, um diese für die letzte Ruhr zu schließen und sandte sein ein kurzes Gebet für sie gen Himmel. Xavier beobachtete mich, und ich wusste das er vor allem die letzte Geste nicht sonderlich schätzte. Zumindest nahm ich dies an. „Ja“ sagte ich leise und richtete mich wieder auf, drehte mich wieder zu ihm um und sah ihn an. Etwas Warmes haftete ihm an, wie ein Vater blickten seine Augen sanft auf mich, während er die letzte Träne von meiner Wange strich. „Ich wusste, du bist etwas Besonderes. Du kannst fühlen, darum wählte ich dich.“ Ich sagte nichts dazu, wünschte mir nur, ich könnte nicht diesen Schmerz fühlen. Wie sollte ich so weiter leben, jeden Abend diese Schuld auf meinen Schultern lastend? Ich würde einfach nicht weiter daran denken. Was blieb mir sonst? Sollte ich etwa mein ganzes, unendlich langes Leben mit Trauern verbringen? Nein es musste weiter gehen, ich musste nur an die Möglichkeiten denken die sich mir nun offenbarten, die Freude die ich erleben würde. „So ist es richtig. Deinem Gesicht nach zu urteilen machst du weiter. Nichts anderes habe ich erwartet, du hast eine starke Persönlichkeit. Solange du nicht vergisst jedem deiner Opfer Respekt zu zuteilen und sie Vernünftig auszuwählen ist alles in Ordnung.“ Ein Lächeln huschte über meine Lippen und ich nickte. So würde ich es machen, das nahm ich mir zumindest vor. „Nun was machen wir als nächstes?“ Erwartungsvoll sah ich ihn an. Die tote Frau zu meinen Füßen war schon längst vergessen. Letztlich habe ich doch nur ihren Wunsch erfüllt... Ich durfte wählen was wir als Nächstes taten, was auch immer mein Sinnen war, ich durfte es tun. Vielleicht weil dies mein erster Abend war, vielleicht aber auch nur, weil Xavier ein schlechtes Gewissen hatte. Wer konnte das schon sagen? Ich kümmerte mich auch nicht weiter darum. So vieles gab es, was ich sehen und tun wollte, ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte. Die Kirchen, der Montmartre, das Nachtleben, die Feste und Bälle, die Veranstaltungen... Einfach alles was das Leben der Stadt ausmachte, ich wollte alles auf einmal erleben. Wir besuchten die Festlichkeiten der Reichen, besahen uns das Leid der Armen, verharrten vor den imposanten Mauern Notre dames. Ja es war wie ich es mir vor gestellt hatte. Alles war anders und doch genauso wie vorher. Ich war mittendrin im Leben und doch kam ich mir wie ein unbeteiligter Zuschauer vor. Ich beobachtete die Menschen ihre Redensart ihr Verhalten, verglich es untereinander und konnte mich einfach nicht satt sehen. Nicht an den Kleidern, an dem Schmuck, den Perücken oder anderem Accessoire. Es war eine lange, berauschende Nacht, die ich nie in meinem ewig dauerndem Leben vergessen werde. Genauso wenig jene namenlose Seele die mein erstes Opfer wurde. Es gibt wenig Opfer derer ich mich genau erinnern kann, doch sie gehört dazu. Nur weil sie die erste war? Ich weiß es nicht, ich denke ab und zu darüber nach und ich komme immer zu dem selben Ergebnis: Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts ob es nicht doch an diesen leeren blau-grauen Augen lag, oder diesem Aufschrei, diesem Sehnen nach dem Tot, ohne Furcht, ohne Zögern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)