Children of the night von Tak-lung (Die Geschichte des Kilian) ================================================================================ Kapitel 7: Xaviers Geschichte II -------------------------------- Kapitel 7 Ich stand also da, am Pier, sah die Möwen, welche auf ihren Schwingen über das inzwischen schwarze Wasser glitten. Und endlich kam es. Ein schwarzes Boot im schwarzen Wasser umgeben von schwarzer Nacht. In ihm war sie. Das wusste ich und ich wusste, sie würde zu mir kommen, so wie du wusstest, ich würde zu dir kommen. Und sie kam, und mit ihr ein neuer Zeitabschnitt, eine neue Ära. Elegant war sie, makellos in ihrer Schönheit, in ihrer Reinheit, als wäre Diana persönlich hernieder gestiegen. In ihrem langen, weißen Gewand, welches sie trug, genauso weiß wie ihre Haut, welche das Licht des Mondes zu überstrahlen schien. Die schwarzen, gelockten Haare fielen frei über die porzellanähnlichen Schultern. Ihre Augen waren schwarz wie die Nacht, in welcher sie lebte, und hatten die Form zweier Mandeln, die Wimpern waren wie seidene Fäden, lang und schwungvoll, die Fingernägel wie aus Glas. Und ihr stolzes Gesicht: die Nase klein und schmal, genau zwischen den großen Augen, ihre Lippen voll und rot, wie das Blut, welches ihre Adern durchströmte. Zwei feine Striche waren die Augenbrauen, welche ihrem Gesicht in diesem Moment einen herrschaftlichen Ausdruck verliehen. Ewigkeiten könnte ich dir von ihr erzählen, allein von ihrem Erscheinen, die Ohren, ein wenig spitz, was sie elfenähnlich aussehen ließ. Doch ich denke, ich konnte dir ein ungefähres Bild ihrer Schönheit bieten, auch wenn keine Beschreibung der Welt ihren Liebreiz wiedergeben könnte. Kaguya. Sie kam weit aus dem Osten, wie ich später erfahren sollte. Aus einem Land, dessen Namen du nicht einmal kennst, doch ich greife voraus. Ich stand also am Ufer, im sicheren Gebüsch, von wo aus ich beobachtete, wie sich das Boot näherte, die faszinierende Frau mit sich führend. Und ihr Blick streifte mich, nur einen Augenblick - ein Augenblick, welcher mir die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Sie war so bezaubernd und doch... und doch haftete ihr etwas Eisiges an. Sie schien so kalt und rein wie der erste Frost des Winters, ihre Haut so zart wie der Raureif, welcher sich als dünne, glitzernde Schicht auf den Blättern niederließ, und von ebenso seltsamer Farbe war ihre Haut, als läge dieser Reif auf ihr. Kalt, aber schön, sie hätte sicher nicht einmal Aphrodite in Schönheit nachstehen können. Sie landeten, mein Vater war nicht mit auf dem Boot gewesen. War ihm etwas zugestoßen? Lebte er noch? Meine Gedanken verließen SIE und wanderten zu ihm, zu meinem Bruder und zu meiner Schwester, welche noch in den Bergen Schutz suchte. „Sieh mal an, wen haben wir denn da?“ Eine kräftige Hand hatte mich an der Schulter gepackt und ließ mich zusammenzucken. Es handelte sich um jenen Bärtigen, den ich belauscht hatte. Ein breites Grinsen lag auf seinem Gesicht, er schubste mich und ich fiel in den Sand des Strandes vor mir, spürte seinen Fuß auf meinem Rücken, seinen Blick abfällig auf mir ruhen. „Na, was sollen wir mir dir anstellen?“ Lachen. Anscheinend war er nicht allein. „Wir könnten dich zu den anderen bringen, bis du dort verrottest.“ Der Druck, den sein Fuß ausübte, wuchs, ich biss die Zähne zusammen. Wie hatte ich mich nur erwischen lassen können? Jetzt war alles aus. Ich war nicht zurückgekehrt, hatte meine Familie nicht warnen können. Was blieb mir noch, außer dem Tod? Sollten sie mit mir doch machen, was sie wollten, es interessierte mich nicht mehr. Ich hatte versagt, hatte meine Neugier über alles andere gestellt, und das hatte ich jetzt davon. Der Druck auf meinem Brustkorb ließ nach, und ich wurde nach oben gezogen, am Kragen, bis ich mit dem Bärtigen auf Augenhöhe war. „Na? Oder sollen wir dich einfach bei lebendigem Leib kochen? Soll gut schmecken, Menschenfleisch.“ Er sah mir in die Augen. Meine Augen, die nur aufs Meer blickten, desinteressiert. Lieber bei lebendigem Leibe gekocht, als als Sklave gehalten zu werden, soviel stand fest. „Erst mal in die Zelle mit ihm.“ Und so geschah es dann auch, ich wurde zu den anderen geschmissen, wie einen Haufen Müll, den man nicht mehr benötigte. Nun, du kannst dir vorstellen, wie ich von den anderen willkommen geheißen wurde, nachdem ich am Nachmittag da gewesen war. Verständnislos. Weshalb ich nicht zurückgegangen sei und so weiter. Aber das war mir egal, ich musste immerzu an SIE denken, die namenlose Schönheit. Seltsamerweise nicht an meinen Bruder, oder an meine Schwester, oder an all jene, welche ich enttäuscht hatte. Ich hatte aufgegeben. Etwas, das für die Hellas undenkbar war. Doch ich tat es, ich gab auf, ergab mich dem Schicksal. Schicksal - an jenem Abend dachte ich lange über dieses Wort nach. Schicksal... bestimmten tatsächlich die Götter über unser Handeln? Lenkten sie unsere Schritte? Wenn dem so war, waren wir nicht mehr als Spielzeuge, machte es dann noch Sinn, sich zu wehren? 'Spielzeuge, hm? War ich das, der das gedacht hatte? Nein, eine Frauenstimme... Für ein Spielzeug sind das aber interessante Gedanken, warum versuchst du nicht, einen Fluchtplan zu erstellen, wie deine Freunde?' Ich war mehr als nur verwirrt, eine Stimme, glockenklar in meinem Kopf. Ich sah mich um. Niemand schien sie gehört zu haben. Schließlich dachte ich: „Wer bist du?“ Stille, dann wieder die Stimme: 'Ist das so wichtig?' Nein. War es nicht, und insgeheim ahnte ich, wer es war „Wozu noch fliehen? Dies ist eine Insel, wohin noch fliehen? Unsere stärksten Krieger sind gefallen, warum noch mehr Niederlagen hinnehmen?“ 'Weil du ein Hellas bist. Weil Stolz in deinem Herzen lebt, so sehen es zumindest die anderen.' Ich dachte über ihre Worte nach. Ja, es war nicht, wie ich denken sollte, nicht wie die Anderen dachten. „Ich habe gehört, sie ließen die am Leben, die sich unterwerfen.“ 'Die Hellas untergeben sich aber nie.' „Bin ich für dich nur ‚die Hellas’?“ Ich wartete auf eine Antwort, doch hörte ich nichts als das Gemurmel der Bauern um mich herum. Nichts als den Wind, welcher am Fenster vorbei wehte und das Lachen der Barbaren, welche feierten, herübertrug. 'Nein. Du bist Xerxes.' Das war alles, was sie sagte „Und du?“ - Keine Antwort mehr. „Bist du SIE? Ihre Königin? Ihre Göttin? Antworte, wenn du kannst, bitte!“ Doch nichts geschah, sie ließ mich alleine mit meinen Gedanken, alleine unter jenen, die sie lediglich Hellas nannte, ohne Namen. Leute ohne Bedeutung, wie Statisten in einem Theaterstück. Belanglos, aber es gab sie eben und sie spielten auch ihren Teil. Schließlich schlief ich ein. Tage vergingen, Nächte zogen vorbei. Wie viele vermag ich nicht zu sagen, eine Woche, vielleicht sogar zwei. Immer weniger wurden wir, jede Nacht einer weniger. Manchmal zwei, manchmal gar keiner, zuerst die jüngeren, kräftigen Männer, doch ich nicht. Ich blieb und sah zu, wie sie alle gingen. Ob es ihr Spaß machte, mich so zu quälen? Ich wollte leben! Ich hasste es, hasste den Tod, der mich nun umgab. Was passierte mit den Abgeführten? ... „Ja, auch wenn keiner genau weiß, was SIE mit ihnen macht.“ ...„Tot liegen sie dann da, kalt, blass...“ ...Die Worte hallten in meinem Kopf wieder; wenn ich schlief, sah ich ihre Augen, starr, leblos. Ob sie mich beschuldigten? Ich tat es, ich machte mir Vorwürfe, vielleicht hätte ich ja doch was verhindern können. Erst hatte ich, wie beschrieben, ein andere Meinung gehabt, dachte, es wäre vorbei. Doch sie ließen uns nicht, fragten nicht einmal, ob wir uns ergeben würden. Mein Glaube schlug in Verzweiflung um. Würden wir alle sterben? War es meine Schuld? Sorge. Was war mit meiner Schwester, mit meiner Mutter, mit meinem Vater und meinem Bruder? Ich hatte das Gefühl, ich müsste wahnsinnig werden, hoffte halb, endlich mitgenommen zu werden und das alles nicht mehr ertragen zu müssen. Gleichzeitig versuchte ich, nicht aufzugeben. Selbstmord- oder ähnliche Gedanken sollten kein Heim in meinem Kopf finden - als würde das etwas an der Situation ändern. Die anderen. Die, die ich liebte. Die, die ich hasste. Alles was mir irgendwie etwas bedeutete, ob gut oder schlecht, es würde weiter leiden, weiter diese Schmerzen spüren, und das wollte ich nicht. Doch was konnte ich schon tun? SIE meldete sich lange Zeit nicht, und ich begann mich zu fragen, ob ich mir das alles nicht nur eingebildet hatte. Vielleicht waren meine Erinnerungen getrübt, vielleicht hatte diese Unterhaltung nie stattgefunden... wer wusste das schon? Inzwischen waren wir nur noch vier Personen in der Zelle. Hoffnungslos waren wir, nichts war mehr geblieben. Der Glaube, dass alles sich noch zum Guten wenden würde, war verschwunden und schiere Verzweiflung hatte ihren Platz eingenommen. 'Xerxes.' Ich konnte meinen Ohren, oder vielmehr meinen Gedanken, nicht trauen. Vielleicht träumte ich nur, oder meine Verzweiflung hatte mich tatsächlich in den Wahnsinn getrieben. Doch wen interessierte schon, ob sie eingebildet war oder nicht, ich hörte sie, glaubte es zumindest. „Wer bist du?“, fragte ich sofort, noch immer wusste ich es nicht. 'Hilf mir.' Ihre Stimme war flehend, verzweifelt, ob sie wohl gerade weinte...? „Ich soll dir helfen? Ich komm hier ja selbst nicht raus.“ 'Du wirst es schaffen, keiner außer dir kann es, bitte hilf mir, hol mich hier raus.' War das wirklich meine Göttin, welche ich am Strand gesehen hatte? Die stolze, aufrechte und bezaubernde Diana? Unbändig, kalt, gefühllos? Nein, diese Stimme war sanft, voller Emotionen, zart. Es konnte sich nicht um SIE handeln, sie musste eine starke, kalte Stimme haben. Eine, die ihrem Wesen entsprach. Nie hätte diese Göttin mich um etwas gebeten. „Wer bist du?“, fragte ich erneut, ohne auf ihre Bitte weiter einzugehen. 'Ich werde es dir sagen, wenn du hier bist.' Was sollte ich tun? Wie sollte ich ihr helfen, wo ich doch nicht einmal wusste, wie ich mir selbst helfen sollte. Und doch wollte ich unbedingt zu ihr, sehen, wer hinter der körperlosen Stimme steckte. „Wo bist du?“ 'Auf dem Hauptschiff, bitte beeil dich, bevor sie zurückkehrt.' SIE, also doch eine andere, nicht meine Göttin, welche ich schon zu verehren begonnen hatte. Nein, jemand, den sie anscheinend mitgebracht hatte. Die zarte, namenlose Stimme. Sollte ich ihr helfen? Wer war sie, woher sollte ich wissen, ob ich ihr vertrauen konnte? Und doch ... „Warte auf mich, ich komme.“ Stille, kein Danke, kein Hinweis oder Hilferuf. Hoffentlich kam ich nicht zu spät, ich wollte Antworten, aber vor allem wollte ich sie sehen. Dieser Gedanke gab mir Kraft, beflügelte mich. Die anderen in meiner Zelle schliefen tief und fest. Mein Blick glitt durch die Zelle, irgendetwas Hilfreiches musste doch da sein, irgendetwas... Einen Moment hing mein Blick am Fenster, durch welches ich nichts außer einigen Sternen am Himmelszelt sehen konnte. Wir hatten diese Festung gebaut, es musste doch einen Weg hinaus geben, einen, an den noch keiner gedacht hatte. Nur ich konnte es schaffen, das waren ihre Worte gewesen, und ich war entschlossen, sie nicht zu enttäuschen. Die Zelle, in der ich mich befand, war relativ klein, umgeben von Lehmwänden, mit einem Fenster, durch welches wenigstens ein bisschen frische Luft kam, auch wenn es nicht helfen konnte. Du kannst dir vorstellen, wie es nach einer Woche roch, etwa zehn Männer, am Anfang, eingepfercht, kein Weg hinaus, alles, was wir taten, auch unsere Notdurft, alles mussten wir in dieser kleinen Zelle tun. Meine Kleider waren ebenso verschmutzt. Ein Bad, das wäre jetzt etwas gewesen, und neue Kleider, so konnte ich ihr doch nicht gegenüber treten, doch blieb mir etwas anderes übrig? Wenn ich es denn überhaupt zu ihr schaffte... Weiter glitten meine Gedanken auf der Suche nach einer Lösung. Zur kleinen Holztür, welche uns vom Korridor trennte, eine kleine Luke war darunter, um Essen und Wasser hindurch zu schieben; zur kleinen Holzbank, auf der momentan der Älteste der noch Lebenden lag und schlief. Zur Tür. Eine Weile sah ich sie stumm an. Wie kam ich da hindurch? Doch wohl nur als Geist, wenn ich durch Wände gehen könnte, aber das konnte ich nicht... Langsam erhob ich mich. Etwas, das ich schon lange nicht mehr getan hatte. Ob Wachen vor der Tür standen? Ich war nicht sonderlich kräftig, ich könnte sie nicht besiegen... 'Ich helfe dir.' Da war sie wieder. „Wo warst du?“ fragte ich halb klagend, ich wäre vor Sorgen fast umgekommen ich konnte nicht antworten, sie hätte es beinahe bemerkt. Ich kümmere mich um die Wachen, öffne die Tür, irgendwie... Die Tür war ein geringes Problem, ich war beim Einbau dabei gewesen, ich könnte sie aufbrechen, wenn sie sich tatsächlich um die Wachen kümmern konnte... warum konnte sie sich dann nicht selbst befreien? Wenn sie so mächtig war, warum benötigte sie dann die Hilfe eines Jungen, wie ich es war? Ich sollte es bald genug erfahren... Nun musste ich nur noch die Tür aufbrechen. Schnell getan, damals gab es ja noch keine so komplizierten Schlösser wie heutzutage, ein paar gezielte Schläge mit einem Stock, und es war geschafft. Tatsächlich schliefen die Wachen vor der Tür und wachten nicht einmal auf, als ich die Tür, gegen die sie gelehnt waren, aufschob, so dass sie zur Seite fielen. Ich dachte nicht weiter darüber nach, wie sie das geschafft hatte. In meiner Welt schien alles wahr werden zu können. zu jener Zeit war alles ein Wunder, in irgendeiner Art. Das Gewitter, das Meer, sogar das Feuer. Wir wussten ja nicht, was genau es war. Es war eine Welt, in der Götter regierten. Götter, welche mit ihrer Macht Leben und Tod überwachten, und vielleicht waren sie ja wirklich eine Art Götter, vielleicht. Ich würde es sehen. Endlich frische Luft, wieder das Gefühl, frei zu sein. Wie hatte ich es vermisst. Ich hatte beinahe schon vergessen, wie frische Luft riechen konnte. Es fühlte sich einfach nur himmlisch an. Ich war dankbar für dieses Gefühl. Doch es war keine Zeit, es einfach zu genießen. Ich musste zu ihr, und ich durfte mich nicht erwischen lassen. Schnell rannte ich im Dickicht zum Strand, zu der Stelle, wo sie mich vor nicht allzu langer Zeit geschnappt hatten. Immer noch lagen die zwei Schiffe dunkel und imposant im Wasser. Wie sollte ich dort rüber kommen...? Schwimmen, was andres blieb nicht, kein Boot war da. Ich zog mein ohnehin dreckiges, verklebtes Oberhemd aus, ebenso Schuhe, nur die Hose blieb freilich an, dann rannte ich, nachdem ich sicher gegangen war, dass niemand mich sehen konnte, ins kalte Nass. Salziges, lauwarmes Wasser umfing mich und spülte all den Dreck weg, ein befreiendes Gefühl, welches dem der frischen Luft nicht unähnlich war. Zug um Zug schwamm ich weiter, schnell, unaufhaltsam meinem Ziel entgegen. Das Hauptschiff war nicht schwer zu erkennen. Größer. Mehr nicht, aber immerhin, noch nie hatte ich solch einen Koloss von Schiff gesehen, und je näher ich kam, umso bewusster wurde mir, welches Ausmaß es eigentlich hatte. Wie sollte ich sie dort nur finden? Zug um Zug kam ich vorwärts, bis ich den Rumpf berühren konnte. Gutes, solides Holz, schwarz wie das Wasser, welches mich umgab. Ich brauchte ein ganze Weile, bis ich eine Leine fand, um an Deck zu klettern, was selbst mit Hilfe des Taus kein leichter Akt für mich war, doch schließlich schaffte ich es. Auf dem Schiff alles war ruhig. Das verwunderte mich nun doch, wenn hier so eine wichtige Gefangene war, wieso bewachte sie dann niemand? Doch warum machte ich mir darüber Gedanken? Ich war nun hier und ich würde nicht gehen, ehe ich sie gefunden hatte. Es war nur vorteilhaft, dass sie alle weg waren, und wenn es eine Falle war... nun, was hatte ich schon zu verlieren? Das Knarren des Holzes, über welches ich lief, ließ mich immer wieder zusammenzucken. Wie du vielleicht bemerkt hast, ich war kein sonderlich mutiger Geselle. Manchmal etwas unüberlegt, wie alle Jugendlichen es sind, aber ich war vorsichtig und sehr schüchtern, wie auch ängstlich. Jedes Klappen einer Tür, jedes Knallen einer Holzdiele versprach neues Unglück, doch verbargen sich nichts dahinter außer dem Wind, oder meinen eigenen Schritten. Ich durchstreifte die Korridore auf der Suche nach ihr, und vor allem nach Antworten. Und schließlich fand ich sie. Es war nicht sonderlich schwer gewesen, vielleicht lenkte auch sie damals meine Schritte. Ich weiß es nicht, und um ehrlich zu sein, ist es mir auch egal. Ich betrat eine kleine Kammer. Nichts in ihr, nur Holzwände und Holzboden. Sie war dunkel, kein Fenster, welches Licht hinein gelassen hätte. Anscheinend war dies einmal eine Abstellkammer gewesen, doch nun war es ein Gefängnis. Ich hatte inzwischen aus einem der andere Räume eine Kerze mitgenommen und sie angezündet, so dass ihr Schein mir einen Einblick in diesen finsteren Raum gewährte, und was ich sah war atemberaubend. Es war eine Frau, vielleicht dreißig Jahre alt, ihr Haar glatt und weiß, wie ihre Haut. Sie trug schwarze Lumpen, dreckig, und doch kann ich mich nicht entsinnen, sie jemals so schön gesehen zu haben. Ihre Hände waren an Eisenriemen über ihrem Kopf zusammengeschnürt, das blasse Gesicht hing schlaff, leblos zur Seite hinunter, so dass das ungewaschene Haar in Strähnen über es fiel, die Augen waren geschlossen. Einen Moment schien mein Herz stehen zu bleiben, ich befürchtete, ich sei zu spät, wie sie so da hing, leblos, eher Statue, Leiche, als Mensch. Ich tat einen Schritt nach vorne, als sich ihr Kopf bewegte. Ganz langsam. Am Anfang bemerkte ich es kaum, doch schließlich schien es, als sehe sie mich an, nur, dass ihre Augen noch immer geschlossen waren. 'Xerxes.' Sie sprach nicht. Nicht ein Wort kam über ihre weißen Lippen, welche stumm verharrten, wie ihr restliches Antlitz. Warum sprach sie nicht, oder konnte sie nur auf diese Weise kommunizieren? „Ja, ich bin hier.“ Ein Lächeln breitete sich auf den dünnen Lippen aus. Sie war ganz anders als jene, die ich gesehen hatte. Sie hatte nichts von der Pracht, nicht das stolz erhobene Haupt, die eisige Kälte. Sie war das Gegenteil von ihr, in die ich mich verliebt hatte, ehe ich sie kannte. „Warum siehst du mich nicht an?“ fragte ich. Ich konnte es nicht abwarten, denn die Augen, so sagt man, sind der Spiegel zur Seele. Die Augen sagen mehr über jemanden aus, als man ahnt, und oft sind es einzig die Augen eines Vampirs, die die Menschen in ihren Bann, oder in die Flucht zu schlagen vermögen. Ihre Augenlider öffneten sich, und ich erschrak. Was mich ansah, waren zwei weiße Augäpfel, keine Iris, keine Pupille, nur Weiß, wie ihr Haar, wie ihre Haut. Sie war blind. Und dennoch hatte ihr Blick etwas Warmes, als würde sie mich ansehen und jede meiner Bewegungen beobachten. 'Keine Angst', beruhigte sie mich. Ich hatte keine Angst, nicht, als ich erneut ihre sanfte Stimme in meinem Kopf hörte 'Komm her.' und ich tat, wie mir befohlen, obwohl ‚befohlen’ sicher das falsche Wort war. Sie befahl nicht, sie bat lediglich und ich kam ihrer Bitte nach. 'Ich heiße Mahara', sagte sie ruhig, noch während ich zu ihr ging. Mahara, ein wunderbarer Name, Mahara... Ich stand nun vor ihr, sah ihr in die weißen Augen, welche mich zu durchbohren schienen, in das Innerste meiner Seele zu blicken schienen, und ich ließ sie gewähren. Es war mir nicht unangenehm, wie es dir von Zeit zu Zeit ist. Ich empfand es als schön. Einfach nur schön. Ich legte meinen Kopf auf ihre Brust, hörte ihren Herzschlag, ganz langsam, viel zu langsam für das Herz eines Menschen, und dann spürte ich, wie sich ihr Haupt senkte, wie ihre Lippen an meinen Hals kamen und die Zähne sich in mein Fleisch drangen. Nun kennst du das Gefühl, welches mich damals durchfuhr, die Ekstase des unsterblichen Kusses, mein Blut, welches sich mit dem ihrem vermischte. Ihr Herz, das wieder schneller zu schlagen begann, und meines, welches erst zu zerbersten und schließlich zu sterben schien. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)