Children of the night von Tak-lung (Die Geschichte des Kilian) ================================================================================ Kapitel 3: Familie ------------------ Kapitel 3 Wie staunend ich doch in den Ländern des Grafen de Lambourt angekommen bin. Noch nie hatte ich Dörfer gesehen, welche in Felsen hinein gebaut wurden. Steilste Hänge waren bevölkert, nicht nur hier, sondern überall in der Provence. Und nie verlernte ich dieses Staunen. Jedes Mal, wenn ich Tags oder auch Nachts durch die Straßen des Dorfes in der Nähe streifte, fragte ich mich aufs Neue, wie so etwas entstehen konnte. Vielleicht war das ja der Zauber, den Xavier gesucht hatte: einfach nie das Staunen zu verlernen. Ich weiß es nicht. Nie hat er mir erzählt, weshalb er mich auswählt hatte. Von Renards erfuhr ich, dass sein Herr schon lange umher gereist war, um einen würdigen Erben zu finden. Seine Entscheidung habe ich natürlich nie in Frage gestellt und schnell war das Thema vergessen. Es war nun mal, wie es war, und ich wollte es ja auch nicht ändern. Die Jahre vergingen. Xavier lehrte mich alles, von der Kunst des Schreibens und der Mathematik, bis hin zu den schönen Künsten wie Musik, oder Malerei. Tanzen lernte ich bei ihm, Gedichte las ich, schrieb ich. Er erzählte mir von den alten Römern und den Griechen; und als ich begann, mich mit Gott und dem Christentum zu befassen, gerieten wir oft in philosophische Diskussionen. „In der Kirche sagen sie, die Erde sei flach“, erzählte ich ihm. Inzwischen war ich sechzehn, ein gut aussehender Jüngling, gerne gesehen im Dorf, besonders bei den Mädchen. Doch sie interessierten mich kaum, hatte ich doch Xavier, welcher sich um mich kümmerte und mich umsorgte wie seinen eigenen Sohn, oder mehr noch... „Sie sind wirklich davon überzeugt, doch entspricht das nicht der Wahrheit.“ „Das hast du mir schon mal erzählt, aber woher nimmst du, oder auch sie, diese Gewissheit?“ Wir wanderten durch einen der Korridore, welche mir inzwischen besser vertraut waren, als es jemals die Felder daheim gewesen wären. Mondlicht schimmerte durch das Fenster und erhellte den Gang genug, damit wir ohne weiteres Licht auskamen. An Dunkelheit hatte ich mich schon gewöhnt. Ich lebte fast nur bei Nacht. Meine Haut war schon beinahe so weiß wie die Seinige, doch fehlte ihr der Glanz, diese Glätte, die seine hatte. „Immer hinterfragst du“, lachte er „Alles, was ich dir sage, was die Menschen dir sagen.“ Er lächelte, wie eigentlich immer. Noch nie hatte ich ihn zornig gesehen. Ab und an schien er in einer melancholischen Gemütsverfassung zu sein. Oft unternahm er dann einen Ausflug, ohne mich, und ich saß daheim, spielte auf meiner Geige und fragte mich, was der Anlass zu dieser aus tiefster Seele kommenden Trauer war. „Vielleicht seid ihr ja alle einem Irrtum erlegen und die Erde ist in Wahrheit ein Quadrat“, lachte ich „wie ein Würfel, und der Gott spielt mit ihm 1 und 5“ Wir beide lachten bei diesem Gedanken. „Wenn es denn einen Gott gibt.“, betonte er. „Ich glaube an das, was die Griechen uns lehrten, und wenn es nicht wahr ist, warum zerstören die Christen, in ihrem Wahn über Gott und sich selbst, dann all diese Werke, Aristoteles, Platon, Sokrates...? Viel Wahrheit liegt in ihren Schriften, und doch werden sie als ketzerische Werke verbrannt“ - wieder dieser Verbitterung. Ich glaube, Xavier hasste die Kirche, hasste, was sie taten und wofür sie standen. „Xavier?“ „Ja?“ „Warum denkt ihr so über die Kirche? Ich meine, was hat sie so schlimmes getan?“ Einen Moment schwieg er, sammelte seine Gedanken und versuchte, sie in akkurate Worte zu kleiden. Worte die auch ich verstünde. „Du meinst außer ihrer irrsinnigen Zerstörungswut? Ihrer Einstellung, alles vor ihrer Zeit sei falsch? Ihre Jagden auf Hexen, welche von Jahr zu Jahr immer schlimmer werden? Die Art und Weise, wie sie die Menschen dazu bringen, ihnen zu gehorchen? Oder vielleicht, wie sie an die Macht gekommen sind?“ Mir schauderte. Hexenjagden, Zerstörung, die Kreuzzüge...war das alles, wofür die Kirche stand? Blut und Tod? „Warum glauben dann so viele an ihren Gott? Wenn er so grausam und ungerecht ist, wenn sie all diese Verbrechen begangen haben, ja, heute noch begehen, warum folgt ihnen dann jemand?“ „Weil nicht ihr Gott dies befiehlt. Ihr Gott ist von viel weicherer und gutmütigerer Natur. Zumindest der Gott, von dem Jesus damals predigte. Außerdem brauchen Menschen etwas, an das sie glauben können. Dieser Glaube ist so etwas wie eine Stütze durchs Leben. Wie sonst sollten sie all die Qualen ihres Lebens, all das Unglück, welches ihnen widerfährt, überstehen, wenn sie nicht den Glauben haben, dass es Gottes Bestimmung für sie ist. Dass er sie teste, und je mehr sie leiden, umso reicher werden sie belohnt, nach ihrem Verscheiden. Das gibt ihnen Kraft“ Nun war es an mir, zu schweigen und über das Gesagte nachzudenken. „Ich habe nicht diesen Glauben an Gott, und doch verzweifle ich nicht. Wenn es stimmt, was du sagst, wie können wir dann eine Ausnahme sein?“ „Wir haben einen Glauben, nur einen recht... unkonventionellen. Wir glauben an die Philosophen von damals. An Menschen, die vor Hunderten von Jahren gelebt haben und nun schon lange nicht mehr sind. Wir vertrauen auf das, was sie schrieben. Selber beweisen können wir ihre Thesen nicht, wir vertrauen darauf, glauben daran, wie die Menschen an einen Gott glauben“, erklärte er ruhig. Inzwischen waren wir im Garten angekommen, gerade rechtzeitig, um einem der wohl beeindruckensten Ereignisse der Welt beiwohnen zu dürfen. Um die schlanken Bäume und an den Mauern rankten sich fingerbreite Luftwurzeln, schlangen sich um die Gewächse. Wo tagsüber noch schlaff und kraftlos weiße Blüten wie welk herabgehangen hatten, sodass man meinen wollte, sie seien am verdursten, stellten sich nun Blüten auf. Wie in Zeitlupe entfaltete sich ein Blatt nach dem anderen, ein kleiner Knall und noch einer und noch einer, für jede Blüte, welche sich öffnete. Ein betörender Geruch vermischte sich mit dem heimischen Lavendel. Strahlendes Weiß reflektierte das Mondlicht. Es war eine wahre Freude, den Blüten beim Entrollen ihrer feinen weißen Blätter zuzusehen. Immer weiter, bis sie schließlich in voller Blüte standen, etwa dreißig Zentimeter breit, und jede für sich eine wahre Schönheit, ein Wunder der Natur. Selenicerius grandiflorus, oder auch Königin der Nacht. Ich weiß nicht, wie Xavier diese einmalige Pflanze nach Frankreich hatte bringen können, es hatte schaffen können, ihr hier, soweit fort von ihrer eigentlichen Heimat, ihren Zauber zu entlocken. Einen Moment hatten wir beide zu reden aufgehört, haben diesem Schauspiel mit all seiner Faszination beigewohnt. Ich atmete die Kühle und nun von wunderbarem Duft erfüllte Luft ein. Himmlisch. „Aber, woran haben denn dann die Philosophen geglaubt?“ Seine Fingerspitzen berührten eine der Blüten, ließ sie sich kaum wahrnehmbar bewegen. Wie er so dastand, mitten in diesem Zauber aus Blüten und Licht, wie der König der Nacht persönlich, von unvergänglicher Schönheit, ein marmorner Engel der Nacht. „Ich habe dir doch erzählt, woran die Griechen glaubten“, sagte er sanft. „Aber wie lässt sich das denn vereinbaren, dass sie an Götter, sogar an mehrere glaubten, und gleichzeitig an Logik und ihre Philosophie? Warum können das die Menschen heutzutage nicht mehr, wir ja auch nicht?“ „Ich kann nicht an Götter glauben, dir ist es freigestellt, dir eine eigene Meinung zu bilden, letztendlich entscheidet das jeder für sich.“ Ich nickte, entschieden hatte ich mich schon vor langer Zeit, und das wusste er. „Die Götter von damals sind anderer Natur als die von heute, die Menschen hatten ein anderes Wesen. Nicht alles, was anders war, war schlecht. Doch die Christen haben Angst vor den Schriften. Sie glauben, dass sie ihre Kultur, ihren Einfluss untergraben würden“ Ich nickte verstehend. Was hätte ich doch gegeben, zu der Zeit der Griechen, der Römer zu leben. Nur einen Tag dort verbringen zu dürfen und mit eigenen Augen dieses gänzlich andere System, diese andere Kultur, sehen zu dürfen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, und ich zweifle kaum, dass er genau das getan hatte, fuhr er fort: „Die Zeit wird immer weiter verrinnen, was heute alltäglich ist, mag in hundert, zweihundert Jahren nicht mehr gelten. So wie die alten Götter starben, wird auch dieser Gott sterben, und ein anderer wird an seine Stelle treten.“ „Hundert, zweihundert Jahre“, wiederholte ich missmutig „Was bringt es mir? Jetzt sollte es sich ändern!“ Dieses Lächeln, was würde ich dafür geben, es noch einmal sehen zu dürfen, nur einmal, dieses wissende, sanfte Lächeln, welches er mir immer schenkte. Natürlich, er wusste, welches Schicksal mich ereilen würde. Schon am ersten Tag, da wir uns sahen, hatte er sich entschieden, das er mir die Ewigkeit schenken würde, die Ewigkeit mit ihm als Gefährten. Die kalte weiße Hand streckte sich nach vorne. Schön war sie und kalt, als sie mein Gesicht berührte und mir eine der blonden Locken aus dem Gesicht strich. Ich zuckte nicht zurück, wie ich es früher getan hatte, wenn seine kalte Haut auf meine warmes, lebendiges Fleisch getroffen war. Im Gegenteil, ich genoss es, jede seiner Zärtlichkeiten. Wie lange wir so standen, weiß ich nicht mehr, doch wir beobachteten die Blüten, wie sie nach zwei Stunden der Schönheit wieder zerfielen, wie alles Leben aus ihnen zu weichen schien und sie wieder schlaff an den grünen Stängeln hingen, um bis zur nächsten Nacht zu warten. Versonnen und von Griechen träumend war ich gegen ihn gelehnt, er hatte seine Hand um mich gelegt, wie schon so oft. Eine Sekunde der Unendlichkeit für ihn, für mich ein unvergleichlicher Moment, eine Undendlichkeit gar in meinem befristeten Menschenleben. Und doch stimmte etwas nicht. Immer stimmte etwas nicht, doch es war mir unmöglich zu sagen, was. Es schien nicht richtig zu sein, was passierte. Die kalten Finger, was er sagte, wie er sich bewegte, sein immer jugendliches Aussehen. „Xavier?“ - Er antwortete nicht, dennoch fragte ich weiter „Was bist du eigentlich für ein Wesen?“ Er war kein Mensch, sein Verhalten hatte nichts mit dem eines Menschen gemeinsam. Nein, das war mir vom ersten Moment klar gewesen, doch hatte ich warten wollen, bis er es mir von selbst sagte. Jetzt jedoch, gerade in diesem Moment, überkam mich dieses Gefühl des Unvertrauten, dieser Schauer, welcher mich an ihn band und gleichzeitig von ihm wegtrieb. Vielleicht hatte er einfach Hunger, dass er dieses Gefühl bei mir auslöste, ich weiß es nicht. Doch bezweifle ich es, da er zu jenem Zeitpunkt schon zweitausend Jahre zählte, und je älter wir werden, umso weniger Blut benötigen wir. Aus seinen großen braunen Augen sah er mich an. „Ich wusste, du würdest fragen“, sagte er matt lächelnd. „Dass du nur Nachts wach bist, mir nicht sagst, wo deine Gemächer sind, du isst nichts, trinkst nichts. Du weißt so vieles und lässt mich doch nicht alles wissen“, begann ich „Wenn du wieder so traurig weggehst und mich nicht in deine Trauer einweihst, deine Erscheinung, einfach alles an dir... was bist du? Warum kannst du es mir nicht sagen?“ Gekränkt klnag meine Stimme. Alles erzählte ich ihm. Ihm, meiner Familie. Ihm, meinem Freund. Ihm, meinem Liebhaber. Und doch verheimlichte er mir alles, was ihn ausmachte, sein ganzes Wesen. Er sagte nichts, sah wie damals daheim zum Himmel hinauf. Hinauf zu den funkelnden Sternen. Lange Zeit schwiegen wir beide, meine kühlen blauen Augen unentwegt auf seinem vollkommenen Antlitz. „Ich bin nicht dumm“ sagte ich. Es kränkte mich, dass er es mir nicht sagte, dass er mir, seinem Schüler, seinem Sohn, seinem engsten Vertrauten, nicht erzählen konnte, was er doch so gerne sagen wollte. Ich sah doch, wie schwer es ihm viel, sah doch diese traurigen Augen, welche nun das Firmament musterten. „Ich kriege es noch raus. Wenn du es mir nicht sagen willst, bitte!“ Zum ersten Mal, seit ich hier bei ihm war, verspürte ich Wut, verspürte ich Trauer und Kränkung. Ich konnte und wollte nicht akzeptieren, dass er Geheimnisse vor mir hatte, wo ich ihm doch nichts verheimlichte. Er war mein Leben, der Einzige, den ich hatte, und ich der Einzige, den er hatte. Ich drehte mich um, wandte mich zum ersten Mal mitten im Gespräch von ihm ab und eilte in mein Zimmer, wo ich mich in die weichen Daunen schmiss. Ich vermag nicht wiederzugeben, wie ich mich in jenem Augenblick gefühlt habe, wie tief mich sein Schweigen verletzt hatte. Vielleicht weinte ich in jener Nacht sogar, ich weiß es nicht mehr, auch wenn ich oft an jene unvergessliche Stunde zurück denken muss. In dieser Nacht erhielt ich keine Antwort. Auch die nächsten Nächte verbrachten wir schweigend, da ich es bevorzugte, tagsüber mir im Sonnenschein die Zeit zu vertreiben, die Leute im Dorf nach dem Grafen auszufragen, die Wohnung zu durchstöbern auf der Suche nach seinen Gemächern, welche er mir noch nie gezeigt hatte. Doch vergebens. Ich fand nichts, keinen Hinweis auf sein Rätsel. Natürlich hätte ich auch Trotzkopf spielen können, ihn Nacht für Nacht fragen können, bis er nachgab. Aber ich hatte wenig Hoffnung, dass er solch kindischem Verhalten nachgeben würde, außerdem gebot es mir mein Stolz, meine Drohung zu erfüllen, aus eigener Kraft sein Rätsel zu lösen. Und ihm nachts zu folgen, wäre ebenso schlimm wie fragen gewesen, ich war mir sicher, er würde mich bemerken, er war nicht menschlich, soweit war ich schließlich mit meinen Gedanken gekommen, doch schreckte mich diese Erkenntnis keineswegs ab. Geahnt hatte ich es schon immer. Und sicher hätte es mich auch nicht mehr beeindruckt, hätte er mir offenbart, was seine wahre Natur war. Von den Menschen um mich herum war ich distanziert, sie waren jetzt schon eher ein Zeitvertreib, nicht mein Leben, keine Bedeutung kam ihnen zu, nur ihm alleine. Doch er sperrte mich aus seinen Gedanken aus. Sicher war schon ein Monat vergangen seit jener lauen Sommernacht. Ein Monat, ohne mit ihm zu sprechen. Welche Qualen ich ihm mit meinem Schweigen bereitete, kann ich heute nur ahnen. Doch gerade weil er ein Vampir ist, weil er Xavier ist, musste es ihn hart getroffen haben. Dennoch denke ich er verstand mich, mein Wesen. Nichts anderes konnte er erwartet haben, auch wenn ich ihn mit meiner Unnachgibigkeit sicher überrascht habe. Hätte ich nachgeben, er hätte die Frage beantwortet. Alle Qualen von mir, wie von ihm,hätten ein Ende gefunden. Doch mein Stolz, der dumme Stolz eines Sterblichen, das dumme Herz eines Sterblichen, ließ mich und meinen Geliebten verwunden, verbluten. An jenem Tag, es war bereits abends und bald würde die Sonne untergehen, streifte ich wieder einmal durch die Villa, auf der Suche nach einem Hinweis auf die Gemächer meines Vaters. Nichts, nichts, gar nichts hatte ich finden können und allmählich langweilte mich das Spiel. War es denn mehr? Das Spiel eines dummen Sechzehnjährigen… Schließlich gab ich es auf. Ich beschloss, mich ihm heute wieder zu stellen, konnte doch auch ich nicht mehr in Einsamkeit leben, verzehrte mich nach seiner makellosen Figur, seinen sanften Augen und seinen Ohren, welche mich erhörten. Die Sonne, eben noch ein feuerroter Ball, war schon im nächsten Moment ganz verschwunden. Meine Beine trugen mich, ohne das ich ihnen sagte, wo sie hingehen sollten, in Richtung Garten, wo die Königin der Nacht schlaff an ihrem Stiel hing. Meine Finger streichelten einige der Blüten im Vorbeigehen, doch schenkte ich ihnen kaum Beachtung. Wie im Halbschlaf wandelte ich durch mein Heim. Der Mond stand inzwischen am Firmament, Sterne funkelten. Wie schnell die Sonne doch manchmal unterging... immer weiter führten mich meine Schritte, wie von Schnüren gezogen, weniger mein eigener Wille als viel mehr ein unsichtbares Band, an welches ich gekettet war und welchem ich halb schlafend folgte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)