Seto Kaiba und der Geist der Weihnacht von Weissquell (Ein Yugioh-Weihnachstlied in Prosa) ================================================================================ Kapitel 1: Ein geisterhafter Bekannter am Weihnachtsabend --------------------------------------------------------- Es ist der vierundzwanzigste Dezember. Heiligabend und obwohl es erst Nachmittag ist, ist es draußen schon so dunkel als wäre es Abend. Die Leute von Dominocity hält das jedoch nicht davon ab, letzte Weihnachtsvorbereitungen zu treffen. Noch herrscht auf den Straßen eifriger Trubel bis man sich schließlich zu einem gemütlichen Weihnachtsabend in den Kreis der Familie zurückziehen kann. Auch Seto Kaiba ist noch bis über beide Ohren beschäftigt, nur hat es nicht das Geringste mit Weihnachten zu tun, nun ja, zumindest nicht mit seinem Weihnachten. Viel mehr geht es dabei um die Bilanzen seiner Firma die in der Vorweihnachtszeit und am Heiligabend Rekordeinnahmen verzeichnen kann, allerdings aber auch mehr Management erfordert als die ganze übrige Zeit im Jahr. Aber trotz diesem enormen Anstieg an Arbeit, gehen die Verkaufszahlen seiner Spiele, und besonders die aus dem Duellmonsters-Bereich, durch die Decke. Liegt wahrscheinlich an den vergangenen Turnieren. Duellmonsters ist ziemlich in Mode gekommen. Diese Events sind unglaublich Publikumswirksam und eine unvergleichlich effektive Promotion. Eigentlich könnte Seto Kaiba vollkommen zufrieden sein. Doch er ist es nicht. Das liegt allerdings nicht an ihm. Wenn es nach ihm ginge würde dieser Tag wie alle anderen des Jahres seinen Gang gehen und allenfalls als ein Einnahmenhoch auf der Umsatzskala vermerkt werden. Aber offenbar hat sich alles in seiner Umgebung gegen ihn verschworen. So auch jetzt! Gerade arbeitet er an seinem Schreibtisch einige Unterlagen durch und macht Eingaben auf dem Computer als mit einem heftigen Schwung die Bürotür auffliegt und ein schwarzhaariges, strahlendes Energiebündel hineingestürmt kommt. Seto Kaiba fährt zusammen. "Mokuba...!", stößt er aus, "Was hat das zu bedeuten?" Dabei mustert er seinen kleinen Bruder mit einem äußerst missbilligenden Blick. Vor ihm steht Mokuba, in der einen Hand eine kleine Glocke und auf dem Kopf trägt er eine knallrote Weihnachtsbommelmütze, die einen verzweifelten Kampf um das Gleichgewicht mit seinen wuscheligen, schwarzen Strähnen austrägt. Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht schüttelt der Kleine die Glocke hin und her und ein helles, klares Gebimmel zerfetzt radikal die beinah unnatürliche Stille des Büros. "Fröhliche Weihnachten, Seto!", trällert der Kleine und kommt auf seinen Bruder zu. Kaibas Augen werden schmal; sich die Ohren vor dem grellen Geklimper zuzuhalten, dazu lässt er sich nicht herab. "Was soll das?", Kaibas Stimme ist scharf, "Hör sofort mit dem Krach auf!" Doch Mokuba lässt sich nicht einschüchtern: "Ich dachte mir, du könntest ein wenig Weihnachtsatmosphäre gebrauchen. Schließlich hast du die letzten Tage nur gearbeitet. Kein Wunder, dass du noch nicht in Weihnachtsstimmung bist." "Das fehlte mir auch grad noch!", brummt Kaiba verstimmt. Mokuba guckt erstaunt auf: "Was meinst du denn damit? Freust du dich denn gar nicht auf Weihnachten?" "Seh ich so aus?", erwidert Kaiba gereizt und wendet sich dann wieder seiner Tastatur zu. Doch so leicht gibt Mokuba nicht auf: "Ach komm schon, Seto, du hast selbst gesagt, dass die Einnahmen dieses Jahr wirklich gut sind. Da hast du doch wirklich keinen Grund so mies drauf zu sein." Für einen flüchtigen Augenblick wandern Kaibas Augen zu seinem Bruder hinüber, der sich jetzt neben ihn an den Schreibtisch gestellt hat, doch dann schaut er wieder auf seinen Monitor und alles was er von sich gibt ist ein leichtes Schnauben. "Es scheint doch alles gut zu laufen", versucht Mokuba es noch mal, "Diesmal hast du doch bestimmt Zeit um wenigstens ein bisschen zu feiern. Wir essen was Schönes, Gans oder auch Pute wenn du magst. Und einen Weihnachtsbaum hat Roland auch besorgt. Den solltest du mal sehen! Und dann machen wir es uns gemütlich, ja? Nur wir beide. Das wird bestimmt schön! Kannst du denn nicht wenigstens dieses Jahr früh Feierabend machen?" "Ah, daher weht der Wind!", meint Kaiba und hält wieder vom Tippen inne, "Ich hab es dir doch schon ein paar Mal erklärt. Gerade in der Weihnachtszeit gibt es hier mehr zu tun, als man fast bewältigen kann. Da kann ich mir nicht einfach nach Lust und Laune frei nehmen. Ich hab schließlich eine Firma zu leiten. Und dadurch, dass du mir immer wieder die Ohren vollquengelst, wird sich das auch nicht ändern! "Ich versteh sowieso nicht warum du da solch ein Theater drum machst. Dieser Tag unterscheidet sich von den anderen Tagen im Jahr nur dadurch, dass offenbar alle Menschen auf einmal verrückt geworden sind und sich einbilden plötzlich ihr gesamtes, letztes Geld zum Fenster rausschmeißen zu müssen. Das kann mir zwar nur recht sein, aber dieses nervige Süßholzgeraspel und zwanghaftes Freundlichtun auf Knopfdruck, ist doch wirklich albern. Nur weil plötzlich die Zahl im Kalender rot statt schwarz ist, bedeutet das doch nicht, dass alle Welt in Massenhysterie verfallen muss." Mokuba verzieht das Gesicht: "Du solltest dich mal hören! Man könnte meinen, du machst dir gar nichts aus Weihnachten." Kaiba strafft sich und beginnt wieder zu tippen: "Wozu sollte ich. Das ist doch alles bloß Unsinn!" Sprachlos schaut Mokuba ihn an, doch dann kommt ein neckisches Grinsen auf sein Gesicht zurück. Verstohlen greift er in seine Hosetasche und fördert einen unförmigen roten Gegenstand zutage. Dann meint er grinsend: "Ich hab hier was für dich, das wird deine Meinung bestimmt ändern!" Und mit diesen Worten tritt er von hinten an seinen Bruder heran und stülpt ihm mit Schwung die zweite, rote Weihnachtsmütze über den Kopf. "Hey, was soll der Unsinn, Mokuba?", ruft Kaiba überrumpelt aus und greift sogleich nach der unerwarteten Kopfbedeckung und wischt sie sich herunter. "Solche dummen Scherze kann ich im Moment gar nicht gebrauchen!", stutzt er den Kleinen zusammen, der nur verwirrt dasteht, "Siehst du nicht, dass ich hier zu arbeiten habe? Also tu mir den Gefallen und stör mich nicht länger. Je länger du mich nämlich von der Arbeit abhältst umso länger wird es dauern bis ich fertig bin. Am besten du fährst schon mal nach hause. Du bist heute dermaßen quirlig, da störst du hier nur! Und so lange du hier in diesem Büro bist, bleib mir bitte mit dem Thema "Weihnachten" vom Hals, dafür hab ich jetzt nämlich gar keinen Nerv!" Ungläubig starrt Mokuba seinen Bruder an, er scheint wirklich ärgerlich zu sein. Aber wieso denn bloß? Er hat doch gar nichts gemacht. Warum regt sich sein Bruder nur so auf? Schließlich meint er leise: "Tut mir leid, Seto! Du brauchst nicht sauer werden. Ich geh ja schon." Mit diesen Worten schlendert er geknickt zum Ausgang, doch an der Tür dreht er sich noch einmal um: "Aber du kommst doch heut Abend noch, oder?" Kaibas Mund ist ein dünner Strich. "Vielleicht...! Mal sehen. Ich ruf dich an!" Dann wendet er sich wieder seinem Computer zu. Einen Augenblick lang schaut Mokuba noch betrübt zu seinem großen Bruder hinüber, doch dann wendet er sich ab, zieht die Bürotür hinter sich zu und dann ist er verschwunden. Noch einmal schielt Kaiba für einen Augenblick zur Tür doch dann wendet er sich wieder seiner Arbeit zu und murmelt: "Unsinn...!" Doch zum arbeiten kommt er nicht wirklich denn nur wenige Minuten später klopft es erneut an der Tür. "Ja?", ruft Kaiba unwillig. Die Tür öffnet sich und herein kommt Kaibas rechte Hand, Roland. "Verzeihen sie die Störung, Kaiba-sama, aber hier ist jemand der sie sprechen möchte." Kaiba sagt kein Wort. Alles was er tut, ist mit einem eisigen Blick seinen Bediensteten zu mustern. Seine Augen werden schmal und bleiben mit äußerst missbilligendem Blick etwa einen halben Kopf über Rolands Gesicht hängen. "Was ist das?", fragt er schließlich ruhig, aber es klingt wie: "Haben sie vollkommen den Verstand verloren?" Der kräftige Mann beginnt zu schwitzen und sein Gesicht bekommt nun beinah eben so eine rote Farbe wie die Weihnachtsmütze die er auf dem Kopf hat. "Verzeihung, Kaiba-sama", meint er hastig, "Aber Mokuba-sama hat sie vorhin an alle Angestellten verteilt und ich hielt es für unhöflich...", rasch zieht er die Mütze vom Kopf. Kaiba verzieht das Gesicht. "Ich hätt's mir denken können...", murmelt er. "Also wer ist es denn nun?", fragt Kaiba ungeduldig. "Ähm ja...", reißt sich Kaibas Untergebener zusammen, "Yugi Muto ist hier und wünscht sie zu sprechen." Kaiba verdreht die Augen. "Das hat mir grade noch gefehlt!", meint er wie zu sich selbst. Laut sagt er jedoch: "Schicken sie ihn schon rein!" Der Mann wendet sich eifrig zum Gehen. "Ach und Roland...!", ruft Kaiba ihn zurück, "Wenn ich noch eine von diesen Weihnachtsmützen zu sehen bekommen, können sie ihr Weihnachtsgeld vergessen, hab ich mich klar ausgedrückt?" "Natürlich, Kaiba-sama!", entgegnet der Angesprochene und macht sich schleunigst aus dem Staub, nicht jedoch ohne seine Mütze dabei tunlichst hinter seinem Rücken zu verstecken. Doch gleich darauf geht die Tür auch schon wieder auf und herein kommt in einer dicken Winterjacke Yugi. "Fröhliche Weihnachten, Kaiba!", begrüßt er den jungen Mann am Schreibtisch. Doch dieser erwidert es nur mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck. "Ich hätte mir denken können, dass du hier noch aufkreuzen würdest. Ich weiß genau warum du hier bist." Überrascht schaut Yugi auf. "Dann hast du also meine Einladung zu unserer Weihnachtsfeier erhalten?", stellt er erfreut fest. "Natürlich!", gibt Kaiba kühl zurück, "Es war das erste was ich gestern früh durch den Reißwolf gejagt habe." "Wirklich?", meint Yugi enttäuscht, "Aber warum das denn?" "Ich bitte dich, Yugi!", meint Kaiba verächtlich, "Das kann ja wohl nur ein dummer Scherz gewesen sein. Ich habe weder die Zeit noch das Interesse mich ausgerechnet heute mit euch abzugeben! Im Gegensatz zu dir und deinen nervigen Freunden, habe ich nämlich auch noch wichtige Dinge um die ich mich kümmern muss." "Das kommt immer darauf an was man so als wichtig bezeichnet!", gibt Yugi ernst zurück. Kaiba schüttelt verächtlich den Kopf: "Oh bitte, Yugi, komm mir nicht schon wieder mit diesem ganzen Freundschaftsunsinn! Wenn dir irgendwas an Weihnachten liegt, verschon mich wenigstens heute damit! Da gibt es wirklich nichts, in dem du mich belehren müsstest! Und selbst wenn, dann wärst du es ganz sicher nicht der es mir beibringt und deine bescheuerten Freunde schon gar nicht!" Yugi seufzt. "Ich versteh wirklich nicht warum du so denkst, Kaiba!" "Spar dir die Mühe am besten! Das hat dich ohnehin nicht zu kümmern!", gibt dieser zurück, "Ständig zerbrichst du dir den Kopf über andere und meinst ihnen zwanghaft helfen zu müssen, obwohl das niemand von dir erwartet oder wünscht! Halt dich doch mal aus meinen Angelegenheiten raus und kümmere dich um deinen eigenen Kram!" "Sei doch nicht immer so gehässig, Kaiba!", versucht Yugi es erneut, "Der Grund für die Einladung war ganz einfach der, dass ich dich gerne dabeihaben wollte und die anderen auch!" Nun lacht Kaiba auf: "Oh bitte, Yugi! Das soll ich dir glauben? Das ist ja sogar noch alberner als das ganze Weihnachtsfeiern überhaupt! Lass mich raten: Die ganze Verliererbande wird da auf einem Haufen versammelt sein. Es wird gegessen und wohlmöglich noch gesungen und dann geht's ans Geschenkeauspacken. Ich kann mir schon denken warum die anderen mich gerne dabeihaben wollen", setzt er zynisch nach, "Wahrscheinlich malt dieser Jonouchi sich schon die ganzen, tollen Geschenke aus, die ein Firmenchef wie ich zu machen hätte. Aber ich muss ihn enttäuschen, ich hab nichts zu verschenken!" Mit ernstem Gesicht schaut Yugi ihn an. "Ich denke, da schätzt du Jonouchi falsch ein", meint er. Kaiba schnaubt auf: "Pah, sei's drum! An diesen kleinen Versager einen weiteren Gedanken zu verschwenden ist ohnehin müßig!" "Willst du es dir nicht doch noch mal überlegen?", versucht Yugi es noch einmal, "Du kannst doch auch Mokuba mitbringen. Ihr seid beide herzlich willkommen!" "Nein danke!", meint Kaiba kühl, "Ich verzichte mit Kusshand!" "Aber es werden alle da sein. Komm doch einfach vorbei! Wir werden bestimmt viel Spaß haben." "Unsere Ansichten darüber was ,Spaß' macht, gingen schon immer auseinander." Kaiba setzt sich grade in seinem Chefsessel auf und bedenkt Yugi mit einem stechenden Blick. "Wenn du glaubst ,Spaß' haben zu müssen, dann werde ich dich nicht abhalten. Feiere eben Weihnachten auf deine Art und lass es mich einfach auf meine Art feiern!" Einen langen Moment schaut Yugi den jungen Mann vor ihm nur schweigend an. Dann fragt er: "Feierst du es denn überhaupt?" Kaibas Augen werden schmal und sein Mund wird ein dünner Strich. "Ich wüsste nicht was dich das angeht. Und jetzt tu mir den Gefallen und verzieh dich aus meinem Büro! Ich habe noch einen Haufen Arbeit zu erledigen." Niedergeschlagen sinken Yugis Mundwinkel hinab. "Na schön", sagt er und wendet sich zum Gehen, "Aber wenn du es dir doch noch anders überlegst... Du weißt ja wo ich wohne!" "Einen schönen Abend noch!", meint Kaiba sarkastisch ohne von seiner Arbeit aufzusehen, "Ich bin sicher du findest allein raus!" Nachdenklich schüttelt Yugi leicht den Kopf, doch dann zieht er die Tür zu und in dem kahlen Büro kehrt wieder Stille ein, ausschließlich unterbrochen von Kaibas tippenden Fingern auf der Tastatur. Der Abend senkt sich immer mehr über die Stadt doch davon ist dank der frühen Dunkelheit nicht viel zu merken. Selbst Kaiba merkt kaum wie die Stunden verstreichen. So sehr ist er in seine Arbeit vertieft, dass er doch ein wenig überrascht ist als sein Blick für einen kurzen Moment in die untere Ecke seines Monitors geht und die Uhr bereits halb sieben anzeigt. Unbehaglich rekelt er sich; das lange Sitzen strengt doch an. Wie lange arbeitet er heute schon? Ach, unwichtig! Wichtig ist nur wie viel Arbeit noch vor ihm liegt. Sein Blick geht hinüber zu dem Aktenstapel auf seinem Schreibtisch und er seufzt leicht. Es hilft nichts, das alles muss heute noch erledigt werden. Seine Hand greift zum Telefon. Kurz darauf hat er seine Sekretärin am Apparat. "Fragen sie bitte in der Rechenabteilung nach ob die Prognosen für morgen schon vorliegen und besorgen sie mir die Abrechnung aus der Promotionabteilung!" "Ja, Kaiba-sama!", kommt die Antwort, doch dann ertönt noch einmal die vorsichtige Frage, "Ähm... gedenken sie heute... länger zu bleiben?" Kaiba stockt. Da hört sich ja alles auf! Was denkt diese Frau sich eigentlich? Dann schimpft er: "Nur weil heute Weihnachten ist bedeutet das nicht, dass sich an meinem gewohnten Tagesablauf etwas ändert. Vielleicht mache ich fast jeden Tag Überstunden und ja, als meine Sekretärin sind sie gezwungen ebenfalls welche zu machen. Aber das war ihnen bereits bewusst bevor ich sie eingestellt habe. Aber bisher habe ich jede einzelne davon bezahlt, sie haben also nicht den leisesten Grund sich zu beschweren. "Damit das klar ist: Mir ist egal ob heute Weihnachten ist und sie vielleicht nach hause zu ihrer Familie möchten! Die Arbeit muss gemacht werden und wir beide werden hier nicht weggehen bevor das geschehen ist! Also holen sie mir gefälligst die Abrechnung und hoffen sie, dass wir heute vor Mitternacht hier rauskommen!" Einen kurzen Momentlang herrscht Stille in der Leitung. Dann hört man nur eine leise Stimme: "Tut mir leid, Kaiba-sama... Ich wollte... eigentlich nur wissen, ob ich Mokuba darüber informieren soll." Die Stimme schwankt ein wenig aber die Frau ist ein Profi. Kaiba stutzt. Seine Faust fasst den Hörer fester und für einen Moment schließt er die Augen. Dann sagt er: "Ja..., sagen sie ihm es wird spät! Er soll nicht auf mich warten." "Ja, verstanden!", kommt die Bestätigung. Dann legt Kaiba auf. Noch einmal seufzend lehnt er sich kurz in seinem Sessel zurück und reibt sich mit der Hand die Augen. Jetzt nur nicht schlappmachen! Das hier ist auf alle Fälle besser als jetzt nach hause zu fahren und mit seinem Bruder so was wie eine Weihnachtsfeier zu praktizieren, oder wohlmöglich sogar mit Yugi und seinen Freunden. Das fehlte wirklich noch!" Er öffnet die Augen wieder und wendet sich wieder dem Computer zu. Doch was ist das? Auf einmal verschwimmen die Konturen der Buchstaben und verbinden sich zu einem seltsamen Bild. Kaiba zwinkert ein paar Mal doch das Bild verschwindet nicht. Im Gegenteil, es nimmt immer festere Konturen an. Es scheint ein Gesicht zu sein. Kaiba kommt dichter an den Monitor heran und legt die Stirn in Falten. "Was zum...?", murmelt er. Nun erkennt er das Gesicht auch. Es ist zweifelsfrei das Gesicht seines Stiefvaters Gozaburo Kaiba! Seine Augen fliegen auf. Das eigenartige Gesicht verzieht sich nun zu einem hämischen Grinsen und leere Augen durchbohren ihn mit Blicken. Und in diesem Augenblick vernimmt er auch ein eigenartiges Flüstern, das durch den großen Raum zischt: "Seto!" Ruckartig setzt sich Kaiba auf als hätte ihn etwas gestochen. Ungläubig schüttelt er den Kopf als wolle er einen unliebsamen Gedanken loswerden. Noch einmal reibt er sich die Augen und schaut dann erneut auf den Monitor. Das Gesicht ist verschwunden und der Apparat zeigt nur noch die Datei die er gerade bearbeitet hat. "Oh man, ich muss wirklich überarbeitet sein!", murmelt er. In diesem Moment klingelt das Telefon neben ihm und lässt ihn damit erneut aufschrecken. Hastig nimmt er ab: "Ja?" Doch nicht seine Sekretärin ist am Apparat sondern nur eigenartiges Schweigen dringt von der anderen Seite zu ihm hinüber. Doch dann hört er es wieder, diesmal aus dem Hörer: "Seto!" "Wer ist da?", fragt Kaiba scharf, "Wenn das ein dummer Scherz sein soll, finde ich ihn äußerst geschmacklos!" Doch wieder wird ihm ein langgezogenes "Seto!" ins Ohr gezischt. "Wer immer das ist, das wird ein Nachspiel haben!", funkelt Kaiba in die Sprechmuschel. Dann legt er auf. Doch beinah augenblicklich beginnt das Telefon erneut zu klingeln. Ärgerlich nimmt Kaiba den Hörer ab: "Wer auch immer dran ist! Wenn sie nicht augenblicklich mit dem Schwachsinn aufhören, werde ich rechtliche Schritte gegen sie einleiten und ich werde sie erwischen, darauf können sie sich verlassen!" Nun dringt ein seltsames Lachen aus dem Hörer. "Immer noch der Selbe, nicht wahr, Seto?" Wütend knallt Kaiba den Hörer auf die Gabel. Doch augenblicklich beginnt es wieder zu schellen und diesmal wird das Klingeln bei jedem Mal lauter und schriller. "Was zum Donnerwetter geht hier vor?", brummt Kaiba. Doch wie als Antwort klopft es auf einmal an der Tür. Hastig schaut Kaiba sich um. Nun steht er doch auf und macht ein paar Schritte auf die Tür zu. Noch immer klopft jemand, inzwischen ziemlich heftig, dagegen. "Was hat das zu bedeuten?", ruft er ärgerlich. "Das möchtest du gerne wissen, nicht wahr, Seto?", ertönt es jetzt plötzlich hinter ihm. Augenblicklich fährt Kaiba herum. Was er nun sieht lässt ihn für den Bruchteil einer Sekunde ungläubig innehalten. Vor ihm in seinem Sessel sitzt eine Gestalt. Ein seltsames Leuchten umflackert sie und sie wirkt sonderbar durchsichtig. Kaibas Mine verfinstert sich, er kennt diese Person sehr gut. Ohne Zweifel soll diese gespenstische Erscheinung seinen Stiefvater Gozaburo darstellen. "Was hat das zu bedeuten?", wiederholt er. "Das hast du eben schon mal gefragt, Seto", meint die Gestalt, "Aber du konntest es ja noch nie ertragen wenn du nicht Herr der Lage bist, nicht wahr?" Doch Kaiba geht gar nicht darauf ein. Inzwischen hat er seine erste Überraschung abgeschüttelt "Und was willst dudarstellen, wenn ich mal fragen darf?" "Sieht man das nicht?", kommt die Antwort, "Ich war früher einmal dein Stiefvater." "Oh, na klar doch!", winkt Kaiba ab und seine Stimme trieft nur so vor Sarkasmus, "Das soll wohl heißen, ich hab es hier mit einem echten Geist zu tun, was?" "Du glaubst mir nicht?", kommt die Rückfrage. "Nicht ums verrecken!", ist Kaibas trockene Antwort. "Oh Seto, nicht so misstrauisch! Traust du jetzt schon nicht mal mehr deinen eigenen Sinnen?", auf das Gesicht der Gestalt legt sich ein seltsames Lächeln. Geringschätzig schnaubt Kaiba auf. "Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand versucht mich zum Narren zu halten. Im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder hab ich wieder Halluzinationen, und dagegen gibt es fähige Therapeuten, oder das Ganze ist einfach ein schlechter Traum weil ich übermüdet bin. Aber, dass du in Wirklichkeit hier vor mir sitzt, kann mir keiner erzählen!" In eben diesem Moment steht die Gestalt auf und kommt direkt auf Kaiba zu. Dass sie dabei den Schreibtisch durchquert, scheint sie nicht weiter zu bemerken. Vor dem jungen Firmenchef baut sie sich auf. Leblose Augen mustern ihn forschend. "Glaub es oder nicht, Seto, ich stehe wirklich vor dir. Oder sagen wir besser: Ich habe einmal mehr mit dem Tod ein Abkommen getroffen, nur um dir noch einmal gegenübertreten zu können." "Um mich einmal mehr heimsuchen zu können!", verbessert Kaiba verächtlich. "Um dich zu warnen!", setzt der Geist schneidend nach. Kaiba hebt eine Braue und verschränkt die Arme. "Mich zu warnen? Was sind denn das für neue Töne von dir? Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, wolltest du die Weltherrschaft an dich reißen und mir meinen Körper stehlen. Gib es zu, aus deinem Mund klingt das mit der Warnung schon etwas unglaubwürdig!" Die schemenhafte Gestalt lässt ihn nicht aus den Augen. "Du hast Recht! Zu Lebzeiten war ich kein sehr vorbildhafter oder umgänglicher Mensch." "Kaltherziger Leuteschinder trifft es eher!", merkt Kaiba kühl an. "Mag sein!", lenkt der Geist ein, "Aber du, mein lieber Seto, bist auf dem allerbesten Weg ganz genau so zu werden!" Kaiba legt die Stirn in Falten und betrachtet den Geist vor sich mit kritischem Blick. "Versuch es gar nicht erst zu leugnen, Seto, auch du bist kaltherzig und rücksichtslos geworden. Du behandelst deine Mitmenschen ohne Respekt und das Einzige was für dich von Bedeutung ist, sind deine eigenen Interessen!" Zunächst sagt Kaiba gar nichts doch dann legt sich ein spöttisches Lächeln um seine Mundwinkel. "Jetzt weiß ich mit Sicherheit, dass das hier nur eine Illusion ist. Der Gozaburo den ich kenne, würde nie im Leben versuchen mich davon zu überzeugen freundlicher und mitfühlender zu sein. Er war ein rücksichtsloser Geschäftsmann ohne Anstand und Skrupel. Für niemanden hatte er ein freundliches Wort übrig und selbst nach dem Tod seines Körpers fiel es ihm nicht mal im Traum ein, seinen eigenen Söhnen auch nur die geringste Wertschätzung entgegenzubringen. Er hat immer nur die Menschen ausgenutzt und dann fallengelassen, wenn sie ihm nicht mehr von Nutzen waren. Dieser Gozaburo würde sich eher die Zunge abbeißen als Worte wie Respekt oder Mitgefühl auch nur in den Mund zu nehmen! Also versuch gar nicht erst mich davon überzeugen zu wollen, dass das hier die Realität ist!" In diesem Moment fährt Gozaburos Gesicht herum und verzerrt sich plötzlich zu einer schreckenerregenden Fratze. Sein ganzer Körper scheint auf einmal zu wachsen und sich zu verzerren und bekommt eine erschreckend rötliche Färbung. Die ganze Gestalt erinnert nun an das Aussehen, dass Kaibas Stiefvater hatte, als er im Cyberspace festsaß. Kaiba reißt die Augen auf, als die unheimliche Gestalt plötzlich so gewaltig vor ihm aufragt. "Glaubst du vielleicht, das hier ist ein Witz?", kreischt die Gestalt bedrohlich und noch ehe Kaiba reagieren kann, hat das rötlich-durchsichtig schimmernde Ungetüm ihn mit seiner gewaltigen Klaue gepackt und schon im nächsten Augenblick drückt es ihn mit Gewalt gegen die Wand des Raumes. Kaiba keucht ungläubig auf. Im Augenblick fällt ihm dazu einfach nichts weiter ein. Fassungslos starrt er in die rotglühenden Augen des Monsters, das ihn vor sich festhält. Doch dann öffnet das Ungetüm sein verzerrtes Maul: "Siehst du das? Das hier ist die Gestalt zu der ich bis in alle Ewigkeit verdammt bin! Ich war ein Monster im Leben nun bin ich ein Monster im Tod! Meine Gier, mein Hass und meine Hartherzigkeit haben mir letztendlich nicht das Geringste gebracht und weil es keine Spur von Mitgefühl und Freundlichkeit in meinem Leben gab, bin ich dazu verdammt bis in alle Ewigkeit durch die Finsternis zu irren und niemals Ruhe zu finden. "Das ist eine Strafe die du dir noch nicht einmal im Ansatz vorstellen kannst! Jetzt bereue ich das was ich tat, doch das nützt mir nun auch nichts mehr! Aber dir nützt es noch etwas, Seto! Du hast noch die Chance dich zu ändern! Ein letztes Mal bin ich einen Handel eingegangen. Ich durfte noch einmal zurück um dich zu warnen und dir die Gelegenheit zu geben, deine Fehler zu erkennen, damit du nicht dasselbe Schicksal erleiden musst wie ich." "Und... wie stellst du dir das vor?", endlich hat Kaiba seine Sprache wiedergefunden, doch das ist alles was ihm augenblicklich dazu einfällt. Doch die schaurige Gestalt, die ihn noch immer im Klammergriff hält, spricht schon weiter: "Du wirst heute Nacht Besuch von drei Geistern bekommen! Sie werden dich auf den richtigen Weg führen. Das ist deine letzte Chance, Seto! Wenn du dich nicht änderst, ist dein Schicksal besiegelt!" In diesem Augenblick bricht Kaiba in lautes Lachen aus: "Drei Geister? Das kann nicht dein Ernst sein! Ich wusste doch, dass mir dieses Szenario irgendwie bekannt vorkam! Oh man!", er lacht wieder, "Diesmal spielt mir meine Fantasie aber einen ziemlich makaberen Streich!" Mit einem Ruck lässt die riesige Gestalt ihn los. Hinter ihr erscheint auf einmal ein dunkler, unheimlicher Wirbel, der jedes Licht zu verschlucken scheint. Entsetzen macht sich auf dem Gesicht des Geistes breit. Nur wenige Augenblicke später beginnt der Wirbel auch schon die Gestalt wie einen Funkenregen aus Pixeln in sich hineinzusaugen. Immer schwächer wird die gruselige Stimme: "Meine Zeit ist um! Ich hab getan was ich konnte. Nutze diese letzte Chance, Seto! Sonst holen auch dich die Schatten!" Und dann verschwindet der Wirbel und zurück bleibt nur ein ziemlich verwirrter Seto Kaiba der neben der Wand auf dem Boden kniet und bei sich hofft, dass sein Herz endlich aufhört so heftig zu pochen. (Anm. d. Aut.: Da die FF-statistik momentan ja nicht funktioniert, kann ich leider nur schlecht überprüfen ob euch diese FF-Idee gefällt oder nicht. Könntet ihr deshalb n kurzes Kommi hinterlassen ob es sich für mich lohnt weiterzuschreiben, odser ob ichs lieber lassen sollte. Wer n Kommi hinterlässt, bekommt automatisch ne Benachrichtigung über das nächste Kapitel. Ich hoffe die FF gefällt euch! :-)) Kapitel 2: Der Erste Geist -------------------------- (Anm. d. Aut.: Für alle treuen und aufmerksamen Fans der Serie und des Mangas ist in diesem Kapitel ein "Bonbon" versteckt. Wer es findet und mir die Stelle per ENS nennt, bekommt 5 Karotaler von mir ;-) ) Nachdem er den ersten Schrecken überwunden hat, erhebt Kaiba sich wieder. Er atmet einmal tief durch und dann ist er auch schon wieder die Gelassenheit in Person. Ruhig geht er wieder zu seinem Sessel hinüber und nimmt Platz. Dann greift er zum Telefon. Unwillkürlich zuckt er kurz davor zurück als hätte er die Befürchtung, es könnte erneut so schrill zu klingeln beginnen. Dann nimmt er den Hörer ab und wählt eine Nummer. Schließlich meldet sich jemand am andern Ende. "Dr. Takahashi? Seto Kaiba hier! Ich brauche eine Computertomographie! ... Ja, schon wieder!", gereizt trommelt Kaiba mit den Fingern auf der Tischplatte herum, "Die Halluzinationen sind wieder da. ... Woher soll ich das wissen? Sie sind doch der verdammte Arzt! ... Nein, ich brauche gleich morgen einen Termin! ... Dann machen sie's möglich!" Wütend knallt er den Hörer auf. "Das ist heute nicht mein Tag!", murmelt Kaiba. Kaum hat er das gesagt, als auf einmal hinter seinem Rücken ein so gleißendes Licht aufleuchtet, dass die Konturen seines Büros harte Schatten auf die Zimmerwand werfen. Die Hand schützend vor die Augen gehalten, wendet er sich um und versucht etwas zu erkennen. Doch alles was er sieht, ist blendendes Licht. Rasch steht er von seinem Sessel auf. "Was ist denn das schon wieder?" Im selben Moment wird das Licht schwächer bis es nur noch ein großer, heller Fleck in der Luft ist; und es befindet sich momentan außerhalb des Gebäudes, direkt vor dem großen Panoramafenster von Kaibas Büro. Kaiba nimmt die Hand vom Gesicht und bemüht sich geblendet etwas zu erkennen. Täuscht er sich, oder scheint sich dort in der Mitte des Lichtes eine Person zu befinden? Gerade jetzt schwebt das seltsame Licht auf ihn zu und wie durch ein Wunder durchdringt es unbeschadet die Fensterscheibe, ohne sie zu zerbrechen. Unwillkürlich weicht Kaiba bis zur Tischkante seines Schreibtisches zurück und beäugt ungläubig das seltsame Licht das immer weiter auf ihn zuschwebt. Schließlich verblasst das Licht immer mehr und die Person die sich in seinem Inneren befindet nimmt immer mehr Gestalt an. Sie ist fast ebenso groß wie er selbst und hat kurze, grell blonde Haare mit einem langen, etwas zerzausten Pony. Sie ist schlank und scheint ein weites Hemd mit hohem Kragen und eine bequeme Hose zu tragen. Nur die Farben der Kleidung sind unmöglich auszumachen, denn noch immer ist die gesamte Erscheinung in ein helles Licht getaucht. Ein flimmerndes Weiß ist noch die zutreffendste Beschreibung die möglich ist. Schließlich kann Kaiba doch Einzelheiten erkennen, doch wie groß ist sein Erstaunen als ihm plötzlich aus der seltsamen Lichtgestalt ein wohlbekanntes Gesicht aus neckischen braunen Augen entgegengrinst. "Oh bitte, sag mir, dass das nicht wahr ist!", stöhnt er entgeistert. "Ich werde nichts dergleichen tun!", antwortet der Geist mit einem leichten Hall in der Stimme und grinst Kaiba weiterhin frech an. "Jonouchi, was hast du hier verloren!", meint Kaiba ärgerlich. Mit leichten Schritten umrundet nun die Gestalt, die Yugis Freund zum Verwechseln ähnlich sieht, den Schreibtisch und behält dabei Kaiba genau im Auge. Dabei leuchten seine Kleider auch weiterhin in diesem wabernden Flimmern, sodass einem davon fast schummrig wird. "Ich bin nicht Jonouchi, Seto Kaiba, aber ich dachte mir du würdest gerne ein bekanntes Gesicht sehen. Was meinst du? Überraschung gelungen? Dramatischer Auftritt nicht wahr?" Dabei zwinkert die Gestalt Kaiba nur grinsend zu. Kraftlos lässt Kaiba sich in seinen Sessel plumpsen und stützt sein Gesicht in eine Hand. "Oh Gott, ich hab schon wieder Halluzinationen!" Lässig schwingt sich nun die Gestalt mit dem Hintern auf Kaibas Schreibtisch und stützt sich mit den Armen ab: "Mitnichten, Kaiba-chan! Ich bin der Geist der vergangenen Weihnachten!" Wenn irgend möglich vergräbt sich Kaibas Gesicht nur noch tiefer in seiner Hand. "Das hat mir grade noch gefehlt!", nuschelt er. Tadelnd erhebt der Geist nun den Zeigefinger. "Na, na! Wer wird denn gleich so unhöflich sein? Komm schon, Kaiba-chan, im Grunde bist du doch froh mich zu sehen." Nun blickt Kaiba doch auf und die Verachtung springt ihm förmlich aus dem Gesicht: "Hör mal! Selbst wenn ich Halluzinationen vom Geist der vergangenen Weihnachten hätte, du wärst es ganz sicher nicht!" Der Geist schmunzelt. "Bist du da sicher?" "Ganz sicher!", Kaibas Tonfall lässt keine zweite Meinung zu. "Tja, dann ist es wohl nur gut, dass ich keine Halluzination bin", entgegnet der Geist vergnügt. "Ach was!", funkelt Kaiba, "Zu dumm nur, dass es nichts anderes sein kann!" "So, meinst du?", der Geist hebt eine Augenbraue, "Aber sag mir mal, Kaiba-chan, wenn das hier eine Halluzination ist...", er kommt ganz nahe an den jungen Mann heran, "Würde das dann wehtun?" Und im selben Augenblick verpasst er ihm einen solch deftigen Kinnhaken, dass der junge Firmenchef glatt aus seinem Sessel geworfen wird. Völlig verdattert und ein wenig groggy findet Kaiba sich auf den Boden wieder und hält sich den Kiefer. Oben auf dem Schreibtisch kichert der Geist in sich hinein: "Das wollte ich immer schon mal machen!" Doch nun taucht hinter der Tischkante Kaiba wieder auf und fixiert die leuchtende Erscheinung mit einem tödlichen Blick. "Das hast du nicht umsonst getan, Jonouchi!", faucht er, "Was fällt dir eigentlich ein? Bist du lebensmüde?" Doch der Geist hat sich nur mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor dem Schreibtisch aufgebaut und lächelt Kaiba leicht an. "Wenn es dir Spaß macht, nenn mich ruhig Jonouchi. Und trotzdem bin ich der Geist der vergangenen Weihnachten, ob du es glaubst oder nicht. Tut mir leid, dass ich so doll zuschlagen musste, aber ich wollte gerne deine volle Aufmerksamkeit." Kaibas Kiefer malen, noch immer hält er sich das schmerzende Kinn. Nein, eine Halluzination kann das nicht sein. Dazu ist der Schmerz viel zu real. Aber welche Erklärung kann es sonst dafür geben? Auf einmal weiten sich seine Augen. Natürlich! Er grinst. "Jetzt ist mir alles klar! Du bist eine Holographie! Das Ganze hier ist ein einziges VR-Szenario. Und ich kann mir auch denken wer dahinter steckt. So was kann doch bloß auf Yugis Mist gewachsen sein. Er meint noch immer, mir eine Lektion in Sachen Weihnachtsstimmung erteilen zu müssen und dabei haben er und seine unterbelichteten Freunde sich dieses blödsinnige Spielchen ausgedacht. Und bestimmt haben sie Mokuba überredet, ihnen bei dieser albernen Geschichte behilflich zu sein. Ich hab zwar keine Ahnung wie sie es geschafft haben, mich in eine dieser Boxen zu stecken, aber wenn sie denken, dass sie mich mit dieser mehr als abgedroschenen und peinlichen Geschichte von irgendetwas überzeugen können, dann haben sie sich aber schwer geirrt. Hätte wirklich nicht gedacht, dass Yugi zu so billigen Mitteln greift." Jonouchi hat ihn derweil schweigend beobachtet. Nun fragt er: "Bist du jetzt fertig? Wenn's dir nichts ausmacht, sollten wir langsam mal los. Wir haben noch viel vor heute Abend!" Skeptisch mustert Kaiba ihn: "Hättest du nicht eigentlich erst um Eins kommen müssen?" Wieder grinst die leuchtende Gestalt ihn an: "Wozu Zeit verschwenden? Freu dich doch, so hast du es schneller hinter dir!" Kaiba seufzt. "Offenbar bleibt mir wohl nichts anderes übrig als dieses Cyberspielchen mitzuspielen. Wollen doch mal sehen, was die Bande sich so ausgedacht hat. Aber eins sag ich dir gleich, sobald wir hiermit durch sind und ich wieder in der Realität bin, werden Köpfe rollen, dessen kannst du sicher sein. Ungestraft lasse ich mich von niemanden verarschen!" "Das werden wir ja noch sehen", zwinkert Jonouchi, "Aber ich denke, hinterher wirst du anders darüber denken, Kaiba-chan!" "Das wage ich stark zu bezweifeln!", stellt Kaiba kalt fest, "Und Jonouchi...? Wenn du mich noch einmal Kaiba-chan nennst, kann ich für nichts mehr garantieren!" Mit großen Augen schaut der Geist ihn an: "Tschuldige! Wäre dir Seto lieber?" "Wie wär's mit Kaiba-sama?", schlägt Kaiba mit einem schiefen Lächeln vor. "Vergiss es!", kommt es sofort von der leuchtenden Gestalt neben ihm, aber dann zwinkert sie ihm doch zu, "Hey Kaiba, ein Scherz von dir? Ich bin beeindruckt! Es besteht noch Hoffnung!" "Spar dir die dummen Witze!", wehrt Kaiba verstimmt ab. "Hast Recht! Genug Zeit vertrödelt! Also dann, jetzt wird's ernst!", mit diesen Worten öffnet Jonouchi die Tür zu Kaibas Büro und im selben Augenblick wird der Raum von grellem Licht überflutet, so, dass Kaiba geblendet die Augen schließen muss. Als er die Augen wieder öffnet, befindet er sich nicht länger in seinem Büro. Stattdessen sieht es so aus als wären sie gerade durch eine hölzerne Eingangstür getreten und stehen nun in einem schmalen Hausflur. Links von ihnen hängt eine Garderobe und an der rechten Wand hängt ein großer Spiegel. Ein paar Meter weiter befindet sich ein kleines Schränkchen und neben ihnen auf dem Boden liegt die Schuhmatte mit zwei großen und zwei kleinen Paar Schuhen. Mehr Mobiliar befindet sich nicht in dem schmalen Flur aber an den Wänden pappen alle paar Handspannen kleine, selbstgebastelte Sterne aus Glanzpapier. Einige wirken recht einfach gehalten, andere sind mit einem komplizierten Muster verziert. Die Lampe an der Decke ist nicht eingeschaltet und so bringt nur eine große Kerze, die auf dem Schränkchen steht, die Sterne an den Wänden mit ihrem Licht zum Glänzen. Aus den angrenzenden Räumen sind fröhliche Stimmen zu hören. Die Händen in den leuchtenden Hosentaschen vergraben macht Jonouchi ein paar Schritte in den Flur hinein und wendet sich dann zu Kaiba um: "Weißt du, wo du hier bist?" Doch Kaiba sagt kein Wort. Wie festgefroren ist er im Eingangsbereich stehen geblieben. Vielleicht liegt es am Licht aber er wirkt eigenartig bleich und er schluckt schwer. Ohne, dass er es beeinflussen kann pocht sein Herz auf einmal heftig und ihm ist ein wenig schwindelig. So unauffällig wie nur möglich, versucht er seine Fassung wiederzugewinnen und schlägt die Augen nieder. "Erde an Kaiba!", trällert Jonouchi, der an ihn herangetreten ist und von unten her in sein Gesicht schaut, "Ob du weißt wo du hier bist, hab ich gefragt!" Rasch atmet Kaiba einmal durch, dann hebt er den Kopf. "Klar weiß ich das!" Der Geist lächelt, dann macht er wieder ein paar Schritte in den Flur hinein. "Das hier war mal dein Zuhause!", fährt er fort und schaut sich dabei groß um, "Nett habt ihr's hier! Wirklich gemütlich! Und das obwohl ihr nie viel Geld hattet." Langsam folgt Kaiba ihm. Seine Mine ist ausdruckslos. "Unsere Eltern waren der Meinung, dass die Atmosphäre deshalb auf keinen Fall zu kurz kommen sollte." Neugierig betrachtet der Geist die Sterne an der Wand. "Die habt ihr gemacht, Mokuba und du, nicht wahr?" Schweigend tritt Kaiba an einen der simpleren Sterne heran. "Mokuba konnte mit der großen Schere noch nicht so gut umgehen, aber ein Stern ist es immer geworden", meint er gedankenverloren. "Wenn ich mir dagegen deine Sterne anschaue", meint Jonouchi, "Schon damals merkte man dir dein Genie an!" Beeindruckt streicht er über das komplexe Muster der Papiersterne. "Was willst du damit bezwecken?", fragt Kaiba verstimmt und schüttelt damit seine Benommenheit ab, "Spar dir deine Schmeicheleien! Das wird nichts bringen!" Doch Jonouchi macht nur eine weitausholende Geste: "Hey, jetzt werd nicht gleich wieder zickig! Ich sag doch nur wie es ist!" In diesem Moment fliegen Kaibas Augen auf. Hinter dem Geist ist gerade eine kleine Gestalt über den Flur gehuscht und in einem der Zimmer verschwunden. Auch Jonouchi hat es bemerkt. Er grinst Kaiba an und zwinkert ihm zu. Mit zwei Schritten ist auch er in dem Raum verschwunden und steckt dann nur noch einmal den Kopf durch die Tür und ruft: "Na komm schon, oder bist du festgewachsen? Hier drin wird's interessant! Und keine Sorge, die können uns weder hören und sehen!" "Ja ja, ich weiß! Es sind nur Schatten meiner Vergangenheit! Ich kenn die Geschichte", muffig macht Kaiba sich daran ihm zu folgen. Nun betritt er das Wohnzimmer. In der Mitte steht ein niedriger Holztisch mit vier Sitzmatten und einer Kerze in der Mitte. Der Raum ist ansonsten nur spärlich eingerichtet aber in der Ecke vor dem Fenster steht ein hüfthoher Tannenbaum und auch im Fensterbrett stehen drei Kerzen. Auch hier sind die Wände mit Glanzsternen in allen Variationen verziert und funkeln durch das Licht der Kerzen in den schummrig erleuchteten Raum. Dann geht Kaibas Blick zum Tannenbaum hinüber und er stutzt. Dort an dem Baum entdeckt er zwei Personen die er nur allzu gut kennt. Es ist sein Bruder Mokuba, der kaum älter als fünf sein kann und mit leuchtenden Augen eine Pappschachtel in den Händen hält und in der anderen Gestalt erkennt er zweifelsfrei sich selbst mit kaum elf Jahren wie er gerade emsig und mit äußerster Vorsicht dabei ist, mehrere Glaskugeln an den dünnen Zweigen des Baumes zu befestigen. Behutsam schiebt sein jüngeres Selbst die Kugeln auf die Zweige, angereicht von seinem kleinen Bruder der über das ganze Gesicht strahlt. "Wie viele Kugeln haben wir noch?", fragt der junge Seto gerade. "Zwei!", kommt die helle Stimme zurück. "Hmm, das reicht nicht ganz für die Spitze. Dann müssen wir eben mehr Lametta nehmen." "Au ja!", freut sich Mokuba, "Ich hol es!" Und wie ein Sausewind ist er schon zur Tür hinaus. "Aber pass gut auf, dass es sich nicht verheddert!", ruft Seto ihm noch hinterher. Dann schaut er sich einmal rasch um und holt dann einen kleinen Gegenstand aus seiner Hosentasche hervor, der in Geschenkpapier eingewickelt ist. Noch einmal schaut er sich um und dann legt er ihn mit einem sanften Lächeln unter den Weihnachtsbaum. In diesem Moment kommt wieder Mokuba hereingesaust, das Lametta in der Hand. Natürlich ist es ein wenig in Unordnung geraten. "Hier, Seto!", meint er stolz, doch dann bemerkt er die Unordnung der Glitzerfäden, "Oh, tut mir leid! Jetzt ist es doch verwuschelt." Doch Seto lächelt nur nachsichtig: "Warte, ich helf dir!" und gemeinsam machen sie sich daran das Lametta zu entwirren. "Sieht ja ganz so aus, als hätte dir Weihnachten dochmal irgendwann Freude bereitet", meldet sich Jonouchi jetzt wieder zu Wort und reißt damit Kaiba aus seinen Gedanken. "Wir waren Kinder!", entgegnet er missmutig, "Wir wussten es nicht besser." "Miesmacher!", stößt ihn Jonouchi mit dem Ellenbogen an, "Das kannst du mir nicht erzählen! Du hast nur vergessen wie schön Weihnachten sein kann." "Kinder sind leicht zu begeistern", meint der braunhaarige junge Mann neben ihm, als sei das Begründung genug. Stattdessen beobachtet er weiter schweigend und ohne eine Mine zu verziehen wie die beiden Brüder das Lametta über dem Weihnachtsbaum verteilen; Seto auf jeden Zweig ein wenig und Mokuba der seinen Lamettavorrat über lediglich drei Ästen verteilt. Doch sein Bruder lässt ihn gewähren. Da plötzlich schellt es an der Tür und die Köpfe der beiden Jungen fliegen augenblicklich herum. Begeistert stürzt Mokuba hinaus auf den Flur. "Papa!", ruft er freudig aus, "Papa kommt!" Eilig macht sich auch Seto daran seinem Bruder zu folgen. Mit strahlendem Gesicht läuft er an Kaiba vorbei hinaus auf den Flur um seinen Vater zu begrüßen. Wie vom Donner gerührt steht Kaiba da. Kein Wort kommt über seine Lippen, aber er ist bleich geworden. Jonouchi tritt neben ihn: "Hey, willst du deinen Vater nicht willkommen heißen?" Langsam wendet Kaiba ihm das Gesicht zu, der finstere Blick den er ihm zuwirft spricht eine eindeutige Sprache. "Das wagst du nicht! Untersteh dich meine Eltern in dieses bescheuerte Spielchen mit hineinzubringen!" Der Geist grinst genüsslich: "Sollte man da vielleicht einen empfindlichen Punkt bei dir getroffen haben?" Mit einem raschen Griff packt Kaiba den Geist am Kragen. Seine Kleidung fühlt sich eigenartig kribbelig an. "Verarsch mich nicht, Jonouchi! Lass diese blöden Scherze oder du kannst dein Testament machen!" Doch zu seiner Überraschung lächelt die leuchtende Gestalt ihn nur weiter an, dann greift sie nach seiner Hand an ihrem Kragen und biegt seine Finger mit Leichtigkeit auseinander, sodass Kaiba sich zusammennehmen muss um unter diesem Griff nicht schmerzhaft aufzuschreien. "Nicht grob werden!", tadelt der Geist, "Ich sagte es dir schon mal, ich zeige dir nur was geschehen ist. Was das ist, dafür bin ich nicht verantwortlich." Kaiba hält sich die schmerzende Hand und funkelt den Geist bitterböse an. "Ich kann nicht verstehen warum Mokuba euch geholfen hat. Aber der kann nachher was erleben!" Jonouchi schüttelt den Kopf: "Kaiba, du bist unglaublich! Denkst du wirklich noch immer dies wäre eine Holographie die sich Yugi ausgedacht hat?" "Pah, was sollte es sonst sein?", schnaubt Kaiba. "Die nackte Wahrheit, vielleicht?" "Mach dich nicht lächerlich!" In diesem Augenblick betreten drei fröhliche Gestalten das Zimmer. Es ist ein hochgewachsener, braunhaariger Mann mit einem kurzen Kinnbart und munterblitzenden, blauen Augen. Er trägt noch immer eine Winterjacke, in jeder Hand eine große Tüte und an jedem seiner Beine hängt ihm, wie kleine Gewichte, je einer seiner beiden Söhne und lässt sich von ihm mit schweren Schritten ins Wohnzimmer befördern. Mokuba juchzt dabei vor Vergnügen. "Schon gut, schon gut!", lacht der Mann, "Lasst mich doch erst mal reinkommen! Man Seto, allmählich wirst du echt zu schwer dafür!" Amüsiert stellt der Mann die Taschen ab und pflückt sich danach einen nach dem anderen seine Söhne vom Bein und drückt sie einmal herzlich zur Begrüßung. Kaiba schluckt schwer. In diesem Moment fühlt er etwas an seinem Bein. Mit großen Augen hat sich Jonouchi auf einmal an sein Bein geklammert und schaut zu ihm hoch: "Das sieht aus als ob es Spaß macht. Trägst du mich auch?" Perplex starrt Kaiba zu ihm herunter. "Sehnst du dich nach dem Tod?", ist alles was er sagt aber aus seinen Augen schießen kleine Dolche. "Bah!", nuschelt Jonouchi und kommt wieder hoch, "Du bist so ein Spielverderber!" "Oh, ihr habt den Baum ja schon fertig geschmückt!", unterbricht die Stimme des Mannes den Disput der Beiden. Eifrig nickend schauen seine Söhne ihn an. "Aber wisst ihr was...?", grübelt er, "Irgendwas fehlt da noch." Dann beginnt er in einer der Tüten zu graben und fördert schließlich eine kleine Schachtel zutage. Mit neugierigen Augen verfolgen die beiden Jungen jede seiner Bewegungen. Mit geheimnisvollem Schmunzeln öffnet der Mann die Schachtel und dann präsentiert er stolz den Inhalt. Mokuba und Seto staunen. Es ist ein weißer Stern! Eine Weihnachtsbaumspitze und sie ist ganz aus Kristallglas! Den beiden Jungen gehen die Augen über. Nie zuvor haben sie etwas so Kostbares und Funkelndes gesehen. Das Licht der Kerzen spiegelt sich in seinen unzähligen Fassetten und wirft regenbogenfarbene Funken an die Wände des Raumes. "Wahnsinn!", haucht Seto fasziniert. Und auch Mokuba steht nur mit offenem Mund staunend da. Zufrieden mit der Reaktion auf sein Mitbringsel nimmt ihr Vater die Baumspitze behutsam aus der Schachtel und befestigt sie auf ihrem vorgesehenen Platz, während die beiden Jungen nur andächtig davor stehen und sie bestaunen. "Euer Vater hat jedes Jahr etwas für den Weihnachtsbaum mitgebracht, nicht wahr?", wendet sich Jonouchi wieder an Kaiba. Doch der schweigt. "Für Geschenke hattet ihr nie viel Geld übrig also beschlossen eure Eltern euch die Atmosphäre am Weihnachtsabend wenigstens so gemütlich wie möglich zu machen. Auch wenn es wenig Geschenke gab, solltet ihr nichts vermissen. Und die Rechnung ging auf, hab ich nicht recht?" Regungslos steht Kaiba da. Unverwandt starrt er auf den Tannenbaum. Seine Gedanken scheinen in weiter Ferne zu sein. "Aber diese Weihnachtsspitze war etwas besonderes!", murmelt er schließlich, "Vater hatte sein letztes Geld dafür ausgegeben. In diesem Jahr reichte es einfach nicht für Geschenke für uns alle, also hat er etwas besorgt an dem wir uns alle freuen sollten. Es muss das Jahr gewesen sein bevor... Oh Gott, ich bring Mokuba um!" "Heb dir die Mordgedanken für später auf!", tadelt Jonouchi, "Und verschwende sie nicht an deinen Bruder, denn der trägt an der ganzen Sache nun wirklich am wenigsten Schuld!" In diesem Augenblick ertönt eine Stimme hinter Kaiba die ihn unwillkürlich zusammenfahren lässt. "Oh, was ist das denn? Das ist ja zauberhaft, Schatz!" Sämtliche Augenpaare fahren herum. In der Tür zum Wohnzimmer steht eine junge Frau ihr langes, blauschwarzes Haar ist zu einem Zopf zusammengebunden und ihre dunkelblauen Augen betrachten staunend die funkelnde Weihnachtsbaumspitze. Um ihren Hals hängt eine lange Schürze und es sieht so aus als ob sie gerade gekocht hat. Mit einem warmen Lächeln wendet sie sich nun an ihren Mann. "Das hast du wirklich toll ausgesucht!", lobt sie und drückt ihm einen sanften Kuss auf die Wange, "Schau doch, die Jungs sind ganz hin und weg!" "Nur die Jungs?", gibt er neckisch zurück. Ihr Lächeln wird breiter. Kaibas Herz klopft bis zum Hals, er kann es nicht ändern. Mehrmals versucht er zu schlucken, doch der Kloß in seiner Kehle will einfach nicht verschwinden. Krampfhaft beißt er die Kiefer zusammen. Verdammt, jetzt bloß zusammenreißen! Mit aller Kraft ballt er die Faust. Der Schmerz und das Ohnmachtgefühl, das ihn durchzuckt, als er seine Mutter nach so langer Zeit wieder sieht, ist noch immer genau so intensiv wie damals als er sie zum Letzten Mal gesehen hat. Verflixt, er hatte doch geglaubt, das endgültig überwunden zu haben! Aber seine Mutter jetzt hier noch einmal wiederzusehen, löst ein erschreckend wehmütiges Gefühl bei ihm aus. Gewaltsam versucht er seine Mundwinkel unter Kontrolle zu bringen; es gelingt ihm nur mit äußerster Kraftanstrengung. Na warte, Yugi! Mir das zu zeigen! Das wirst du bereuen! Selbstbeherrscht strafft Kaiba sich. "War es das jetzt? Können wir jetzt wieder gehen und diese Scharade hinter uns lassen?" "Was denn, Kaiba?", meint Jonouchi schelmisch und boxt ihn leicht in die Seite, "Da siehst du deine Familie nach langer Zeit mal wieder und schon willst du wieder weg?" Kaiba verdreht die Augen: "Also bitte! Erspar mir bloß dieses zuckersüße Heile-Welt-Geschwafel. Wer hat sich denn bloß dieses kitschige Szenario ausgedacht? Da wird mir gleich schlecht von!" Jonouchi hebt eine Braue. "Das kannst du dem Weihnachtsmann erzählen! Du bist einfach einmalig! Ich kenne niemanden außer dir, der so meisterhaft all das dementiert, verdrängt oder ignoriert was ihm nicht in den Kram passt." Er zeigt auf die vier Leute im Wohnzimmer: "Schau sie dir an! Diese Familie hat viele schöne Weihnachtsfeste gefeiert, trotz aller misslichen Umstände und sie war immer glücklich damit. Und dieses Weihnachtsfest ist damals genau so abgelaufen! Ich weiß das und du weißt das auch!" In diesem Moment reißt sich Kaibas Mutter von dem Anblick der Baumspitze los. "So, nun ist aber erst mal gut! Das Essen ist fertig und ich werde die Schüsseln bestimmt nicht im Dunkeln auf den Tisch stellen. Seto, deck doch bitte schon mal den Tisch und Mokuba, mach mal das Licht an!" Enttäuschter Protest von Seiten der Jungs ist die Folge aber dann macht sich der junge Seto doch auf den Weg in die Küche um das Geschirr zu holen, während Mokuba zum Lichtschalter hinüberschlendert. Währenddessen legt Herr Tejima seinen Arm um die Taille seiner Frau und zieht sie zärtlich an sich. "Fröhliche Weihnachten, Schatz!", meint er und drückt ihr einen Kuss auf die Wange. Einen Augenblick später flammt die Deckenbeleuchtung auf, doch das Licht ist so grell, dass Kaiba die Augen schließen muss. Schließlich verblasst das Licht wieder und nun stellt er fest, dass er sich nicht länger im Wohnzimmer seiner Eltern befindet. Stattdessen steht er nun mit seinem leuchtenden Begleiter zusammen im Flur eines großen Gebäudes. Die Wände sind grau und kahl und der Gang ist lang, schmal und hoch. Aus einer der offenen Türen dringen Licht und lautes Geplapper. "Also diese Spezialeffekte beim Szenenwechsel lassen wirklich zu Wünschen übrig!", beschwert Kaiba sich bei der leuchtenden Gestalt die nur unschuldig die Hände in den Hosentaschen vergraben hat und sein Gemecker ignoriert, "Ob es vielleicht auch eine Möglichkeit gibt, die Umgebung zu verändern, ohne dass ich jedes Mal halb erblinde?" Jonouchi schaut auf: "Du musst dich irgendwie immer beschweren, was? Gibt's das auch, dass du mal nicht meckerst?" Kaiba erwürgt ihn mit Blicken. Dessen ungeachtet schlendert der Geist nun den Flur entlang auf die offene Tür zu. Dann dreht er sich noch mal zu Kaiba um: "Was ist? Brauchst du wieder ne Extraeinladung?" Grummelnd folgt Kaiba ihm. Direkt vor ihnen stürmen mehrere Kinder aus der Tür heraus an ihnen vorbei. "Diesen Ort kennst du vermutlich auch!", bemerkt Jonouchi. "Wie könnt ich ihn je vergessen!", funkelt Kaiba ärgerlich, "Das hier ist das Waisenhaus in das wir nach dem Tod unserer Eltern gekommen sind." "Stimmt!", nickt der Geist, "Aber ihr habt hier nur ein einziges Weihnachtsfest gefeiert!" "Zum Glück!", fügt Kaiba hinzu. "Schau an!", lächelt der Geist verstohlen, "Sollte hier vielleicht der Grund liegen, warum du Weihnachten verachtest?" Vernehmlich atmet Kaiba durch. "Unsinn! Das hat nichts damit zu tun." Gemeinsam betreten sie den Raum der angefüllt mit vielen Kindern und einigen Aufsichtspersonen ist. Jeder ist mit irgendwas beschäftigt. Einige decken den Tisch, einige schmücken den Raum, andere versuchen sich gerade unter Anleitung einer älteren, verkniffen lächelnden Frau daran, ein paar Weihnachtslieder einzuüben und wieder andere sind damit beschäftigt, den zimmerhohen Weihnachtsbaum zu schmücken. Da plötzlich entdeckt man zwischen all dem Trubel zwei schmale, blasse Gesichter, die das ausgelassene Gewusel nur unsicher und schweigend verfolgen. Neben dem Weihnachtsbaum steht der junge Seto, hat seinen Arm um seinen kleinen Bruder gelegt der mit Tränen in den Augen vor sich hinschnieft, und schaut schweigend zum Baum hinauf. "So was!", hebt Jonouchi die Brauen, "Es ist doch Weihnachten. Was gibt es denn da für einen Grund zu weinen?" Kalt funkelt Kaiba ihn an. "Unsere Eltern waren erst vor kurzem gestorben. Es war das erste Weihnachten, das wir ohne sie feiern mussten und Mokuba hat dieser riesige Trubel Angst gemacht. Er war noch viel zu klein und hat das alles nicht verstanden. Also musste ich ihn trösten." "Ah, verstehe!", nickt der Geist, "Du als der Ältere von euch beiden hast versucht, ihn zu beschützen. Aber sag mir, wie ist es dir dabei gegangen? Fiel es dir so viel leichter, mit all dem umzugehen?" Kaiba lacht bitter auf: "Als ob ich eine Wahl gehabt hätte." Auf einmal wird ein Tumult um den Weihnachtsbaum laut. Das Geschnatter der Kinder schwillt an. Die Heimleiterin ergreift schließlich das Wort. "Ruhe jetzt!" Sie hält eine Pappschachtel in der Hand. "Wie jedes Jahr werden wir auch dieses Jahr wieder unsere traditionale Weihnachtsbaumspitze aufsetzen!" Sie öffnet die Kiste und nimmt einen verschnörkelten, leicht protzigen, vergoldeten Holzstern heraus. Die Kinder reißen staunend die Augen auf. "Na, der ist aber nicht halb so schön wie eurer!", wendet sich Jonouchi an Kaiba. Der hochgewachsene, junge Mann schmunzelt leicht. Genau dieser Meinung war er schon damals gewesen. "Nun...? Wer soll ihn aufsetzen?", fragt die große Frau. Sofort gehen sämtliche Hände hoch und ein lautes "Ich! Ich!" Geschrei erhebt sich. Abschätzend wirft sie einen Blick in die sehnsüchtigen Augen um sich her. Da plötzlich fällt ihr Blick auf die beiden Jungen, die ein wenig abseits stehen. Noch immer schimmern Tränen in Mokubas Augenwinkeln. Ein mildes Lächeln legt sich um ihre Mundwinkel. "Ich glaube", verkündet sie, "in diesem Jahr darf Mokuba Tejima die Christbaumspitze aufsetzen!" Enttäuschtes Murmeln ist die Folge. Mokubas Augen weiten sich erstaunt. "Na komm schon her!", meint die Heimleiterin freundlich. Zögernd tritt der Kleine näher. Von mehreren Seiten kommen ihm enttäuschte oder neidische Blicke entgegen. Unsicher geht Mokuba näher, dicht gefolgt von seinem Bruder der ihm leise: "Nur Mut! Du kannst das!", zuflüstert. Behutsam nimmt der kleine Junge die ungewöhnlich schwere Holzspitze in Empfang und macht sich daran, ganz vorsichtig die hohe Trittleiter zu besteigen. Ihm ist gar nicht wohl dabei, denn die Leiter wird immer höher und alle Augen sind augenblicklich auf ihn gerichtet. Ängstlich schaut er hinunter, doch der einzige den er jetzt sieht, ist sein Bruder der dort unten am Fuß der Leiter steht und ihm tonlos zuflüstert: "Lass dir nichts gefallen! Achte gar nicht auf sie! Du schaffst das!" Tapfer schluckt Mokuba und schaut wieder hinauf zur Spitze des Baumes. Immer höher klettert er, doch er lässt sich seine Furcht nicht anmerken. Da plötzlich kommt ihm die Heimleiterin zu Hilfe und reicht ihm für die letzten Stufen ihre Hand. Mokuba lächelt. Nun ist es kein Problem mehr. Oben angekommen fasst er die Spitze fester und streckt sie nach dem oberen Baumwipfel aus. Es fehlt wirklich nicht viel und er hat sie erreicht. Doch auf einmal geht ein kurzer Ruck durch die Leiter und für einen Augenblick verliert Mokuba das Gleichgewicht. Aber schon dieser flüchtige Moment reicht aus und die Baumspitze rutscht ihm aus den Händen, fällt zu Boden und das über die Jahre poröse gewordene Holz zerbricht in mehrere Teile. Eine Schrecksekunde lang herrscht Schweigen in dem Saal. Doch dann bricht urplötzlich ein hektisches Geschrei über den Raum herein. Einige Kinder sind empört, andere weinen und einige... ja einige fangen an zu lachen und Mokuba zu verspotten, der nur noch mit bleichem Gesicht auf der obersten Sprosse der Leiter kauert und gar nicht weiß wie ihm geschieht. Besonders ein kräftiger Junge und seine Freunde lachen am lautesten. Schon immer haben sie Mokuba aufgezogen und ihn schikaniert wo es ihnen möglich war. Dieses Missgeschick kommt ihnen offenbar gerade gelegen. Aus voller Brust machen sie sich nun über ihn lustig und lachen ihn hämisch aus, sodass ihm wieder die Tränen in die Augen schießen. Doch einen Augenblick später ist ein wütender Schrei zu hören: "Du Dreckskerl! Na warte!" Wutschnaubend stürzt sich nun der junge Seto auf den fülligen Jungen der ihn beinah um eine Kopfgröße überragt und seinen Bruder mit dreckigem Lachen verhöhnt. Ehe noch irgendjemand reagieren kann, hat der Junge auch schon Setos Faust mitten ins Gesicht bekommen. Doch damit nicht genug. Völlig außer sich schlägt Seto weiter zu und der nächste Schlag in die Magengrube lässt den Jungen zu Boden gehen. Doch Seto ist nicht zu bremsen. Sofort ist er über ihm und schlägt immer wieder zu; in seinem Gesicht steht unverhehlter Hass. "Du hast doch mit voller Absicht gegen die Leiter getreten, du Scheißkerl!", schreit er und immer wieder gehen seine Fäuste auf das Gesicht des wehrlosen Jungen nieder. Doch jetzt greifen auch dessen Freunde ein und kommen ihrem Kameraden zu Hilfe. Wütend stürzen sie sich auf Seto und schon ist eine deftige Keilerei im Gange in dessen Verlauf auch einer der Tische umgerissen wird auf dem bereits Teile des Weihnachtsessen aufgetragen waren. "Schluss damit!", ertönt plötzlich die energische Stimme der Heimleiterin. Sie winkt ihren Kollegen und mit Gewalt werden die kämpfenden Jungen auseinandergezerrt. Die meisten Kinder sind verstört oder weinen, auf dem Boden liegt Essen und in den Gesichtern der Kämpfenden zeichnen sich blutige Lippen und erste Anzeichen für astreine Feilchen ab. "Was sagt man dazu?", meint Jonouchi, der zusammen mit Kaiba das Szenario bisher schweigend betrachtet hat, "Du kannst ja doch ganz schön wütend werden wenn es sein muss!" "Er hat tatsächlich mit Absicht dagegen getreten. Er hat's verdient!", Kaibas Mine ist steinern. Mit einem leichten Lächeln mustert der Geist den jungen Mann neben sich: "War das nicht eher deine Art mit den ganzen aufgestauten Gefühlen in deinem Inneren umzugehen?" "Unsinn!", wert Kaiba ab, "Ich war der Ältere von uns und ich hatte mir geschworen auf Mokuba aufzupassen. Wenn irgendjemand Mokuba zum Weinen gebracht hat, dann hat er das hinterher sehr bereut!" Unwillkürlich ballt er die Faust. "Verstehe!", nickt der Geist verstohlen lächelnd, "Nur hast du dir damit ja nun nicht gerade Freunde gemacht. Schau's dir an!" Kaiba schnaubt auf. "Das brauchst du mir nicht zu zeigen, daran erinnere ich mich noch sehr gut." Gerade stehen die Unruhestifter vor der Heimleiterin und müssen eine gehörige Standpauke über sich ergehen lassen, allen voran der junge Seto der mit einem blauen Auge zu Boden starrt und die Lippen zusammenpresst. "Bist du übergeschnappt, Seto Tejima?", ereifert sich die Leiterin, "Was fällt dir ein, Gosho so unbeherrscht zu verprügeln? Deinetwegen hat er eine gebrochene Nase und eine Gehirnerschütterung! Ich habe deine bisherigen Eskapaden damit entschuldigen wollen, dass ihr gerade erst eure Eltern verloren habt, aber das geht zu weit! Es gibt nichts was solch einen Ausbruch entschuldigt! Wenn du dich nicht in Zukunft ganz gewaltig zusammenreißt, wird das schwerwiegende Konsequenzen haben! Und jetzt geh auf dein Zimmer! Ich will dich vor morgen früh hier nicht mehr sehen, klar?" Mit zusammengebissenen Zähnen und hängenden Schultern verlässt der junge Seto den Raum und trottet schweigend den Gang hinunter, verfolgt von über dreißig missgünstigen Blicken. Langsam und ebenfalls schweigend, folgen Kaiba und Jonouchi der traurigen, kleinen Gestalt vor ihnen. Schließlich ist Seto in seinem Zimmer angekommen, das er sich für gewöhnlich mit noch neun anderen Kindern teilt. Nur im Augenblick ist niemand sonst hier. Mit bleichem Gesicht und dunkelblauschimmerndem Auge lässt sich Seto auf sein Bett plumpsen. Ein paar Mal schluckt er schwer, doch dann gibt er schließlich seinem Bedürfnis nach und die Tränen laufen ihm übers Gesicht. "Ich wusste es doch immer!", meint Jonouchi mit einem sanften Lächeln, "Harte Schale, weicher Kern! Auch Seto Kaiba kocht nur mit Wasser!" Dafür fängt er sich nun einen schiefen Blick von Kaiba ein. "Lächerlich! Dieses Bild entbehrt jeglicher Realität! Nicht mal Mokuba war damals hier, also könnt ihr wohl kaum auf seine Erinnerungen zurückgreifen. Versucht bloß nicht mir irgendwas anzudichten!" "Kaiba, Kaiba!", schüttelt Jonouchi den Kopf, "Sieh es ein! Dies hier ist keine Virtuelle Realität sondern das was sich vor sechs Jahren tatsächlich abgespielt hat. Du brichst dir doch keinen Zacken aus der Krone, nur weil du auch mal geweint hast." Kaibas Augen werden schmal. Erst sagt er nichts doch dann meint er ruhig: "Sicher nicht! Wenn es so gewesen wäre! Aber es war nicht so!" Doch, es war so! Verflixt, woher wissen die das? Erneut beißt Kaiba schmerzlich die Kiefer aufeinander. In diesem Moment lugt im Türrahmen ein kleines, blasses Gesicht unter einem strubbeligen, schwarzen Haarschopf hervor. Kaiba verzieht innerlich das Gesicht. Ach, daher also! "Seto...?", hört man Mokubas zaghafte Stimme. Hastig wischt sich der ältere Junge die Tränen vom Gesicht und schenkt dann seinem kleinen Bruder ein schwaches Lächeln. "Komm rein!", fordert er ihn auf. Schüchtern tritt der Kleine näher. "Tut es noch weh... dein Auge mein ich?" "Ach was!", wehrt Seto ab, "Das ist nichts weiter! Ist denn dir auch nichts passiert?", besorgt schaut er seinen kleinen Bruder an. "Ich bin ok!", meint Mokuba, "Tut mir leid, dass du meinetwegen Ärger hattest!" "Ach Unsinn! Das war nur Goshos Schuld. Ich hab genau gesehen, dass er kurz gegen die Leiter getreten hat. Er wollte doch nur, dass das passiert. Er hat nur gekriegt was er verdient hat!" Seto lächelt seinen Bruder aufmunternd an. "Aber jetzt darfst du deswegen nicht mehr mitfeiern!", meint Mokuba bestürzt. Setos Mine wird ernst. "Pah, was wissen diese Idioten schon von Weihnachten feiern? Wir können genau so gut ohne sie feiern. Wir brauchen dazu keinen von denen", er ballt die Faust, "Wir brauchen gar keinen!" Mit großen Augen schaut sein Bruder ihn an. Plötzlich scheint Seto etwas einzufallen. Rasch beugt er sich über sein Bett und hebt die Ecke der Matratze ein wenig an, um ein kleines dünnes Päckchen hervorzuholen. Dann streckt er es Mokuba hin. "Hier für dich! Fröhliche Weihnachten Moki!" Der kleine Junge bekommt große Augen. Freudig nimmt er das winzige Päckchen entgegen und macht sich sogleich eifrig daran es auszupacken. Schließlich hat er das Papier aufbekommen und nun hält er zwei dünne Ketten mit je einem aufklappbaren Anhänger in der Hand. Mokuba staunt. "Siehst du", erklärt Seto und zeigt ihm die Bilder im Inneren, "Eine für dich und eine für mich! Du bekommst mein Foto und ich deins. Dann vergessen wir nie, dass wir uns gegenseitig haben und das wir niemanden sonst brauchen, um zurecht zu kommen, ok?" Mokubas Gesicht verzieht sich nun zu einem strahlenden Lächeln und dann schlingt er die kurzen Ärmchen um den Hals seines Bruders der ihn nun auch sanft an sich drückt. "Danke, Seto!", ruft Mokuba und nun glitzern doch wieder Tränen in seinen Augen." Die beiden unbemerkten Besucher verfolgen das Geschehen schweigend. Schließlich hebt Kaiba den Kopf. "Lass uns gehen! Hier gibt es nichts mehr zu sehen", er wendet sich zum Gehen, "Ich will das Ganze endlich hinter mich bringen. Irgendwie kann ich mir schon denken, was als nächstes kommt." In seinem Rücken lächelt Jonouchi ihm leicht hinterher. "Wie gewöhnlich kapierst du ziemlich schnell, Kaiba!", murmelt er leise. Dann schnippt er leicht mit den Fingern und von einer Sekunde auf die andere befinden sie sich nicht mehr im Schlafzimmer des Waisenhauses sondern in einem hellerleuchteten Festsaal. Kapitel 3: Noch mehr vom ersten Geist ------------------------------------- Kaiba blickt sich einen Momentlang irritiert um, doch dann erkennt er seine Umgebung und er seufzt einmal leicht. "Das also jetzt!", murmelt er und dann sieht er sich nach seinem leuchtenden Begleiter um, doch der ist nirgends zu entdecken. Dafür ist der Raum angefüllt mit jede Menge Leuten in feinen Anzügen und Abendkleidern. Suchend schweift Kaibas Blick über die Anwesenden. Da, endlich hat er die Gestalt in den flimmerweißen Klamotten entdeckt. Sie ist gerade dabei, sich ausgiebig über das mehr als reichhaltige Büffet herzumachen. Unverzüglich steuert Kaiba direkt auf sie zu. Dabei stellt er jedoch zu seinem großen Erstaunen fest, dass die Personen auf seinem Weg einfach durch ihn hindurchlaufen, als würde er gar nicht existieren. Na, von mir aus!, denkt er bei sich und beschleunigt seinen Schritt. So hat er Jonouchi nach nur wenigen Schritten erreicht und packt ihn demonstrativ von hinten am Kragen und zieht ihn von der Festtafel weg. Dieser schaut ihn nur mit vollen Backen und verwunderten Augen an, lässt es aber bereitwillig mit sich geschehen. "Waf denn?", nuschelt er kauend. Kaiba verdreht die Augen. "Und du willst mir allen Ernstes erzählen, dass du nicht Jonouchi bist? Auf der ganzen Welt gibt es sonst niemanden der so verfressen und ohne jegliche Tischmanieren ist." Verstimmt schüttelt der Geist ihn ab. "E'watefst du eft von mi', daf if mi' fo ein Fefteffen entge'en laffe?", mosert er mit vollem Mund. "Was bitte?", fragt Kaiba verächtlich. Jonouchi schluckt runter: "Man Kaiba, so gutes Essen bekomm ich nicht alle Tage! Glaubst du ich hab nichts Besseres zu tun als ständig nur Sturköpfe wie dich durch ihre Vergangenheit zu schleppen? So was ist n Knochenjob, also gönn mir doch auch mal was! Ich bin der Geist der vergangenen Weihnachten, also will ich auch was davon haben!" "Und deshalb plünderst du einfach das Büffet hier?" Der blonde Geist schaut sich um. "Hey, also diese Typen hier sehen nicht aus, als könnten sie sich so was nicht lässig leisten!" Er zuckt mit den Achseln: "Abgesehen davon, bekommen sie davon eh nichts mit! Wir sind unsichtbar für die. Wie du selbst sagtest, sind das bloß Schatten deiner Vergangenheit. Das Ganze hier ist längst vorbei." Kaiba schnaubt. "Mir kommt es vor als wär es gestern gewesen!" "Kein Wunder!", meint der Geist und vergräbt eine Hand in der Hosentasche während die andere sich einen polierten Apfel vom Obstteller angelt als sein mürrischer Begleiter grad nicht hinschaut. "Das war der Tag an dem Gozaburo Kaiba der Meinung war, seine neusten "Investitionen" in die gehobene Gesellschaft einführen zu müssen", fährt er fort und lässt seinen Blick über den Raum gleiten. "Besser hätte ich es auch nicht beschreiben können!", murmelt Kaiba neben ihm. Jonouchi schaut überrascht auf. "Wie schön, dass wir mal einer Meinung sind." Dann richtet er sich auf. "Da sind die beiden Unglücksraben ja!", ruft er aus und weist mit der Hand auf einen hochgewachsenen, stattlichen Mann mit Schnauzbart der zwei ziemlich unsichere Jungen in eleganten Maßanzügen vor sich herschiebt. Die Augen der beiden wandern eingeschüchtert in alle Richtungen und man merkt ihnen an, dass sie im Augenblick lieber an jedem anderen Ort der Welt wären, als hier. Immer wieder beugen sich elegant gekleidete Damen zu ihnen herunter und tätscheln ihnen mit einem aufgesetzt vertraulichen Lächeln den Kopf und die kalten, abschätzenden Blicke der Männer in den vornehmen Anzügen scheint den beiden Jungen den letzten Mut zu rauben. Doch dann erhalten sie einen unauffälligen Stoß in den Rücken und eine gezischte Drohung von Seiten ihres Stiefvaters und wie kleine Aufziehpuppen nehmen die beiden Jungen wieder Haltung an und machen gezwungenermaßen gute Mine zum bösen Spiel. "Was hat er euch angedroht für den Fall, dass ihr euch nicht von der besten Seite zeigt?", fragt der Geist während er am Büffettisch lehnt, die Arme verschränkt hat und dann vom stibitzten Apfel abbeißt. "Das willst du nicht wissen!", entgegnet Kaiba ungerührt. "Schon gut, ich weiß es ja. Echt unangenehmer Kerl dieser Gozaburo!", kommt die Antwort. Gelassen stößt Jonouchi sich nun vom Tisch ab und schlendert durch die Menschenmenge direkt auf die beiden eingeschüchterten Jungs zu. "Das war euer erstes Weihnachten mit Gozaburo Kaiba", fährt er fort, "Den ganzen Abend wurdet ihr von einem wichtigen Geschäftspartner zum nächsten gereicht und die ganze Zeit über musstet ihr gequält lächeln und euer bestes geben, um euren Stiefvater zufrieden zu stellen und bei allen Anwesenden einen guten Eindruck zu hinterlassen. Aber wahrscheinlich ist das der Preis für den Ruhm, den Erfolg und den Reichtum, wer weiß...?" Schweigend ist Kaiba ihm gefolgt und betrachtet nun sein jüngeres Selbst und seinen Bruder mit finsterer Mine. "Ich hab es gehasst!", meint er schließlich, "Auf dem Etikett stand zwar Weihnachten aber im Grunde war es nicht mehr als eine Fleischbeschauung!" Verwundert hebt Jonouchi die Brauen. "Ich staune, Kaiba! Solche Metaphern aus deinem Mund?" Sofort trifft ihn ein tödlicher Blick. "Wenn du nicht auf der Stelle deine dummen, unangebrachten Sprüche unter Kontrolle bringst, Jonouchi, werden wir gleich mal herausfinden ob Geister auch bluten können!" Doch dieser lächelt ihn nur versonnen an: "Sagtest du nicht, ich wäre nur ein Hologramm? Seit wann können Hologramme bluten?" Kaiba hält einen Moment inne, dann meint er abfällig: "Auch wieder wahr! Also schön, sind wir dann hier fertig?" Kameradschaftlich klopft Jonouchi ihm auf den Rücken: "Nimm's nicht so schwer, Kaiba-chan! Kann doch jedem mal passieren, dass er sich von irgendwas überzeugen lässt!" Gerade bohren sich imaginäre Eispickel in seine Brust und er korrigiert sich rasch: "Sorry, das -chan ist mir nur so rausgerutscht! Aber trotzdem freu ich mich, dass du endlich einsiehst, dass das hier die Realität ist." Kaiba strafft sich mit einem scharfen Einatmen: "Wer redet denn davon? Mach endlich weiter mit dem Theater! Ich hab heute noch zu arbeiten!" Jonouchi verdreht die Augen und seufzt: "Es ist hoffnungslos mit dir! Erinnerst du dich zufällig an Ebenezer Scrooge? Der war nicht mal halb so störrisch wie du! Den hatte ich in Nullkommanichts soweit! Ich geb's auf!" "Fein!", meint Kaiba trocken, "Können wir dann endlich Schluss machen mit dem Zirkus?" "Nicht so hastig! Ein bisschen hab ich noch für dich! Hier fang!" Mit diesen Worten wirft er Kaiba den angebissenen Apfel zu, der ihn aus einem Reflex heraus auffängt. Doch kaum schaut er wieder auf, stellt er erneut fest, dass sich die Umgebung geändert hat. Sogleich versucht er herauszufinden wo er sich befindet. "So besser?", pustet ihm plötzlich über die Schulter Jonouchis Stimme ins Ohr. Seto Kaiba fährt unwillkürlich zusammen. "Du wolltest doch nicht immer geblendet werden. Isses so besser?", fragt er noch einmal. Verstimmt schaut Kaiba ihn an: "Sehr witzig!" Mit diesen Worten schnippt er der leuchtenden Gestalt den angeknabberten Apfel hinüber. "Rück mir gefälligst nicht so auf die Pelle!" Damit schüttelt er den Geist ab. Dieser zuckt nur mit den Schultern: "Warum bist du eigentlich immer so unhöflich? Hab ich dir irgendwas getan?" "Willst du ne Liste?", ist Kaibas knappe Antwort und dann macht er sich daran seine Umgebung zu erkunden. Doch ziemlich rasch wird ihm klar wo er sich befindet und seine Mundwinkel sinken wieder missmutig herab. Er befindet sich in einem hohen, breiten Flur und ein paar Schritte entfernt befindet sich eine hohe Flügeltür. Sie steht halb offen und Licht dringt daraus hervor. Eigentlich ist es gar nicht nötig zu sehen was dahinter liegt; er weiß es ohnehin. Neben ihm spaziert nun Jonouchi vorbei und fasst ihn beim Überholen am Mantel um ihn unerbittlich mit sich zu ziehen. "Komm schon, Kaiba! Das werden wir uns jetzt auch noch ansehen!" Nur wiederstrebend lässt sich Kaiba bis in das Zimmer hineinschleppen. Meine Güte, wie stark haben sie dieses Hologramm denn programmiert? In dem großen Saal angekommen schüttelt der junge Mann schließlich die helle Hand seines Begleiters ab. Was er sieht überrascht ihn nicht sehr aber es lässt ihn erneut die Stirn in düstere Falten legen. Der Saal ist prunkvoll geschmückt und in der Mitte steht eine lange Festtafel auf der viele rote Kerzen brennen. In dem großen Kamin prasselt ein rötliches Feuer, das aber nur wenig gegen die unangenehme Kühle des Raumes ausrichten kann. Nicht weit davon entfernt steht ein prächtig geschmückter Weihnachtsbaum und sein Schmuck glänzt und glitzert in alle Richtung. Er ist traditionell in gold und rot gehalten und die unzähligen, echten Kerzen die auf ihm angebracht sind lassen ihn in einem fast unnatürlichen Glanz erstrahlen. Unter dem Baum stapelt sich eine nahezu unübersichtliche Flut an Geschenken die allesamt kunstvoll und professionell eingepackt sind. Im Hintergrund spielt leise ein besinnliches Weihnachtslied. An der Festtafel sitzen drei bekannte Personen. Am Kopf der Tafel sitzt Gozaburo Kaiba und nimmt seinen prachtvoll angerichteten Weihnachtsbraten zu sich. Am anderen Ende der Tafel sitzen Mokuba und Seto und beschäftigen sich ebenfalls mit ihren Tellern. Jeder der Jungen verfügt über seinen eigenen Braten und sein eigenes Sortiment an Schüsseln für die Beilagen. Sie stecken in ihren feinsten Anzügen und nehmen ihr Weihnachtsessen zu sich. Kein Wort fällt während der gesamten Mahlzeit. "Da soll mich doch...!", staunt Jonouchi, "Esst ihr das etwa alles allein auf?" "Selbstverständlich nicht!", gibt Kaiba abfällig zurück, "Unser Stiefvater war der Meinung, dass man zu gegebenem Anlass ruhig verschwenderisch sein konnte, und zwar allein deshalb weil man es konnte!" Nachdenklich fischt sich der Geist einen Knödel aus einer der Schüsseln und beißt hinein. Annerkennend nickt er: "Fmeckt nift flecht! Ein Lob an die Küche!" "Mir blieb es jedes Mal fast im Hals stecken!", meint Kaiba mit finsterer Stimme. "Wieso das?", kommt die Rückfrage. "Tu doch jetzt nicht so, als ob du das nicht längst wüsstest!", schnaubt Kaiba, doch Jonouchi schaut ihn nur mit großen Augen fragend an. Dabei kaut er ungeniert weiter. Schließlich seufzt Kaiba. "Gozaburo machte jedes Jahr aus der Weihnachtsfeier eine Inszenierung! Der Kamin, der Baum, das Essen, die Geschenkberge... Das alles gehörte einfach zum Weihnachtstag dazu und weil er es sich leisten konnte, hat er es auch so praktiziert. Alles war vom Feinsten. Sogar der traute Kreis der Familie gehörte zum ,perfekten' Weihnachtsfest einfach dazu. Andernfalls hätte er sich nie dazu herabgelassen mit uns zusammen zu essen." Jonouchi nickt langsam: "Wahrscheinlich hättest du da lieber, wie jeden Abend, bis spät in die Nacht gebüffelt. Aber deinem kleinen Bruder zuliebe hast du diese Farce über dich ergehen lassen. Du wolltest ihm seine Illusion nicht nehmen." "Es hätte auch gar nichts genützt!", entgegnet Kaiba, "Auf Gozaburos Anweisung mussten wir beide teilnehmen. Darüber gab es keine Diskussion! Ein ,Nein!' wurde keinesfalls akzeptiert!" "Na ja", meint Jonouchi beiläufig, "Einmal hast du dich doch durchgesetzt." "Was bedeutet hier ,durchgesetzt'?", erwidert Kaiba bitter, "Für meinen Widerspruch hat er mich kurzerhand einfach auf dem Internat gelassen!" Augenblicklich verschwimmen die Konturen um ihn her und sofort finden die beiden sich in einem spärlich beleuchteten Studentenzimmer wieder. Unter der Türritze vom Flur her dringt schwach Licht doch im Zimmer herrscht Finsternis, die nur von einer kleinen Schreibtischlampe durchdrungen wird. Am Schreibtisch sitzt der junge Seto Kaiba und brütet über schweren, anspruchsvollen Wirtschaftswälzern. Inzwischen ist aus ihm bereits ein junger Mann geworden. Unverwandt sind seine Augen auf die Bücher gerichtet und wandern unbeirrt von Zeile zu Zeile. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen tritt der Geist an den arbeitenden, jungen Mann heran und schaut ihm über die Schulter. Ungläubig schüttelt er den Kopf: "Wie kannst du bloß so was lesen und dann da auch noch durchsteigen?" Kaiba schnauft verächtlich auf. "Kleinigkeit! Das ist doch nichts weiter als Basiswissen. Aber ich kann mir schon denken, dass das den Horizont eines geistigen Tieffliegers wie dir bei weitem übersteigt, Jonouchi!" Die blonde Gestalt macht nachäffende Bewegungen mit dem Mund. "Herzlichen Dank auch, Mister Besserwisser! Kann ja nicht jeder so ein Genie sein wie du! Wie gut, dass ich mich nur um die vergangenen Weihnachtsfeste kümmern brauch. Aber damit bin ich schon gut genug bedient. Mit solchen Schwarten muss ich mich zum Glück nicht abgeben." Er ergreift eines der dicken Bücher und beginnt ziellos darin zu blättern. Spöttisch erwidert Kaiba seinen Blick: "Dich möchte ich mal sehen, wie du ein Geschäft leiten willst! Du Versager bringst es doch nie im Leben zu etwas!" "Na wie schön, dass wenigstens du es zu etwas gebracht hast, nicht wahr?", gibt der Geist schnippisch zurück, "Bestimmt hast du dir das Können und Wissen dafür an endlosen Abenden wie diesem antrainiert", mit ernstem Blick lässt er das Buch zuklappen, "Was dein Bruder wohl davon gehalten hat, dass du an diesem Heiligabend nicht da warst?" Unwillkürlich zuckt Kaiba ein wenig zusammen. Für einen kurzen Moment halten sich die beiden mit ihren Blicken gefangen. Schließlich straft Kaiba sich. "Also schön! Ich hab bis hierher mitgespielt. Sind wir jetzt endlich fertig?" Ein seltsames Funkeln schleicht sich in die braunen Augen des Geistes und ein schiefes Lächeln legt sich auf sein Gesicht. "Oh ja, ich bin fertig mit dir!", er lässt das Buch zurück auf den Schreibtisch plumpsen, "Fertig und durch! Aber du weißt ja schon wie es weitergeht, nicht wahr?" Kaiba verzieht das Gesicht: "Lass mich raten!" "Nicht nötig, ich sag's dir auch so!", mit einem seltsamen Grinsen schaut die leuchtende Gestalt ihn an, "Du hast noch zwei Geister vor dir und der nächste auf der Liste ist der Geist der gegenwärtigen Weihnachten..." "Ach, mach nicht so was! Wer hätte das gedacht?", meint Kaiba sarkastisch. "Hey, nun lass mich doch wenigstens noch ausreden!", schimpft der Geist dazwischen, "Ist mir schon klar, dass du immer alles besser weißt, aber meinen Text werd ich doch wohl noch sagen dürfen, oder?" Spöttisch macht Kaiba eine auffordernde Geste. "Danke schön! Also noch mal! Als nächstes kommt der Geist der gegenwärtigen Weihnachten und wenn dir das Bisherige nicht geschmeckt hat, dann warte erst mal ab! Mein Kumpel ist nämlich nicht so nachsichtig wie ich. Er macht vielleicht nicht den Eindruck, aber er hat es faustdick hinter den Ohren! Mich kannst du vielleicht noch verarschen und ignorieren, aber bei ihm wird dir das nicht gelingen, verlass dich drauf!" "Ich zittere schon vor Angst!", meint Kaiba trocken. "Besser wär's!", funkelt der Geist ärgerlich, doch dann hellt sich seine Mine wieder auf, "Also dann, leb wohl, Kaiba, und das mein ich auch so! Wir sehen uns bestimmt nicht wieder und nun viel Vergnügen mit dem Geist der gegenwärtigen Weihnachten!" Mit diesen Worten beginnt sich die leuchtende Gestalt immer mehr aufzulösen bis sie fast nicht mehr zu erkennen ist. Die neckische Stimme ist kaum noch ein Flüstern als sie sagt: "Ach ja, und Kaiba-chan..., du solltest wirklich öfters lächeln, so hast du mir echt besser gefallen. Pass auf dich auf!" Dann zwinkert der Geist ihm noch ein letztes Mal zu und mit einem grellen Aufblitzen, verlischt die seltsame Erscheinung vollkommen. Kapitel 4: Der zweite Geist --------------------------- Nur wenige Augenblicke nach dem hellen Aufleuchten stellt Kaiba fest, dass er sich wieder in seinem Büro befindet. Er sitzt in seinem Sessel und ist über seinen Schreibtisch gebeugt. Was um alles in der Welt hat das zu bedeuten? Hat er das gerade eben vielleicht alles nur geträumt. Gerade klopft es erneut an der Tür. Stimmt, hat es nicht auch gerade eben schon geklopft? Verwirrt fährt sich Kaiba mit der Hand über das Gesicht. Er muss tatsächlich eingeschlafen sein. Was für ein eigenartiger Traum! Er kam einem so unglaublich realistisch vor. Vielleicht sollte er doch nicht immer so lange arbeiten. Noch einmal klopft es gegen die Tür. "Ja?", ruft Kaiba noch immer ein wenig durcheinander. Die Tür öffnet sich und herein kommt Kaibas rechte Hand, Roland. "Verzeihen sie die Störung, Kaiba-sama, aber hier ist jemand der sie sprechen möchte." Leicht irritiert schaut er seinen Untergebenen an. Wieder bleibt sein Blick an der roten Bommelmütze auf dessen Kopf hängen. "Hatte ich nicht vorhin erst gesagt ich will diese dämlichen Mützen nicht mehr sehen?", fragt er nun scharf. Was ist denn nur heute mit seinen Angestellten los? Doch der Mann schaut ihn nun nur etwas verwirrt an. "Vorhin, Kaiba-sama...?", fragt er vorsichtig. "Ganz recht, vorhin!", wiederholt Kaiba mit wenig Geduld, "Kurz bevor Yugi Muto hier reinspaziert ist, sagte ich ihnen doch was passiert wenn ich diese Dinger heute noch einmal sehe, oder?" Erstaunt schaut der große Mann ihn nun an: "Woher wissen sie denn, dass Yugi Muto zu ihnen möchte?" "Was...?", verdutzt schaut Kaiba auf, "Was will er denn schon wieder hier?" "Aber Kaiba-sama...", versucht der Mann seinem Vorgesetzten gedanklich zu folgen, "er ist doch heute erst zum ersten Mal hier!" Kaiba fasst sich an die Stirn. Dieses blöde Weihnachten! Kein Mensch in seiner Umgebung ist noch zu irgendeiner halbwegs vernünftigen Handlung oder Aussage fähig! "Soll reinkommen!", meint er gereizt. Hastig macht sich der Mann davon und zieht die Tür hinter sich zu. "Ich bin von Idioten umgeben!", murmelt Kaiba. Doch gleich darauf geht die Tür auch schon wieder auf und herein kommt, in einer dicken Winterjacke, Yugi. "Fröhliche Weihnachten, Kaiba!", begrüßt er den jungen Mann am Schreibtisch. Mit einem äußerst gereizten Blick schaut Kaiba ihm entgegen. "Hatten wir das vorhin nicht schon?", meint er unwirsch, "Was willst du hier schon wieder? Ich dachte ich hätte mich klar genug ausgedrückt." Doch Yugi tritt nur dicht an Kaibas Schreibtisch heran, stützt sein Kinn auf den Händen auf und lächelt den jungen Mann leicht an. "Irrtum, Kaiba, wir hatten heute noch nicht das Vergnügen! Definitiv nicht! Ich bin der Geist der gegenwärtigen Weihnachten!" Für einen langen Augenblick hält Kaiba wie erstarrt inne, dann stöhnt er: "Ich fasse es nicht! Ist dieses Kaspertheater noch immer nicht vorbei?" "Das weißt du doch besser, Kaiba!", meint Yugi leicht lächelnd, "Ich dachte, du kennst die Geschichte." "Zu meinem Leidwesen, ja", brummt Kaiba, "War Pflichtlektüre auf den Internat. Schon damals fand ich sie vollkommen überzeichnet und albern." "Aber du kannst doch nicht leugnen, dass sie einen gewissen Bezug zur Realität nicht entbehrt", entgegnet Yugi. "Und ob ich das kann!", stellt Kaiba klar. "Typisch Kaiba!", meint Yugi etwas ernster, "Ein so kluger Kopf, aber blind für alles was direkt vor seiner Nase liegt!" "Erspar mir das altkluge Geschwafel!", patzt Kaiba und erhebt sich, "Ich vermute mal, auch du willst mir wieder ein paar nette Szenen zeigen damit ich reumütig anfange mir was aus Weihnachten zu machen. Das Problem ist nur, diesmal müsst ihr euch selber was aus den Rippen leiern. Dieses Weihnachten ist schließlich noch nicht passiert. Bin mal gespannt womit ihr meint, mich überzeugen zu können!" Schweigend schaut Yugi ihn an. Dann schüttelt er leicht den Kopf: "Du glaubst noch immer, dass das hier eine Virtuelle Realität ist, oder?" "Hört auf, mir immer wieder diese Frage zu stellen!", regt Kaiba sich auf, "Damit verschwenden wir nur kostbare Zeit die ich eigentlich zum Arbeiten brauche. Macht endlich weiter mit dieser dummen Show!" Zunächst sagt Yugi gar nichts, doch dann meint er: "Also schön, lass uns gehen!" Mit diesen Worten öffnet er die dicke Winterjacke und holt sein Millenniumspuzzle hervor. Spöttisch fragt Kaiba: "Und nun? Soll ich mich jetzt auch an deinem ,Gewand' festhalten, oder wie soll das laufen?" "Das wird nicht nötig sein, Kaiba", und in Yugis Augen blitzt auf einmal ein seltsames Funkeln auf und dann fasst er sein Puzzle fester. Im gleichen Moment leuchtet die kleine Pyramide hell in einem goldenen Licht auf und hüllt den Geist und den verblüfften Kaiba in einem warmen, goldenen Licht ein. Als das Licht wieder verschwunden ist, traut Kaiba seinen Augen nicht. Sein Körper wirkt auf einmal seltsam durchsichtig und er kann sich noch nicht einmal selbst berühren. Er kann sich nicht helfen, aber das beunruhigt ihn doch. Selbst in einer computergenerierten Welt kann man sich selbst berühren, doch seine Hand dringt einfach durch ihn hindurch. "Wie... wie hast du das gemacht?", fragt er verwirrt. Doch Yugi lächelt nur leicht und winkt ihm zu folgen. "Komm Kaiba, wir müssen los!" Und dann tritt er einfach durch die geschlossene Bürotür und ist augenblicklich aus Kaibas Sichtfeld verschwunden. "Hey, warte!", nun wird es Kaiba doch ein wenig unbehaglich. Zu seinem eigenen Erstaunen macht er sich rasch daran, der kleinen Gestalt zu folgen, doch als er die Tür öffnen will, dringt seine Hand einfach durch den Türgriff. "Verflixt!", schimpft er leise. Doch dann reißt er sich zusammen und tritt ebenfalls durch die Tür hindurch. Es gelingt ohne Probleme. Auf der anderen Seite erwartet Yugi ihn schon. Wieder lächelt er ihn nur sanft an. Aber irgendwie liegt eine seltsame Spur von Traurigkeit oder auch Mitgefühl in diesen großen, violetten Kulleraugen. Kaiba beschließt sich seine Irritation nicht anmerken zu lassen und strafft sich wieder. "Und was nun?", fragt er betont gelangweilt. "Komm mit!", ist die simple Aufforderung. Schweigend folgt Seto Kaiba ihm den Flur hinunter. Nun kommen sie am Tresen seiner Sekretärin vorbei. In dem eleganten Papierkorb aus Metall, der daneben steht, befindet sich eine große Anzahl der roten Weihnachtsmützen. Offenbar hat sich Roland meine Anweisung zu Herzen genommen, denkt Kaiba bei sich. Nun lässt die Stimme der jungen Frau ihn aufhorchen: "Ich kann es nicht ändern! Er braucht die Unterlagen noch heute Abend!" Die schlanke Frau sitzt an ihrem Arbeitsplatz und ist offenbar in ein Telefongespräch vertieft. Ihre feinen, blonden Haare sind zu einer modernen Kurzhaarfrisur geschnitten und sie trägt einen seriösen, grauen Blazer mit passendem, kurzen Rock. Gerade hat sie mit der linken Hand ihre Stirn auf dem Tisch aufgestützt während sie weiter versucht, ihren Gesprächspartner von der Dringlichkeit des Auftrags zu überzeugen. Nun hebt sie energisch den Kopf, sodass Kaiba ihr Gesicht sehen kann. Sie wirkt irgendwie blass und um ihre Augen liegen dunkle Ringe die sie mit ausreichend Make-up geschickt zu übertönen versucht hat. "Das ist mir auch klar!", ruft sie gerade energisch aus, "Du brauchst mich gar nicht so anzuschreien, Kawagiri-san! Ich hab mir das bestimmt nicht ausgedacht. ... Ich weiß! ... Ich weiß! ... Ich weiß!", die junge Frau fährt sich mit der Hand über die Augen, "Kawagiri-san, es nutzt aber gar nichts, wenn du das an mir auslässt! ... Nein, das erwarte ich doch gar nicht von dir. ... Warum sollte gerade ich ihm das sagen? Ich werde mich hüten! ... Sekretärin, na und? Als ob er jemals auf mich hören würde. ... Hey, sag so was nicht! Er ist immer noch unser Arbeitgeber! ... Lass ihn das bloß nicht hören!" "Offenbar sollte ich wohl mal ein paar Veränderungen bei meinem Personal vornehmen!", murmelt Kaiba finster, "Ist ja unglaublich, was man hier so hört!" "Tja", meint Yugi ruhig, "Nicht jeder hier ist eben so begeistert davon, am Heiligabend bis spät in die Nacht hinein Überstunden zu machen, nur weil der Chef keinen Deut auf Weihnachten gibt." "Erspar's mir!", meint Kaiba abfällig. "Hör auf damit!", lässt ihn plötzlich die Stimme seiner Sekretärin herumfahren. Die junge Frau hat die Hand zur Faust geballt. "Es steht dir in keinster Weise zu, so über ihn zu sprechen, verstanden? Es ist eben wie es ist, Punkt und Aus!", sie seufzt tief, "Tut mir leid Kawagiri-san! Ich bin... nur etwas übermüdet. Die letzten Wochen über hatten wir hier oben auch alle Hände voll zu tun. Und gleich muss ich noch runter in die Promotionsabteilung. Ich weiß einfach nicht mehr wo mir der Kopf steht. "Pass auf... ich mach dir einen Vorschlag! Du schickst mir die Unterlagen so schnell wie möglich hoch und dann kannst du los, ok? Ich behalt's für mich, aber das ist ne große Ausnahme, ja?", die Frau lächelt kurz auf, "Keine Ursache! ... Ich? Ich werd hier wahrscheinlich noch bis Eins sitzen. ... Schon ok, ich bin daran gewöhnt. ... Meine Familie weiß bescheid. ... So schnell, ja? Prima! Da hab ich dann ja grad noch Zeit, schnell runter zu laufen. ... Danke! Und dir auch fröhliche Weihnachten! Grüß deine Frau und die Kinder!" Dann legt sie auf. Schweigend beobachtet Kaiba wie seine Sekretärin ein paar Notizen zu Papier bringt und dann Anstalten, macht sich von ihrem Platz zu erheben. "Mir war nicht bewusst, dass unsere Firmenleitungen für private Gespräche missbraucht werden", bemerkt er jetzt brummig. "Private Gespräche?", fragt Yugi verwundert zurück, "Falls dir das nicht klar sein sollte, Kaiba, was diese Frau für dich leistet, ist unvergleichlich!" Kaiba sieht seiner Angestellten schweigend hinterher wie sie sich mit einem kaum wahrnehmbaren Seufzen erhebt und auf den Weg zum Aufzug macht. Doch Yugi redet schon weiter: "Sie bleibt jeden Tag bis spät in die Nacht und kümmert sich um alles was du ihr aufträgst und dabei leistet sie immer hervorragende Arbeit. Dabei kommt ihre Familie meistens zu kurz. Sie hat eine kleine Tochter, wusstest du das übrigens?" Kaiba schweigt. "Und als wäre das nicht genug, bekommt sie auch noch von allen Seiten Feuer. Als deine persönliche Assistentin muss sie jede deiner Launen wortlos und gehorsam über sich ergehen lassen und gleichzeitig muss sie versuchen, mit äußerster Geduld alle Beschwerden über die Arbeitsbedingungen von Seiten der Belegschaft abzufangen und zu entschärfen. Dabei muss sie außerdem noch versuchen einen Kompromiss zu finden der allen Parteien gerecht wird. Und dabei hat sie sich bisher immer hundertprozentig loyal dir gegenüber verhalten. "An dieser Frau brechen sich die Wellen die du mit deiner Rücksichtslosigkeit aufwirbelst. Du würdest staunen wie viele zusätzliche Sorgen dir deswegen erspart bleiben, weil sie immer wieder zwischen dir und den Anderen vermittelt. Niemand tut mehr für das gute Klima in dieser Firma als sie! Und hat sie dafür jemals von dir auch nur ein Dankeschön erhalten?" Nachdenklich blickt Kaiba zu Boden. Schließlich meint er: "Ich geb ja zu, dass ich vorhin vielleicht ein wenig überreagiert habe." Kritisch schaut Yugi ihn an: "Nur ein wenig?" Doch dann hebt Kaiba den Kopf: "In Ordnung! Bei dieser Szene habt ihr vielleicht recht. Können wir jetzt weitermachen? Wenn ich mich nicht irre kommt als nächstes die kitschige Weihnachtsfeier bei den Bekannten. Lass es uns endlich hinter uns bringen!" "Oh Kaiba!", seufzt der Geist leicht, "Du bist ein solcher Ignorant!" "Das hält mich schon eine ganze Weile bei Verstand!", gibt Kaiba ironisch zurück. "Also gut, wie du willst!", sagt Yugi, "Lass uns gehen und sehen was du gerade verpasst." Noch ehe Kaiba etwas darauf erwidern kann, greift er wieder nach dem Millenniumspuzzle. Nur Augenblicke später leuchtet es erneut hell auf und hüllt die beiden Personen in ein goldenes Licht ein. Ein eigenartiges Schwindelgefühl überkommt Kaiba und für einen kurzen Moment hat er das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. Doch dann findet er sein Gleichgewicht wieder und schaut sich um. Er befindet sich nicht länger im Firmengebäude der Kaiba-Corporation sondern draußen auf der verschneiten Straße vor einem großen Haus mit einem übersichtlichen Schild auf dem "Schildkröten-Spiele" steht. Kaiba verzieht das Gesicht: "Ich dachte es mir!" Ein paar Schritte neben ihm hat der kleine Geist, der Yugi wie aus dem Gesicht geschnitten ist, die Hände hinter dem Kopf gefaltet und wirft einen Blick in die Runde. Es ist dunkel und die Straße mit dem knöchelhohen Schnee wird nur von ein paar Straßenlaternen erleuchtet. Wo das Licht auf die weiße Fläche auftrifft, funkelt es wie kleine Kristalle. Autos sind kaum unterwegs und so gibt es nur wenige Spurrinnen die den Schnee auf der Straße zerteilen. Kaum ein Geräusch ist zu hören; die abendliche Stille und die weiße Dekoration auf Bäumen und Häusern scheint jeden Laut zu verschlucken. Schließlich wendet sich Yugi an Kaiba: "Hast du eigentlich mitgekriegt, dass es geschneit hat?" "Wen interessiert das?", fragt Kaiba unwillig zurück. Nein, er hat es tatsächlich nicht bemerkt, dass sich die graue, geschäftige Stadt innerhalb weniger Stunden in eine weiße Schneelandschaft verwandelt hat. Aber mal ehrlich, will man ihm wirklich daraus einen Strick drehen? Was ist da denn groß dabei? Auf einmal vernimmt Seto Kaiba Stimmen hinter sich. "Untersteh dich, Honda!" "Wiesooo denn?" "Lass das! Ich warne dich!" Er dreht sich um. Den verschneiten Weg entlang kommen gerade Anzu Mazaki und Hiroto Honda. Beide sind mit mehreren Taschen beladen und steuern direkt auf das Spielzeuggeschäft von Yugis Großvater zu. Gerade ist Honda damit beschäftigt mit beiden Händen einen prächtigen Schneeball zu formen, während er dabei versucht seine Taschen auf den Unterarmen weiterzubalancieren. Warnend funkelt ihn seine ebenfalls schwer bepackte Freundin an. "Wenn ich auch nur einen Schneeball abkriege, kannst du was erleben, klar?" Honda grinst genüsslich. Nun scheint Anzu einzusehen, dass diese Drohung ihren Freund vermutlich nicht abschrecken wird und so versucht sie nun ihre Tasche zwischen sich und das kalte Wurfgeschoss zu bringen mit dem Honda gerade zum Wurf ausholt. "Nein, lass das!", quietscht sie noch, doch der Schneeball ist wohlgezielt und trifft exakt die Lücke zwischen Arm und Tüte wo er zu Hondas vollster Befriedigung in einer Schneewolke zerpufft und das kreischende Mädchen mit einem kalten Schneeregen überzieht. Vergnügt kichernd sieht Honda zu, dass er Land gewinnt und sprintet eilig auf die Haustür zu Yugis Wohnung zu. "Na warte!", ertönt es aufgebracht hinter ihm, "Das kriegst du wieder!" Mühsam verteilt Anzu ihre Taschen auf den Unterarmen und greift sich eine Hand voll Schnee um gleich darauf ihrem flüchtenden Freund nachzusetzen. "War doch nur Spaß!", ertönt es von dem Jungen. "Was heißt hier Spaß!", keift Anzu, "Ich hab überall Schnee in den Klamotten, du Blödmann! Glaub nicht, dass du mir so davon kommst!" Schon hat Honda die Tür erreicht und klingelt. Nur einen Augenblick später trifft ein Schneeball direkt neben seinem Kopf auf. Rasch schaut er sich um und bekommt gerade noch mit wie Anzu sich eine weitere Hand voll Schnee greift. "Komm schon, Anzu!", versucht er sie zu versöhnen, "Es ist Weihnachten! Schneeballschlachten gehören dazu." "Dann hast du ja sicher nichts hiergegen!", funkelt Anzu hämisch und schleudert ihm einen weiteren Schneeball entgegen. Honda kann sich gerade noch ducken. Im selben Augenblick öffnet sich die Haustür und offenbar hat der Geist der Weihnacht heute seinen schelmischen Tag, denn der verfehlte Schneeball landet direkt in Yugis Gesicht er gerade nachschauen will wer da geklingelt hat. Verwirrt wischt er sich die Eisstückchen aus dem Gesicht. "Oh Yugi! Entschuldigung!", ruft Anzu erschrocken und läuft rasch zu ihm hin, "Alles ok?" "Tolle Begrüßung, Anzu, super Timing!", meint Honda trocken. "Blödmann!", meckert Anzu und dann überzeugt sie sich auch gleich von Yugis Unversehrtheit. "Tut mir leid! Ich wollte eigentlich Honda treffen. Er ist wieder mal unmöglich!" Doch Yugi lächelt bereits wieder. "Schön, dass ihr da seid! Fröhliche Weihnachten!" "Fröhliche Weihnachten, Yugi!", erwidert Anzu und dann folgt sie ihrem Freund erleichtert ins Haus. Hinter Honda fällt die Tür ins Schloss. Der Geist der gegenwärtigen Weihnachten wendet sich an Kaiba: "Was ist, kommst du mit?" und damit stapft er auf die Haustür zu. "Hab ich eine Wahl?", mosert Kaiba und folgt ihm. Ohne zu zögern durchschreitet der Geist wieder die Tür und Seto Kaiba bleibt nichts anderes übrig als ihm erneut zu folgen. Im Inneren des Hauses ist zunächst ein Flur zu sehen von dem aus eine Treppe in das obere Stockwerk führt. Im Erdgeschoss gehen mehrere Türen davon ab, wobei die linke Tür offenbar in den Spielzeugladen führt. Auf der rechten Seite führt die Tür nun ins Wohnzimmer, von wo bereits munteres Geplapper zu hören ist. Schweigend folgt Kaiba der kleinen Gestalt vor ihm in das Zimmer. Gerade sind Honda und Anzu damit beschäftigt ihre mitgebrachten Taschen auszupacken. "Das war doch gar nicht nötig!", meint Yugi verlegen. "Ach Quatsch!", zwinkert Anzu, "Ich sag dir was, wenn du erst mal die Plätzchen meiner Mutter probiert hast, isst du keine anderen mehr!" "Und das hier ist von meinem Vater für deinen Großvater!", meint Honda und packt eine Weinflasche aus, "Er meinte, wenn ich schon irgendwo eingeladen bin..., und ihm nicht wie jedes Jahr auf den Wecker falle, nur mal nebenbei bemerkt..., dann müsse ich auch ein Gastgeschenk mitbringen." "Wieso feierst du eigentlich Weihnachten nicht zu hause?", will Anzu nun wissen. "Ach weißt du", wehrt Honda ab, "Wir sehen uns auch die Woche über so selten, da wissen wir gar nicht richtig was miteinander anzufangen, wenn wir mal Zeit haben. Also feiern wir seit ein paar Jahren halt getrennt Weihnachten. Meine Eltern gehen chic essen und ich mach's mir mit den Geschenken und den Weihnachtsplätzchen vorm Fernseher gemütlich. Aber ich komm doch viel lieber zu euch, hier ist doch viel mehr los und überhaupt wäre so ein Fest, nur der Form halber, doch n bisschen billig oder? So haben wir alle unseren Spaß!" "Auch wieder wahr!", gibt Anzu zu. Mit verschränkten Armen hat Kaiba neben der Tür Stellung bezogen und beobachtet das Treiben mit ernster Mine. "Er hat recht, oder?", meint nun der Geist, der neben ihm steht, "Das solltest du am besten wissen!" Kaiba sagt kein Wort. "Und warum feierst du nicht mit deinen Eltern?", fragt Honda nun Anzu, die eifrig dabei ist ihre Mitbringsel auf dem Tisch aufzustapeln und dabei bemüht ist, ihre mitgebrachten Geschenke nicht offen zu zeigen. "Mein Vater hat meine Mutter über die Feiertage auf einen Kurzurlaub eingeladen, nach Teneriffa, und ich gönne ihnen den Spaß, aber ich weiß nicht wie es euch geht, ich brauche Schnee zu Weihnachten! Wenn ich keinen Weihnachtsbaum habe, kann ich einfach nicht feiern!" Die anderen nicken zustimmend. "Wo wir grad davon reden, ich hab noch mehr Lametta mitgebracht." Behutsam packt sie den Baumschmuck aus. "Und ich hab die Kerzen besorgt!", meint Honda und beginnt in der Tasche zu kramen, "Wo hab ich denn...?" Inzwischen sammelt Yugi die Keksschachteln und die Weinflasche ein um sie in die Küche zu bringen. "Prima!", meint er, "Dann fehlen jetzt nur noch die Lichterketten fürs Fenster, die Kugeln und die Tischdekoration." "Wollte Mai die nicht mitbringen?", fragt Anzu. Yugi nickt. "Und Bakura wollte noch irgendwas für den Baum mitbringen, keine Ahnung was." "Ich dachte Mai wollte zusammen mit Otogi die Lichterketten besorgen", merkt Honda an, während er endlich die vermissten Kerzen aus den Tiefen seines Rucksackes hervorgekramt hat. "Das macht er bestimmt!", zwinkert Yugi, "Mai holt nämlich auch Shizuka ab. Da will er doch bestimmt dabei sein!" Augenblicklich fliegt Hondas Kopf herum: "Was, dieser Typ holt Shizuka ab? Dieser miese, kleine Casanova, der macht ihr doch ständig nur schöne Augen. Den würd ich keine Sekunde mit ihr allein lassen!" "Reg dich ab!", meint Anzu und beginnt damit den Baum vor dem Fenster mit Lametta zu behängen, "Außerdem ist doch Mai dabei, die passt schon auf sie auf. Ich wusste gar nicht, dass du so eifersüchtig bist!", fügt sie dann noch mit einem neckischen Zwinkern hinzu. Ruckartig hält Honda inne und errötet: "Was eifersüchtig? Ich? Auf den? Pfff, träum weiter!" Grinsend wendet Anzu sich wieder dem Baum zu und Yugi wirft seinem Freund noch einen neckischen Blick zu. "Ist es deiner Mutter eigentlich recht, wenn sie das Haus so voller fremder Leute hat an Weihnachten?", fragt Anzu noch mal, bevor Yugi aus der Tür verschwindet. Verlegen lächelt er. "Ach, das ist kein Problem. Sie meint, das sei die beste Gelegenheit mal die Leute kennen zu lernen mit denen ich mich ständig rumtreibe." In diesem Moment klingelt es an der Tür. Da Yugi gerade die Hände voll hat, läuft Anzu rasch zur Tür. Davor stehen drei Personen in dicken Wintermänteln und mit vielen Taschen und Schachteln beladen. "Shizuka, Mai, Otogi!", fröhliche Weihnachten! Kommt rein!", ruft Anzu erfreut aus. Sofort drängen sich die drei durchgefrorenen Jugendlichen ins Wohnzimmer. "Macht mal Platz!", ruft Otogi, der einen ganzen Stapel Päckchen vor sich balanciert. Eifrig wird der Tisch freigeräumt. "Du liebe Zeit!", staunt Anzu, "Was habt ihr denn da alles besorgt?" Verschmitzt zwinkert Mai ihr zu: "Das ist ne Überraschung! Das wird noch nicht verraten!" Mit diesen Worten schält sie sich aus ihrem eleganten Pelzmantel. Darunter trägt sie zum allgemeinen Erstaunen ein heißes Weihnachtsoutfit mit roten, pelzbesetzten Hotpants und einem ebenso knallroten Mieder und kurzem Jäckchen; auch diese mit weißem Plüsch umrandet. Ihre Füße stecken in hochhackigen, dunkelroten Lederstiefeln und um den Hals trägt sie eine schlichte Perlenkette. "Wow!", entfährt es Honda und Otogi wie aus einem Munde. Mai zwinkert ihnen verführerisch zu. "Gefällt es euch? Na, aber glaubt nur nicht, ich hätte mich extra für euch so in Schale geworfen." "Sicher nicht!", meint Anzu leise mit einem schelmischen Lächeln, "Aber ich glaub, ich kann mir denken für wen!" Mai, die das gehört hat, errötet ein wenig. "Da fällt mir ein", lenkt sie ab, "Wo steckt eigentlich dieser Jonouchi? Ist er noch nicht da?" "Ja, wo steckt er denn?", fragt nun auch Shizuka, während ihr Otogi galant aus dem Mantel hilft und Honda es nur eifersüchtig beobachtet. "Keine Ahnung!", antwortet Anzu, "Wir hatten doch sieben gesagt. Frag Yugi mal!" Gerade betritt dieser wieder das Wohnzimmer. "Mai! Shizuka! Hallo! Otogi, frohe Weihnachten! Prima, dass ihr schon da seid! Jetzt fehlt eigentlich nur noch Bakura." "Hey Yugi", fragt Shizuka, während sie ihren Mantel an der Garderobe aufhängt, "wo ist den Katsuya? Ist er noch nicht hier?" Yugis Mine wird etwas betrübt: "Tut mir leid, Shizuka! Er ist noch nicht da." "Aber wo steckt die alte Nervensäge denn?", fragt nun auch Ryuji Otogi und windet sich aus seinem Schal. "Er hat vorhin angerufen", berichtet Yugi, "Er sagt es täte ihm leid aber wegen der Feiertage hat er Überstunden bei seinem Job als Pizzalieferservice aufgebrummt bekommen. So wie es aussieht haben sie sämtliche Fahrer herangepfiffen. Aus irgend einem Grund scheint alle Welt am Heiligabend Appetit auf Pizza zu haben." "Traurig genug!", bemerkt Otogi. Shizuka macht ein sehr enttäuschtes Gesicht. "Er kommt also nicht?", fragt sie bekümmert. "Er sagt, er will versuchen später noch vorbei zu kommen!", versucht Yugi das Mädchen aufzumuntern, "Vielleicht kommt er ja nachher noch irgendwann!" "Überstunden?", fragt Honda nicht weniger enttäuscht, "Das ist ja echt blöd!" "Tja, da kann man wohl nichts machen!", meint Otogi bedauernd. Shizuka schaut traurig zu Boden: "Und ich hatte mich doch schon so darauf gefreut! Ich seh Katsuya doch so selten. Ich durfte Mama ja noch nicht mal sagen, dass er heute auch hier ist. Was mach ich denn jetzt mit seinem Geschenk?" Enttäuscht blickt sie auf ein liebevoll eingepacktes Päckchen in ihrer Hand hinab. Ein wenig betreten stehen die anderen um sie herum. "Na komm schon, Shizuka-chan!", Mail legt dem betrübten Mädchen liebevoll den Arm um die Schulter, "Kopf hoch! Vielleicht kommt er ja doch noch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jonouchi auf ein Weihnachtsfest mit seiner kleinen Schwester verzichten würde. Leg dein Geschenk zu den anderen!" Ein schwaches Lächeln zieht über das Gesicht des Mädchens. Alle Umstehenden nicken ihr aufmunternd zu. Dann rafft sie sich auf und legt ihr Päckchen unter dem Tannenbaum unter dem sich bereits eine recht ansehnliche Menge an Päckchen, Tüten und Paketen angesammelt hat. "Hast du gewusst, dass Jonouchi eine Schwester hat?", fragt der Geist nun wieder Seto Kaiba der noch immer mit verschränkten Armen dasteht und das Ganze schweigend beobachtet. "Klar wusste ich das!", antwortet er. "Und wusstest du auch, dass ihre Eltern getrennt leben?", bohrt der Geist weiter. "Warum hätte mich das je interessieren sollen?", fragt Kaiba zurück. "Ich weiß ja, dass du Jonouchi nie sonderlich leiden konntest, aber trotz allem hängt seine kleine Schwester mindestens so sehr an ihm wie dein Bruder an dir. Ob du willst oder nicht, ihr beide habt ne Menge gemeinsam." Kaiba lacht auf: "Also wirklich! Es gibt niemanden mit dem ich weniger gemeinsam hätte! Ich bin Firmenchef, er arbeitet beim Pizzabringdienst! Ich habe mehrere Klassen übersprungen, er hat den IQ einer Reiswaffel! Ich bin ein Spitzenduellant und er fällt unter ,ferner liefen'! Ich bin der Herr, er ist der Hund! Ich bin der Mann, er die Maus! Ich hab es zu was gebracht und er wird ewig ein Versager bleiben, egal was er anstellt. Das Einzige was wir höchstens gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass uns die Arbeit am Heiligabend von unserer Familie fernhält." "Wirklich charmant wie du dich ausdrückst, Kaiba!", meint der Geist und schaut ihn mit einem schiefen Seitenblick an, "Aber weißt du was? Hör bitte auf, solchen Unsinn zu reden! Es ist doch gar nicht die Arbeit die dich fernhält." Kaiba schweigt. Ohne eine Mine zu verziehen, beobachtet er wie die Gruppe junger Leute ihre restlichen Weihnachtsdekorationen anbringt, Plätzchen und andere Naschereinen auf Tellern verteilt und die Kerzen am Tannenbaum anzündet. Jeder hat irgendwas zu tun. Der ganze Trubel ist mit munterem Lachen, eifrigem Geplapper und kleinen, gegenseitigen Neckereinen verbunden. Alle scheinen guter Dinge zu sein. Nur hin und wieder wandert so mancher verstohlene Blick hinüber zur Wohnzimmeruhr. Doch das von allen still erhoffte Türklingeln bleibt aus. Am meisten belastet das jedoch Shizuka. Immer wieder schaut sie zur Uhr und mit jeder weiteren Minute die verstreicht, sinken ihre Mundwinkel immer mehr herab. Doch immer wieder findet irgendjemand der Anwesenden ein liebes Wort um sie aufzumuntern, so zwingt sie sich ein Lächeln ab und hilft fleißig bei den letzten Vorbereitungen. Aus einem für ihn unerfindlichen Grund ist aber gerade sie es, die Kaiba die meiste Zeit über beobachtet. Kann es sein, dass sie ihn trotz allem doch ein bisschen an Mokuba erinnert? Was mag er wohl gerade machen? Ob er zuhause alleine feiert? Eigentlich war es nicht in Ordnung von ihm, ihn vorhin so anzuschnauzen. Er nimmt sich vor, das bei Gelegenheit wieder gut zu machen. Dann schließlich meint er: "Müssen wir uns das hier noch lange antun? Ich glaube wir hatten für heute Abend wirklich genug Kitsch." Der kleine Yugi neben ihm tritt ein paar Schritte in die Mitte des Raumes. Dann wendet er sich zu Kaiba um: "Ich kann hier keinen Kitsch entdecken, Kaiba! Alles was diese Menschen machen, geschieht aus Liebe und aus reiner Freude am Schönen. Sie sind Freunde und wollen einfach schön zusammen feiern. Jeder nimmt Rücksicht auf jeden und sogar die, die nicht da sind, werden nicht vergessen. Was mehr könnte den Geist von Weihnachten ausmachen?" "Wo wir gerade davon sprechen", merkt Kaiba sarkastisch an, "Müsste jetzt nicht eigentlich die Stelle kommen, wo jemand etwas Abfälliges über mich sagt, damit Yugi oder irgendwer sonst mich leidenschaftlich verteidigen kann?" Fast als wäre das das Stichwort gewesen, wendet sich nun Honda an Yugi der gerade die letzten Servietten faltet: "Wenn Bakura auch noch kommt, haben wir gerade mal so Platz für alle. Und du wolltest allen Ernstes auch noch Kaiba einladen." Er schüttelt nur den Kopf. Yugi errötet leicht. "Hat er gemacht!", antwortet Anzu an seiner statt, während sie gerade eine dampfende Schüssel hereinbringt. "Was echt? Das ist nicht dein Ernst!", reißt Honda die Augen auf, "Bist du noch zu retten, diesen reichen Schnösel?" Kaiba grinst hämisch: "Wie unglaublich berechenbar!" Schweigend zündet Yugi die Kerzen an. "Ich versteh das nicht!", wendet sich Honda an seinen Freund, "Warum gerade den? Der ist doch der absolute Stimmungskiller!" "Wahrscheinlich hat der in seinem ganzen Leben noch nie Weihnachten gefeiert", mischt sich nun auch Otogi ein, "Mal ehrlich, könnt ihr euch diesen Eisschrank auf einer Weihnachtsfeier vorstellen?" Yugi schweigt weiter aber er sieht nicht sehr glücklich drein. "Hehe, Kaiba mit Weihnachtsmütze und Rute!", lässt Honda seiner Fantasie freien Lauf. "Na, die Rute passt jedenfalls zu ihm!", spinnt Otogi die Idee weiter. "Ach, hört schon auf damit", ruft Anzu die beiden zur Ordnung, "Yugi wird sich schon was dabei gedacht haben. Oder Yugi?" "Na ja", meint Yugi leise, "Ich hätte ihn einfach gern dabei gehabt." Seine Freunde heben erstaunt die Brauen. "Echt jetzt?", fragt Honda, "Aber wieso denn?" "Na ja...", zögert Yugi, "Weil ich dieses Jahr eben... mit all meinen Freunden feiern wollte." Unwillkürlich weiten Kaibas Augen sich. Hat er richtig gehört? Honda seufzt: "Verstehe! Aber glaubst du wirklich du tust ihm einen Gefallen wenn du ihn mit hierher schleppst. Er kann dich doch nicht mal leiden, da will er doch bestimmt auch nicht mit dir Weihnachten feiern." "Er kommt sowieso nicht", meint Yugi betrübt, "Ich war vorhin bei ihm, "Er sagte, er hätte keine Zeit." "Na, dann ist es doch wohl klar!", meint Mai nun, "Bestimmt möchte er lieber mit seinem Bruder feiern. Das kann ich schon verstehen." "Ich hab ihm gesagt, er kann Mokuba gerne mitbringen", erwidert Yugi, "Aber wisst ihr, ich mache mir einfach Sorgen, dass er überhaupt nicht zum Feiern kommt. Vielleicht kann ich mir Kaiba nur schwer auf einer Weihnachtsfeier vorstellen, aber einen Kaiba der am Heiligabend bis spät in die Nacht alleine in seinem Büro sitzt, ohne Freunde, ohne Familie, ohne das kleinste bisschen Festlichkeit..., das will ich mir einfach nicht vorstellen!" Betretenes Schweigen ist die Folge. Der Geist wirft einen abschätzenden Blick auf den hochgewachsenen, jungen Mann der ein Stück entfernt schweigend dasteht und nachdenklich zu Boden schaut. Kaiba schluckt leicht. "Er kann dich wirklich leiden, Kaiba", sagt er nun, "Und er kann auch viel weiter sehen als du. Nun gib dir schon einen Ruck! Einmal mehr hat er dir die Hand ausgestreckt; nun nimm sie schon! Fahr zu dieser Weihnachtsfeier! Schluck deinen dummen Stolz doch mal herunter und gib zu, dass du auch ab und zu mal etwas Schönes gebrauchen kannst. Im Grunde würdest du doch einiges dafür geben, endlich mal wieder ein richtiges Weihnachtsfest zu feiern. Das ist deine Chance, nutze sie!" Nun schaut Kaiba auf. "Das ich nicht lache! Das ist es doch eigentlich, was ihr von mir wollt, oder? Ich soll zu dieser blöden Feier fahren. Euch scheint ja echt viel daran gelegen zu sein, soviel Aufwand wie ihr deswegen betreibt. Aber ich sag euch was, manipulieren lass ich mich von niemandem! Nur weil ihr mir diese nette Idylle vorgaukelt, tu ich noch lange nicht, was ihr von mir wollt! Keine Chance!" In diesem Moment erscheint Yugis Mutter mit einem riesigen Truthahn in der Wohnzimmertür. "So, das Essen ist fertig! Setzt euch und dann will ich endlich wissen wer das hier alles ist, der ständig durch meine Küche saust und mir meine Kroketten klaut!" Dabei wirft sie einen gespielt ernsten Blick auf Honda und Otogi. Die beiden Jungen erröten verlegen. "Meine Güte!", staunt Frau Muto, "Ist ja wirklich ne große Runde geworden. Und ihr seid alles Freunde von meinem Sohn?" Verlegen lächeln nun auch die anderen. "Eigentlich fehlen jetzt nur noch Bakura, Jonouchi und Großvater und dann sind wir komplett", meint Yugi nun. Mai setzt sich auf: "Und wir sollten noch zwei Stühle in Reserve halten. Möglicherweise kommen noch zwei!" "Das glaub ich nicht", meint Yugi betrübt, "Er hat die Karte zerrissen!" "Och nee!", stößt Anzu aus, "Echt? Dabei hab ich mir solche Mühe gegeben sie auszusuchen." "Wir sollten trotzdem nicht die Hoffnung aufgeben", stellt Mai klar, "Man weiß ja nie was in ihm vorgeht. Vielleicht kommt er doch noch." "Na, ob es dann auch für alle reicht?", gibt Yugis Mutter zu bedenken. "Also sicher nicht, so wie Honda gerade zu den Kroketten und den Klößen rüberschielt!", bemerkt Anzu spitz, aber man merkt, dass sie es nicht ernst meint. Während sich Honda noch über diese Bemerkung empört, wendet sich der kleine Weihnachtsgeist wieder an Kaiba. "Was ist dein Problem, Kaiba? Erträgst du Freundlichkeit nicht? Normalerweise redet man hinter seinem Rücken nur schlecht über andere, aber dies sind aufrichtige Freunde. Wenn du dich zu einem Besuch herablassen würdest, kämst du sogar in den Genuss davon. Was kann dir denn schlimmstenfalls passieren? Dass sie deine menschliche Seite in dir entdecken? Glaub mir, sie kennen sie bereits, sonst würden sie nicht so über dich reden, oder sich wünschen, dass du mit ihnen feierst." Ohne eine Mine zu verziehen erwidert Kaiba seinen Blick. "Für wie blöd hältst du mich eigentlich?", fragt er dann abfällig, "Das ist doch alles inszeniert. Keine Ahnung warum sie so scharf darauf sind, dass ich hinkomme, aber die haben doch genau das programmiert was ich hören sollte, um es mir anders zu überlegen. Und ich sag es noch mal: Niemand bringt es jemals fertig, mich etwas gegen meinen Willen tun zu lassen." Nun tritt der Geist wieder einen Schritt auf Kaiba zu und schaut ihn fest an. Das seltsame violett seiner Augen scheint einen goldenen Schimmer bekommen zu haben. "Du glaubst es noch immer nicht!", stellt er ernst fest, "Wie lange willst du dich eigentlich noch weigern das Offensichtliche zu erkennen?" "Nicht, solange du mich nicht vom Gegenteil überzeigen kannst", meint Kaiba mit verschränkten Armen, "Solang du mir keine halbwegs brauchbaren Beweise lieferst, glaub ich dir kein einziges Wort." Urplötzlich verliert das Gesicht des Geistes auch noch den letzten Rest des sanften Lächelns, das bisher immer um seine Lippen gespielt hat. Einen langen Augenblick schaut er Kaiba an, dann sagt er ernst: "Du hast es so gewollt, Kaiba. Wenn du es wirklich so haben willst?" Mit diesen Worten umschließt er einmal mehr sein Millenniumspuzzle mit der Hand und das goldene Licht hüllt alles ein. Kapitel 5: Die Erkenntnis ------------------------- Nachdem die Konturen der Umgebung wieder zu sehen sind, schaut Kaiba sich um. Sie befinden sich in einer verschneiten Straße mit vielen, heruntergekommenen Mehrfamilienbungalows. "Und wo sind wir jetzt?", fragt Kaiba verächtlich, "Ach, lass mich raten! Jetzt kommt die Szene mit dem hart schuftenden Jonouchi der selbst an diesem kalten Weihnachtsabend, emsig seinen Pizzadienst versieht", seine Stimme trieft vor Ironie, "Und wir dürfen bestaunen wie es ihm trotzdem noch gelingt sich irgendwie ein schönes Fest zu bereiten. Und wahrscheinlich kreuzt er zum Happyend doch noch bei den anderen Nervensägen auf." Doch die Gestalt des yugi-ähnlichen Weihnachtsgeistes steht nur mit verschränkten Armen da und mustert ihn abschätzend. Seto Kaiba stutzt. Kommt es ihm nur so vor oder ist Yugi gewachsen? Diesen Eindruck hatte er früher schon manchmal gehabt aber irgendwie tritt es heute deutlicher hervor. Der schlanke, junge Mann mit der ungewöhnlichen Frisur und den hypnotischen, violetten Augen wirft ihm einen beunruhigend durchdringenden Blick zu. "Spar dir deinen Sarkasmus, Kaiba!", meint er ernst, "Er ist völlig unangebracht!" Unwillkürlich verstummt Kaiba. Dann meint er: "Schon gut! Bringen wir's hinter uns. Wo soll's denn hingehen?" "Hier entlang!", meint Yugi und winkt ihm, ihm zu folgen. Missmutig trottet Kaiba ihm hinterher. Vor einem Haus mit einer vereisten Treppe und Metallgeländern bleibt er kurz stehen. "Willst du wissen, wer hier wohnt?", fragt er. "Du wirst es mir sicher gleich sagen", gibt Kaiba zurück. "Sieh selbst!", meint Yugi und steigt die Stufen hoch. Wieder folgt Kaiba ihm und irgendwie hat er langsam das Gefühl, dass er diese ganze Angelegenheit gehörig leid ist. Wenn jetzt nicht endlich bald Schluss ist damit...! Lautlos dringt Yugi durch die Haustür und lautlos folgt Kaiba ihm. Sie stehen in einem kleinen, dunklen Flur durch die linke Tür kann man ins Wohnzimmer spähen. Es brennt kein Licht, nur der Fernseher flackert gespenstisch vor sich hin. In dem großen Sessel davor scheint jemand zu sitzen. Kaiba zieht die Nase kraus. "Oh man, ist ja nicht zum Aushalten hier drinnen! Wird hier jemals gelüftet? Hier riecht es wie in einer Kneipe." "Ich staune, dass du weißt wie es in einer Kneipe riecht, Kaiba", kommt es unbeeindruckt von dem Geist der ohne sich umzudrehen den Flur entlanggeht. Schließlich bleibt er vor einer Tür auf der rechten Seite stehen und verschränkt die Arme während er mit schweigsamer Mine hineinschaut. Kaiba schließt zu ihm auf und folgt seinem Blick. Es ist eine kleine Küche mit einer kleinen Esszeile, ein paar Küchenschränken und einer ziemlich antiken Mikrowelle. In der Mitte steht ein ziemlich schmuddeliger und abgewetzter Küchentisch mit zwei Stühlen und auf einem der Stühle entdeckt Kaiba eine bekannte Person. Es ist Jonouchi der im spärlichen Licht der Deckenlampe hochkonzentriert mit einer Schere, einer Rolle Garn und einer großen Papiertüte voller Pommes beschäftigt ist. Kaiba stellt fest, dass ihn das doch ein wenig überrascht. Hiermit hat er nun doch nicht gerechnet. Was hat das hier zu bedeuten? "Das ist Jonouchi!", stellt er fest. "Ganz recht!", bestätigt der Geist, ohne den Blick von dem blonden, jungen Mann zu wenden, "Das hier ist sein Zuhause." Kaiba schüttelt ein wenig ungläubig den Kopf: "Aber was um alles in der Welt macht er da?" "Sieht man das nicht", kommt die ruhige Antwort, "Er bastelt Weihnachtssterne!" "Aus... Pommes!?", stellt Kaiba trocken fest, "Ich wusste schon immer, dass der Knabe n Schatten hat!" Kopfschüttelnd beobacht er wie Jonouchi in mühsamer Fummelarbeit immer je zwei Pommes überkreuz zusammenbindet und auf einem Extrateller ablegt. Er scheint so tief in seine Arbeit versunken, dass er alles um sich her vergessen hat. Kaiba kann es noch immer nicht glauben. "Was soll der Schwachsinn?", fragt er. "Das ist Katsuyas Vorstellung von einer weihnachtlichen Atmosphäre, Kaiba", sagt Yugi leise, "Nicht alle Menschen sind so gut betucht wie du, oder wie Yugi und seine Freunde. "Alles was er sich als Weihnachtsessen leisten kann ist eine Tüte Pommes und ein halbes Hähnchen. Nicht sehr weihnachtlich oder? Also bemüht er sich, es etwas festlicher zu gestalten. Es ist gar nicht so leicht die Dinger so zusammenzubinden, du solltest es mal ausprobieren. Du kannst also sehen, wie ernst es ihm damit ist." "So ein hirnrissiger Unsinn!", meint Kaiba abfällig, "Wenn es ihm so wichtig ist, soll er halt zu Yugi und den anderen gehen. Die warten doch eh auf ihn. Wozu der Unsinn mit den Pommes und warum behauptet er überhaupt, er müsse Überstunden machen?" Diesmal ist es Yugi der verächtlich ausschnaubt: "Was glaubst du wohl?" Gerade erhebt sich Jonouchi und reckt sich. "Fertig!", pustet er leise aus. Hastig angelt er sich eine Platte aus einem Schrank und schüttelt das Grillhähnchen aus der Tüte darauf. Dann stellt er sie neben die Mikrowelle. Die Sternpommes stellt er daneben zusammen mit einer Flasche Ketchup auf die mit schwarzem Edding ein paar Sterne, Glocken und Stechpalmzweige aufgemalt sind. Dann huscht er rasch aus der Küche, vorbei an Kaiba und Yugi und verschwindet für einen kurzen Moment auf leisen Sohlen in einem anderen Zimmer. Als er wieder zum Vorschein kommt, hält er hinter seinem Rücken ein kleines, dünnes Päckchen. Leise schleicht er nun durch den Flur zur Garderobe und schnappt sich seine Jacke. Hastig wirft er sich die Jacke über und strebt auf die Haustür zu. "Ich geh noch mal kurz weg!", ruft er nun laut, "Hab noch was vergessen!" Schon will er nach der Türklinke greifen, als ihn eine ärgerliche, unangenehme Stimme zusammenfahren lässt: "Was glaubst du, wo du schon wieder hinwillst?" Nur wenige Momente später taucht in der Wohnzimmertür ein rundes, puterrotes Gesicht auf. Es gehört zu einem ziemlich fetten Mann in schmutzigen Jogginghosen und einem fleckigen, nach Schweiß müffelnden Unterhemd, das mehr von dem gewaltigen Bierbauch darunter preisgibt als verdeckt. Auf dem Kopf macht sich eine mächtige Halbglatze breit und lediglich ein dünner Kranz aus dunklen Haaren streckt sich von einem Ohr zum anderen. Die dunklen Augenbrauen sind buschig und um die dicke Boxernase liegt ein rötlicher Schimmer. Mit ziemlich verärgertem Gesichtsausdruck mustert er den blonden, jungen Mann vor sich. "Ständig treibst du dich irgendwo rum", beschwert er sich, "Heute ist Weihnachten, da wirst du gefälligst mal zu hause bleiben!" Jonouchi senkt den Blick. So unauffällig wie möglich schiebt er sein kleines Päckchen in die Hosentasche. "Überhaupt!", meckert er Mann weiter, "Was is eigentlich mit dem Weihnachtsessen?" "Steht in der Küche!", gibt Jonouchi leise Antwort. Noch immer meidet er den Blick seines Vaters. Schwerfällig schlurft der Mann nun an ihm vorbei in Richtung Küche; in der einen Hand hält er lose eine fast leere Schnapsflasche. Unsicher folgt Jonouchi ihm. Missmutig schlurft der Mann zu der Anrichte hinüber. Dann hat er die Pommes entdeckt. "Was issen das für'n Scheiß?", patzt er ungehalten hervor und hält einen der Pommes hoch, "Nennst du so was Weihnachtsessen?", seine Stimme wird laut. Ein wenig kleinlaut ist Jonouchi zu ihm in die Küche getreten. "Mehr als Hähnchen mit Pommes war eben nicht drin!", murmelt er entschuldigend. Wütend fährt sein Vater herum: "Was? Jetzt bin ich wohl Schuld daran, dass wir nicht mehr Geld haben, wie?" Mit einem Abflug von Jähzorn holt er aus und schleudert die Schnapsflasche in Jonouchis Richtung. Direkt neben ihm an der Wand trifft sie auf und zerspringt in unzählige Splitter. Es ist zufällig genau die Stelle an der Seto Kaiba gerade steht, doch die Splitter machen ihm nichts weiter aus. Jonouchi jedoch dreht nur leicht den Kopf weg, als hätte er geahnt, dass ihn das Geschoss verfehlt. Ein Glassplitter streifen dennoch seine Wange und hinterläst eine dünne, rote Linie. Ohne mit der Wimper zu zucken nimmt er die Schimpfkanone seines Vaters hin, die jetzt über ihn hereinbricht, aber irgendwie liegt eine tiefe Hoffnungslosigkeit in seinen Augen. "Glaubst du vielleicht es ist heutzutage so einfach, Arbeit zu finden? Also pass gefälligst auf was du sagst, du kleiner Pisser!", schreit der grobe Kerl und steht dabei nun ziemlich dicht vor seinem Sohn. Ärgerlich packt er ihn am Kragen und hält ihn fest. Trotzig erwidert Jonouchi nun seinen Blick. "Schon gut, reg dich nicht auf!", meint er ruhig. Doch das versetzt den kräftigen Mann nur einmal mehr in Rage. "Was?", schreit er aus, "Werd bloß nicht frech!", und mit einem kräftigen Schwinger seiner Faust verpasst er seinem Sohn einen heftigen Schlag ins Gesicht. Aufstöhnend knicken Jonouchis Knie ein und er findet sich auf dem Boden wieder. Schmerzerfüllt hält er sich das Gesicht und den nächsten Schlag der ihn am Kopf trifft, kann er nur geringfügig abwehren. Schließlich scheint sein Vater ein Einsehen zu haben. Ärgerlich schnaufend steht er über seinem am Boden kauernden Sohn. "Du bist erbärmlich, Katsuya!", spuckt er aus, "Du bist eine echte Memme, ein kompletter Versager!" Jonouchi starrt zu Boden. Sein Gesicht ist von seinen zerzausten Ponyfransen verdeckt, aber er ballt krampfhaft die Fäuste und er zittert leicht. "Aus dir wird niemals etwas Vernünftiges werden, egal was du versuchst!", grollt der Mann verächtlich, "Du bist und bleibst ein Versager! Wer sonst würde sich so einen Scheiß mit Pommes ausdenken? Wer soll die denn jetzt noch essen, nachdem du alle angegrabbelt hast?" "Ich... hab mir die Hände gewaschen!", kommt es leise aber fest von Jonouchi. "Drauf geschissen!", wettert sein Vater los und dann ergreift die Platte mit dem halben Hähnchen und dann die mit den Pommes und schleudert sie auf seinen am Boden hockenden Sohn. Das aufklatschende Hähnchen hinterlässt mehrere unschöne Fettspuren an der Wand und rutscht dann vor Jonouchi zu Boden. Er rührt sich nicht, noch immer hält er den Kopf gesenkt. Zornesrot funkelt ihn sein Vater an: "Wisch das weg! Und dann scher dich auf dein Zimmer!" Dann schlurft er aus der Küche. Doch in der Tür dreht er sich noch einmal um: "Und wehe, du verlässt heute noch einmal das Haus!" Und dann ist er verschwunden. Ganz langsam nur kommt wieder Bewegung in Jonouchi. Man kann hören wie er einmal tief durchatmet; wieder krampfen sich seine Finger zur Faust. Dann ganz langsam erhebt er sich und beginnt mit hängendem Kopf den Boden von Hähnchen und Pommes und die Wand von den Fettflecken zu befreien. "Was für ein melodramatischer Druck auf die Tränendrüse!", meint Kaiba abfällig, "Ihr lasst euch ja echt was einfallen. Meint ihr wirklich, ich hab jetzt Mitleid mit ihm? Da wäre mir ja die Idee mit dem Pizzaausfahren noch lieber gewesen. Aber dieses Szenario ist ja nun wirklich vollkommen überzeichnet, ich bitte dich!" Dabei schaut er zu Yugi hinüber, doch der mustert ihn nur schweigend. Schließlich fragt er: "Kaiba, wie lange kennst du Jonouchi schon?" "Was hat das denn jetzt damit zu tun?" "Beantworte meine Frage!" Kaiba überlegt kurz: "Keine Ahnung. Schon ne Weile." Doch Yugi fragt weiter: "Wie gut kennst du Jonouchi? Ihr standet euch nie besonders nah, oder? Du hast es immer vermieden ihn zur Kenntnis zu nehmen und er hat dir immer wieder die Stirn geboten. Immer wieder versuchte er sich mit dir zu messen. Niemals wollte er hinter dir zurückstehen. Immer wieder hat er versucht dir zu zeigen was er wert ist, selbst du musst das bemerkt haben." "Und wenn schon!", meint Kaiba. Yugi fährt fort: "Selbst wenn du ihn einen Versager genannt hast, oder ,unfähig', oder ,Spatzenhirn', oder ,Köter'..., er hat immer wieder versucht dich vom Gegenteil zu überzeigen. Sein Stolz hat nichts anderes zugelassen." Kaiba schaut wieder zu dem schweigsamen Jungen hinüber, der gerade mit einem schmutzigen Lappen das Fett von der Wand wischt. "Worauf willst du hinaus?", fragt er ungeduldig. Yugi legt den Kopf schief; noch immer hat er die Arme verschränkt. "Kaiba... Angenommen dies hier wäre tatsächlich eine Virtuelle Projektion die sich Yugi und seine Freunde ausgedacht haben... Glaubst du allen Ernstes, dass Jonouchi diesem Szenario zugestimmt hätte. Sogar seinen Freunden hat er lieber erzählt, dass er Überstunden macht, anstatt zugeben zu müssen, dass sein Vater ihn nicht weglässt. Glaubst du wirklich, dass er wünschen würde, dass ausgerechnet du, das hier über ihn erfährst? Oder glaubst du, dass Yugi seinem Freund eine solche Demütigung zumuten würde. Glaubst du das wirklich?" Kaiba erstarrt. Seine Augen weiten sich. So hat er das Ganze bisher nun noch nicht betrachtet und sein Herz klopft plötzlich bis zum Hals. Von einem Moment auf den anderen ist ihm sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen. Aber... das kann doch gar nicht sein! Leise wiederholt Yugi: "Wie gut kennst du Jonouchi, Kaiba?" Unwillkürlich wandern Kaibas Augen zurück zu Jonouchi der noch immer mit dem Lappen beschäftig ist und wie ein Häufchen Elend auf dem Küchenboden hockt. Nein, das kann einfach nicht sein! Das kann nicht wirklich passieren! Aber Yugi hat Recht! Niemals würde Jonouchi zulassen, dass er so etwas zu sehen bekommen würde und sei es nur eine Holoprojektion! Aber das würde andererseits bedeuten..., dass das alles bisher keine Holographie war! Aber was denn sonst? Für eine Halluzination ist es zu real. Es kann doch unmöglich die Realität sein, oder? Aber das hieße ja...! Bei dem Gedanken werden Seto Kaiba die Knie weich. Eine ganze Weile bringt er einfach kein Wort heraus während er versucht, der neuen Erkenntnis in seinem Weltbild Raum zu verschaffen. "Das hier ist die Realität?", bringt er schließlich hervor. "Siehst du es endlich auch ein?", fragt der Geist ruhig, aber mit noch immer tadelndem Blick. "Das kann nicht sein!", versucht Kaiba es noch mal, "Jonouchi wäre nie so zimperlich. Dieser Typ ist doch ständig auf Ärger aus. Und seine große Klappe ist doch schon rekordverdächtig. Warum lässt er sich das dann gefallen. Warum setzt er sich nicht einfach zur Wehr?" "Sich zur Wehr setzen?", fragt der Geist erstaunt, "Aber Kaiba! Das würde bedeuten seinen eigenen Vater zu schlagen. So viel Anstand besitzt sogar Jonouchi." Kaiba zuckt leicht zusammen. "Außerdem würde es ihm mehr Ärger als Nutzen bringen", fährt Yugi fort, "Wenn er sich so verhalten würde, fänden seine Eltern mit Sicherheit Mittel und Wege, ihm die Treffen mit seiner kleinen Schwester vollständig zu unterbinden, und das will er auf keinen Fall riskieren." Schweigend schaut Kaiba wieder zu Jonouchi hinüber "Aber vielleicht ist das ja nur ein ziemlich lächerlicher Grund", setzt der Geist nun achselzuckend nach, "Vielleicht sollte er das wirklich nicht immer mit sich machen lassen. Vielleicht hattest du Recht, Kaiba, vielleicht ist er schwach, eine Memme, ein Hund, eine Maus, ein Versager! Waren das nicht deine Worte? Wahrscheinlich wird er immer so ein Versager bleiben, ganz gleich was er tut; das sagt sogar sein Vater. Offenbar habt ihr beide da mehr Durchblick als er." Kaibas Kiefer sind fest aufeinandergebissen und noch immer wirkt er ziemlich blass. Schließlich sagt er leise: "Vielleicht ist er ein Versager." Und zum ersten Mal schleicht sich eine Spur von Betroffenheit in Kaibas sonst so starre Maske der Gelassenheit. "Aber...", fährt er dann fort, "...das hat er nicht verdient!" Sein Blick will nicht von Jonouchi weichen. Yugi hat ihn dabei nicht aus den Augen gelassen. Dann macht er ein paar Schritte auf Jonouchi zu und hockt sich dann neben ihm. "Vielleicht nicht. Das hier mag dir zwar überzeichnet und melodramatisch vorkommen, Kaiba, aber die Realität ist eben kein Bilderbuch wo alles nach Plan läuft. Sie hat erschreckend harte Seiten, die man sich am liebsten nicht mal zusammenspinnen möchte. Man möchte sie am liebsten so umschreiben, dass sie stets auf ein Happyend hinauslaufen, aber so gnädig ist die Realität oft nicht. Durch die Hartherzigkeit und den Egoismus der Menschen passieren viele unschöne Dinge auf der Welt und meistens müssen gerade die darunter leiden, die am wenigsten dafür können oder etwas Besseres verdienen." Bei diesen Worten ist Kaiba sehr still geworden und er schluckt schwer. Nun legt sich wieder ein sanftes Lächeln um Yugis Lippen und er erhebt sich wieder: "Kaiba, auch dir hat man in deinem Leben viel Unrecht getan und dich um viele schöne Dinge gebracht, aber deshalb dein Herz zu verhärten und sich nicht zu gestatten, je wieder Schönes zu erleben, aus Furcht es könnte einem wieder genommen werden, ist genau so falsch! "Die Welt hat nämlich nicht nur schlimme Dinge und Enttäuschung zu bieten, sondern auch Vieles was schön ist. Besonders heute bemühen sich viele Menschen, ein kleines bisschen Licht in ihren sorgenvollen Alltag zu bringen. Und glaub mir, nicht alles davon ist nur aufgesetzt. Einige Menschen sind noch zu wirklicher Freude und Freundschaft im Stande. Sei bloß froh, dass du ein paar davon kennst!" Wieder muss Kaiba schwer schlucken. Ihm kommt es so vor, als würde ihm plötzlich irgendetwas die Luft zuschnüren. In diesem Moment steht Jonouchi auf, spült den Lappen aus und schleicht aus der Küche. Nachdenklich folgt Seto Kaiba ihm. Der junge Mann geht ins Badezimmer und betrachtet sich im Spiegelschrank über dem Waschbecken. Über sein linkes Auge zieht sich bereits ein dickes Feilchen und noch immer sind ein paar leichte Blutspuren von den Glassplittern zu sehen. "Verdammt!", murmelt er und dann wischt er sich das Gesicht mit Wasser ab. Als nächstes lässt er kaltes Wasser über einen Waschlappen laufen und dann schlurft er zurück in sein Zimmer, wobei er sich den kühlen Lappen gegen das schmerzende Auge drückt. Dort angekommen lässt er sich seufzend auf sein Bett plumpsen. Die alten Sprungfedern quietschen erbärmlich. Durch das Fenster fällt ein wenig Licht in das Zimmer. Einmal atmet Jonouchi schwer durch, dann angelt er sich einen kleinen Fotorahmen unter seiner Matratze hervor. Es zeigt seine Schwester Shizuka die ihn fröhlich anlächelt. Er schleudert den Waschlappen in eine Ecke und betrachtet schweigend das Bild. Dann streicht er sanft mit dem Finger über das Bild. "Fröhliche Weihnachten, Schwesterchen!", flüstert er, "Leider kann ich dir dein Geschenk nicht persönlich geben. Ich hoffe du feierst trotzdem schön mit Yugi und den anderen... Was... gäbe ich darum wenn... ich jetzt bei dir sein könnte!" Dann urplötzlich verziehen sich seine Mundwinkel und er vergräbt den Kopf auf den Knien während ihm die Tränen über das Gesicht laufen. "Verdammt...!", quetscht er hervor und dann lässt er seinem Kummer freien Lauf, während seine andere Hand verzweifelt das kleine, weiche Päckchen umschließen. "Es ist übrigens ein Seidenschal", bemerkt Yugi neben Kaiba, "Er hat lange darauf gespart und sein letztes Geld dafür ausgegeben. Seine kleine Schwester bedeutet ihm alles." Kaiba steht schweigend in der Tür und kann seinen Blick nicht von Jonouchi wenden. Er kann sich nicht helfen aber auf einmal kommt er sich hier wie ein ungebetener Eindringling vor, der gerade ein großes Sakrileg begangen hat indem er Zeuge dieser Ereignisse wurde. Dieses Gefühl ist ihm neu und fremd und es behagt ihm gar nicht. "Wahrscheinlich seid ihr euch doch recht unähnlich", merkt der Geist noch einmal an, "Jonouchi und du, ihr habt beide jüngere Geschwister die euch das Wichtigste auf der Welt sind und die ihr über alles liebt. Aber so sehr sich auch Jonouchi zerreißen möchte, um mit seiner Schwester zusammen zu sein, er kann es nicht weil seine Eltern getrennt leben und sich spinnefeind sind und alles tun, um den Umgang der beiden miteinander zu verhindern. "Du hingegen, hast vielleicht deine Eltern verloren, aber du kannst deinen Bruder jederzeit bei dir haben, wenn du willst. Immerhin bist du ein einflussreicher Mann und es gibt niemanden der die Vorschriften macht und doch ziehst du es vor, dich am Weihnachtsabend hinter Arbeit zu vergraben und sie als schwache Ausrede dafür zu benutzen, nicht mit deinem Bruder zusammen Weihnachten feiern zu müssen. Katsuya würde sich einen Arm ausreißen um an deiner Stelle zu sein, und sei es nur aus diesem einen einzigen Grund! Du machst dir gar keine Vorstellungen davon, was für ein glücklicher Mensch du bist, oder was du für einer sein könntest, wenn du nicht immer alles was wirklich wichtig und richtig ist, verächtlich von dir wegstoßen würdest!" Kaiba schweigt noch immer. Dann wendet er Yugi langsam den Kopf zu. Als er spricht ist seine Stimme ziemlich bitter und betrübt: "Du bist ganz schön hart, weißt du das eigentlich?" Unbeirrt erwidert der Geist seinen Blick: "Ich sage dir nur wie es ist. Ich spreche das aus, was sich nie jemand getraut hat, dir zu sagen. Ich bin nicht verantwortlich dafür, dass es so gekommen ist. Wenn du einen Schuldigen suchst, bist du bei mir falsch! Aber ich werde alles in meiner Macht stehende tun um dich aus deiner völlig deplazierten Blasiertheit aufzurütteln. Wenn du nicht einmal für Jonouchi ein wenig Mitgefühl aufbringen kannst, bist du auf dem besten Wege, genau so zu werden wie dein Stiefvater und... auch genau so zu enden!" "Alles bloß das nicht!", funkelt Kaiba bitter, "Ich werde niemals so wie dieser Dreckskerl sein! Uns trennen Welten!" "Inzwischen schon!", meint der Geist leicht sarkastisch und fährt dann aber fort, "Aber wie wenig du dich doch kennst, Kaiba. Unsere Reise ist fast vorbei, aber eine Sache habe ich noch für dich. Wollen doch mal sehen, was du nun darüber denkst." Mit einem Mal beschleicht Seto Kaiba eine ungute Ahnung. Ganz sicher wird ihm nicht gefallen was er als nächstes sehen wird. Ein enormes Unbehagen überfällt ihn plötzlich und er spürt einen unangenehmen Knoten in seiner Brust. Entschlossen fasst der Geist nach seinem Millenniumspuzzle. "Ähm... warte mal!", ruft Kaiba unsicher, "Ich glaub das ist wirklich nicht nötig. Können wir es nicht dabei belassen?" Skeptisch schaut Yugi ihn von der Seite an: "Was denn, Kaiba? Angst? Aber du doch wohl nicht!" "Ach Unsinn!", wehrt Seto Kaiba ab, doch das Herz klopft ihm bis zum Hals. Irgendwie war das alles so viel einfacher zu verkraften, als man es noch guten Gewissens für eine Holographie halten konnte. "Ich denke nur, für heute reicht es. Es wird immer später und ich muss noch arbeiten. Können wir nicht ein andermal weitermachen?" Belustigt schmunzelt der Geist. "Ein andermal? Ach Kaiba, du bist gut! Ich bin der Geist der gegenwärtigen Weihnachten, schon vergessen? Und heute ist was? Na also! Das Ganze geht heute Abend über die Bühne ob es dir passt oder nicht!" "Aber, ich denke nicht, dass ich noch mehr sehen müsste", versucht er sich erneut herauszuwinden, "Ich denke ich hab kapiert was ihr mir klar machen wolltet. Lassen wir's gut sein!" "Und was für Konsequenzen wirst du in Zukunft daraus ziehen?", fragt Yugi ihn direkt. Der junge, braunhaarige Mann weicht seinem Blick nicht aus, aber er bekommt unwillkürlich feuchte Hände und er schweigt. "Dacht ich mir!", meint Yugi ernst, "Keine Chance, Kaiba, so kommst du mir nicht davon!" Wieder fasst er nach seinem Puzzle. "Moment, Yugi!", ruft Kaiba hastig, "Sag mir wenigstens ob...", doch schon hüllt ihn erneut ein goldener Lichtschimmer ein und verschluckt jedes weitere Wort. Kapitel 6: Bröckelnde Seelenmauern ---------------------------------- Als der goldene Schimmer um ihn verblasst sieht Kaiba sich unbehaglich um. Für einen kurzen Moment entgleisen ihm die Gesichtszüge als er sich klar wird wo er sich befindet. Dies sind zweifelsfrei die Flure seines eigenen Hauses. Oh bitte nein! Die breiten, geschmackvoll eingerichteten Flure sind still und nur von den Deckenlampen beleuchtet. Vor sich sieht er den schmalen Rücken von Yugi. Ohne sich umzudrehen geht er den Gang entlang. Sehnlichst wünscht Seto Kaiba sich, ihm nicht folgen zu müssen, doch seine Beine setzen sich fast schon wie von selbst in Bewegung. Ein ungeheures Widerstreben überkommt ihn, als er sieht auf welche Tür Yugi zusteuert. Muss das wirklich sein? Schließlich hat der ernste Geist die Tür erreicht und durchschreitet sie. Kaiba bleibt stehen. Er bringt es einfach nicht fertig noch weiter zu gehen. Er will das nicht sehen. Er sieht es bereits vor seinem inneren Auge und es schnürt ihm bereits jetzt das Herz zusammen. Kurz bevor er aus seinem Sichtfeld verschwindet, schaut sich Yugi doch noch mal zu ihm um. "Komm schon, Kaiba!", meint er und dann ist er weg. Mit klopfendem Herzen betritt nun auch Seto Kaiba den Raum. Es ist das Wohnzimmer des Hauses. Dort stehen ein Fernseher und eine vornehme Sofagarnitur. Ein paar teure Schränke befinden sich dort ebenfalls und in einer der Ecken steht ein großer Tannenbaum. Er ist mit bunten Kugel, Kerzen und Lametta geschmückt und wirft seinen dezenten Glanz in den hellen Raum. Kaiba muss einmal tief durchatmen als er das sieht was er bereits erwartet hat. Auf dem Sofa sitzt sein kleiner Bruder Mokuba und blickt trübsinnig in die Mattscheibe. Irgendeine Weihnachtssendung läuft. In einer anderen Ecke des Zimmers steht ein hübsch gedeckter Esszimmertisch. Das schlichte, liebevoll arrangierte Ambiente ist für zwei Personen vorgesehen. Langsam tritt Kaiba an den Tisch heran und betrachtet die roten Servietten, die goldenen Kerzen, die Tischdekoration aus Nüssen und kleinen Plätzchen und die eleganten, weißen Porzellanteller. Dann geht sein Blick hinüber zu seinem kleinen Bruder der schweigsam vor dem Fernseher sitzt aber ganz offensichtlich nicht wirklich ein Auge für die flackernden Bilder vor sich hat. Nun tritt auch Yugi zu ihm und streift mit der Hand sachte durch das Tischarrangement hindurch. "Das hat er selber gemacht", sagt er, "Er hat sich die letzen Nächte lange Gedanken gemacht wie er es für euch beide möglichst angenehm gestalten kann." "Ach Mokuba!", murmelt Seto Kaiba leise und sein Herz wird schwer, als er seinen kleinen Bruder betrachtet. Genau so etwas hatte er bereits befürchtet, doch nun wo er es mit eigenen Augen sieht, presst ihm dieser Anblick unangenehm das Herz zusammen. "Kaiba?", reißt ihn nun Yugis Stimme aus seinen Gedanken, "Sag mal, fällt dir überhaupt nichts auf?" Doch noch ehe Kaiba dazu kommt zu antworten, geht auf einmal die Tür auf. Augenblicklich springt Mokuba von seinem Sofa auf und schaut sich aufgeregt um. Doch es ist nur ein verhalten lächelnder Roland der gerade das Zimmer betritt und das Strahlen auf Mokubas Gesicht verschwindet augenblicklich. "Was ist?", fragt er stattdessen enttäuscht, aber auch mit einer Spur von Ungeduld. "Verzeihen sie die Störung, Mokuba-sama!", beeilt sich der Mann zu sagen, "Ich wollte sie nicht erschrecken!" "Kommen sie zur Sache, Roland!", meint Mokuba ungeduldig. "Verzeihung!", meint der Mann, "Ihr Bruder hat gerade angerufen. Ich muss ihnen bedauerlicherweise mitteilen, dass er heute später kommt." Mokubas Mundwinkel sinken ins bodenlose. "Er lässt ihnen ausrichten, dass er noch mitten in der Arbeit steckt und es zu seinem größten Bedauern wohl nicht zum Abendessen schafft. Aber er will sich bemühen, so rasch fertig zu werden wie er kann. Er bittet sie, nicht auf ihn zu warten und wünscht ihnen noch fröhliche Weihnachten. Und er sagte, er würde sich wünschen, dass sie sich auch ohne ihn noch einen schönen Abend machen." "Ja, schon gut!", erwidert Mokuba hohl, "Das wäre dann alles! Danke Roland!" Ein wenig zögerlich zieht der große Mann den Kopf aus der Tür. "Wie sie wünschen, Mokuba-sama. Ich wünsche ihnen noch ein frohes Fest!" Dann schließt er leise die Tür hinter sich. Mokuba ist wieder auf dem Sofa zusammengesackt. Mit keinem Fünkchen Aufmerksamkeit widmet er sich noch dem Spielfilm der im Fernsehen läuft, stattdessen starrt er nur mit bleichem Gesicht und kummervollen Augen vor sich hin. "Fröhliche Weihnachten...", murmelt er, "Ja, von wegen!" "Er weiß es!", meint Yugi ungerührt zu Kaiba, "Er weiß ganz genau, dass nicht du es warst der ihm diese Weihnachtsgrüße ausgerichtet hat. Er weiß, dass Roland und die anderen das nur hinzugefügt haben um ihn aufzumuntern. Warum kommst du eigentlich nicht von selbst auf die Idee deinem Bruder frohe Weihnachten zu wünschen, wenn du ihm schon ausrichten lässt, dass er wieder mit sich alleine feiern kann?" Kaiba ist nicht in der Lage darauf etwas zu erwidern. Zu sehr ist er mit Schlucken beschäftigt. Es ist ihm nicht möglich den Blick von seinem kleinen Bruder zu wenden, der jetzt mit tieftraurigen Augen ins Leere starrt. Dann urplötzlich schnappt Mokuba sich die Fernbedienung und schaltet den Apparat ab. Tief atmet er ein und aus und es hat den Anschein als versuche er gerade schwer um seine Fassung zu ringen. Gedankenverloren spielt seine Hand mit einem kleinen Gegenstand den er gerade aus seiner Tasche gezogen hat. Dabei starrt er auch weiterhin ins Leere. Eine fast schon beklemmende Stille legt sich über den Raum. Nun schließen sich Mokubas Finger fest um das kleine Ding in seiner Hand und er senkt den Kopf. "Weißt du was er da in der Hand hält, Kaiba?", fragt der Geist nun. Seto Kaiba schüttelt nur schwach den Kopf. "Schau!", bekommt er die Aufforderung. Langsam tritt er näher an seinen kleinen Bruder heran. Irgendwie kann er es nicht vermeiden, dass seine Bewegungen ein wenig zittrig sind. Dann betrachtet er den kleinen Gegenstand den Mokuba da so verzweifelt umklammert und ihn trifft fast der Schlag. Das kann doch nicht sein! Er hat sie noch? Verstört schaut er sich um und auf einmal bemerkt er das, was ihm zuvor gänzlich entgangen ist. Überall an den Wänden befinden sich kleine, kunstvolle Sterne aus Glanzpapier. Auf dem Tisch vor dem kleinen Jungen befinden sich noch immer viele glänzende Schnipsel und eine Rolle Tesafilm und es steht völlig außer Frage, was der Kleine bisher hier gemacht hat. Oh bitte nein! Sprachlos nimmt Kaiba die sternverzierten Wände in Augenschein, nicht jedoch ohne immer wieder zu seinem Bruder hinüber zu schauen. Mit jedem weiteren Stern wird Seto Kaibas Mine betrübter. Doch da mischt sich wieder Yugis Stimme ein: "Ja, die hat er alle selber gemacht. Er hat den ganzen Abend damit zugebracht aus Glanzpapier diese Sterne auszuschneiden. Er hat euer fröhliches Zusammensein mit euren Eltern nicht vergessen und nun hat er gehofft, dass auch du dich dadurch wieder daran erinnern würdest. Aber du bist ja nicht gekommen. Seine Sterne sind noch immer nicht so gut wie deine, aber er hat sein ganzes Können dafür aufgebracht." Erschüttert steht der sonst so stolze junge Firmenchef da. Mit bestürztem Blick betrachtet er seinen Bruder. "Ich wusste gar nicht, dass er sie noch immer hat", sagt er leise. "Ja!", Yugi tritt zu ihm, "Wie du siehst hat er sie noch. Das ist dieselbe Kinderschere die du ihm damals an diesem letzten gemeinsamen Weihnachten mit euren Eltern geschenkt hast." "Er konnte doch mit der großen Schere nicht richtig umgehen", meint Seto Kaiba leise, "Darum hab ich ihm eine geschenkt mit der seine kleinen Finger besser zurecht kommen. Damit er dann besser mit uns zusammen die Sterne ausschneiden konnte." "Mokuba hat sich unglaublich darüber gefreut, nicht wahr?", fragt der Geist, "Er hat schon damals gespürt was für eine große Liebe, Rücksicht und Wohlwollen in diesem Geschenk gesteckt hat. Und er hat sie all die Jahre aufgehoben. Es war ein Geschenk ohne Hintergedanken. Es hatte nur den einen Zweck: Mit den Menschen, die dir etwas bedeuten ein schönes Weihnachtsfest zu feiern. Und Mokuba hat das verstanden. Alles was er wollte, war mit dir gemeinsam feiern, aber du hast ja offenbar Besseres zu tun, als ob deine Firma nicht auch mal einen einzigen Tag ohne dich bestehen könnte. Immerhin bist du es doch, der dir die Arbeitszeiten einteilt, oder?" Aufrichtige Bekümmertheit steht dem schlanken, jungen Mann nun ins Gesicht geschrieben. Er wirkt ungewöhnlich blass und das Atmen fällt ihm nicht leicht. Noch immer ist sein Blick unverwandt auf Mokuba gerichtet, der weiterhin den Kopf gesenkt hat und seine Finger fast krampfhaft um die kleine, blaue Kinderschere klammert die er vor vielen Jahren von seinem Bruder geschenkt bekommen hat, als die Welt für ihn noch in Ordnung war. Inzwischen ist sie fast schon zu klein für ihn, aber noch immer hält er sie in Ehren. Lautlos tritt Seto Kaiba an ihn heran. Betroffen hockt er sich neben ihm nieder. "Tut mir leid, Mokuba!", meint er leise, "Ich wollte dich nicht verletzen. Ich hab das doch nicht wissen können." Warmes Mitgefühl liegt nun in Setos Blick, als er sanft seine Hand hebt und seinem kleinen Bruder bedauernd über die Wange streichen will. Doch seine Hand dringt einfach durch das kleine Häufchen Elend hindurch. In diesem Augenblick bemerkt Seto etwas in Mokubas Gesicht, das ihn augenblicklich wie vom Blitz getroffen zusammenzucken lässt und das inzwischen recht wackelige Schutzhäuschen seiner Seele wie ein Orkan endgültig wegfegt. Tränen! Mokuba weint. Oh nein! Oh bitte, bitte nein! In diesem Augenblick kommt es Kaiba vor als würde man ihm das Herz herausreißen. Warum? Warum denn bloß? Die Tränen seines kleinen Bruders haben ihn schon immer aus der Fassung gebracht. Aber nun ist er sich mehr als klar, diesmal ist er dafür verantwortlich und diese Erkenntnis setzt ihm mehr zu als alles bisherige. "Oh bitte, Mokuba, nicht weinen!", flüstert er leicht verzweifelt und einmal mehr verwünscht er aus tiefsten Herzen die Tatsache, dass er nicht in der Lage ist seinen Bruder zu berühren. Oh bitte hör auf! "Das er weint ist ganz allein deine Schuld!", kommt die unbarmherzige Stimme des Geistes, "Du sagtest mal: wer immer Mokuba zum Weinen bringt, würde das hinterher sehr bereuen! Nun, wie sieht es jetzt damit aus, Kaiba. Sind die großen Sprüche verschwunden? Oder siehst du es endlich ein, dass du so nicht weitermachen kannst?" Setos Kopf wendet sich ihm zu. Zum ersten Mal ist in seinem ebenmäßigen Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den sonst so kritischen, blauen Augen, ein echt gequälter Ausdruck zu sehen. Der junge Mann ist bleich und er zittert leicht. "Macht dir das Spaß, so was zu sagen?", stößt er hervor. Doch der Geist hebt nur die Brauen: "Seltsam, sonst bist doch du derjenige der nicht um eine gefühlskalte Äußerung verlegen ist. Außerdem bin es nicht ich, der für die Tränen deines Bruders verantwortlich ist. Das hast du selbst zu verantworten. Aber sei ehrlich, kümmert dich das wirklich so sehr? Bisher war es dir doch offenbar egal." "Wie kannst du so was sagen?", ruft Seto aufgebracht aus, "Das war mir noch nie egal! Es ist bloß...", er bricht ab und schaut zu Boden. Kritisch mustert ihn der Geist: "Was denn, Kaiba? Regt sich da auf einmal das schlechte Gewissen? Bist du überrascht, dass du eins hast? Sind dir die Ausreden für dein Verhalten ausgegangen oder suchst du gerade wieder krampfhaft einen Weg dich wieder mal überlegen aus der Affäre zu ziehen?" Bitter hebt Seto Kaiba den Kopf: "Du bist grausam!" Doch Yugi schüttelt nur leicht den Kopf. "Ich bin nicht grausam, Kaiba. Ich bin ehrlich. Und du bist jemand der mit der Wahrheit nur schwer umgehen kann. Aber du hast mein Mitgefühl, wirklich! Denn unsere gemeinsame Reise geht hier nun zuende und da ich bei dir noch Hoffnung erkennen kann, überlasse ich dich nur ungern meinem Nachfolger. Denn er kann bedeutend grausamer sein, als ich." "Was soll das heißen?", fragt Seto Kaiba kritisch, doch ein Hauch von Furcht schwingt in seiner Stimme mit. "Ich werde dich jetzt verlassen und übergebe dich an den Geist der zukünftigen Weihnachten. Und Kaiba..., muss ich dich daran erinnern, dass dies hier keine Halluzination und keine Virtuelle Realität ist?" Seto Kaiba weiß nicht was er darauf erwidern soll. Irgendwie ist er unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. In ihm dreht sich alles. Sein ganzes Weltbild wurde komplett auf den Kopf gestellt und hinzu kommt noch der nagende Schmerz in seinem Inneren, der von vielen länger und kürzer vergangenen Ereignissen herrührt, für die er verantwortlich war und auf die er mit einem Mal überhaupt nicht mehr stolz ist. Außerdem beschleicht ihn nun eine kalte Furcht. Wenn das alles wirklich passiert ist, was mag dann vielleicht jetzt noch kommen? Er hat nie geglaubt, dass man in die Zukunft sehen könnte, aber nach dem was er heute Abend erlebt hat, würde ihn selbst das nicht mehr erstaunen. Und im gleichen Maße wie er sich dessen gewahr wird, nimmt auch seine Beklommenheit zu. Was ihm seine Zukunft wohl bringt? Doch sobald er diesen Gedanken auch nur denkt, bildet sich ein schmerzlicher Knoten in seiner Brust und er ist sich sicher, er will es gar nicht wissen! Der Geist der zukünftigen Weihnachten! Yugi sagte er wäre grausam. Was bedeutet grausam? Und zum ersten Mal seit langem, beginnt Seto Kaiba die Angst zu packen. "Nun denn, Kaiba!", nickt der Geist ihm zu, "Es wird Zeit. Hier trennen sich unsere Wege und denk daran: Es ist nicht schlimm etwas Wichtiges zu tun zu haben, es kommt nur darauf an, was man als wichtig bezeichnet! Leb wohl!" Mit diesen Worten greift die schlanke Gestalt vor ihm nach dem Millenniumspuzzle und nur wenige Augenblicke später ist er in ein goldenes Licht gehüllt. "Hey, Yugi, warte!", ruft Seto Kaiba hastig, "Was soll das? Willst du mich hier lassen?" Doch der junge Mann mit er hohen Frisur wirft ihm nur einen unergründlichen Blick zu und seine violettschimmernden Augen sind das letzte was Kaiba erkennen kann. Dann verflüchtigt sich das goldene Licht und Seto Kaiba steht mit seinem Bruder alleine in dem stillen Wohnzimmer. Setos Herz rast. Das kann doch nicht sein! Er hat ihn hier gelassen. Ausgerechnet hier! Wie soll er jetzt wieder zurückkommen? Was soll jetzt geschehen? Was hat das zu bedeuten? Schmerzlich wird ihm bewusst wie sehr es ihn verunsichert, keinen Plan parat zu haben. Unschlüssig wendet er sich wieder zu Mokuba um. Gerade wischt sich der Kleine die Tränen vom Gesicht ab. Sein Bruder steht direkt neben ihm und schaut schuldbewusst auf ihn hinab. Dann auf einmal muss er sehen wie Mokuba plötzlich bitter den Kopf schüttelt und vom Sofa aufsteht. Noch ehe Seto reagieren kann, ist der Junge auch schon direkt durch ihn hindurchgelaufen. "Es tut mir leid, Mokuba!", wiederholt er ungehört, "Ich hätte auf dich hören sollen." Doch plötzlich weiten sich Setos Augen erschrocken. Mokuba ist zum Papierkorb hinübergelaufen. Noch einmal krampfen sich seine Finger um die Schere in seiner Hand und dann mit einem wütenden und schwer enttäuschten Schnauben schleudert er das Werkzeug in den Mülleimer. "Fröhliche Weihnachten...!", murmelt er bitter. Fassungslos starrt Seto zu ihm hinüber. "Nein, Mokuba, tu das nicht!", ruft er hastig, doch der Junge hört ihn nicht. Rasch läuft Seto zu ihm hinüber. "Es tut mir leid!", stößt er hervor, "Ich wusste nicht, dass du die Schere noch immer hast. Ich konnte doch nicht wissen wie viel dir das bedeutet!" Doch nun geht Mokuba entschlossen zum festlich gedeckten Tisch hinüber; in der einen Hand den Papierkorb. Setos Augen weiten sich vor Schrecken. Er wird doch wohl nicht...! "Komm schon, Mokuba, du hast dir doch so viel Mühe damit gemacht", versucht Seto es noch mal. Doch unbarmherzig und mit gesenktem Blick beginnt Mokuba damit, die Servietten und die restliche Tischdekoration in den Papierkorb zu befördern. Jeder weitere Griff gibt Seto Kaiba einen weiteren Stich ins Herz. Er fühlt sich elend und unglaublich schuldig. "Tu das nicht, Mokuba, ich bitte dich!", fleht er erneut. Doch es gibt nichts was er dagegen tun kann, seine Finger gleiten durch den Arm seines Bruders hindurch als wäre es Luft. So muss er nur mit verzweifelter Mine beobachten, wie sein kleiner Bruder die ganze liebevoll angerichtete Tischverzierung im Papierkorb verschwinden lässt. Die Tatsache, dass sein Bruder dabei erneut schlucken muss und ihm einmal mehr Tränen über das Gesicht laufen, gibt Seto Kaiba den Rest. Er kann das hier keinen Augenblick länger ertragen. Ruckartig wendet er sich ab und läuft auf die Tür zu. Doch gerade als er sie, wie schon gewohnt, durchdringen will, muss er feststellen, dass ihm das nicht mehr möglich ist. Schmerzvoll will er sich die Stirn reiben, doch noch immer durchdringt seine Hand seinen eigenen Körper. Er versucht es erneut, doch wieder erweist sich die Tür als erschreckend real. Seto Kaiba beginnt es kalt den Rücken herunter zu laufen. Was soll das? Wenn er den Türgriff ergreifen will dringt seine Hand hindurch aber die Tür selbst bleibt massiv. Langsam beschleicht ihn ein Anflug von Panik. Er sitzt in der Falle! Das muss alles ein böser Alptraum sein! Er sitzt fest in diesem Zimmer zusammen mit seinem Bruder und er ertappt sich bei dem Gedanken, dass es das erste Mal ist, dass er von seinem Bruder wegkommen möchte. "Verdammt, was geht hier vor?", beginnt er seinen Gefühlen Luft zu machen, "Komm zurück, Yugi! Du kannst mich hier nicht einsperren! Warum machst du das? Du kannst mich nicht einfach hier lassen! Hörst du mich? Komm zurück!" Ungehalten beginnt er gegen die Tür zu hämmern, doch es ist kein Laut zu hören. "Das kannst du mit mir nicht machen! Bring mich wieder zurück, verstanden? Hey Yugi!" Doch er erhält keine Antwort. Schließlich gibt er es auf. Mit blassem Gesicht dreht er sich um. Sein Herz pocht heftig gegen seine Brust und irgendwie traut er seinen Knien nicht mehr so recht. Tief atmet er durch, um die Benommenheit zu vertreiben, doch es hilft nicht viel. Unsicher lehnt er sich jetzt an die Tür hinter ihm und ohne, dass er richtig merkt wie ihm geschieht, geben seine Knie nach und er rutscht langsam daran zu Boden. Schwer will er seinen Kopf in eine Hand stützen, doch sein Körper bleibt durchlässig. "Das darf alles nicht wahr sein!", seufzt er. Gerade scheint Mokuba mit dem Beseitigen der Festdekoration fertig zu sein. Mit müdem Gesicht und geröteten Augen lässt er den Papierkorb neben sich auf den Boden plumpsen. Dann geht er auf die Zimmertür zu; er kommt Seto genau entgegen. Mit gequältem Blick schaut Seto ihn an. Nun steht der Kleine direkt vor ihm und ergreift die Klinke. "Mokuba!", sagt Seto leise, "Bitte geh nicht!" Mokuba scheint zu zögern. Für einen Moment lang hält er die Türklinke unschlüssig in der Hand. Obwohl Seto Kaiba weiß, dass sein Bruder ihn nicht sehen kann, hat er doch den Eindruck, dass dessen Augen direkt auf ihn gerichtet sind und ihn anklagend anblicken. "Moki?", flüstert Seto. Doch dann strafft sich Mokuba wieder. Mit einem raschen Griff hat er die Tür geöffnet die dabei ohne Wiederstand durch Setos Oberkörper hindurchdringt und anschließend wieder ins Schloss fällt, ohne dass der hochgewachsene, junge Mann recht weiß wie ihm geschieht. Mit einem tiefen Seufzen, lässt sich Seto Kaiba zurücksinken und spürt auch sogleich wieder die harte Tür im Rücken. Nach wenigen Augenblicken sind auch die Geräusche von Mokubas Schritten auf dem Flur verhallt. Müde und elend schließt Seto die Augen. Er hat genug! Dieses Gefühlsachterbahn zehrt gewaltig an seinen Kraftreserven. Doch urplötzlich beginnen die Kerzen am Weihnachtsbaum zu flackern, als würde ein scharfer Wind durch den Raum wehen und eine eisige Kälte kriecht von unten in Seto Kaiba hoch, die ihn rasch wieder auf die Füße bringt. Aufgeschreckt schaut er sich um. Die Kerzen beginnen heftiger zu flackern und nun muss er sehen wie eine nach der anderen verlöscht. Auch ihn hüllt nun der kalte Luftzug ein und fröstelnd will er seinen Mantel etwas enger ziehen, was erstaunlicherweise auch gelingt. Auf einmal vermeint er ein Geräusch zu hören. Zunächst ist es nur ein Wispern, doch dann schwillt es immer mehr zu einem hämischen, kalten Lachen an. Kaibas Adrenalinproduktion schiebt Überstunden und in seinem Nacken bildet sich eine Gänsehaut. "Wer ist das?", ruft er unruhig und es klingt etwas gehetzt, "Was soll das werden? Habt ihr noch nicht genug?" Mit diesen Worten erlischt auch die letzte Kerze und taucht den Raum endgültig in Finsternis. Im selben Moment ist auch das Lachen verstummt und das einzige Geräusch, dass Seto Kaiba nun hört, ist sein eigener stoßartiger Atem. So aufmerksam wie möglich lauscht er in die Finsternis und versucht sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Noch immer ist kein Laut zu hören. Dann auf einmal bemerkt er etwas direkt vor sich. Es ist ein blasser Lichtschimmer in der Schwärze um in her. Direkt vor seiner Nase leuchtet ein fahles, weißes Licht auf, aber von diesem Licht geht keinerlei Wärme aus. Es wirkt zunehmend kalt und tot. Aber es wird heller. Und auf einmal entdeckt Seto Kaiba auch so etwas wie eine Gestalt in dem blassen Leuchten. Seine Augen weiten sich. Die Erscheinung ist in einen langen dunklen Mantel gehüllt aber darunter trägt sie kaltweiße Gewänder und unter der schwarzen Kapuze quellen mehrere Strähnen von langem, schneeweißem Haar hervor. Das Gesicht hat ein spitzes Kinn und die Haut der schlanken Gestalt vor ihm weist eine schon fast unnatürliche Blässe auf. Nun richtet sich ihr Blick auf Kaiba und kalte, fast schwarze Augen funkeln ihm mit einem hämischen Schmunzeln entgegen. "Wer bist du?", fragt Kaiba verunsichert. Noch einmal versucht er die Gestalt vor ihm irgendwie einzuordnen. Das Gesicht kommt ihm irgendwie bekannt vor. Plötzlich trifft ihn die Erkenntnis. "Bakura?", fragt er ungläubig. Nun verzieht die Gestalt vor ihm ihr Gesicht zu einem boshaften Grinsen und dann sagt sie mit kalter Stimme: "Jetzt gehörst du mir, Seto!" Kapitel 7: Der dritte Geist --------------------------- Kaiba spürt wie ihm eine Gänsehaut über den Rücken kriecht. Diese unheimliche Gestalt hat gesprochen! Das hat sie doch, oder? Jedenfalls hat sie es getan ohne dabei die Lippen zu bewegen. Noch immer grinst ihn die Erscheinung, die diesem Bakura so verblüffend ähnlich sieht, mit einem heimtückischen Funkeln in den Augen an. Der junge Mann beschließt, sich sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen sondern stattdessen die Initiative zu ergreifen; das gibt ihm ein wenig Sicherheit. „Du sollst dann ja wohl der Geist der zukünftigen Weihnacht sein!“, vermutet er betont selbstsicher. Aber die Gestalt vor ihm antwortet nicht, sondern ihr Grinsen wird nur noch breiter. „Schon klar!“, bemüht sich Kaiba überlegen zu klingen, „Du redest nicht mit mir. Ich kenn das Buch auch. Aber dann war das wohl eben ein kleiner Ausrutscher, hm?“ Eisiges Schweigen und nur ein anhaltendes, bösartiges Grinsen ist die Antwort. Kaiba wird unruhig: „Na schön! Und jetzt?“ Nun beginnt die geisterhafte Erscheinung zu kichern; es klingt äußerst herablassend. Dann auf einmal hebt sie die bleiche Hand und streckt den Zeigefinger nach ihm aus. Kaibas Augen weiten sich. Was wird das? Dann plötzlich ballt der Geist ruckartig seine Hand zur Faust und im selben Augenblick überkommt den jungen Firmenchef ein übles Schwindelgefühl, sodass er unwillkürlich zusammenfährt und anschließend einen ganzen Momentlang braucht um sich wieder zu orientieren. Um ihn her flackern auf einmal jede Menge bunte Lichter und verschwommene Punkte, als würde jemand eine LSD-Halluzination zum schmelzen bringen; nicht, dass er damit Erfahrung hätte aber eine andere Beschreibung fällt ihm dazu nicht ein. Urplötzlich nimmt das ohnehin schon flaue Gefühl in seinem Magen derart zu, dass er sich zusammenreißen muss, um sich nicht zu übergeben. Verdammt, was soll das alles! Warum lässt man ihn nicht einfach in Ruhe? Womit hat er das bloß verdient? Er kann doch unmöglich so ein schlechter Kerl sein, oder? Als ihm klar wird, dass er sich diese Frage zum aller ersten Mal stellt, wird ihm plötzlich abwechselnd heiß und kalt. Nein, so schrecklich kann er doch gar nicht sein! Wirklich nicht! Oder doch? Wie zähflüssiger Honig dehnen sich die Sekunden für Seto Kaiba in denen er gegen sein Schwindelgefühl ankämpft. Vor seinen Augen kreiselt ein Wirbel aus bunten verschwommenen Lichtern. Schließlich kommen die Punkte zum Stehen und die Kulisse vor ihm hält an. Irritiert versucht er sich zu orientieren. Vor ihm liegt der kühl wirkende, breite Flur eines Firmengebäudes und nachdem sich sein Magen wieder beruhigt hat, wird ihm auch klar: Es ist seins! Das hohe Summen von eben verwandelt sich nun in die Stimmen zweier Frauen die gerade den Flur entlanggehen und dabei in ein angeregtes Gespräch vertieft sind. „...ist so was von unzumutbar, das sag ich dir!“, entrüstet sich gerade die eine, „Kannst du dir das vorstellen? Dieses Jahr wird schon wieder das Weihnachtsgeld gestrichen.“ Die andere lässt den Aktenstapel sinken, den sie gerade vor ihrem Bauch trägt: „Och nee! Schon wieder? Dabei hab ich das Geld schon verplant. Kann der Kerl mir mal sagen wovon ich leben soll?“ Schweigend beobachtet Kaiba die beiden Frauen die dort auf ihn zukommen. Wovon reden die da? „Tja, so ist das eben. Es wird überall gespart“, erwidert die erste. Dabei streicht sie sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Aber hast du von diesem psychotischen Leuteschinder etwas anderes erwartet?“ Kaibas Augen fliegen auf: „Was? Ich hab mich wohl verhört! Wie hat die mich genannt?“ Für einen kurzen Moment kehrt seine Chef-Mentalität zurück. Aber die zwei Frauen bemerken ihn gar nicht. Gelassen schlendern sie an ihm vorbei. „Nein, wohl eher nicht“, gibt die Braunhaarige mit den Akten zu, „Ich schätze, wir können schon froh sein, wenn wir unsere Arbeit behalten.“ „Da könnt ihr mehr als froh sein!“, grollt Kaiba, „So was lass ich mir nicht bieten! Da werde ich wohl hart durchgreifen müssen. Was ist das denn für eine Arbeitsmoral?“ „Aber wenn es wirklich so schlecht um die Firma steht“, meint die Blonde nun wieder, „Warum lassen die es dann auch weiterhin zu, dass so ein Jungspund in der Firmanleitung sitzt?“ Boshaft funkelt Kaiba die Frau an. „Ich habe mir meinen Platz verdient!“, murmelt er grimmig, „Ich habe mehr Ahnung von dem Geschäft als du jemals haben wirst. Nicht zu fassen, dass ich mal eine wie dich eingestellt habe.“ „Versteh ich auch nicht“, entgegnet die andere und fasst ihre Akten fester, „Jungspund hin oder her, er ist n echtes Ekel! Ich hab gehört, er soll auch mal anders gewesen sein, aber seit dem ‚Vorfall’ ist er wirklich unausstehlich geworden!“ Kaiba stutzt. Gerade wollte er noch der jungen Frau eine bissige Bemerkung entgegenhalten, ganz gleich ob sie ihn hören kann oder nicht, doch nun lässt er es lieber sein. Irgendwie kriecht ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Was für ein Vorfall? Sogleich wird er sich wieder bewusst, in was für einer Situation er sich gerade befindet. Dies hier ist nicht die Realität. Doch, es ist die Realität, aber eben eine zukünftige Realität. In Kaibas Kopf pocht ein unangenehmer Schmerz. Das ist einfach unfassbar. Man kann doch von niemanden erwarten, dass er mit seiner eigenen Zukunft konfrontiert wird und damit klarkommt! Aber das hier ist die Realität, das ist ihm inzwischen so klar wie nur irgendwas. Er spürt es mit jeder Faser seines Körpers. Dies ist seine Zukunft und der Knoten in seiner Brust wird immer härter. Rasch wendet er sich zu dem Geist um, der ein Stück entfernt steht und ihn mit schwarzen Augen anblickt. Er hat die Arme verschränkt und ein messerdünnes Lächeln liegt auf seinen Lippen, doch er sagt kein Wort. Kaiba fröstelt. Seine Umgebung gibt keine Wärme; es ist überhaupt keine Temperatur zu spüren. Nur ein kühler Zug weht ihm aus der Richtung des Geistes entgegen. Doch ehe Kaiba seinen düsteren Begleiter etwas fragen kann, ist auch schon die Stimme der Blonden wieder zu hören. „Ich bin ja immer noch der Meinung, dass das gar nicht hätte passieren müssen, wenn er die alte Sekretärin behalten hätte. Nebenbei, hast du mal die Fregatte gesehen, die sie stattdessen eingestellt haben? Die Frau ist doch dermaßen falsch besetzt da!“ „Wieso?“, kommt die Frage zurück, „Ist sie so unfähig?“ „Ach!“, verächtlich wehrt die andere ab, „Ein Drache ist das! Ein Biest sondergleichen! Nee, also neben der möchte ich sicher nicht begraben sein!“ Die Braunhaarige nickt, „Ja, hab ich auch schon gehört. Zum Glück hab ich mit der Chefetage nicht so viel zu schaffen.“ „Sei froh!“, meint die Blonde, „Andererseits, wahrscheinlich passt die viel besser zum Chef. Kein Wunder wenn die Firma vor die Hunde geht, wenn man neben seinem Vorgesetzten nicht mal tot überm Zaun hängen will.“ „Hast recht!“, stimmt die Aktenträgerin zu, „Ich konnte den Alten ja schon nicht leiden, aber dieser Kerl jetzt... Ich gönn’s ihm wenn seine Firma den Bach runter geht.“ „Selbst wenn wir dadurch arbeitslos werden?“, kommt es zurück, während die zwei weiter den Gang entlang gehen. „“Ja, auch dann! So ein Charakterschwein wie der, hat es doch echt nicht anders verdient! Das wär es mir echt wert! Ich würd den Kerl wirklich liebend gern am Boden sehen!“ „Hast recht! Irgendwie hätte das was.“ Damit entfernen sich die zwei Frauen und biegen um die nächste Ecke. Wie erstarrt steht Kaiba da. Das kann nicht sein! Seine eigenen Angestellten wünschen ihm den Bankrott! Das muss er erst mal verdauen. Langsam wendet er sich an den Geist. „Ist das wirklich meine Zukunft? Das wusste ich nicht“, sagt er leise. Diese voll Hass und Missgunst erfüllten Worte haben ihn doch härter getroffen, als er gedacht hatte. Ratlos schüttelt er den Kopf. „Mir war wirklich nicht bewusst, wie unzufrieden meine Angestellten sind. Warum wurde ich denn nicht darüber informiert?“ Ratsuchend richtet er die Worte an den Geist, doch dieser verzieht sein Lächeln nur zu einem fiesen Grinsen und ein leises, verächtliches Lachen ist zu hören. Kaibas Mine verfinstert sich. Diese gnadenlose Gehässigkeit der Erscheinung raspelt über seine Seele wie Sandpapier. „Hör auf zu lachen, verdammt!“, faucht er den Geist an, „Kannst du dich vielleicht auch nützlich machen? Ich will wissen was das zu bedeuten hat! Was ist das für ein ‚Vorfall’ von dem die beiden geredet haben? Und was hat das mit meiner Sekretärin zu tun? Ich warne dich, wenn du mich weiterhin verarschen willst, lernst du mich kennen!“ Mit zwei Schritten ist er bei dem Geist und packt ihn am Kragen. Doch die gespenstische Gestalt grinst ihn nur geringschätzig an. Aber kaum hat Kaiba den schwarzen Umhang ergriffen, als er urplötzlich feststellen muss, dass die Gestalt darin sich in Luft aufgelöst hat. Nun hält er nur noch das dunkle Cape in der Hand, während um ihn herum ein hallendes, verhöhnendes Lachen erklingt. Kaibas Herz pocht hart gegen seine Brust und eine Gänsehaut läuft ihm über den Rücken. „Wo steckst du, verdammt?“, ruft er in die Umgebung, die plötzlich immer mehr an Finsternis zunimmt. Hecktisch blickt er sich um. Den dunklen Mantel hat er achtlos fallengelassen. Um ihn her ertönt nur das schallende Lachen. Plötzlich erkennt er ein Stück entfernt einen Lichtschimmer. Er konzentriert sich darauf und erkennt schließlich die Gestalt des Geistes. Die gesamte Erscheinung erstrahlt in einem hellen, aber fahlblassem Licht. Die Gestalt trägt elegante, fremdartige Kleider in kaltem Weiß und seine Haare und seine Haut haben die selbe, bleiche Farbe. Der einzige andere Farbton sind seine Augen. Augenweiß und Iris erscheinen in einem unnatürlichen und unergründlichen Pechschwarz. Seto Kaiba bekommt eine Gänsehaut bei dem Blick in diese schwarzen Augen; sie strahlen eine unglaubliche Kälte aus, dass es einen wahrlich fröstelt. „Was bist du?“, fragt er resigniert. Es gab mal eine Zeit, wo er viel mutiger gewesen ist, aber diese Zeit scheint schon eine Ewigkeit zurückzuliegen. Aber der Geist lächelt nur weiterhin unheilvoll und macht dann eine Bewegung mit der Hand. Augenblicklich scheint die Schwärze um sie her, wie die Seite eines Schreibheftes, weggerissen zu werden und Kaiba befindet sich in einem kleinen Wohnzimmer. Der junge Mann schaut sich um, aber er erkennt die Umgebung nicht. Hier ist er noch nie gewesen. Vor ihm auf dem Sofa sitzen zwei Frauen und trinken gerade Tee. Kaiba legt die Stirn in Falten. Die eine Frau hat eine leichte Dauerwelle in ihrem schulterlangen, braunen Haar und trägt bequeme Freizeitbekleidung. Er kennt sie nicht. Als er sich jedoch der anderen Frau zuwendet, hebt er leicht die Augenbrauen. Irgendwoher kennt er diese Person. Die Frau ist Ende Dreißig und hat kurze blassblonde Haare dessen unordentliche Fransen wohl mal eine Kurzhaarfrisur darstellen sollten. Sie trägt einen weiten, ausgeleierten Pullover in dunkelblau und dazu einen schlabberige graue Jogginghose. Ihr Gesicht wirkt überaus hager und blass und die weiten Klamotten verstärken nur noch den Eindruck, dass die Person ausgesprochen mager ist. Gerade kauert sie leicht verstört auf der Couch und nippt mit gesenktem Kopf an ihrer Teetasse. Die andere Frau beobachtet sie dabei aufmerksam. Kaiba kann sich nicht helfen, er hat dieses Häuflein Elend schon mal irgendwo gesehen, wenn er nur wüsste wo! Gerade ergreift die braunhaarige Frau die Teekanne. „Möchtest du noch etwas?“ Doch die Blonde schüttelt nur hastig den Kopf. „Nein, danke!“ Ihre Stimme ist fast nur ein Flüstern. Dann hebt sie leicht den Blick: „Aber danke, dass du mich eingeladen hast!“ „Aber das hab ich doch gern gemacht!“, wehrt die andere mit einem Lächeln ab, „Du kommst schließlich so selten aus dem Haus. Wozu hat man denn Nachbarn?“ „Vielen Dank, Jonouchi-san!“, lächelt die andere, „Das bedeutet mir viel.“ Kaiba hebt den Kopf. Jonouchi? Wer ist diese braunhaarige Frau? Aber die Braunhaarige wendet sich schon wieder an ihren Gast: „Ich hatte ja schon lange mal wieder vorgehabt, dich einzuladen. Und heute ist schließlich eine gute Gelegenheit dazu. Wie geht es dir denn?“ Die Blonde hebt leicht den Kopf. Unter ihren Augen liegen dunkle Ringe. Und von einer Sekunde zur anderen fällt Kaiba auch wieder ein, woher er sie kennt. Unwillkürlich fährt er zusammen. Nein, das kann doch nicht sein! „Na ja“, beginnt die hagere Frau, „Es geht mir schon wieder etwas besser. Ich kann inzwischen schon wieder durchschlafen, meistens. Und die Panikattacken sind nicht mehr so häufig. Und inzwischen ist mein Antrag für die finanzielle Unterstützung auch durch. Ich bekomme wenigstens das Geld. Aber schöner wäre es natürlich, wenn ich wieder arbeiten könnte.“ Die andere nickt verständnisvoll. „Das glaube ich. Aber lass dir lieber noch Zeit damit bis du wieder fit genug bist.“ Die Blonde setzt sich auf. Ihre Stimme wird ein wenig schrill. „Du verstehst nicht! Genau das war doch der Grund, weshalb ich entlassen worden bin! Es hat Spaß gemacht in der Kaiba-Corporation zu arbeiten. Ich habe meine Arbeit geliebt! Ok, es ist manchmal ganz schön hart eine Chefsekretärin zu sein und es kostet einen Menge Kraft. Aber ich mochte die Arbeit! „Es gab immer wieder Herausforderungen und die Bezahlung war auch nicht übel. Und ich hatte immer das Gefühl, dass ich etwas bewegen konnte. Kaiba-sama mag ein harter Arbeitgeber gewesen sein, aber er wusste wie man Geschäfte macht. Ich hab ihn immer bewundert.“ Kaiba schluckt schwer. Ja, diese magere, bleiche, zerbrechliche Person ist tatsächlich seine ehemalige Sekretärin, aber nun ist sie nur noch ein Schatten ihrer Selbst. Was mag bloß mit ihr passiert sein? Schweigend hat die andere Frau ihr zugehört, doch nun setzt sie sich wieder auf. „Er hat dich eiskalt entlassen!“, sagt sie bestimmt, „Ich kann nicht verstehen, dass du den Kerl noch immer verteidigt.“ „Ich versteh das schon“, meint die andere, „Ich habe die Arbeit nicht erbracht, die von mir erwartet wurde.“ „Er Unmögliches von dir erwartet!“, ereifert sich die andere, „Jeden Abend Überstunden, Dienst am Wochenende, Gestrichene Urlaubstage, Gehaltskürzungen, Unzählige Botengänge und andere Sonderaufträge...“ „Er hat mir eben vertraut!“, unterbricht die blonde Frau sie. „Und er hat sich kein einziges Mal bei dir bedankt!“, beendet die andere ihre Aufzählung, „Da ist es doch kein Wunder, dass du irgendwann ausgebrannt bist. So ein Nervenzusammenbruch kommt nicht einfach aus heiterem Himmel!“ Die blonde Frau lässt den Kopf hängen. Tränen stehen ihr in den Augen. „Ich war eben einfach zu schwach“, flüstert sie. „Ach Unsinn!“, meint die andere wohlwollend und rutscht an sie heran, „Diese rücksichtslose Behandlung hätte jeden Menschen irgendwann zermürbt. „Du hast diesem Leuteschinder deine gesamte Freizeit geopfert und dann als du zusammengebrochen bist, hat er dich einfach eiskalt gegen eine „belastbarere“ Sekretärin ausgetauscht. Er hat dir nicht mal die Zeit gegeben, dich wieder zu erholen, ja, er hat nicht einmal die Ursache davon erkannt. Ist das der Dank für deine jahrelange Aufopferung ihm gegenüber?“ Dankbar nimmt die schluchzende Frau das ihr dargereichte Taschentuch und schnäuzt einmal vernehmlich hinein. Kaiba beobachtet es mit steinerner Mine. Es fällt ihm schwer zu schlucken. Ein ganz neuartiges Gefühl hat von ihm Besitz ergriffen: Reue! Das hat er nicht gewollt. Es stimmt schon, er erwartet von seinen Untergebenen immer maximale Einsatzkraft und mehr, aber er selbst schenkt sich doch auch nichts. Er hatte doch keine Ahnung, dass er seine treuste Angestellte damit zugrunde richtet. Wahrscheinlich ist sie einfach ein zu sensibler Mensch. Unwillkürlich ertappt er sich dabei, dass er gerade tatsächlich mit dem Gedanken gespielt hat, sie unter diesen Umständen auszutauschen. Diese urplötzliche Erkenntnis jagt ihm einen eisigen Schauer über den Rücken. Die Tatsache, dass ihm hier seine eigene Entscheidung vor Augen geführt wird, noch bevor er sie überhaupt getroffen hat, setzt ihm gehörig zu. Ich hätte sie wirklich entlassen!, denkt er bei sich, Ich hätte es getan und ich hätte mich kein bisschen darum gekümmert, was das für sie bedeutet hätte. Augenblicklich überkommt Kaiba eine derartige Abneigung auf sich selbst, dass es ihn selbst überrascht. Inzwischen hat die ehemalige Sekretärin sich wieder etwas gefangen. „Du hast ja recht!“, meint sie weinerlich, „Aber weißt du, wenige kannten ihn so gut wie ich. Er war nicht völlig schlecht. Er hatte es auch nicht leicht.“ „Hattest du es etwa leicht?“, kommt die Frage zurück, „Du hast ihm nie von deiner Tochter erzählt, oder? Deine Mutter musste ständig auf sie aufpassen, weil du nie zuhause warst. Sie hat dich kaum zu Gesicht bekommen. Und wegen seiner Herzlosigkeit, siehst du sie jetzt noch weniger.“ „Sprich... bitte nicht von ihr!“, flüstert die blonde Frau, „Das Sozialamt hat gesagt, dass ich sie wiederbekomme, wenn sich mein Zustand bessert. Das ist mein einziger Halt, den ich noch habe.“ „Wenn er dich nicht so urplötzlich entlassen hätte, hätte man sie niemals weggeholt. Aber nach deinem Zusammenbruch hättest du nicht noch so eine Hiobsbotschaft bekommen dürfen. Keine Arbeit mehr und die alleinstehende Mutter psychisch labil! Das war natürlich ein gefundenes Fressen für die. Dabei hat KaibaCorp doch die allerbesten Anwälte. Nicht einmal da hat er dich unterstützt, der Mistkerl!“ Kaiba kneift die Augen zusammen und senkt den Kopf. „Ich will das nicht mehr hören!“, sagt er leise, „Anscheinend habe ich hier einen großen Fehler gemacht! Aber ich bin sicher, man kann das noch ändern, oder?“ Die Frage richtet sich unwillkürlich an den Geist. Doch die unheimliche Gestalt lächelt ihn nur bösartig an. Der junge Mann hebt den Kopf. „Sobald ich zurück bin, werde ich ihr die besten Anwälte zur Seite stellen!“, er schaut den Geist durchdringend an, leichte Verzweiflung liegt in seinem Blick, „Dies ist doch die Zukunft, die muss man doch verändern können! Sie bekommt sofort eine dicke Abfindung, oder noch besser, ich werde sie gar nicht erst entlassen! Ganz sicher nicht! Ich weiß ja jetzt, was passieren wird. Ich bin kein so schlechter Mensch! Sie ist eine gute Angestellte. Ich werde sie nicht entlassen, hörst du?“ Seine Worte werden dabei immer beschwörender. Doch der Geist schaut ihn nur aus tiefschwarzen Augen an in denen sich kein Funke Licht spiegelt. Wenn man sie zu lange betrachtet scheinen sie einen einzusaugen. Hastig wendet Kaiba den Blick ab. Diese Gestalt vor ihm ist unerweichlich, das spürt er. Aber er kennt doch jetzt die Zukunft, da kann er sie doch sicher ändern, oder? Fast wie in Trance wendet er sich wieder den beiden Frauen zu, um nur ja nichts von dem zu verpassen, was die beiden besprechen. Eine tiefe Furcht beschleicht ihn, dass es für ihn lebenswichtig sein könnte, zu hören was sie sagen. Die Sekretärin blickt schweigend vor sich auf den Boden. „Wir sollten nicht so über ihn sprechen!“, meint sie hohl, „Was soll das schließlich jetzt noch bringen, Jonouchi-san? Ich glaube wir haben genug über mich geredet. Erzähl doch mal! Wie geht es denn euch so?“ Bei dem erneuten Wort ‚Jonouchi’ ist Kaiba wieder aufmerksam geworden. Vielleicht erfährt er nun, was diese Frau mit Yugis Freund zu tun hat. Die Braunhaarige lehnt sich zurück. „Ach, was soll ich sagen. Es geht so. Allmählich renkt sich alles wieder ein. Ich hab schon Schlimmeres überstanden.“ „Und wie geht es deiner Tochter? Du sagtest doch, es hätte sie so sehr mitgenommen.“ Die Braunhaarige seufzt leicht: „Sie hat es noch immer nicht völlig überwunden. Dabei hab ich ihr schon so oft gesagt, dass sie sich nichts daraus machen soll. Katsuya ist seinem Vater einfach zu ähnlich, kein Wunder wenn seine brutale Art auf ihn abgefärbt hat.“ Der Blick der Frau wird unwillkürlich hart. „Aber Shizuka hängt noch immer an ihm. Ich versteh es einfach nicht. Ich hab ihr schon hundertmal erklärt, dass sie ihn besser vergessen soll, aber sie bleibt stur. Manchmal bleibt sie tagelang in ihrem Zimmer und schmollt. Und das Ganze geht schon seit drei Jahren so. Ich weiß langsam nicht mehr, was ich sonst noch versuchen soll. Es ist mir einfach unbegreiflich, was sie noch immer an diesem Taugenichts findet.“ „Du solltest ihr Zeit geben!“, meint die Blonde behutsam, „Wenn sie so an ihm hängt, musst du ihr einfach ein wenig Verständnis entgegenbringen. Wenn du sie zwingen willst, ihn zu vergessen, stößt du nur auf einen Block.“ Frau Jonouchi nickt langsam. „Vielleicht hast du recht. Ich bin inzwischen bereit, alles zu probieren.“ „Ja!“, nickt die Blonde leicht, „Weihnachten ist das Fest der Versöhnung. Wenn ihr zusammen Katsuya besucht, beruhigt sie sich vielleicht wieder.“ Das Gesicht der Frau wird hart. „Ich war heute schon bei ihm. Allein! Meine Tochter lasse ich nicht mehr in seine Nähe. Er weiß warum. Ich hab es ihm gesagt. Aber das hätte er sich vorher überlegen müssen!“ „Meinst du nicht, es würde sie aufmuntern, wenn sie ihn wenigstens heute einmal sieht? Es ist schließlich Weihnachten.“ Shizukas Mutter zögert. „Ich halte das für keine gute Idee. Wenn sie einmal ihren Willen bekommt, wird sie in Zukunft noch mehr jammern. Das tut sie ohnehin schon andauernd. Ständig sitzt sie in ihrem Zimmer und weint.“ „Vielleicht“, merkt die blonde Frau zaghaft an, „tut es ihr ganz gut, ihn mal wiederzusehen. Hol sie doch mal runter!“ Seufzend erhebt Frau Jonouchi sich. „Vielleicht hast du recht. Ich werd mal nach ihr sehen.“ Mit diesen Worten erhebt sie sich und verlässt das Wohnzimmer. Betroffen hat Kaiba das Gespräch verfolgt. Er weiß zwar nicht worum es genau ging, aber es hat den Anschein, dass irgendetwas mit diesem Jonouchi passiert ist und seine Schwester darüber traurig ist. Ein wenig widerwillig erinnert er sich an die Weihnachtsszene in Yugis Zuhause. Schon damals war ihm Jonouchis Schwester aufgefallen und wie hingebungsvoll sie an ihrem Bruder hing. Das Weihnachten damals haben sie nicht zusammen verbringen können und so wie es aussieht, dieses auch nicht. Aber was könnte ihn denn diesmal davon abgehalten haben, mit ihr zusammen zu feiern? Kaiba ist niedergeschlagen. Schon das Erlebnis in Jonouchis Wohnung hat ihn ziemlich mitgenommen, ebenso wie die Begegnung mit Mokuba. Diese ganzen Weihnachtsfeste scheinen eine bloße Aneinanderreihung von Ereignissen zu sein, bei denen Freunde und Verwandte nicht miteinander Weihnachten feiern. Nein, er korrigiert sich, dies sind seine Weihnachtsfeste. Dies ist seine Reise durch die Zeit. Bisher hatte alles irgendwie mit ihm zu tun und leider nicht zum Besseren, wie er zerknirscht feststellt. Ich will das nicht! Warum gibt man immer mir die Schuld? Ist es meine Schuld, dass man mir schon früh die Freude an Weihnachten ausgetrieben hat? Ich will keine Freude und Feiern in meinem Leben! Wenn ich mir erlaube Spaß zu haben... ist es nur um so schmerzvoller wenn ich hinterher feststelle... wie armselig mein Leben doch im Grunde ist! Er lässt traurig den Kopf hängen. Mein Leben war immer ein Kampf. Niemand hat mir was geschenkt. Ich musste mich immer durchbeißen. Wenn ich meinen Schutzschild sinken lasse... werde ich nur verletzt. Er hebt den Kopf wieder. Und stattdessen verletze ich lieber andere? Wie armselig! Seto Kaiba schluckt einmal schwer. „Mokuba, es tut mir leid!“, flüstert er, „Es tut mir leid! Du bist viel klüger als ich. Du weißt, dass man manchmal auch feiern sollte. Dir fällt es viel leichter, Spaß zu haben. Ich will ja auch... aber ich... ich habe einfach...“ „Angst?“ Eine Stimme mit Grabeskalte fährt Kaiba durch jeden einzelnen Knochen und lässt ihn urplötzlich erschaudern. Ruckartig fährt er herum. Vor ihm steht der Geist der zukünftigen Weihnacht, der Bakura, mit Ausnahme der Augen, bis aufs Haar gleicht. Er grinst kalt und lässt den jungen Firmenchef nicht aus den Augen. „Das wolltest du doch sagen, Seto!“ die hämischen Worte klingen schaurig. Zunächst ist Kaiba so überrascht, dass er kein Wort herausbekommt, doch dann fragt er: „Du kannst doch mit mir sprechen?“ Der Geist hält ihn mit seinem Blick gefangen. „Ich möchte es mal so sagen: Ich habe mich entschieden doch mit dir zu sprechen, weil ich dich so viel besser quälen kann!“ Über sein Gesicht zieht sich erneut ein böswilliges Grinsen. Kaibas Herz schlägt bis zum Hals. Oh bitte, nicht das auch noch! Ihm ist absolut elend zumute und scheinbar wird sich dieses Gefühl nun noch steigern. Als hätte er nicht bereits genug gelitten. „Hast du nicht schon genug angerichtet?“, ruft er erschöpft. „Ich?“, der Geist zieht die Brauen hoch, „Oh nein, Seto, das hast du angerichtet!“ Kaiba zittert, teils vor Ärger, teils vor Hilflosigkeit. „Warum ich? Na schön, ich gebe zu, ich hätte meine Sekretärin besser behandeln müssen. Ich bereue es! Aber es ist doch noch nicht zu spät! Das hier ist doch die Zukunft! Das kann man doch alles ändern! Ich werde es ändern, ganz bestimmt!“, er klingt, als wolle er es allein schon durch seine Worte geschehen lassen, „Ich habe es doch eingesehen! Was willst du denn noch von mir. Ich werde es ändern, versprochen!“ Der Geist schaut ihn aus schwarzen, leeren Augen an: „Und du glaubst, das reicht? Du glaubst wirklich du könntest es ändern?“ Kaiba wird heiß und kalt. Etwa nicht? Was ist wenn er recht hat, was wenn es tatsächlich kein Zurück gibt? Nein, unmöglich! Er greift nach dem letzten Strohhalm. „Natürlich kann ich es ändern. Im Buch hat es auch funktioniert. Das hier soll die letzte Chance sein. Selbst Scrooge hat es eingesehen. Auch er stand diese Ängste aus und er war heilfroh, dass es am Ende nur ein Traum war und er sein Leben noch einmal leben konnte. Er hatte die Chance, es noch einmal richtig machen zu können! Das muss doch auch für mich gelten!“ Logik ist das Einzige, was Kaiba noch bei Verstand hält. Im Augenblick wünscht er sich nur, der Geist hätte niemals angefangen zu sprechen. Aber nun verheißt das was er sagt alles andere als Gutes und inzwischen bekommt es Kaiba wirklich mit der Angst zu tun; Angst um seine Seele! Und das obwohl er vor noch gar nicht langer Zeit, nicht mal glaubte, eine zu haben. Doch der Bakura-Geist zeigt sich äußerst unbeeindruckt. „Muss es das? Willst du noch immer alles bestimmen, Seto? Bist du schon so tief gesunken, dass du dir deine Argumente aus einem Fantasyroman holst? Aber weißt du, dies ist kein Roman. Dies ist die Realität! Deine Realität, Seto, finde dich damit ab!“ Kaiba erbleicht. „Heißt das, ich kann es nicht ändern?“ „Was willst du schon ändern, Seto? Was kümmert es dich?“ „Das hier sollte meine letzte Chance sein!“, ereifert Kaiba sich, „Warum zeigst du mir das alles, wenn es keine Chance mehr gibt, das zu ändern?“ Bakura grinst: „Das hat Srooge auch gefragt.“ „Ja“, setzt Kaiba nach, „und er hat seine Gelegenheit bekommen!“ Finster starrt ihn der Geist an: „Aber Scrooge war auch viel schneller einsichtig als du! Was glaubst du denn welches deine ‚letzte Chance’ war?“ Seto Kaiba spürt wie ihm die Knie weich werden und ihm etwas die Kehle zudrückt. Das darf nicht wahr sein! Sollte das stimmen? Hat er seine Chance bereits vertan? War er zu lange skeptisch? Bei dem Gedanken wird ihm schlecht. Er muss sich stark zusammenreißen um sein Entsetzen nicht äußerlich zu zeigen. „Aber... warum dann das alles hier?“, meint er hilflos. Tote, schwarze Augen halten ihn gefangen. „Du bist für viele schlimme Weihnachtsfeste verantwortlich. Es ist nur recht und billig, dass du einmal siehst, was deine ‚Überlegenheit’ so alles verursacht hat. Hier siehst du die Früchte deiner Herz- und Gewissenlosigkeit!“ „Warum ich?“, ruft Kaiba leicht verzweifelt aus, „Was ich meiner Sekretärin angetan hab, liegt mir schwer auf der Seele, aber für das was mit Jonouchi passiert ist, was auch immer das war, bin ich nicht verantwortlich! Was soll ich denn dafür können? Das kann man mir doch nicht auch noch anhängen.“ Bakuras Mund ist ein dünner Strich: „Bist du sicher?“ Inzwischen ist Frau Jonouchi im ersten Stock angekommen und klopft gegen die Tür ihrer Tochter. „Shizuka? Shizuka, mach auf! Ich möchte mit dir reden, hörst du? So geht das doch nicht weiter. Komm runter, dann reden wir über alles! Ich komm jetzt rein, ja? Dann bereden wir das, ja?“ Mit diesen Worten drückt sie die Türklinke herunter und betritt das Zimmer. Im gleichen Moment verzerrt sich das Bild und wird immer kleiner. Kaiba spürt erneut ein Schwindelgefühl im Magen aber inzwischen tut das nichts mehr zur Sache; ihm ist ohnehin schlecht. Fast wie kleine Tetris-Bausteine baut sich das neue Bild um die beiden wieder auf. Nach nur wenigen Sekunden stellt Kaiba fest, das sich die komplette Umgebung verändert hat. „Du willst doch wissen, was mit Jonouchi passiert ist“, bemerkt der Geist mit einem hämischen Gesichtsausdruck. Kaiba schaut sich um. Es ist recht dunkel hier. Sie stehen in einem langen Gang mit vielen kleinen Räumen, die an ihn angrenzen, und jeder ihrer Eingänge ist vergittert. Seto Kaibas Augen weiten sich: „Ein Gefängnis?“ Kapitel 8: Schuld und Sühne --------------------------- Mit lautlosen Schritten schreitet der Bakura-Geist den Gang entlang. Zögernd folgt Kaiba ihm. Ihm ist äußerst unbehaglich zumute. Wenn er recht vermutet, findet er Jonouchi hier im Gefängnis und das gibt ihm kein gutes Gefühl. Vor nicht langer Zeit hätte er dies mit einem Achselzucken abgetan. Jonouchi sitzt im Gefängnis? Wen kümmerts? Das war doch früher oder später eh zu erwarten! Aber nun nicht mehr. Nun geht von der hinteren Zelle, auf die der Geist zusteuert, eine fast magische Anziehungskraft aus und Seto Kaiba kann nicht anders als seinem schemenhaften Begleiter zu folgen. Je näher er der vergitterten Zelle kommt um so mehr vernimmt er nun Stimmen die daraus hervordringen. Noch sind sie zu leise um etwas verstehen zu können, aber je näher sie der Zelle kommen umso deutlicher werden die Worte. Schließlich stehen sie direkt davor und nun kann Kaiba auch erkennen, wem die beiden Stimmen gehören. Das Innere der Gefängniszelle ist recht spartanisch eingerichtet. Außer einem Bett, einem kleinen Tisch mit Stühlen, einem kleinen Schrank und einem Blickschutz mit dem Abort dahinter, befindet sich nichts weiter in dem Raum. Die beiden Personen die gerade an dem kleinen Tisch sitzen und sich unterhalten, kennt Seto Kaiba nur zu gut, und obwohl er das schon beinah zu sehen erwartet hat, gibt der Anblick ihm doch einen leichten Stich ins Herz. Dort am Tisch sitzt Jonouchi in einer schlichten, grauen Gefängniskluft. Seine blonden Haare sind länger, als Kaiba es in Erinnerung hat und sie sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Über sein Kinn zieht sich ein stoppeliger Dreitagebart und der junge Mann hat dunkle Ringe unter den Augen und blickt ziemlich trübsinnig drein. Wie klischeehaft!, will Kaiba schon sagen, doch im gleichen Moment erinnert er sich daran, dass das alles die Realität ist und er verbeißt sich das Kommentar gerade noch. Stattdessen fällt sein Blick auf die andere Gestalt am Tisch. Es ist Yugi, auch er scheint um ein paar Jahre älter zu sein, ansonsten hat er sich äußerlich nicht verändert. Gerade jetzt ist er mit Jonouchi in eine leises Gespräch vertieft. „Es tut mir leid, dass ich es erst jetzt geschafft habe“, sagt Yugi gerade, „Ich musste meiner Mutter erst noch bei den Weihnachtsvorbereitungen behilflich sein. Vorher konnte ich nicht weg.“ „Macht doch nichts, Yugi“, meint Jonouchi leise, „Ich freu mich schon, dass du überhaupt gekommen bist. Ich bekomm nicht viel Besuch.“ Yugi schaut ein wenig unbehaglich zu Boden: „Du bist noch immer mein Freund, Jonouchi, egal was die anderen sagen. Ich lass dich nicht im Stich!“ „Danke, Yugi!“, murmelt Jonouchi, „Aber ich kann schon verstehen, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollen.“ Ein wenig unsicher sucht Yugi nach den richtigen Worten. „Sag doch so was nicht! Es haben dich noch nicht alle abgeschrieben“, er wirft einen raschen Blick zur Zellentür, es ist niemand zu sehen. Nun holt er aus seiner Hosentasche einen Brief hervor und schiebt ihn seinem Freund hinüber. „Ich war vorhin noch bei Shizuka“, raunt Yugi, „Sie bat mir, dir das mitzunehmen. Sie kann ja leider nicht persönlich kommen.“ Ruckartig setzt sich der blonde, junge Mann auf und nimmt rasch den Brief an sich. „Willst du ihn nicht aufmachen?“, fragt Yugi. „Nein, das mach ich nachher in Ruhe, wenn du nichts dagegen hast“, erklärt Jonouchi, „Du warst also bei Shizuka? Wie geht es ihr?“ „Na ja“, meint Yugi, „Nicht sehr gut. Sie vermisst dich noch immer, denk ich, auch wenn sie es nicht gesagt hat. Aber ich weiß, dass sie immer sehr an dir gehangen hat. Und du an ihr. Darum bat sie mich, dir den Brief zu geben ohne, dass ihre Mutter es mitbekommt.“ Der Junge in der Gefängniskluft ballt mit unterdrückter Wut die Faust um den Brief. „Mutter tut alles, um sie von mir fernzuhalten. Dabei hab ich mich schon mehrfach entschuldigt. Was soll ich denn noch machen?“ Eine leicht verzweifelte Mine huscht über sein Gesicht, „Ich vermisse Shizuka einfach sehr, aber ich kann das Geschehene nicht rückgängig machen. Ich muss jetzt eben meine Strafe erdulden. Aber unter uns gesagt, Yugi, die Trennung von ihr ist noch immer am härtesten.“ Aufmerksam beobachtet Seto Kaiba das Geschehen. Wieder spürt er einen harten Knoten in seiner Brust. Dieser kleine Trottel scheint doch tatsächlich sehr an seiner kleinen Schwester zu hängen. Aber warum hat er daran nicht gedacht bevor er kriminell geworden ist und was um alles in der Welt hat er denn nun angestellt? Nun ergreift Yugi wieder das Wort. „Das glaube ich dir, Jonouchi. Aber ich verstehe es immer noch nicht. Du hast lebenslänglich bekommen, weil du dich geweigert hast, eine Aussage zu machen und die Geschworenen nahmen deshalb an, dass du keinerlei Reue zeigst. Sogar Anzu und Honda denken, dass du es mit Absicht getan hast. Aber das kann ich mir einfach nicht vorstellen bei dir“, fast beschwörend schaut Yugi seinen Freund an, „Willst du mir nicht endlich erzählen was wirklich passiert ist?“ Für einen kurzen Moment scheint Jonouchi mit sich zu ringen, doch letztendlich lässt er die Schultern hängen. „Das nützt zwar jetzt auch nichts mehr, aber von mir aus. Aber schwöre mir, das du das niemandem erzählst!“ Sein Freund nickt ernst: „Versprochen!“ Seto Kaiba lässt die beiden jungen Männer nicht aus den Augen. Der Geist neben ihm lächelt nur kalt zu ihm hinüber, doch Kaiba schenkt ihm keine Beachtung. Wie gebannt hängt er nun an Jonouchis Lippen. Leicht geduckt stützt Jonouchi sich auf den Tisch auf und beginnt seine Erzählung. „Das Ganze hat nicht erst vor drei Jahren angefangen. Vater war schon immer... schwierig. Nein, um ehrlich zu sein, manchmal war er auch ziemlich brutal.“ „Ja“, nickt Yugi, „Das sagte dein Anwalt auch, aber das wurde nicht als mildernde Umstände gewertet. Dabei hätte man doch verstehen können, dass du das Ganze irgendwann nicht mehr ausgehalten hast...“ „Ich habe meinen Vater nicht mit Absicht umgebracht!“, zischt Jonouchi aufgebracht und fast verzweifelt, „Es war ein Versehen! Das musst du mir glauben, Yugi“ „Ich glaube dir ja!“, erwidert Yugi aufrichtig, „Aber warum hast du das denn nicht dem Richter erklärt? Was ist denn bloß passiert, um Himmels Willen?“ Jonouchi sinkt wieder in sich zusammen. „Erinnerst du dich noch an damals? Kurz vorher hatte die Kaiba-Corp dieses Duellmonsters-Turnier angesetzt. Duellmonsters-Allstars oder wie das hieß. Als Preisgeld winkte über fünf Millionen. Glaub mir, ich hatte nie vor, meinem Vater was zu tun! Wenn ich einen anderen Weg gewusst hätte, dann wäre ich ihn gegangen. Ich hätte mir eine eigene Wohnung gesucht und wäre ausgezogen, aber... ich hatte das Geld nicht dafür. „Und dann sah ich das Preisgeld von dem Turnier in der Zeitung. Das war meine Chance! Mir war klar, dass ich da mitmachen musste, wenn ich es jemals schaffen wollte, von ihm wegzukommen.“ Hier hält Jonouchi kurz inne und schluckt einmal vernehmlich, dann fährt er fort. „Ich habe mich also angemeldet. Für die Anmeldegebühr ist mein ganzes Erspartes draufgegangen. Das Turnier sollte kurz vor Shizukas Geburtstag stattfinden. Ich dachte mir, wenn ich gewinnen würde, dann könnte ich ihr endlich mal etwas richtig Schönes schenken. Du weißt doch, dass ich mal gar nicht so schlecht bei Duellmonsters war. Irgendeinen Preis hätte ich sicher gewonnen, aber es kam ja anders, wie du weißt. Kurz vor dem Turnier passierte ja dann diese Sache mit Kaiba.“ Seto Kaiba reißt die Augen auf: „Es ist was passiert? Was für eine Sache? Was ist mit mir passiert?“ Sein Herz schlägt bis zum Hals und sein Puls rast. Seine aufgewühlten Gedanken zwingen ihn in eine äußerst unangenehme Denkrichtung. Nein, er will das nicht denken. Mit aller Kraft weigert er sich, den Gedanken zuende zu denken. Nein, das ist nur eine Geschichte! Ein dummes Buch! Wie kann das die Realität sein? Ohne darüber nachzudenken, macht er zwei Schritte nach vorne und durchdringt dabei das Gitter. Nun steht er in der Zelle, direkt vor den beiden jungen Männern und sein Gesicht ist bleich. „Sag schon, was ist mit mir passiert?“, flüstert er. „Du bist tot, Seto!“ Die Stimme des Geistes klingt kalt und unbarmherzig. In Kaibas Brust krampft sich alles zusammen. Das kann nicht sein! Das ist seine Zukunft? Wie konnte das nur passieren? „Was...?“, Setos Stimme ist nur noch ein Hauchen. Alle Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen. Er fühlt sich entsetzlich elend und am liebsten würde er sich kurz hinsetzen, doch hier ist nichts was ihn tragen könnte. Doch Jonouchis Stimme lässt ihn wieder aufhorchen. Vielleicht erfährt er aus dieser Erzählung mehr darüber. „Sie konnten ja nicht herausbekommen wer der Schütze war, der ihn da auf offener Straße erschossen hat, also haben sie beschlossen, Nachforschungen anzustellen. Aber deshalb haben sie das Turnier andauernd verschoben und schließlich ganz abgesagt. „Und dann saß ich da. Die Chancen auf das große Geld waren dahin. Ich bin sicher, dass ich gewonnen hätte. Aber stattdessen war ich pleite, weil sie wegen der Umstrukturierung in der Firma das Startgeld nicht zurückgeben konnten. Eine lächerliche Ausrede, wenn du mich fragst. Kommen die nicht auf die Idee, dass es Leute gibt, die das Geld brauchen?“ Jonouchi schnaubt einmal verächtlich auf. Doch dann schluckt er noch einmal und schaut seinen Freund traurig an. „Ich war verzweifelt! Jetzt saß ich noch immer bei ihm fest und es sah nicht so aus, dass sich das jemals ändern würde. Kannst du dir vorstellen, wie man sich dann fühlt? Und hinzu kam noch, dass Shizuka am nächsten Tag Geburtstag hatte. Ich wollte ihr doch ein schönes Geschenk kaufen. Sie soll sich doch keine Sorgen um mich machen. Sie ist so ein sensibler Mensch. Sie sollte doch denken, dass bei mir alles in Ordnung ist. Also hab ich etwas getan, was ich sonst nie tun würde. Und hätte ich gewusst, was daraus wurde, hätte ich es bestimmt nicht getan. Ich nahm Geld aus der Brieftasche meines Vaters, um ihr ein Geschenk zu kaufen.“ Jonouchi lässt die Schultern hängen. Einen Momentlang schaut Yugi ihn schweigend an, dann sagt er: „Das sagte doch auch der Staatsanwalt. Er hat dich dabei erwischt und du hast ihn daraufhin niedergeschlagen.“ Jonouchis Kopf sinkt noch etwas tiefer. „Er hat mich... überrascht“, murmelt er, „Ich hab ihn gar nicht kommen gesehen. Ehe ich mich versah, schlug er auch schon mit der Flasche auf mich ein. Er... schrie rum, was ich mir denn erlauben würde und dass er mich dafür totschlagen würde. Ich hab... Angst bekommen. „Ich konnte ihm gerade so ausweichen und dann hat er die Flasche fallengelassen. Ich hab sie gerade noch zu fassen bekommen bevor er mir an die Gurgel gehen konnte. Er... hätte mich erwürgt, da bin ich sicher. Also nahm ich die Flasche und... Das Ding ist gleich zersplittert und er hatte überall Blut. Überall Blut... auf der Kleidung, in seinem Gesicht, auf meinen Händen... überall!“ Der junge Mann zittert leicht bei diesen Worten. „Und dann... hat er mich gepackt und wollte mich runterziehen. Sein Gesicht sah so schrecklich aus. Voller Blut und Splitter und er sah so wütend aus. Ich dachte, jetzt bringt er mich um! Also hab ich wie wild auf ihn eingetreten, bis er sich nicht mehr gerührt hat. „Was dann passiert ist, weiß ich nicht mehr so genau. Ich kann mich nur dran erinnern, dass ich eine ganze Weile vor ihm auf dem Boden gehockt habe und beobachtet habe, wie die Blutpfütze um seinen Kopf immer größer wurde. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich saß einfach nur da und schaute ihn an. Und ich wusste: Das ist mein Ende! Da komm ich nie wieder raus!“ Der junge Mann verstummt. Schweigend beobachtet sein Freund ihn. Auch Kaiba hat der Erzählung gelauscht ohne ein Wort von sich zu geben. Es fallen ihm einfach keine passenden Worte ein. Um ihn dreht sich alles. Was für ein Horror! Gerade erst hat er von seinem eigenen Tod erfahren und nun wird er Ohrenzeuge eines Gewaltverbrechens in das dieser Jonouchi verstrickt ist. Und dafür soll er verantwortlich sein? Er?! Das ist einfach zu viel für ihn. Die Tatsache, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr lebt, muss er erst mal verdauen. Und dieses Gespräch hat zudem keine zufriedenstellenden Antworten geliefert sondern höchstens neue Fragen aufgeworfen. „Gefällt dir was du siehst, Seto?“, wendet sich nun der Geist wieder an ihn. Kaiba wirft ihm einen bitterbösen Blick zu: „Rate mal!“ Der Bakura-Geist verschränkt die Arme. „Erstaunlich wozu Menschen fähig sind, wenn der Druck nur groß genug ist, nicht wahr?“ Kaiba presst die Lippen aufeinander. „Das ist nicht Jonouchi. Das ist nicht seine Art. Er ist ein Großmaul, aber kein Mörder!“ Der Geist grinst: „Wie du siehst, ist er es doch! Und offenbar ist Yugi der einzige Mensch, der ihn tatsächlich für unschuldig hält. Sogar seine Freunde haben sich von ihm abgewandt.“ Kaiba schluckt schwer. „Nein!“, sagt er leise, „Er hat noch immer seine Schwester, die zu ihm hält.“ Der Geist schaut ihn schweigend an und dann verzieht sich sein Mund zu einem unheilvollen Lächeln. Inzwischen hat Yugi seine Fassungslosigkeit abgeschüttelt. „Jonouchi“, wendet er sich nun an seinen Freund, „was du da erzählst bedeutet doch, dass es Notwehr war! Du solltest in Berufung gehen, vielleicht verkürzen sie deine Strafe ja. Warum hast du das denn nicht gleich erzählt?“ Jonouchi setzt sich wieder auf. Seine Augen sind gerötet. „Das konnte ich doch Shizuka nicht antun“, flüstert er, „Sie würde sich riesige Vorwürfe machen, wenn sie erfährt, dass ich das Geld nur für sie gestohlen habe. Sie würde sich die Schuld an der ganzen Sache geben. Nein, es ist besser, wenn ich die Schuld auf mich nehme und sie dafür ein unbekümmertes Leben führen kann. „Das hab ich auch alles meiner Mutter gesagt. Ich hab versucht ihr alles zu erklären, aber sie lässt Shizuka noch immer nicht zu mir. Heute morgen war sie hier und ich habe sie gebeten Shizuka von mir zu grüßen, aber...“, er bricht ab. „Aber was?“, fragt Yugi behutsam. Jonouchi atmet einmal vernehmlich durch, dann meint er: „Sie will nicht, dass Shizuka jemals wieder etwas mit mir zu tun hat. Sie sagt, meine Anhänglichkeit zu ihr, wäre der Grund für meine Tat gewesen und ich soll sie besser vergessen. Sie will nicht, dass Shizuka durch mich ins Unglück gestürzt wird. „Ich meine, dass kann ich ja verstehen. Ich würde mich ja von ihr völlig fernhalten, wenn es zu ihrem Besten ist, aber... ich vermisse sie einfach so sehr. Ich steh das hier nur durch, weil ich weiß, dass sie noch immer an mich denkt, und es ihr gut geht. Dann weiß ich, dass ich das Richtige getan habe. Außerdem ist Shizuka in einem halben Jahr volljährig und dann kann sie mich so oft besuchen wie sie will.“ Seine Augen leuchten auf und um seinen Mund legt sich ein leichtes Lächeln. „Beeindruckend, nicht wahr, Seto?“, der Geist schielt zu Kaiba hinüber, „Ob du es willst oder nicht, dieser Jonouchi ist und bleibt eben ein anständiger Kerl. Und wenn ich das mal sagen darf, er ist vielleicht arm und untalentiert und er sitzt im Gefängnis wegen Mord, aber trotzdem hat er wesentlich mehr Größe als du! Und er liebt seine Schwester abgöttisch. Er nimmt für sie sogar eine lebenslange Haftstrafe in Kauf, und was machst du? Du scheuchst deinen kleinen Bruder von dir fort und weigerst dich aus irgendeinem bescheuerten Grund mit ihm Weihnachten zu feiern.“ „Ich mach es wieder gut!“, murmelt Kaiba. Der Geist stellt sich mit verschränkten Armen vor ihn: „Und wie willst du das bitte anstellen? Du bist tot, schon vergessen?“ „Erinnere mich nicht daran!“, meint Kaiba schwach, „Es ist genau wie im Buch. Auch Scrooge erfuhr schließlich von seinem Tod und das machte aus ihm einen anderen Menschen. Aber wenn es für mich sowieso kein Zurück mehr gibt, was für einen Grund gibt es dann noch für mich, etwas ändern zu wollen?“ Der Geist schaut ihn skeptisch an: „Was denn Seto, gibst du immer so schnell auf? Was ist denn aus dem harten unbeugsamen Geschäftsmann geworden? Das ist aber nicht der Seto Kaiba den ich kenne! Dieser Seto Kaiba macht sich nichts aus Drohungen. Er hat viel zu viel Einfluss um sich einschüchtern zu lassen, er hat viel zu wenig Skrupel um Rücksicht auf seine fleißige, aber ausgepowerte Mitarbeiterin zu nehmen, er hat viel zu wenig Mitgefühl um Anteil am Geschick eines großmäuligen, nervtötenden, trotteligen Versagers zu nehmen und er hat viel zu viel zu tun, um mit seinem kleinen Bruder Weihnachten zu feiern. Sag mir, wo ist dieser Seto Kaiba geblieben?“ Niedergeschlagen steht Seto Kaiba da. Einen langen Moment bringt er keinen Ton hervor, doch dann sagt er: „Er... ist tot!“ „Ganz recht, Seto!“, setzt der Geist nach, „Tot! Und das geschieht ihm auch ganz recht. Soll ich dir sagen warum er erschossen wurde?“ „Ich will es nicht wissen“, meint Kaiba kraftlos. „Ich sage es dir aber trotzdem“, entgegnet der Bakura-Geist unbarmherzig, „Eine ganze Weile später fand man heraus, dass es ein Angestellter der Kaiba-Corp war. Er war mit den unzumutbaren Arbeitsbedingungen nicht mehr fertig geworden und nachdem du deine Sekretärin entlassen hattest und durch eine etwas resolutere Person ersetzt hast, gab es niemanden mehr der zwischen ihm und dir vermittelt hätte. Wenn du es genau wissen willst, diese freundliche Dame sagte ihm glaub ich soviel wie: „Was fällt ihnen ein, sich zu beschweren! Das ist ihr verdammter Job, den sie da machen. Entweder sie machen die unbezahlten Überstunden oder sie können sich einen neuen Job suchen. Der Chef kann keine Faulpelze gebrauchen, und ihre finanzielle Situation ist ihm ebenfalls gleichgültig. Wenn Kaiba-sama sagt ‚Spring!’ haben sie zu fragen ‚Wie hoch?’. Und nun tun sie gefälligst ihre Arbeit!“, der Geist streckt sich, „Wahrscheinlich war er einfach nur ein wenig zu sensibel, dass er sich das so zu Herzen nahm, dass er beschloss dich dafür zu erschießen, und sich dann anschließend selbst das Leben zu nehmen. „Eine wirklich charmante Person, die du da eingestellt hast. Tja, wenn du die andere behalten hättest, wäre es vielleicht anders gekommen. Du siehst also, Seto, du bist ganz allein Schuld an deinem Schicksal. Und damit auch an Jonouchis. Es wäre nie so weit gekommen, wenn das Turnier stattgefunden hätte.“ „Das kann man nicht wissen!“, ruft Kaiba abwehrend aus, „Warum soll immer ich Schuld daran sein? Das hat er ganz alleine zu verantworten. Ich bin doch nicht Schuld an seinen Entscheidungen. Es ist nicht meine Schuld! Es ist nicht meine Schuld!“ Kraftlos versagt ihm die Stimme. Er kann nur noch stumm den Kopf schütteln. Doch er lässt Jonouchi nicht aus den Augen. Nun erhebt Yugi sich. „Ich fürchte ich muss jetzt wieder los, Jonouchi“, meint er betrübt, „Ich werde die anderen von dir grüßen.“ „Bitte sag ihnen nichts davon!“, beschwört Jonouchi ihn, „Ich will ihr Mitleid nicht! Wenn sie jetzt schon nicht zu mir halten, brauch ich ihre Freundschaft auch nicht wenn sie es erfahren.“ Sein Blick ist entschlossen. Yugi nickt langsam. „Also schön! Ich wünsch dir noch ein schönes Fest und lass dich jetzt allein mit dem Brief deiner Schwester!“ Er lächelt schwach. Dann winkt er noch einmal und dann ruft er den Wachposten. Nachdem Yugi gegangen ist und die Wache wieder verschwunden ist, fällt Jonouchis Blick wieder auf den Brief in ihrer Hand. Mit vorsichtigen Fingern beginnt er das zerdrückte Kuvert aufzufummeln. Das Grinsen des Geistes wird breiter: „Das wird dir gefallen, Seto!“ Kaiba fasst sich erschöpft mit den Fingerspitzen an die Stirn: „Wenn du so was sagst, weiß ich schon, dass es mir sicher nicht gefallen wird.“ Kalt lächelt Bakura ihn an: „Wie recht du doch hast!“ Lautlos tritt er hinter den blonden, jungen Mann. „Wenn du gestattest, werd ich dir den Brief mal vorlesen!“ Monoton beginnt der Geist zu lesen und mit jedem Wort weiten sich Kaibas Augen mehr vor Entsetzen, ebenso wie die von Jonouchi. „Mein geliebter Bruder! Es fällt mir schwer, die passenden Worte zu finden. Mutter hat mir erzählt, dass du Vater umgebracht hast, weil du Geld gestohlen hast, um mir ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Und dabei hat er dich erwischt. Als ich das hörte, konnte ich es zuerst nicht glauben. Aber mit der Zeit wurde mir klar, dass es die Wahrheit war. „Du hättest das doch nicht tun brauchen. Du hättest mir doch einfach sagen können, dass du kein Geld hast. Ich liebe dich doch, mein Bruder! Du brauchst nicht immer Rücksicht auf mich nehmen. Ich weiß doch, dass Vater dich schlägt. Aber du bist immer so rücksichtsvoll und immer um meine Sicherheit besorgt. Einen besseren Bruder kann ich mir nicht wünschen.“ Seto Kaibas Blick geht zu Jonouchi hinüber der junge Mann hält den Brief verkrampft in den Händen und stille Tränen laufen ihm über das Gesicht. Aber der Geist liest weiter: „Mutter sagt, dass du völlig auf mich fixiert bist und ich mich deshalb von dir fernhalten soll, um dich nicht noch zu schlimmeren Untaten anzuregen. Aber ich weiß, dass du das alles nur tust um mich zu schützen. „Trotzdem hat es mich schwer getroffen, als ich erfuhr, dass du im Grunde durch mich zum Mörder wurdest. Das hat den Knoten in meiner Brust nur noch schwerer gemacht. Es tut mir furchtbar leid, aber er schnürt mir allmählich die Luft ab. Es vergeht kein Tag an dem ich nicht an dich denke, und deswegen weine. Ich kann einfach nicht mehr!“ Kaiba reißt die Augen auf, als er das hört. Was hat das zu bedeuten? Auch Jonouchi hat sich kerzengrade in seinem Stuhl aufgesetzt und starrt entsetzt auf die Zeilen. „Hinter ihm ertönt die kalte Stimme des Geistes der schonungslos der Öffentlichkeit den Briefinhalt enthüllt: „Wenn du diese Zeilen liest, bin ich schon nicht mehr am Leben. Ich tue das nicht, weil ich mir die Schuld für dein Verbrechen gebe. Denke bitte nicht, dass das der Grund dafür ist! Aber ich vermisse dich einfach zu sehr und ein weiteres Weihnachtsfest, das wir nicht zusammen verbringen können, ist einfach mehr als ich ertragen kann! „Allein der Gedanke daran ist für mich schlimmer als der Tod! Deshalb fürchte ich mich nicht. Bitte gib Mutter nicht die Schuld daran. Sie versucht nur, mich zu schützen. Aber ich ertrage es nicht länger, von dir getrennt zu sein. Ich liebe dich, Katsuya. Leb wohl!“ Im ersten Moment herrscht Stille in der Zelle. Keiner sagt ein Wort. Völlig entgeistert starrt Kaiba Jonouchi an. Er kann einfach nicht fassen, was er gerade gehört hat. Jonouchi sitzt da wie vor den Kopf geschlagen. Mit zitternden Händen und bebender Lippe sitzt er da und sein Gesicht ist so bleich wie eine Wand. „Das kann nicht sein!“, haucht er, „Shizuka! Was machst du denn? Was soll das bedeuten? Das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr!“, seine Stimme wird lauter, „Das ist nicht waaahr!“, der Aufschrei geht in einem gequälten Wimmern unter. Schwerfällig und taumelnd erhebt Jonouchi sich, dabei stößt er den Stuhl um. „Oh bitte, nein!“, er starrt auf die Zeilen, „Das kannst du mir nicht antun! Shizuka, das kannst du mir nicht antun! Bitte sag, dass du das nicht getan hast!“ Hilflos und ungläubig schüttelt er den Kopf; dabei laufen ihm bittere Tränen über die Wange. Wie besinnungslos läuft er zum Gitter hinüber. „Hey, ich muss sofort telefonieren!“, schreit er, „Lasst mich hier raus! Das ist ein Notfall!“ Doch vom anderen Ende des Flures kommt nur eine Stimme die ihn zur Ruhe mahnt. „Lasst mich sofort telefonieren! Es geht um Leben und Tod!“, verzweifelt rüttelt er an den Gitterstäben, „Bitte!“ Aber niemand scheint ihn zu beachten. Nach einer Weile sinkt er kraftlos an den Stäben hinunter. Wie ein Häufchen Elend kauert er da und hat den Kopf gesenkt. Nur seine Brust zuckt immer wieder vernehmlich und unter seinen Fransen ist ein ersticktes Schluchzen zu hören. „Shizuka!“, wimmert er, „Es tut mir leid! Es tut mir alles so schrecklich leid! Warum hab ich diesen Brief bloß nicht gleich aufgemacht? Ich wollte dich doch beschützen. Das ist alles meine Schuld! Warum hast du das nur getan? In einem halben Jahr hättest du mich doch besuchen können. Ich vermiss dich, Shizuka! Ich vermiss dich so schrecklich!“ Der Rest geht in haltlosem Weinen unter. Mit um die Knie geschlungenen Armen kauert Jonouchi am Gitter und unter leichtem Wiegen ergießt sich eine unstillbare Flut an heißen Tränen in den Stoff seiner Hose und steigert sich zu einem immer lauter werdenden, hoffnungslosen Schluchzen. Regungslos steht Seto Kaiba da und beobachtet ihn schweigend. Ihm fällt kein Wort dazu ein. Sein Gesicht ist bleich und unter seinen blauen Augen liegen inzwischen auch schon dunkle Ringe. Schon lange kann er das Ganze nicht mehr teilnahmslos betrachten und diese Tatsache macht ihm unheimliche Angst. Jonouchi hat es wirklich nicht leicht. Er meint es nur gut, aber immer wieder geht alles schief und trotzdem hat er sich bisher nicht unterkriegen lassen. Bisher hat er alles erduldet. Für seine Freunde und für seine Schwester. Aber nun? Wird er das hier auch einfach wegstecken können. Seto bezweifelt es. Er bezweifelt es stark! Das hier wäre für jeden zu viel. Sogar für einen so zähen Hund wie Jonouchi. Eine unglaubliche Müdigkeit und Traurigkeit macht sich in Seto breit. Er mag nicht mehr. Er hat endgültig genug gesehen! Der Kloß in seinem Hals ist steinhart und in seiner Brust schmerzt es. Er will das hier nicht sehen! Er erträgt das nicht. Wenn ich an seiner Stelle wäre, ich wüsste nicht wie ich dann reagieren würde!, denkt er bei sich. Vielleicht sind wir beide uns ja doch nicht so unähnlich. „Womit hat er das verdient?“, fragt Seto unwillkürlich laut. „Das hat er nicht!“, gibt der Geist Antwort, „Gerade das macht es so hart! Zu unrecht bestraft werden, ist keine saubere Sache. Es bringt nur Leid und Schmerz. Womit hatte Mokuba es verdient, dass du ihn fortgescheucht hast und er alleine Weihnachten feiern musste?“ „Er hatte es nicht verdient!“, gibt Seto leise zu, „Warum war ich bloß so hart zu ihm? Er wollte doch nur mit mir feiern und ich hab ihn schwer enttäuscht.“ „Und das war nicht das erste Mal!“, fügt Bakura hinzu, „Auch früher schon hast du ihn immer von dir ferngehalten. Immer wenn er dir im Weg war, hast du ihn fortgeschickt. Glaubst du, das geht an einem kleinen Jungen spurlos vorüber? Nein, das tut es nicht! Oder hast du die Schere vergessen? Ehe er sie fortgeworfen hat, musste einiges an Vertrauensbruch geschehen.“ „Es.. tut mir leid!“, der junge Firmenchef lässt die Schultern hängen. Eine stählerne Klaue presst ihm die Luft ab. „Dafür ist es jetzt zu spät, Seto! Es gibt nichts, was du jetzt noch tun kannst! Deine Reise zu den Schatten ist fast beendet. Aber vorher darfst du dir gern noch ansehen, was du hinterlässt.“ In einem wortlosen Schrecken schüttelt Seto den Kopf. Nein, das will er nicht wissen. Alles nur das nicht! Lass mich in Ruhe! Geh fort von mir!, will er schreien, doch er bekommt keinen Ton heraus. Schon tritt der bleiche Geist mit den toten, schwarzen Augen auf ihn zu und lächelt sein unheilvolles Lächeln. „Komm, Seto, Schau dir dein Vermächtnis an. Es ist wirklich beeindruckend!“ „Nein!“, flüstert Seto, „Bitte nicht! Bitte, bitte nicht! Es ist genug!“ Kraftlos knicken seine Knie ein. Unwillkürlich befindet er sich auf Augenhöhe mit Jonouchi. Fast scheint es, als ob der junge Mann ihm direkt ins Gesicht schaut. In diesen tränennassen Augen liegt eine solche Hoffnungslosigkeit, dass es Seto eiskalt den Rücken herunterläuft. Schwer muss er schlucken. „Jonouchi...“, flüstert er, doch er verstummt. Selbst wenn er ihn hören könnte, was sollte er ihm schon sagen? „Nicht sentimental werden, Seto!“, unterbricht ihn Bakuras harte Stimme, „Heb dir dein Mitleid besser für dich selber auf! Komm schon, lass uns gehen!“ Mit diesen Worten hebt er seine geöffnete Hand und im gleichen Maß wie sich seine Hand zur Faust ballt, wird die Szenerie um Seto immer mehr zusammengeknüllt wie ein Stück Papier. Doch während um sie her die Finsternis immer mehr zunimmt, behält Seto Jonouchi solange es noch geht im Auge, bis er ganz verschwunden ist. Kapitel 9: Tränen im Schnee --------------------------- Allmählich wird es wieder hell um Seto. Besorgt versucht er zu erkennen, wo er sich befindet. Als sich sein Blick endlich klärt, entdeckt er, dass er sich wieder in seiner Firma befindet. Gerade steht er vor dem Schreibtisch der Chefsekretärin. Dort sitzt jetzt eine ältere Dame mit strenger Steckfrisur, einem tadellosen, dunkelgrauen Nadelstreifenkostüm, einer schmalen Designerbrille und einem verkniffenen Gesichtsausdruck. Gerade ist sie mit Telefonieren beschäftigt. „Kommen sie mir nicht so, Kawagiri-san! Das war eine direkte Anweisung! In fünf Minuten will ich die Unterlagen auf meinem Schreibtisch liegen haben! Sie wissen, Kaiba-sama wird sehr ungehalten, wenn die Arbeit nicht zu seiner Zufriedenheit ausgeführt wird!“ Ein wenig irritiert blickt Seto auf. „Kaiba-sama?“, murmelt er, „Aber ich dachte...“ Schließlich kommt ihm ein Gedanke und er erstarrt. Da plötzlich reißt ihn die süßliche Stimme der Frau aus seinen Gedanken: „Kawagiri-san, es zwingt sie niemand hier zu arbeiten! Ich kann ihnen noch heute ihre Entlassungspapiere zukommen lassen, wenn sie darauf bestehen! ... Ach ‚sowieso ein sinkendes Schiff’? ... ‚Inkompetente Firmenleitung’? ... Ist ihnen schon der Gedanke gekommen, dass die Firma nur deshalb in der Krise steckt, weil solche unfähigen Abteilungsleiter wie sie, nicht in der Lage sind, ihre Arbeit anständig zu machen?“, um ihre Mundwinkel bilden sich kleine Schaumbläschen, „Auch gut! Packen sie ihren Schreibtisch zusammen! Ab morgen brauchen sie nicht mehr zu kommen!“ Wütend haut sie den Hörer auf die Gabel. „Unloyales Gesindel!“, murmelt sie, „So was Undankbares!“ Seto Kaiba schüttelt nur leicht den Kopf. Dazu fällt ihm nichts mehr ein. Nun schlendert der Bakura-Geist auf die große Eichentür zu hinter dem Kaibas ehemaliges Büro liegt. „Komm schon, Seto, das musst du unbedingt sehen!“ Sein kaltes Lächeln jagt Seto einen Schauer über den Rücken. Mit schweren Schritten geht er auf die bedrohlich wirkende Tür zu. Hinter dieser Tür liegt seine Verdammnis, das spürt er. Und trotzdem setzen sich seine Füße wie von selbst in Bewegung. Ungehindert gleitet sein Körper hinter dem Geist durch die Tür hindurch und nun liegt vor dem jungen Firmenchef sein eigenes Büro. Nein, es ist nicht mehr sein Büro, dort an dem großen Schreibtisch sitzt jemand in einem eleganten Maßanzug mit einem langen, schwarzen Pferdeschwanz und studiert mit ernster Mine einige Unterlagen. Setos Augen weiten sich. „Mokuba?“, haucht er, „Du bist der Chef der Kaiba-Corp? Aber...“, er bricht ab. Der Geist geht nun ein paar Schritte auf den jungen Mann am Schreibtisch zu. „Schau ihn dir an, Seto! Sieht er nicht gut aus? So elegant in dem teuren Anzug. Und mit genau so einer ernsten Mine wie du sie auch drauf hast, wenn du arbeitest. Ja, nach deinem Tod hat er die Kaiba-Corporation übernommen, erstaunlich, wenn man bedenkt, dass er damals erst zwölf Jahre alt war. Dein Testament war wirklich lückenlos ausgefeilt, meine Hochachtung!“ Seto Kaiba ist verwirrt. „Soll das heißen, er ist der neue Chef der Kaiba-Corp?“, ihm kommt urplötzlich etwas in den Sinn, „Und er ist derjenige über den die beiden Angestellten vorhin gesprochen haben? Aber... sie schienen keine hohe Meinung von ihm zu haben.“ Bakura grinst. „Haben sie auch nicht! Sieh selbst!“ In diesem Augenblick geht die Tür auf. Herein kommt die Chefsekretärin mit einem Stapel Akten. „Hier sind die Unterlagen, Kaiba-sama.“ Mokuba schaut entnervt auf. „Zum letzten Mal! Ich wünsche, dass sie vorher anklopfen, bevor sie hereinkommen! Es langt mir wirklich, immer alles tausendmal sagen zu müssen! Außerdem habe ich diese Unterlagen schon vor einer Stunde erwartet. Falls sie es noch nicht mitbekommen haben, die Firma steckt in einer Krise! Da können wir uns keine Verzögerungen erlauben!“ Unbeeindruckt lässt die Frau den Stapel auf seinen Schreibtisch plumpsen: „Ich tu nur meine Arbeit, Sir! Übrigens heute hat schon wieder ein Mitarbeiter gekündigt.“ „Und was sagen sie mir das?“, schnaubt der junge Mann, „Ich kann daran nichts ändern. Wenn den Leuten die Bezahlung nicht passt, müssen sie sich eben mehr anstrengen. Wenn die Firma wieder besser läuft, kann ich auch wieder mehr bezahlen. Es liegt also in der Hand jedes Einzelnen, etwas an seiner Situation zu ändern! Machen sie das der Belegschaft klar! Ich kann mich nicht mit Einzelschicksalen befassen. Die Lage ist schon knifflig genug! Nebensächlichkeiten haben eben zu warten!“ Mit diesen Worten wendet er sich wieder seiner Arbeit zu. Mit einem verächtlichen Kopfschütteln wendet sich die Frau um und verlässt das Büro. „Wie sie wünschen, Kaiba-sama!“ Ungläubig starrt Seto auf seinen kleinen Bruder. „Mokuba...! Was ist nur aus dir geworden? So warst du doch früher nie. Warum bist du denn jetzt so... Ich versteh das nicht!“ Langsam geht er auf den jungen Mann vor sich zu. Mit steinerner Mine gleitet Mokubas Blick über die neuen Unterlagen. Seto schluckt schwer. „Und das wundert dich tatsächlich?“, fragt Bakura nun mit verschränkten Armen, „Ich weiß nicht was du hast. Mokuba ist doch genau so geworden wie du ihn haben wolltest.“ Seto schüttelt entschieden den Kopf: „Nein! Das wollte ich nie!“ „Aber offenbar dachte Mokuba das“, erwidert der Geist, „Er war immer ein ausgelassener, lieber, freundlicher und lebenslustiger Junge. Aber du hast ihn immer ignoriert. Er hat versucht dich mit der Fröhlichkeit anzustecken, doch du hast dich hinter deinen Akten vergraben. Er hat für dich eine Weihnachtsfeier organisiert, aber du bist einfach nicht gekommen, dabei wollte er dich nur ein bisschen mit seiner kindlichen Freude anstecken. „Aber irgendwann wird er dann gedacht haben, wenn er dich nicht dazu bringen kann, so zu werden wie er, dann muss er eben so werden wie du, damit du ihn beachtest! Kinder tun so manches für ein bisschen Aufmerksamkeit.“ Beklommen schaut Seto auf seinen kleinen Bruder herab. „Aber das hab ich doch nicht gewollt. Er war früher doch immer so lebhaft.“ „Und das hat dich bei der Arbeit gestört!“, wirft der Geist ein. „Er hatte gute Ideen!“ „Du bist zu der Feier nicht hingegangen!“ „Er war freundlich und mitfühlend!“ „Eine Schwäche!“ „Er war mein Bruder!“, Setos Stimme klingt verzweifelt. „Und er ist genau so geworden wie du. Gratuliere!“ Seto schüttelt hastig den Kopf: „Nein!“ Bakura legt den Kopf schief. „Was denn, Seto, bist du plötzlich nicht mehr stolz auf das was du bist?“ Hastig und zitternd deutet Seto auf seinen Bruder: „Das bin ich nicht!“ Die Schwärze der Geisteraugen hält ihn gefangen. „Doch, Seto, das bist du! Du bist es, dein Stiefvater war es, und Mokuba ist es auch geworden. Das Vermächtnis der Kaibas reicht noch weit über ihren Tod hinaus. Sei stolz darauf! Das ist doch schließlich etwas worauf man sich was einbilden kann.“ Schockiert schüttelt Seto den Kopf: „Nein!“ Das Grinsen des Geistes wird bedrohlicher. „Gefällt dir das alles etwa nicht, Seto? Warum denn nicht? Schlimme Dinge sind schließlich unausweichlich. Sich dagegen zu wehren ist doch zwecklos. Immerzu geschehen schlimme Dinge, für die niemand was dafür kann. Es gibt zwar Leute die sich dafür wenigstens am Weihnachtsfest etwas aufmuntern wollen, aber das ist doch nur ‚Unsinn’! Was soll das schon bringen? Ein kleines bisschen Hoffnung in ihrem harten Leben, aber letztendlich ändert es doch nichts an der Lage, oder? „Weißt du denn nicht, dass die Hoffnung das Einzige ist, was die Menschen schlimme Situationen ertragen lässt? Die Hoffnung auf eine sinnvolle, erfüllte Arbeit ließ deine Sekretärin ihre Arbeit erdulden. Die Hoffnung, ihre Tochter wiederzusehen, ließ sie ihre Arbeitslosigkeit erdulden. Die Hoffnung auf ein unbekümmertes Leben für seine Schwester ließ Jonouchi ein Leben in Haft und den Verlust seiner Freunde erdulden. Die Hoffnung auf ein Weihnachtsfest mit ihrem Bruder, ließ Shizuka die Trennung von ihm erdulden und was ist es, Seto, was dich eine Ewigkeit im Reich der Schatten erdulden lässt? Ist es die Hoffnung, dass es deinem Bruder gut geht? Dass aus ihm mal ein besserer Mensch wird als du? Dass er nicht die selben Fehler macht wie du? Was ist es, Seto? Glaubst du wirklich, du bist der einzige Mensch, der ohne Hoffnung auskommt?“ Seto Kaiba ist bei diesen Worten ganz still geworden. Der Knoten in seiner Brust nimmt ihm die Luft zum Atmen. Er kann nur schweigend auf seinen Bruder schauen und schwer schlucken. Eine einzelne Träne läuft ihm über die Wange. „Oh Mokuba, was hab ich dir nur angetan? Es tut mir so leid!“ In diesem Augenblick klingelt das Telefon. Hastig nimmt Mokuba ab. „Ja? ... Sind sie sicher?“, seine Stimme schwankt, „Wirklich Konkurs? ... Und es besteht kein Zweifel? Ah... vielen Dank!“, kraftlos legt er auf. Mit gefalteten Fingern stützt er den Kopf auf die Hände. Für einen kurzen Moment legt sich bleiernes Schweigen über das Büro. Dann plötzlich hebt Mokuba den Kopf dunkle Ringe liegen unter geröteten Augen. Mit zittrigen Fingern greift seine Hand nach einem Bild auf dem Schreibtisch. „Oh, Seto!“, flüstert der junge Mann, „Wie konnte es nur dazu kommen?“ Die andere Hand fährt über seine Augen und wischt die Feuchtigkeit aus den Augenwinkeln. „Ich hab doch alles so gemacht wie du es erwartet hättest. Aber ich habe versagt! Ich habe deine Firma zugrunde gerichtet. Ich bin kein so guter Firmenchef wie du. Du warst immer viel besser als ich. Ich habe mich wirklich bemüht, so hart und unerbittlich zu sein wie du, aber es hat nicht geklappt! Ich habe mein Bestes versucht, aber jetzt müssen wir Konkurs anmelden. Alles wofür du so hart gearbeitet hast, ist jetzt weg!“ Tief getroffen tritt Seto auf seinen Bruder zu: „Mach dir keine Vorwürfe, Mokuba, das ist nicht deine Schuld.“ „Eigentlich ist es ja deine Schuld, Seto!“, erklingt urplötzlich Mokubas harte Stimme. Der junge Mann zuckt unwillkürlich zusammen bei dieser unerwarteten Antwort, doch dann stellt er fest, dass sein Bruder noch immer mit dem Foto redet. „Du hättest mir zeigen können, wie man eine Firma leitet, stattdessen hast du mich immer nur fortgeschickt, wenn es etwas Wichtiges zu regeln gab. Dann war ich dir immer im Weg. Und dann schließlich war es zu spät! Ich hatte doch nur noch dich. Du warst meine einzige Familie. Du hast mich einfach im Stich gelassen!“, bei diesen Worten kullern Mokuba Tränen über die Wangen. Jede einzelne von ihnen schneidet Seto durchs Herz wie ein glühendes Messer. „Ich wolle dich doch nicht im Stich lassen, Moki, denkst du wirklich, das wollte ich?“ Seto fühlt sich schrecklich. Er fühlt sich so entsetzlich schuldig, dass er es kaum erträgt. Wie gerne würde er seinen Bruder jetzt trösten, so wie damals vor vielen Jahren, als er noch ohne zu überlegen ein blaues Auge für seinen Bruder kassiert hat. Was ist bloß aus mir geworden?, denkt er entsetzt bei sich selbst. Wie konnte das nur geschehen? „Ich würde dich doch nie im Stich lassen, Moki! Wir beide sind doch Brüder und ich hab geschworen, mich um dich zu kümmern!“ „Aber du hast mich schon lange vorher im Stich gelassen“, kommt jetzt Mokubas müde Scheinantwort, „Schon lange bevor du starbst, hast du dich vor mir zurückgezogen und mich nicht mehr an dich herangelassen. Erinnerst du dich noch an die Schere? An dem Weihnachtsabend wusste ich, dass ich dich niemals wiederbekommen würde. Nicht so wie du einmal warst. Ich wusste, dass ich niemals wieder mit dir so Weihnachten feiern würde wie damals, als unsere Eltern noch lebten. Dieser Seto war schon lange tot.“ „Sag so was nicht, Moki!“, fleht Seto bestürzt, „Du machst mir Angst!“ Doch der junge Mann spricht weiter wie zu dem Bild in seiner Hand. „Erst als man mir sagte, man hätte dich erschossen, habe ich es allmählich begriffen“, er lacht kurz mutlos auf, „Das erste was ich sagte, als man mir erzählte, dass du tot seist, war: Ich weiß! Es war komisch, aber in dem Moment hat das für mich keinen Unterschied gemacht. „Ich habe versucht deine Kaiba-Corp so gut wie möglich zu leiten; schließlich hattest du sie mir vererbt. Aber ich konnte es nicht. Du hast mir zu wenig beigebracht. Ich habe versucht dir nachzueifern und bin gescheitert. Ich konnte so ein riesiges Unternehmen nicht ohne dich leiten. Die Finanzen sind im Keller, die meisten Aktionäre sind abgesprungen. Die Angestellten hassen mich... Mir ist schleierhaft, wie du das alles je hinbekommen hast.“ Erneut wischt Mokuba sich über die Augen. Dann stellt er das Bild ab und erhebt sich. „Nun ja, das ist jetzt alles aus.“ Er wendet sich um und wirft einen Blick aus dem Panoramafenster. Die Dezemberstadt draußen ist grau und trist. „Er tut mir leid, Seto!“, murmelt er, „Ich wollte das alles gar nicht. Eigentlich wollte ich doch nur, dass du bei mir bist. Ich habe mich immer so alleine gefühlt. Und auch jetzt fühl ich mich einsam... besonders jetzt! Es ist Weihnachten und du bist wieder nicht da. Und heute habe ich das einzige verloren, was mir von dir noch geblieben war. Was bleibt mir denn nun noch? Sag es mir, was bleibt mir?“ Seto Kaiba wird bleich. Seine Augen weiten sich und ein beängstigendes Zittern macht sich allmählich in seinem Körper breit. Eine Panik steigt urplötzlich in ihm auf, die ihm glatt den Atem raubt. Er macht ein paar Schritte auf seinen Bruder zu; dabei schüttelt er demonstrativ den Kopf. „Nein, Mokuba, ich weiß was du denkst. Lass das sein!“ Setos Hände sind feucht vom kalten Schweiß und seine Nackenhaare stellen sich auf. „Komm nicht auf solch eine Idee! Hörst du!“, seine Stimme bekommt einen warnenden Klang. Der junge Mann im Anzug bemerkt ihn nicht. Schweigend steht er vor dem Fenster und starrt hinaus. Dann macht er einen Schritt darauf zu. „Ich habe mich viel zu lange an die Hoffnung gekrallt“, murmelt er nun, „Ich dachte, ich könnte dich lebendig halten, wenn ich das lebendig halte was dich ausmacht: deine Firma! Aber es geht nicht. Du bist nicht mehr lebendig, ich frage mich, ob du es jemals warst.“ Mit diesen Worten öffnet er das große Fenster. Ein kalter Wind bläst ihm kleine pieksende Schneeflocken ins Gesicht. „Was hast du vor, Mokuba?“, ruft Seto entsetzt aus, „Das kannst du doch nicht machen! Mach sofort das Fenster wieder zu!“ Doch der junge Mann steht nur da mit geschlossenen Augen und lässt sich die Schneeflocken ins Gesicht wehen. Dabei laufen ihm heiße Tränen über das Gesicht. Seine Mine ist ein Ebenbild des Jammers. Dann ergreift er den Fensterrahmen und steigt mit einem raschen Sprung auf den Fenstersims hinauf. Mit aufsteigender Panik beobachtet Seto es. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals und sein Puls rast. Dabei friert er wie noch nie zuvor in seinem Leben. Mit wenigen Schritten ist er bei seinem Bruder, aber er kann ihn nicht ergreifen; seine Hände fassen einfach durch ihn hindurch. „Mokuba, lass doch den Unsinn!“, Setos Stimme zittert bedenklich, „Komm da runter! Bitte! Ich flehe dich an! Ich kann mir denken wie du dich fühlst, aber es ist doch noch nicht alles verloren! Bitte, Moki, das darfst du nicht tun! Das... das...“, er ringt nach Luft, „das würd ich nicht ertragen!“ Verzweifelt versucht Seto seinen Bruder von seinem Vorhaben abzubringen, doch er stößt nur auf taube Ohren. Seto Kaiba spürt wie ihm abwechselnd heiß und kalt wird. Es war ihm nie wirklich klar, wie viel ihm sein kleiner Bruder tatsächlich bedeutet. Seine Hände schwitzen und seine Knie werden weich. Das hat er nicht erwartet, nein, wirklich nicht! Nie hätte er gedacht, dass sein Bruder auf solch eine Idee kommen könnte. War er denn wirklich so grässlich zu ihm? Das kann er sich kaum vorstellen. „Bitte, Moki!“, wimmert er, „Tu es nicht! Bitte!“ Doch der junge Mann steht nur weiterhin reglos auf dem Fenstersims und hat die Augen geschlossen, während ihm die Tränen über das Gesicht laufen. In Panik dreht Seto sich zum Geist der zukünftigen Weihnachten um. „Mach, dass das aufhört!“, verlangt er verzweifelt, „Es reicht! Du hast gewonnen! Ich sehe es ja ein! Ich allein bin schuld an der ganzen Sache! Ich werde mich bessern, versprochen! Nur mach bitte, dass das aufhört! Das hat er nicht verdient! Du darfst Mokuba nicht sterben lassen!“ Der junge Mann zittert am ganzen Körper vor Angst. „Du hattest recht! Auch ich hatte Hoffnung. Ich dachte, wenn ich die harte Arbeit und allen Kummer auf mich nehme, kann Mokuba in unbekümmertes Leben führen. Ich habe nicht bemerkt, dass ich ihn damit verletze. Bitte, es tut mir leid! Ich will es wieder gut machen.“ Bei diesen Worten stehen Seto die Tränen in den Augen; es nützt nichts, sie jetzt noch zurückzuhalten. Er fühlt sich zerschlagen, elend und müde. Und er hat Angst; Angst um seinen kleinen Bruder, den nur einen Schritt von einem 40-Stockwerk-Abgrund trennt. Schwach schüttelt er den Kopf: „Bitte, lass das nicht zu! Ich tu auch alles was du willst! Lass ihn nicht springen, das würde ich nicht ertragen!“ Der Geist hat zunächst schweigend zugehört, doch dann sagt er: „Tut mir leid, Seto, nicht ich mache die Zukunft. Ich zeige sie dir nur. Das hier ist es, was von dir übriggeblieben ist. Damit musst du nun leben... und sterben!“ Ein messerdünnes, kaltes Lächeln legt sich auf seine Lippen und dann wird er zunehmend durchsichtig und nur wenige Augenblicke später ist er vollständig verschwunden. Seto gerät in Panik. „Nein! Komm zurück! Lass mich nicht hier! Komm wieder zurück!“ Ruckartig fliegt sein Kopf herum, zurück zu seinem Bruder. Noch immer steht er auf dem Sims und rührt sich nicht. Doch seine Augen sind weit geöffnet und starren in den Himmel. „Bitte nicht, Moki!“, fleht Seto erneut mit Tränen in den Augen, doch in seinem Herzen weiß er genau was geschehen wird. „Du irrst dich! Es ist nicht die Firma die mich ausmacht. Du bist es! Du verkörperst all die Fröhlichkeit und Unbeschwertheit die ich mir niemals erlaube und ich habe große Schuld auf mich geladen, weil ich sie nicht sorgsam bewahrt habe. Ich kann dich nicht verlieren, Moki. Wenn du stirbst, ist das auch mein Tod!“, er stockt, „Nein, ich sterbe schon seit Jahren und du hast mich immer wieder ins Leben gezerrt. Oh Moki, was hab ich nur getan. Ich habe mir selbst die Lebenszufuhr abgeschnitten. Es ist alles meine Schuld. Vergib mir!“ Doch Mokuba hört ihn nicht. Unablässig starrt der junge Mann in den Himmel. „Weißt du Seto, ich fürchte mich nicht!“, sagt er schließlich leise, „Ich war schon immer bereit dir zu folgen, ganz egal wohin. Du warst immer mein Bruder, und ich liebe dich! Warte nicht länger auf mich, Seto, ich komme zu dir!“ Eine letzte Träne tropft dem jungen Mann vom Kinn. Seine Augen sind weit aufgerissen und um seinen Mund liegt ein gequältes Lächeln. Dann tut er einen kleinen Schritt nach vorne und augenblicklich ist er vom Fenstersims verschwunden. Fassungslos reißt Seto die Augen auf. Der Atem stockt ihm und urplötzlich hat er das Gefühl, als ob in seiner Brust gerade etwas zersprungen wäre. Mit entsetzensgeweiteten Augen greift er aus dem Fenster, seinem Bruder hinterher. „Mokuba!“, schreit er panisch, „Moki, nein! Moki!!! Hilflos greift seine Hand ins Leere. Der langgezogene Schmerzensschrei, der folgt, geht in hilflosem Keuchen und gequältem Schluchzen unter. Die Verzweiflung scheint ihn komplett zu übermannen. „Moki!“, wimmert er noch immer als er von oben beobachtet, wie sich eine größere Menschenmenge in der Tiefe um eine kleine reglose Gestalt scharrt. Kraftlos sinkt Seto in sich zusammen. Seine Brust hebt und senkt sich unkontrolliert aber er hat das Gefühl keine Luft zu bekommen. Seine Mine ist reglos und er starrt nur mit tränennassen Wangen und glasigem Blick vor sich hin. Seine Umgebung nimmt er nur noch schemenhaft wahr. Das kann nicht wahr sein! „Oh nein! Oh bitte, bitte, nein!“, stammelt er unaufhörlich. Dabei schüttelt er nur müde den Kopf. „So sollte es nicht kommen! Das hab ich nicht gewollt!“ aus tiefster Seele erschüttert und erschöpft lässt er seine Arme auf seine Knie sinken und lehnt seine Stirn dagegen. Ich kann nicht mehr!, denkt er bei sich, Ich mag nicht mehr! Oh Moki, warum hast du das getan? Ich vermisse dich! Ich bin doch noch gar nicht tot, du kannst mich doch nicht alleine lassen! Wir wollten doch immer zusammenhalten. Hast du das vergessen? Oder hab ich das vergessen? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß gar nichts mehr... Oh Moki, komm wieder zurück zu mir! Ich werde mich ändern, ganz sicher! Bitte lass mich nicht alleine! Bitte, Moki, ich fühle mich so entsetzlich einsam! Bitte gib mir noch einmal eine Chance! Bitte, nur noch eine einzige Chance! Bitte, Moki! Moki! Mokiii!!! Aus tiefster Seele schluchzend, vergräbt Seto Kaiba seinen Kopf auf seinen Knien. Ihm ist hundeelend zumute und er möchte am liebsten alles um sich herum vergessen. Immer neues Schluchzen übermannt ihn und er macht sich nicht einmal die Mühe es irgendwie zu verbergen. Was spielt das schließlich jetzt noch für eine Rolle? Nach einer Weile endlich hebt er schwach den Kopf und zu seiner Überraschung stellt er fest, dass es bereits Abend ist. Nicht einmal mehr der kühle Wind vom offenen Fenster ist zu spüren. Eigentlich ist gar nichts mehr zu spüren. Ein wenig irritiert schaut Seto Kaiba auf. Sein Blick geht hoch zu dem Panoramafenster. Es ist geschlossen. Nun blickt er hinüber zum Schreibtisch. Dort liegen einige Akten und auf dem Bildschirm flimmert das Programm, an dem er gearbeitet hat, bevor das alles hier begonnen hat. Unsicher hebt er den Kopf. Kann es wirklich sein? Er ist zurück! Kapitel 10: Eine zweite Chance ------------------------------ Zögernd streckt Seto Kaiba seine Glieder. Ist es wirklich wahr? Ist er wieder zurück in der Gegenwart? Zurück in seiner eigenen Zeit, in seinem eigenen Büro? Noch immer ein wenig zitterig steht er auf. Sein Blick fällt auf den Monitor. Die digitale Uhr zeigt gerade 18:35 Uhr. Kaiba traut seinen Augen nicht. Es ist erst kurz nach halb sieben. Aber um diese Zeit hat der ganze Spuk doch angefangen. Er dreht sich zum Fenster um. Es ist geschlossen und auf dem Sims türmt sich eine dicke markelose Decke aus Neuschnee. Hastig fährt er sich über die Augen. Es muss doch ein Traum gewesen sein! Doch als er die Hand sinken lässt, bemerkt er die Feuchtigkeit, die auf seinen Fingern glitzert. Nein, das kann kein Traum gewesen sein! Schwer lehnt er sich gegen das Fenster und wartet bis sich sein Herz wieder ein wenig beruhigt hat. Es ist wahr! Er ist wieder zurück! Langsam hebt er den Kopf. Seine Augen sind geschlossen, aber ein erleichtertes Lächeln liegt um seine Mundwinkel. Es ist noch nicht zu spät! Fast schon hatte er nicht mehr daran geglaubt. Fast hatte er schon geglaubt, den Verstand zu verlieren. Nein, so etwas will er nie wieder mitmachen müssen. „Ich lebe noch!“, flüstert er, „Ich bin nicht tot. Und Mokuba auch nicht. Mokuba!“ Seine Augen fliegen auf. Ruckartig fliegt sein Blick zur Uhr. „Es ist noch nicht zu spät! Ich kann es noch immer schaffen!“ Hastig räumt er seinen Schreibtisch zusammen und schaltet den Monitor aus. Nichts auf der Welt kann ihn jetzt davon abhalten, zu seinem Bruder zu fahren. Auf dem Weg zur Tür strauchelt er kurz. Verdutzt rappelt er sich auf. Was ist denn nur mit ihm los? Er fühlt sich so seltsam schwach auf den Beinen und zur gleichen Zeit fühlt sich sein Herz an, als wollte es Purzelbäume schlagen. Seto Kaiba fühlt sich eigenartig beschwingt und er begreift nicht wieso. Alles was er weiß, ist dass sein Herz wie verrückt klopft bei dem Gedanken an seinen Bruder. Wieder knicken Kaiba die Knie weg und er findet sich verdutzt auf den Boden wieder. Lächelnd schüttelt er den Kopf: „Oh man, was ist bloß mit mir los?“ Behutsam steht er wieder auf. „Immer mit der Ruhe!“, befiehlt er sich selber. Wieder schüttelt er mit einem verstohlenen Lächeln den Kopf: „Dieser elende Scrooge! Muss er mich denn mit allem anstrecken?“ Allmählich traut er seinen Beinen wieder. Er kann sich nicht helfen aber er fühlt sich auf einmal viel fröhlicher und freier und außerdem grenzenlos erleichtert. Schließlich erreicht er die Tür und öffnet sie. Ja, tatsächlich! Die Tür lässt sich von ihm öffnen, er dringt nicht durch sie hindurch! Vorsichtig lugt er hinaus. Innerlich schickt er ein Stoßgebet zum Himmel, dass dort keine verkniffene, alte Frau mit Designerbrille sitzen möge. Doch an dem Empfangstresen ist niemand zu sehen. Behutsam schiebt Kaiba sich aus der Tür. Ist das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Gerade in diesem Augenblick vernimmt er am Ende des Ganges ein Ping, das das Erscheinen des Fahrstuhls ankündigt. Innerlich hält Seto den Atem an. In diesem Moment teilen sich die Aufzugstüren und heraus kommt eine junge, blonde Frau die einen dicken Stapel Akten trägt. Als sie Kaiba sieht, hält sie erschrocken inne. „Oh, Kaiba-sama!“, stottert sie etwas überrumpelt. Hastig tritt sie näher. „Hier sind die Abrechnungen, die sie wollten. Es ging leider nicht schneller. Ich musste noch auf die Prognosen warten. Aber ich habe sie bereits überschlagen und alles macht einen recht zuversichtlichen Eindruck.“ So selbstbewusst wie möglich streckt die junge Frau ihm die Unterlagen hin, doch ihr Blick gibt zu verstehen, dass sie mit einer gehörigen Standpauke über die unzureichende Arbeitsgeschwindigkeit rechnet. Schweigend nimmt Kaiba die Unterlagen im Empfang und eben so schweigend betrachtet er seine Angestellte die unter seinem Blick zunehmend nervöser und fahriger wird. „Ähm, die Rechnungsabteilung sagte, dass wir einen ausgesprochen guten Umsatz verzeichnen, dieses Jahr“, redet sie weiter in dem nervösen Versuch, die Aufmerksamkeit ihres Chefs von ihrem Gesicht abzulenken, „Wenn... wenn sie einen Blick auf die morgendlichen Prognosen werfen wollen...?“ Langsam fällt Setos Blick auf die Unterlagen in seiner Hand. Schließlich atmet er einmal durch. „Immer mit der Ruhe, Megumi-san!“, damit legt er den Stapel auf dem Pult ab, „Das hat Zeit bis morgen.“ Sprachlos bleibt der jungen Frau für einen kurzen Moment der Mund offen stehen. „Ähm... Kaiba-sama...“, setzt sie an, doch er winkt ab. Für einen Moment scheint er nach den richtigen Worten zu suchen, während die junge Frau wie gebannt an seinen Lippen hängt und ihn mit großen Augen anschaut. Schließlich hebt er den Kopf: „Ich... wollte mich... entschuldigen, für vorhin! Ich hätte sie nicht so anschreien dürfen. Sie leisten ausgezeichnete Arbeit, Megumi-san! Bitte glauben sie nicht, ich wüsste das nicht zu schätzen. Mein Verhalten vorhin war unangebracht. Es tut mir leid!“ Sprachlos fällt der jungen Frau die Kinnlade herunter, damit hat sie wirklich nicht gerechnet. Schon spürt sie wie sie unwillkürlich errötet. Aber eben so schnell fasst sie sich auch wieder. „Kaiba-sama...“, stammelt sie verlegen, „Das... das war doch nicht nötig! Ich mache meine Arbeit gerne. Ich würde mich niemals beschweren. Ich... arbeite gerne für sie. Es ist schon in Ordnung!“ „Nein!“, wiederspricht Kaiba, „Es war nicht in Ordnung. Es tut mir wirklich leid!“ Unsicher schaut die blonde Sekretärin ihren Vorgesetzten an; er sieht im Augenblick sehr geknickt aus. „Ist... alles in Ordnung mit ihnen, Kaiba-sama?“, fragt sie nun behutsam, „Soll ich ihnen einen Kaffe holen, oder etwas anders?“ Doch Kaiba wehrt ab: „Nein, danke! Das ist nicht nötig!“ Dann schaut er ihr direkt in die Augen: „Machen sie Schluss für heute, Megumi-san! Fahren sie nach Hause und feiern sie mit ihrer Familie!“ Verwirrt schaut die junge Frau drein. „Aber, ich hab noch so viel zu tun...“, erhebt sie schwach Protest. „Das macht nicht!“, erwidert Seto, „Machen sie das morgen! Ihre Mutter und ihre Tochter warten sicher schon auf sie.“ Eine Spur eines Lächelns zieht über sein Gesicht. Überwältigt schaut sie ihn an. „Woher wissen sie von meiner Tochter, Sir?“ „Ist das wichtig? Fahren sie zu ihr! Na, los doch!“ Sprachlos beobachtet die junge Frau nun wie Seto Kaiba sein Koffer ergreift und auf den Fahrstuhl zugeht, sich zwischendurch noch einmal kurz neben dem Schreibtisch hinabbeugt und etwas rotes in seine Hosentasche steckt. Dann öffnet sich der Fahrstuhl vor ihm und er tritt ein. Kurz bevor sich die Fahrstuhltüren schließen ruft sie ihm noch zu: „Fröhliche Weihnachten, Kaiba-sama!“ Ein kurzes Nicken ist die einzige Antwort und dann braust der Fahrstuhl nach unten. Einen Momentlang steht sie da wie als könne sie es noch immer nicht fassen, doch dann kommt wieder Leben in sie. Eilig läuft sie hinüber zum Telefon und wählt hastig eine Nummer. „Mama? Du wirst nie erraten, was gerade passiert ist!“ Ungeduldig wartet Seto Kaiba darauf, dass die Fahrstuhltür aufschwingt. Er hat keine Zeit zu verlieren. Jetzt zählt jede Sekunde! Kaum öffnet sich die Tür, ist Kaiba auch schon über den halben Flur und nur wenig später hat er das Portal mit der gläsernen Flügeltür erreicht. Seine Limousine steht vor der Tür, wie erwartet. Dort steht immer eine. Er sollte das bei Gelegenheit einmal besonders honorieren. Hastig steuert Seto Kaiba durch den knöchelhohen Schnee auf seinen Wagen zu und nur Sekunden verstreichen bis er die Wagentür öffnen kann. Rasch steigt er ein. „Fahren sie mich bitte nach Hause! So schnell wie möglich!“ Der Chauffeur schaut ein wenig verdutzt drein: „Ist etwas passiert, Sir?“ „Nein, alles in Ordnung!“, wehrt Kaiba rasch ab, „Ich möchte nur nicht das Weihnachtsfest verpassen!“ Ohne ein weiteres Wort gibt der Fahrer den Gas und steuert direkt auf die Kaiba-Villa zu. Was er über die ungewöhnliche Laune seines Vorgesetzten denkt, behält er für sich. Nur wenige Minuten vergehen und der Wagen erreicht trotz der verschneiten Straßen das große Anwesen. „Machen sie für heute Feierabend!“, ruft er dem Mann noch zu und dann klappt auch schon die Autotür. Verblüfft schaut der Chauffeur seinem Chef hinterher. Zu gerne möchte er wissen, was heute in ihn gefahren ist. Vielleicht der Geist der Weihnacht, denkt er achselzuckend und dann steuert er die Limousine auf die Garage zu. Seto ertappt sich dabei, dass seine Schritte zu seinem Haus immer größer und eiliger werden. Als er endlich die Eingangstreppe erreicht, rennt er fast. Dabei muss er aufpassen, dass er nicht hinfällt. Der Schnee ist tückisch glatt. Als er schließlich die Haustür erreicht, ist er regelrecht außer Atem. Sein Herz klopft bis zum Hals und in seinem Nacken macht sich eine gespannte Unruhe breit. Seine Finger trommeln ungeduldig auf seinen Oberschenkel und kaum, dass die Tür geöffnet wird, ist er auch schon an der verdatterten Haushälterin vorbei und eilt durch die Eingangshalle und dann die Treppe hinauf. Unterwegs lässt er irgendwo seinen Koffer einfach fallen. Jetzt gibt es erst mal Wichtigeres. Schon hat er den Flur zum Wohnzimmer erreicht. Als er gerade um die Ecke biegt, begegnet ihm Roland. Kommt er vielleicht doch zu spät? „Guten Abend, Sir!“, spricht ihn sein Angestellter überrascht an, „Man sagte mir, sie kämen heute später!“ Doch Kaiba ignoriert ihn und eilt hastig an ihm vorbei. „Ähm... Mokuba-sama ist gerade im Wohnzimmer. Er...“ „Ja, ich weiß!“, würgt Kaiba ihn ab und dann ist er auch schon um die Ecke. Da endlich! Dort ist die Tür. Völlig außer Atem, mit klopfendem Herzen und zitternden Fingern greift Seto nach der Klinke. Doch in genau diesem Augenblick, bewegt sie sich wie von selbst und die Tür öffnet sich. Dahinter steht ein völlig überraschter Mokuba der wie zur Salzsäule erstarrt scheint und mit großen, fassungslosen Augen seinen Bruder anstarrt. Seto Kaiba muss heftig schlucken um wieder zu Atem zu kommen. Außerdem hat er das Gefühl, dass sein Herz gleich explodiert. Das Gefühl, seinen Bruder wieder zu sehen, überwältigt ihn schier. Da steht er nun, abgehetzt, erschöpft und außer Atem. Sein Mantelsaum ist nass und schmutzig vom Schnee, seine Kleidung durchgeschwitzt und sein Haar in wüster Unordnung. So steht er in der Tür und blickt auf seinen kleinen Bruder hinab, der ihn noch immer sprachlos und überrascht anschaut. Schließlich fasst Mokuba sich wieder. „Seto, was machst du denn hier? Roland sagte doch, dass du nicht kommst.“ Seto kann sich einfach nicht helfen, doch auf einmal treten ihm Tränen in die Augen. Unwillkürlich geht er in die Knie, schlingt seine Arme um seinen kleinen Bruder und drückt ihn liebevoll an sich. „Ja, ich weiß, Moki, und es tut mir leid!“ Zunächst ist Mokuba einfach überrascht, am meisten über die Tränen seines Bruders, doch dann ist ihm das egal. Glücklich erwidert er die Umarmung seines Bruders und schmiegt sich an ihn. „Ich hab mich so beeilt, Moki!“, hört er seinen Bruder neben sich, „Ich hoffe, ich komme nicht wieder zu spät!“ „Wieder?“, Mokuba ist irritiert, „Ich weiß nicht was du meinst. Ich hab auf dich gewartet. Aber du bist nicht gekommen. Deine Sekretärin sagte, du hast keine Zeit.“ „Das stimmt nicht, Moki“ schüttelt Seto den Kopf, „Für dich hab ich immer Zeit, versprochen!“ Er lässt seinen Bruder ein wenig los. „Dann hast du nur so getan?“, fragt Mokuba nun mit großen Augen, „Du hast so getan als ob du nicht kommst, um mich dann zu überraschen?“ Seto schluckt schwer. Seine blauen Augen glänzen schuldbewusst. Dann nickt er und lächelt leicht. „Ja, stimmt! Ich wollte dich überraschen!“ „Seto, du weinst ja!“, stellt Mokuba erschrocken fest. „Tu ich das?“, schnieft Seto ein wenig unbeholfen. Dann wischt er sich mit der Hand über die Augen und betrachtet seinen Handrücken. Leicht lacht er auf und schnieft noch einmal. „Tatsächlich! Du hast recht!“ „Aber warum denn?“, fragt Mokuba nun besorgt. Der junge Mann schaut seinen Bruder einen langen Augenblick an. Dann meint er schließlich mit einem sanften Blick: „Ich... bin einfach froh, dass du bei mir bist, Moki!“ Nun schimmern auch Mokubas Augen verdächtig. Erneut schlingt er die Arme um Setos Hals. „Ja, ich bin auch froh, dass du bei mir bist, Seto!“ Noch einmal halten die beiden Brüder sich liebevoll im Arm. Dann schließlich richtet Seto sich auf. „Lass uns zusammen Weihnachten feiern, Moki, ok? Nur du und ich, ja? Das hast du dir doch gewünscht, oder?“ Doch nun sinken Mokubas Mundwinkel wieder herab. Eine Träne rollt ihm über das Gesicht. „Das ist meine Schuld, Seto! Ich dachte, dass du nicht mehr kommst und... Ich wusste doch nicht, dass du mich überraschen willst. Und da hab ich alles... ich hab alles in den Mülleimer geworfen!“ Bestürzt laufen dem Kleinen die Tränen über die Wangen. Hastig beugt Seto sich wieder zu ihm herab. „Nein Mokuba, nicht weinen! Nicht weinen, hörst du?“, sanft zieht er ihn an sich, „Du hast keine Schuld! Wenn überhaupt dann hab ich Schuld! Ich sollte nicht immer solche gemeinen Spielchen mit dir spielen. Wir werden auch ohne die Dekoration Weihnachten feiern. Es wird in diesem Haus doch wohl ein paar Teller geben. Und was zu Trinken gibt es doch sicher auch.“ „Aber ich hab mir doch solche Mühe gegeben!“, schnieft Mokuba. Seto gibt es einen erneuten Stich ins Herz. Sanft nimmt er seinen Bruder auf den Arm und trägt ihn hinein ins Zimmer. Dort setzt er ihn dann auf dem Sofa ab. „Ich weiß, Moki, du hast dir wirklich viel Mühe gegeben. Schau doch nur!“ Sein Finger zeigt auf die unzähligen Glanzpapiersterne an den Wänden. „Sie sehen echt toll aus, Moki. Die hast du wirklich klasse hinbekommen. Wenn du eine Kerze hast, können wir sie zum Leuchten bringen.“ Rasch geht er zum Weihnachtsbaum hinüber. „Und schau nur der Baum! Du hast ihn so toll geschmückt und ganz allein! Ich find ihn super!“ Ungläubig lauscht Mokuba den Worten seines Bruders. „Was ist denn mit dir los, Seto?“, fragt er verdutzt, „Du bist so ganz anders als sonst. Du bist so... fröhlich.“ Seto Kaiba hält inne. Sein Blick bekommt etwas schmerzhaftes. „Vielleicht... liegt es daran, dass heute Weihnachten ist“, sagt er leise, „Und vielleicht liegt es einfach nur daran, dass ich dich unglaublich gern hab, Moki. Wirklich, du bist mir das aller Wichtigste auf der Welt!“ Mit zwei Schritten, tritt Seto an den Papierkorb neben der Tür heran und bückt sich dort. Als er die Hand wieder herausholt, hält er die Schere in der Hand. „Ein Lächeln von dir ist mir das allerschönste Weihnachtsgeschenk. Wirf das nicht weg!“ Mit diesen Worten streckt er ihm die Schere hin. Zunächst bringt Mokuba kein Wort heraus, doch dann schießen ihm die Tränen in die Augen. „Oh, Seto!“, heult er und dann schlingt er seine Arme um den Hals seines Bruders, der ihn glücklich und liebevoll an sich drückt. Es vergeht eine ganze Weile ehe Mokuba sich wieder beruhigt hat. Geduldig reicht Seto seinen schniefenden Bruder ein Taschentuch. „Und... was machen wir jetzt?“, fragt Mokuba noch immer mit geröteten Augen, „Sollen wir Roland fragen ob die Gans noch nicht verbrannt ist?“ Einen Momentlang hält Seto inne. Für eine kurze Weile überlegt er. Dann fragt er ruhig: „Moki, ist es dir recht, wenn ich vorher noch etwas... überprüfe? Möchtest du mitkommen?“ „Na klar, Seto!“, strahlt der Kleine, „Wo soll’s denn hingehen?“ Die schwarze Limousine hält am schlecht beleuchteten Straßenrand einer ziemlich heruntergekommenen Straße vor einem mehr als heruntergekommenen Haus. Jemand steigt aus und schreitet mit sicherem Schritt über die vereisten Treppenstufen. Nur kurz darauf hat er die Tür erreicht und betätigt die Hausklingel. Zunächst ist nichts zu hören. Doch dann vernimmt man von drinnen ein unfreundliches Gemurmel. Schließlich wird die Tür geöffnet und ein dickbäuchiger, unfreundlicher Kerl im Unterhemd steht in im Türrahmen. Aus finsteren Augen starrt er den Neuankömmling an, als wollte er durch die pure Intensität seines Blickes klar machen, dass er diese abendliche Störung aufs Schärfste missbilligt. „Was is?“, kommt die patzige Frage. Glasige Augen schauen den jungen Mann vor ihm durchdringend an. Doch dieser zeigt sich davon recht unbeeindruckt. Stattdessen strafft er sich und sagt: „Verzeihen sie die Störung! Mein Name ist Seto Kaiba. Sind sie Jonouchi-san? Ich hätte gerne einmal ihren Sohn gesprochen.“ Die Worte kommen hervor mit einer Präzision, Höflichkeit und Selbstsicherheit, wie sie nur ein regelmäßiges Training in gehobenen Geschäftskreisen hervorbringen kann. Für einen kurzen Moment scheint der massige Kerl irritiert. Aber dann wendet er sich nach hinten und donnert: „Katsuya! Komm her!“ Ein paar kurze Augenblicke vergehen, dann hört man das Knarren einer Tür und schlurfende Schritte auf dem Flur. „Was is n los?“, erklingt eine mürrische aber vorsichtige Stimme hinter der Tür. „Hier is einer für dich!“, ruft der Mann nach hinten. Unsicher schiebt sich eine hagere, blonde Gestalt durch die Tür nach draußen. Es ist Katsuya. Nun fällt sein Blick auf Kaiba und er bleibt schweigend stehen. Mit regloser Mine betrachtet Seto Kaiba den jungen Mann vor sich. Die blonden Haare sind zerzaust und das Gesicht ist bleich. Die Unterlippe ist leicht trotzig vorgeschoben und seine braunen Augen mustern den Chef der Kaiba-Corporation schweigend. Doch am auffälligsten ist das dicke, blaue Feilchen über seinem linken Auge und die dünnen, roten Kratzer, die sich über sein Gesicht ziehen. Zunächst sagt keiner von beiden einen Ton. Doch schließlich fragt Katsuya ruhig: „Kaiba? Was machst du denn hier?“ Nach außen hin verzieht Seto Kaiba keine Mine aber innerlich ist er äußerst aufgewühlt. Er weiß ganz genau wie dieses Feilchen entstanden ist und das macht ihm zu schaffen. Das alles war also nicht nur Einbildung gewesen. Es kann keine Einbildung gewesen sein, woher wüsste er das sonst? Nachdem er den jungen Mann einen Momentlang schweigend betrachtet hat, strafft er sich erneut und wendet sich wieder an den Vater. „Ich gratuliere!“, sagt er im gewohnt herablassend, geschäftigen Tonfall, „Ihr Sohn hat das Kaiba-Corp Weihnachtspreisausschreiben gewonnen. Sie können stolz auf ihn sein. Ich bedaure die Umstände aber ich muss ihren Sohn leider für ein paar Formalitäten mitnehmen. Unterschriften, Pressetermine, Fotos... Sie verstehen!“ Doch so einfach lässt sich der Mann mit der Halbglatze nicht abspeisen. „Na, hör’n se mal!“, schnauzt er Kaiba an, „Was bilden se sich eigentlich ein? Heute is Weihnachten! Der Bursche geht nirgendwohin, damit das klar is!“ Völlig unbeeindruckt erwidert Kaiba seinen Blick. Dann greift er mit einem müden Gesichtsausdruck in seine Brusttasche und zieht fast gelangweilt ein Stück Papier heraus. „Ach ja, richtig... Ich vergaß! Hier ist das Preisgeld!“ Mit diesen Worten drückt er dem Mann einen Scheck in die Hand. Interessiert betrachtet Jonouchis Vater das Stück Papier in seiner Hand. Doch dann urplötzlich fliegen seine Augen auf und seine Kinnlade herunter. Sprachlos starrt er auf den Zettel und kann seinen Blick nicht davon wenden. Es dauert einige Sekunden, ehe er wieder zu einer Reaktion fähig ist. Dann kratzt er sich gedankenverloren am Kopf, dreht sich um, lässt seinen irritierten Sohn einfach stehen und kehrt mit schlurfenden Schritten ins Haus zurück. Zunächst schaut Jonouchi ziemlich verwundert drein. Doch dann neigt er sich ein Stück auf Kaiba zu und raunt: „Sag mal, bist du blöd, Kaiba? Ich hab doch bei überhaupt keinem Preisausschreiben mitgemacht.“ Einen kurzen Momentlang wirft der junge Firmenchef ihm einen Blick zu, als müsse er gerade sehr viel Geduld aufbringen doch dann für den Bruchteil einer Sekunde flackert eine Spur von Traurigkeit und noch etwas anderem über sein Gesicht. Jonouchi ist irritiert. Ein Schauer läuft ihm über den Rücken. Ihm kommt es vor, als hätte der junge Mann vor ihm gerade für einen winzigen Augenblick in seine Seele geblickt und etwas Kostbares darin gefunden. Nach einem langen Moment des Schweigens sagt Kaiba schließlich leise: „Jonouchi?“ Der Angesprochene horcht auf. „Sieh zu, dass du in diesen Wagen steigst!“ Erst ist Jonouchi irritiert, doch schließlich, so ganz allmählich, dämmert es ihm. „Aaah...! Ok!“ Sogleich wendet sich Kaiba zum Gehen und Jonouchi trottet ihm folgsam hinterdrein. „Also ehrlich, Kaiba“, plaudert Jonouchi beim Gehen, „Ein Preisausschreiben! Etwas Besseres ist dir nicht eingefallen?“ „Halt die Klappe und steig ins Auto!“ „Schon gut! Schon gut! Sag mal, wie viel hast du ihm gegeben?“ „Genug um sich einen feuchtfröhlichen Abend zu machen, und dich für eine Weile zu vergessen.“ „Nein, sag mal, wie viel?“ „Genug!“ „Schon gut, ich bin nicht neugierig. Ach und Kaiba?“ „Hmh?“ „...Danke!“ „...“ „Komm schon Kaiba, wie viel?“ Schließlich haben sie das Auto erreicht und beide steigen ein. Der Motor heult auf und die Karosserie setzt sich in Bewegung. Die dicken Reifen hinterlassen markante Spuren in der unbefleckten Reinheit des Neuschnees. Nur aus der Ferne hört man aus dem Wagen noch ein lautes, langgezogenes „Waaaaas???“ Kapitel 11: Fröhliche Weihnachten! ---------------------------------- Im Hause Muto sitzt man gerade munter beim Festessen. Es ist eine große Runde. Auf dem Tisch stehen dampfende Schüsseln und ein riesiger, gebratener Truthahn. Es gibt Knödel, Kroketten, Rotkohl, Füllung, Gemüse und mehrere Bratensoßen. Von diesem Festessen könnte glatt eine zehnköpfige Raupe satt werden. Das ist auch nötig, denn die jungen Leute, die darum herum sitzen, langen mit einem Appetit zu, der seinesgleichen sucht. Yugis Mutter verteilt eifrig Rotkohl und Bratensoße an alle. Honda und Otogi streiten sich um die letzten Kroketten, bis Yugi erwähnt, dass noch zwei Schüsseln draußen stehen, was große, gierige Augen und einen Sprint zur Küche zur Folge hat. Mai schüttelt nur den Kopf über dieses unzivilisierte Benehmen und isst munter weiter und Anzu hat das Erbsengemüse mit der Sauce Hollandais für sich entdeckt und bemüht sich, Shizuka ebenfalls dafür zu begeistern, die noch immer recht geknickt aussieht. Irgendjemand hat ein CD mit Weihnachtsliedern gefunden und so dudelt im Hintergrund eine Instrumentalversion von „Alle Jahre wieder“. Gerade kommt Honda mit einer großen, dampfenden Schüssel Kroketten aus der Küche zurück; dicht gefolgt von Otogi. „Nachschub!“, verkündet er. „Lass die Schüssel bloß nicht fallen, klar?“, ermahnt ihn Otogi. „Pah, für wen hältst du mich? So schwer ist die nicht!“, mosert Honda, worauf Otogi nur verächtlich erwidert: „Sie ist heiß!“ „So wie ich Honda kenne, hat er die Dinger verputzt noch bevor sie auf dem Boden aufkommen“, meint Anzu neckisch. Honda gibt sich gespielt eingeschnappt: „Nur zu! Meckert doch!“, nun hat er den Tisch erreicht und stellt die Schüssel direkt auf seinem Teller ab, „Also ich nehm’ das, und, was esst ihr?“ Gerade wollen alle Protest erheben, als es plötzlich an der Haustür klingelt. Sofort gehen sämtliche Köpfe hoch. „Ist das Jonouchi?“, fragt Shizuka sofort hoffnungsvoll. „Kann ich nicht sagen“, meint Otogi der rasch einen Blick aus dem Fenster geworfen hat, „Aber vor dem Haus steht eine Limousine!“ Ungläubig werfen sich die Anwesenden Blicke zu. Rasch steht Yugi auf und geht an die Tür. Als er sie öffnet, stehen vor ihm zwei ihm wohlbekannte Personen. „Kaiba!“, meint Yugi verwundert, „Mokuba! Hallo!“, nachdem er seine erste Überraschung überwunden hat, hellt sich seine Mine auf, „Ihr seid doch gekommen? Das freut mich aber! Kommt doch rein!“ Doch Seto Kaibas Mine bleibt regungslos. „Hallo, Yugi!“, sagt er schließlich, „Tut mir leid wenn wir stören!“ Ein wenig irritiert schaut Yugi ihn an. Kaiba entschuldigt sich? „Ach, das macht doch nicht“, wehrt er ab, „Kommt einfach rein! Wir sind gerade beim Essen. Es ist noch genug da.“ Doch Kaiba schüttelt den Kopf: „Nein! Wir kommen nicht wegen der Einladung. Eigentlich wollten wir hier nur etwas abgeben.“ In diesem Augenblick wird Kaiba unsanft beiseitegeschoben und hinter ihm schaut mit einem breiten Grinsen Jonouchi hervor. „Überraschung!“, ruft er fröhlich, „Frohe Weihnachten, Yugi!“ „Jonouchi!“, staunt Yugi, „Was machst du denn hier? Du sagtest doch du hast Überstunden! Und... wie siehst du denn aus? Was ist denn mit deinem Auge passiert?“ Unwillkürlich zuckt Jonouchi zusammen. Rasch wirft er Kaiba einen besorgten und beschwörenden Blick zu. Doch der hochgewachsene, junge Mann verzieht keine Mine. Jonouchi nimmt das als ein stummes Versprechen, dicht zu halten und richtet sich auf. „Tja, wie es so kommt!“, meint er überschwänglich, „Ich war grad mit dem Fahrrad unterwegs und da hab ich die Eispfütze nicht gesehen. Der Schnee ist verflixt glatt, das kannste echt glauben! Jedenfalls hab ich mich mit dem Drahtesel lang hingelegt und mit dem Gesicht den Gehweg geknutscht. Ist das Auge noch immer so dick? Na ja, dafür hat dann mein Chef gesagt, ich soll für heute Schluss machen und auf dem Weg zu euch hat mich der gute Kaiba aufgegabelt“, er gibt Kaiba einen kameradschaftlichen Schlag auf den Rücken, „Hätt’ man ihm gar nicht zugetraut, was?“ Kaiba verzieht noch immer keine Mine, aber er protestiert auch nicht. Schweigend beobachtet er wie Jonouchi an Yugi vorbei ins Haus spaziert. Im gleichen Moment hört man von drinnen eine aufgeregte Stimme: „Ist das Katsuya?“ Nur wenige Augenblicke später stürmt eine kleine, schlanke Gestalt um die Ecke und wirft sich dem schlaksigen, blonden Jungen um den Hals. „Katsuya!“, ruft Shizuka überglücklich aus. Das freche Grinsen verschwindet augenblicklich von seinem Gesicht und weicht einer sanften, liebevollen Mine. „Fröhliche Weihnachten, Schwesterchen! Tut mir leid, dass ich so spät komme!“ Glücklich schließt er das Mädchen in die Arme. Seto Kaiba hat es von der Tür aus beobachtet. Zu seiner eigenen Überraschung wird ihm plötzlich ganz warm ums Herz. Es tut tatsächlich gut, mal etwas Gutes zu tun. „Du hattest recht, Yugi!“, murmelt er gedankenverloren, „Es kommt immer darauf an, was man als ‚wichtig’ bezeichnet.“ Der junge Mann neben ihm schaut ihn verwundert an, dann lächelt Yugi leicht. „Ich danke dir, Kaiba!“ Plötzlich wird sich Kaiba wieder der Situation bewusst und er reißt sich zusammen. „Also dann! Feiert noch schön! Ich hoffe ihr habt viel Spaß“, mit diesen Worten will er sich hastig zum Gehen wenden, doch Yugi hält ihn zurück. „Warte, Kaiba! Wollt ihr nicht mit uns feiern? Die Einladung steht noch. Es ist noch genug Platz und Essen da. Wir würden uns wirklich freuen.“ Zögernd hält Seto Kaiba inne. „Ich... weiß nicht ob das so eine gute Idee ist, Yugi. Ich möchte euch nicht die Stimmung verderben.“ „Aber das tust du doch nicht, Kaiba!“, wehrt Yugi ab, „Was glaubst du wohl, warum ich dich eingeladen habe?“ In diesem Moment taucht Shizuka in der Tür auf. „Hast du meinen Bruder hergebracht?“, fragt sie mit einem glücklichen Funkeln in den Augen, „Vielen, vielen Dank! Das war mein allerschönstes Weihnachtsgeschenk!“ Bei dem Blick in ihre Augen muss Kaiba auf einmal schwer schlucken. Ihm ist auf einmal sonderbar wehmütig zumute. Schließlich ringt er sich ein schwaches Lächeln ab. „Keine Ursache! Hab ich gern gemacht.“ Yugi und Anzu, die inzwischen hinter ihm steht, sehen sich verblüfft an. Das sind ja ganz neue Töne von Kaiba. Was hat ihn bloß so verändert? Doch dann gibt sich Yugi einen Ruck: „Ach, komm schon, Kaiba, feiere mit uns! Jetzt wo du schon mal hier bist. Komm einfach rein! Und Mokuba auch! Wir haben euch beide gerne hier.“ Sofort schaut Mokuba zu seinem Bruder hoch: „Ach ja, Seto, lass uns hier feiern! Zuhause verpassen wir doch nichts.“ „Oh ja, bitte!“, versucht es nun auch Shizuka, „Feiere mit uns, Kaiba-san! Ich würde mich wirklich sehr freuen.“ Für einen kurzen Moment scheint Kaiba noch mit sich zu ringen, doch dann gibt er nach: „Also schön! Aber ich sag es gleich: Ich habe keine Geschenke mit!“ Yugi grinst. „Das macht nichts, Kaiba. Wir haben schon selbst genug.“ Während Mokuba noch rasch zu Roland hinausläuft um ihm bescheid zu sagen, dass sie erst mal hier bleiben, nimmt Jonouchi kurz Yugi beiseite und raunt: „Sag mal, Yugi, wie viele Nullen hat gleich noch eine Million?“ Während Yugi sich noch über die Frage wundert, werden Jonouchi, Mokuba und Kaiba unter munterem Geplapper ins Wohnzimmer geleitet. Rasch hat Yugis Mutter noch ein paar Stühle organisiert. Honda begrüßt seinen Freund noch immer mit vollem Mund: „Na, haft du dif, doch hi’he’ bemüht?“ Jonouchi grinst: „Glaubst du, ich überlass dir die ganzen Knödel alleine? Vergiss es!“, sein Blick fällt auf Mai, „Wow! Mai, du siehst scharf aus!“ „Nett, dass dir das auffällt!“, meint sie schnippisch, aber innerlich errötet sie doch ein wenig. „Aber du siehst aus, als wärst du in ne Schlägerei geraten“, bemerkt sie stattdessen kess. Mit breitem Grinsen spaziert Jonouchi an ihr vorbei und nimmt am Ende des Tisches auf einem Klapphocker Platz. „Tja, muss dich leider enttäuschen, Schätzchen! Das war nur der Bordstein.“ „Na, der hat ja ganze Arbeit geleistet“, entgegnet sie trocken. Inzwischen werden auch für Mokuba und Seto zwei Stühle herangeschoben, sodass auch sie Platz nehmen können. Zwei Teller bekommen sie auch und Frau Muto reicht Kaiba sogleich die Platte mit dem Truthahn. „Bitte bedienen sie sich!“, fordert sie ihn freundlich auf. Zögernd füllt sich Seto ein Stück Truthahn auf den Teller. Diese freundliche Atmosphäre hier ist völlig ungewohnt für ihn. Mokuba hingegen, scheint damit keinerlei Probleme zu haben. Ungeniert schaufelt er sich den Teller voll. Auch Jonouchi sieht zu, dass er den Vorsprung seines Freundes aufholt und eh man sich’s versieht, hat er schon in jeder Backentasche einen Kloß, einen dritten auf der Gabel und noch drei weitere vor sich auf dem Teller mit viel Soße und hübsch umrahmt mit einem ganzen Wall aus Kroketten. „Deine Essmanieren sind einfach unmöglich!“, tadelt Mai kopfschüttelnd. „Waff denn?“, empört sich Jonouchi mit vollem Mund, „E’watefst du eft von mi’, daf if mi’ fo ein Fefteffen entge’en laffe?“ Kaiba kann es nicht verhindern, dass er leicht schmunzeln muss. Er war wirklich genau wie Jonouchi! Während die anderen noch mit munterem Geplauder beschäftigt sind, beugt sich Yugi unauffällig zu Jonouchi hinüber. „Woher wusste Kaiba eigentlich wo du wohnst?“ Der blonde Junge verschluckt sich beinah an seinem Knödel. „Wieso?“ fragt er schließlich als er den Mund größtenteils leer hat, „Ich sagte doch, er hat mich unterwegs aufgegabelt.“ Yugi lächelt leicht: „Ach komm, Jonouchi, ich bin dein Freund. Glaubst du wirklich, ich weiß nicht, wo du deine Feilchen her hast?“ Für einen kurzen Moment sitzt Jonouchi wie erstarrt da, doch dann fängt er sich wieder: „Du sagst es doch nicht den anderen, oder? Und schon gar nicht Kaiba, ja?“ „Klar, versprochen!“, zwinkert Yugi, „Auf mich kannst du dich immer verlassen. War wirklich nett von Kaiba, dich abzuholen.“ Urplötzlich ertönen von der oberen Treppe schwere Schritte. Dann hört man ein: „Ho, ho, hoooaaarrrgh...!“, und dann hört man ein langgezogenes Poltern, als ob jemand mit viel Getöse die Treppe herunterrauscht. Dann herrscht für einen Moment Stille und dann ertönt ein schwaches: „Aaau....!!!“ Sofort springen alle Anwesenden auf. „Großvater!“, ruft Yugi und stürzt in den Flur. Tatsächlich, dort am Fuß der Treppe liegt Yugis Großvater in einem rotweißen Mantel, mit schwarzen Stiefeln an den Füßen und einem prallgefüllten Sack unter dem Po. „Großvater!“, ruft Yugi besorgt, „Ist dir was passiert?“ Der alte Mann rappelt sich auf. „Wie ist denn das bloß passiert? Diese Schuhe sind ja wirklich lebensgefährlich!“ Auch Yugis Mutter steht nun in der Tür: „Alles in Ordnung?“ „Ja, ja... Kein Problem!“, murmelt der Alte und bemüht sich wieder in die Senkrechte zu gelangen. Verwundert schaut Yugi ihn an: „Großvater, hast du versucht, den Weihnachtsmann zu spielen?“ „Ich... aua... ich dachte, ihr freut euch darüber“, verteidigt er sich, „Aber dann war da diese blöde Stufe und die hat mir meinen Auftritt ruiniert. So ein Jammer!“ Allgemeines Gelächter ist die Folge, doch niemand meint es böse. Dann entdeckt der alte Mann auch Mokuba und seinen Bruder. „Schau an!“, bemerkt er überrascht, „Der gute Kaiba ist auch hier. Sachen gibt’s!“ Mit diesen Worten zieht er sich die Kapuze wieder über den Kopf, schwingt sich den Sack über die Schultern, hebt seine Reisigrute auf und stiefelt dann zu den anderen ins Wohnzimmer. „Also noch mal: Ho, ho, ho!“, in der Mitte des Raumes setzt er den Sack ab. Alle Anwesenden stehen schmunzelnd um ihn herum; vergessen ist der Weihnachtsbraten. Umständlich beginnt Yugis Großvater in seinem Sack zu kramen. „Wollen doch mal sehen, ob euch der Weihnachtsmann auch was mitgebracht hat“, dann plötzlich hebt er seine Rute und deutet auf Kaiba, „Nun, Kaiba, wie ist es? Bist du auch immer brav gewesen?“ Erschrocken fährt Kaiba zusammen. Diese Frage hat ihn völlig unvorbereitet getroffen. Unwillkürlich läuft es ihm kalt den Rücken herunter und er wird blass. Kein Ton kommt über seine Lippen. Das Schweigen zieht sich in die Länge. Inzwischen ruhen alle Augen auf ihm und er fühlt sich dabei äußerst unbehaglich. Doch noch immer bringt er kein Wort hervor. Doch unvermutet kommt ihm sein Bruder zu Hilfe. „Ja, er war sehr brav, Weihnachtsmann!“, bricht der Kleine das Schweigen, „Er ist der beste Bruder den man sich wünschen kann.“ Noch immer sagt keiner ein Wort. Alle scheinen innerlich das gleiche zu denken: Kaiba und brav? Doch plötzlich meldet sich auch Jonouchi zögernd: „Also wenn ihr mich fragt, brav war er schon irgendwie. Ich meine, er hat mich schließlich hergefahren.“ Verblüfft schaut Kaiba den blonden Jungen an, doch Jonouchi zuckt nur leicht lächelnd die Achseln als Antwort. „Ja, er war brav!“, hört man nun auch Shizukas Stimme, „Er hat schließlich meinen Bruder hergebracht, als wir schon gar nicht mehr damit gerechnet haben. Er hat auf jeden Fall ein Geschenk verdient!“ In Seto Kaibas Hals bildet sich ein dicker Kloß. So viel Wohlwollen ist er einfach nicht gewohnt. Doch im gleichen Maß meldet sich nun auch sein Gewissen. Und ehe er seine Lippen unter Kontrolle bringen kann, sagt er auch schon: „Nein...! Eigentlich war ich nicht besonders brav in letzter Zeit.“ Dann lässt er ein wenig den Kopf hängen. Verwundertes Schweigen ist die Folge. Niedergeschlagen blickt Seto in die Runde. „Ich habe vieles getan, worauf ich nicht stolz bin. Ich... weiß nicht, warum mir das erst heute klar wird“, unwillkürlich versteift er sich, „Ihr solltet ohne mich weiterfeiern! Ich denke nicht, dass ich hierher gehöre.“ Mit diesen Worten wendet er sich um und geht mit festem Schritt auf den Ausgang zu. „Seto...!“, verwirrt schaut Mokuba seinem Bruder nach. „Warte doch, Kaiba!“, rasch läuft Yugi ihm hinterher. Auf dem Flur holt er ihn ein. Der stolze junge Mann, bleibt stehen. Verlegen schaut Yugi ihn an: „Was du da sagst... das stimmt doch nicht, Kaiba. Wir möchten gerne, dass du mit uns feierst. Lassen wir doch, was geschehen ist, ruhen! Komm wieder rein, ok?“ Für einen langen Augenblick schaut Kaiba den jungen Mann vor sich nur an. „Sag mir eins, Yugi!“, meint er schließlich, „Warum wolltest du mich unbedingt auf dieser Feier haben?“ Verlegen schaut Yugi ihn an: „Na ja, weißt du... ich wollte einfach nicht, dass du alleine feiern musst. Weihnachten feiert man doch mit der ganzen Familie, und da Mokuba und du ja keine Eltern mehr habt, dachte ich... vielleicht möchtet ihr wenigstens im Kreis eurer Freunde feiern. So ganz alleine Weihnachten... das ist doch nichts!“ Schweigend steht Seto Kaiba da. Er macht einen abwesenden Eindruck. Irgendetwas scheint ihn in seinem Inneren ziemlich bewegt zu sein. Dann nach einem tiefen durchatmen, legt sich ein schwaches Lächeln auf sein Gesicht. „Du hast Recht, Yugi! Lassen wir es ruhen! Es ist noch nicht zu spät für einen neuen Versuch!“ Yugi schenkt ihm ein warmes Lächeln. „Komm mit, Kaiba! Egal was du denkst, wir haben dich gerne hier!“ Unmerklich lässt sich Seto einen leichten Seufzer der Erleichterung entfahren. Dann wendet er sich noch mal an seinen ewigen Rivalen: „Danke, Yugi!“ Als sie wieder den Raum betreten gibt es zwar kein großes ‚Hallo!’, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass Yugis Großvater angefangen hat die Geschenke zu verteilen. Honda ist gerade mit Zähnen und Klauen beschäftig, sein Geschenkpapier aufzureißen. Mai wirft ihm dafür einen tadelnden Blick zu. „Immer mit der Ruhe!“, versucht der falsche Weihnachtsmann sie zu besänftigen, „Ihr bekommt ja alle was!“ „Genau, Kumpel!“, rügt Jonouchi seinen Freund, „Zeig mal n bisschen Würde! Is ja peinlich mit dir!“ „Hier Katsuya, das ist für dich!“ „Uiiiii! Meins, meins, meins, meins, meins, meins, meins, meeeeeiiiins!!!!!“ Genervt hält Mai sich die Ohren zu. „Kannst du bitte nicht so quietschen, Jonouchi?“, beschwert sie sich, „Und hör auf, so albern durch die Gegend zu hoppeln!“ „Whaaahaaa!!!“, mit einem Aufjauchzen stürzt sich Jonouchi auf seine Paket und reißt das Papier weg. „Und er beschwert sich, wenn ich ihn ‚Hündchen’, nennen!“, mit verschränkten Armen steht Seto Kaiba daneben und beobachtet die Szene schmunzelnd. Jemand zupft ihm am Ärmel. „Hey, Seto!“, neben ihm steht Mokuba, „Das Geschenk ist für dich. Ich hab’s grad noch ergattern können.“ „Danke, Mokuba!“, mit einem sanften Lächeln nimmt Kaiba das Paket in Empfang. Behutsam beginnt er es auszupacken. Währenddessen beginnt Mokuba genüsslich an der riesigen Zuckerstange zu kauen, die in seinem Geschenk war, Anzu freut sich über ein paar Ohrringe, Shizuka bekommt Ohrenwärmer in der Gestalt von zwei Häschen, Otogi probiert seinen neuen Gürtel an, Mai inspiziert fachlich ihr neues Tennisschlägerset, Yugi überlegt verzweifelt wie er seinen neue Bommelmütze aufsetzen soll, Yugis Mutter bewundert ihre neue Vase, Honda beginnt sofort in einem dicken Stapel Actioncomicheften zu blättern und Jonouchi hat es schließlich doch geschafft, seinen neuen Hüpfstab aus der Verpackung zu befreien. „Oh nein!“, ruft Anzu halb verzweifelt, als sie Jonouchis Geschenk sieht, „Wer hat ihm denn bloß so ein Ding geschenkt!“ „Hehehe!“, Jonouchi grinst genüsslich. „Von nun an wird er unausstehlich sein!“, bemerkt Mai kopfschüttelnd. „Aber nicht hier drinnen!“, schiebt Yugis Mutter dem Ganzen energisch einen Riegel vor. „Och menno!“, mault Jonouchi beleidigt. Während die anderen noch über ihre Geschenke debattieren, hält Kaiba endlich sein eigenes in den Händen. Fast muss er schmunzeln. Es ist ein Stofftier. Ein kleiner Weißer Drache mit Eiskaltem Blick aus Plüsch! „Och, der ist ja niedlich!“, ruft Shizuka hingerissen als sie das kleine Kuscheltier entdeckt, „Darf ich den mal haben?“ Nun mischt sich auch Jonouchi ein; der Junge muss irgendwo eine Antenne haben wenn es um seine Schwester geht. „Ja, Kaiba, gib ihn mir auch mal! Der ist ja sooo niedlich! Der passt zu dir!“, imitiert er seine Schwester. „Lass den Unsinn, Katsuya!“, weist ihn seine Schwester zurecht. Doch Jonouchi ist nicht zu bremsen. Kaiba ist sein altbewehrtes Ziel und das wird er auch ausnutzen. „Komm schon, Kaiba-chan!“, säuselt er mit verstellter Stimme, „Gib mir den niedlichen Drachen, nur ein mal!“ Ungeniert scharwenzelt er um den hochgewachsenen, jungen Mann herum und versucht ihm den Drachen abzuluchsen. Doch er hat die Rechnung ohne Kaiba gemacht. „Das kannst du gleich vergessen, Jonouchi!“ Wer jetzt gedacht hat, dass Kaiba sich von Jonouchis peinlichen Neckerein wie üblich wenig beeindruckt zeigt, wird nun eines besseren belehrt, „Das hier ist mein Drache, und ich habe auch vor ihn zu behalten, klar?“ Ein wenig entgeistert verfolgen die Umstehenden wie Jonouchi mehrmals an Kaiba hochspringt bei dem Versuch den kleinen Stoffdrachen zu ergattern, den der junge Firmenchef am gestreckten Arm so hoch wie möglich über seinen Kopf hält. „Gib dir keine Mühe, Kleiner!“, grinst Kaiba selbstgefällig, „Meine Größe wirst du nie erreichen!“ „Hey, das ist unfair!“, mault Jonouchi, „Du bist viel größer als ich!“ „Ehre wem Ehre gebührt!“, zitiert Kaiba grinsend. „Na warte!“, grollt Jonouchi. Hastig läuft er zu seinen Geschenkpapierfetzen und hebt seinen Hüpfstab auf. „Woll’n doch mal sehen, wer jetzt größer ist!“ Warnend hebt Kaiba den Finger. „Hey, komm nicht auf komische Ideen!“ Jonouchi grinst breit. „Hier komme ich, Kaiba-chan!“ Ohne noch einmal zu überlegen, schwingt er sich auf seinen Hüpfstab und schon springt er los, quer durchs Zimmer und direkt auf Kaiba zu, der ihm entgeistert entgegenblickt. „Du Volltrottel, doch nicht im Haaaa.....!“, der Satz geht in einem lauten Geschepper unter, als Jonouchi Kaiba, zusammen mit dem Hüpfstab, einem Beistelltisch auf dem glücklicherweise nichts steht und ein paar Klapphockern, zu Boden reißt. Unsanft kommt er auf den jungen Firmenchef zu liegen. Nachdem sich der erste Schrecken gelegt hat, hört man Hondas vorsichtige Frage: „Hat er ihn jetzt umgebracht?“ Doch zur allgemeinen Erleichterung kommt langsam wieder Leben in die beiden jungen Männer. Verlegen lächelnd hockt Jonouchi auf Kaibas Brust und guckt auf ihn runter. „Ähm... alles ok, Kaiba?“ Der junge Mann unter ihm verdreht die Augen: „Du bist ein Vollidiot!“ „Bist du mir böse?“ „Nein, ich werd dich einfach ohne Grund töten!“ Entschuldigend streckt Jonouchi ihm den kleinen Plüschdrachen hin und versucht angestrengt reumütig auszusehen: „Komm, sei wieder lieb, Kaiba-chan! Hier ist dein Drache!“ Tief atmet Seto Kaiba durch, dann schnappt er sich mit einem entschiedenen Griff den Plüschdrachen. „Das ist meiner!“ Umständlich rappelt er sich auf, der andere Junge weicht rasch zurück. „Ach, und Jonouchi...!“ „Was denn?“ „Wenn du mich noch ein einziges Mal Kaiba-chan nennst, werde ich mit deinem Gesicht die äußeren Witterungsverhältnisse in Erfahrung bringen!“ Verständnislos wirft Jonouchi Honda einen Blick zu. „Schneeballschlacht!“, übersetzt Honda gelassen. „Oooh...!!“, schelmisch grinsend wendet der Blonde sich wieder Kaiba zu. Der braunhaarige, junge Mann ahnt bereits, was als Nächstes kommt und wirft Jonouchi eine warnenden Blick zu. Alle Umstehenden verfolgen gebannt was als Nächstes passiert. Normalerweise gibt sich Kaiba nicht mehr als nötig mit ihrem Freund ab aber heute Abend scheint er wie ausgewechselt. Was mag bloß mit ihm geschehen sein? Doch wenn sie einen Beweis für Seto Kaibas Veränderung brauchen, dann liefert ihnen den Jonouchi mit seinem nächsten Satz. „Sag mal, Kaiba-chan, wenn ich was noch einmal sage, wolltest du...?“ Doch Seto Kaiba lässt ihn den Satz nicht beenden: „So, Jonouchi! Jetzt bist du dran!“ Blitzartig stürzt er sich auf Jonouchi der augenblicklich Fersengeld gibt und gerade noch durch die vorsorglich von Otogi geöffnete Terrassentür in den Garten entkommt. Während Kaiba ausprobiert wie viel Schnee in Jonouchis Mund reinpasst und dieser ihm dabei mit beiden Händen Schnee in den Kragen stopft, feuern Honda, Otogi, Mokuba und Shizuka die beiden an. Yugi, Mai und Anzu beobachten das Ganze durchs Fenster und können nur staunen. „Ich kann es einfach nicht fassen, ihn so zu sehen!“, meint Anzu verblüfft, „Ich meine, schau ihn dir doch an! Ich glaube, er hat sogar den Stoffdrachen gemocht, den wir ihm ausgesucht haben.“ „Ausreichend verteidigt hat er ihn jedenfalls“, bemerkt Mai. „Ich erkenne ihn auch nicht wieder“, meint Yugi nachdenklich, „aber ich freue mich, dass er hier Spaß hat! Irgend etwas schien ihm schwer auf der Seele gelegen zu habe vorhin. Ich bin froh, dass es ihm jetzt besser geht. So ausgelassen hab ich ihn noch nie gesehen.“ „Schau dir das an!“, meint Mai, „Jonouchi hat ganz schön zu kämpfen mit ihm. Er kann froh sein, dass Kaiba ihn für gewöhnlich nur bei Duellmonsters fertig macht, beim Schneecatchen hätte er keine Chance!“ Während die anderen draußen toben, hilft Yugi seiner Mutter Jonouchis Chaos zu beseitigen und den Tisch abzuräumen. Schließlich kommt die ganze Bande durchnässt und außer Atem zurück ins Wohnzimmer. „Ich wette, ihr könnt jetzt einen heißen Weihnachtspunsch vertragen“, schmunzelt Yugis Mutter ihnen zu. Dieser Vorschlag wird mit großer Begeisterung angenommen. „Und wer hat nun gewonnen?“, fragt Anzu. „Tja!“, meint Jonouchi, „Ich würde mal sagen es war unentschieden!“ „Träum weiter, Jonouchi!“, meint Kaiba herablassend, „Ich hab dich nach allen Regeln der Kunst besiegt!“ „Wenn’s dich glücklich macht!“, antwortet Jonouchi gedehnt, und dann macht er sich über seinen Weihnachtspunsch her. „Hey, Seto!“, zupft Mokuba seinen Bruder am Ärmel, der sich seit langem mal wieder richtig ausgetobt in einen Sessel in der Ecke hat plumpsen lassen. „Was denn?“, fragt er. „Das hier hast du beim Toben im Garten verloren. Es muss dir aus der Tasche gefallen sein.“ Fragend hält der Kleine ihm die Weihnachtsbommelmütze hin. Seto Kaiba erstarrt unwillkürlich. Alle Augen ruhen nun auf ihm. „Ach... stimmt ja!“, meint er schließlich nachdenklich, „Hatte ich ganz vergessen!“ „Setz sie doch mal auf!“, fordert Mokuba ihn auf. Seto Kaiba seufzt einmal schwer, offenbar bleibt ihm keine Wahl. Na gut, wenn er seinem Bruder damit eine Freude macht! Behutsam zieht er sie über. Mokubas Gesicht strahlt: „Fröhliche Weihnachten, Seto!“ „Fröhliche Weihnachten, Moki!“, lächelt er sanft zurück und dann richtet er die nächsten Worte an die verstohlen kichernden Personen um ihn herum, „Und wenn ich nur Einen lachen höre, kann derjenige sein Testament machen!“ „Ach, komm schon, Kaiba!“, schmunzelt Mai, „Sei nicht so widerborstig! Du bist heute doch schon so sehr aus dir rausgegangen, das steht dir irgendwie viel besser!“ Mit herausforderndem Hüftschwung kommt sie auf ihn zu. Irritiert schaut Kaiba ihr entgegen: „Äh... was wird das, bitte?“ „Keine Angst, Kaiba!“, flötet sie, „Ich beiße schon nicht! Ich finde nur, dass du gerade mal einen ordentlichen Schmatzer verdient hast, so drollig wie du dich heute aufführst!“ Schon hat sie den ziemlich überrumpelten Kaiba erreicht und beugt sich mit sinnlich gespitzten Lippen zu ihm herunter. „Kommt ja gar nicht in Frage!“, wehrt Seto Kaiba entschieden ab, „Soweit kommt das wohl noch!“ Doch wie als Antwort grinst sie ihn nur neckisch an. „Kaiba-chan! Wirf doch mal einen ganz kurzen Blick nach oben!“ Unwillkürlich folgt er ihrem Fingerzeig. „Siehst du das? Weißt du was das ist?“, zirpt sie neckend. Ein wenig entgeistert blickt Kaiba auf das grüne Büschel über seinem Kopf. „Es ist doch nicht etwa das wofür ich es halte, oder?“, meint er trocken. „Aber hundert pro!“, gurrt sie und dann packt sie ihn am Kragen und drückt ihm einen sinnlichen Bussi auf die Wange. „Na?“, zwinkert sie schelmisch, „Schon vorbei! War’s denn so schlimm? Ist alles noch dran?“ Doch Seto Kaiba sitzt nur ein wenig entgeistert da und versucht mit der Tatsache klarzukommen, gerade den ersten weiblichen Kuss seines Lebens bekommen zu haben. „Das halt ich nicht aus!“, seufzt er matt. „Darf ich auch maaal?“, trällert Jonouchi um ihn weiter aufzuziehen. Sofort ist Kaibas Blick wieder auf Normalbetrieb zurückgeschaltet: „Willst du sterben?“ „Guck mal, Shizuka!“, ruft jetzt Honda dem braunhaarigen Mädchen zu, „Hier hängt auch einer!“ Sofort ist Jonouchi von Kaiba abgelenkt. „Hey, fass ja meine Schwester nicht an, sonst kriegste n Satz heiße Ohren!“ „Man wird doch wohl n Scherz machen dürfen!“ „Deine Scherze kenne ich, du Lustmolch!“ Doch während die beiden sich noch streiten und sich Otogi derweil von ihnen unbemerkt bei Shizuka einen Mistelkuss abholt, ertönt auf einmal die Türklingel. Hastig läuft Yugi zur Tür. Davor steht ein ziemlich durchgefrorener Bakura mit einer gut verpackten Pappschachtel. „Tut mir leid, dass ich so spät komme!“, bibbert er, „Aber hierfür bin ich durch die ganze Stadt gehetzt.“ „Du liebe Güte, komm rein!“, meint Yugi rasch, „Geh erst mal rein und wärm dich auf! Ich schau mal ob noch was in der Küche ist. Mit Essen sind wir schon fertig.“ Dankbar legt Bakura seinen Mantel ab und stapft ins Zimmer. „Hallo, alle zusammen!“, ruft er fröhlich, „Frohe Weihnachten euch allen!“ „Bakura, altes Haus!“, ruft Jonouchi freudig, „Mensch, du kommst ja sogar noch später als ich.“ Verschämt kratzt sich Bakura am Kopf. „Tut mir leid, aber ich musste noch etwas besorgen und darüber hab ich wohl die Zeit vergessen.“ „Und darf man auch erfahren, was es nun ist, dass dich so lange aufgehalten hat?“, lässt sich Mai vernehmen. „Na klar!“, nickt Bakura, „Ich hab was ganz Tolles für unseren Weihnachtsbaum mitgebracht. Kommt mal alle her!“ Neugierig gesellen sich alle zu ihm, während Bakura behutsam und geheimnisvoll damit beginnt, sein Päckchen auszupacken. Auch Seto Kaiba tritt näher. Ein ganz eigenartiges Gefühl hat von ihm Besitz ergriffen und aus irgendeinem Grunde kommt es ihm bekannt vor. „Mach doch schon mal einer die Lichter am Baum an!“, schlägt Bakura vor während er die letzten Packschnüre abnestelt. Ohne weitere Aufforderung steckt Anzu die nötigen Stecker in die Steckdose und schaltet die Deckenlampe aus. Gespannte Stille liegt nun über dem Zimmer. Auch Yugi, seine Mutter und sein Großvater sind nun dazugekommen und schauen den anderen über die Schultern. Mokuba drängelt sich zum bersten gespannt nach vorne und Honda fummelt nervös an einem Stück Geschenkpapier herum. „Machs nicht so spannend, Bakura!“, jammert Jonouchi, „Ich halt’s ja jetzt schon kaum aus, dass ist ja noch spannender als ein Battlecity-Finale!“ „Ja, sofort!“, antwortet Bakura, „Also dann! Hier ist es!“ Behutsam nimmt er den Pappdeckel von der Schachtel und zum Vorschein kommt eine wunderschöner, weißer Stern; eine filigrane Christbaumspitze ganz aus Kristallglas. Die unzähligen Fassetten glitzern im Schein der Kunststoffkerzen nach allen Richtungen. „Wow!“, staunt Jonouchi, „Also echt, dafür hat sich die Geheimniskrämerei gelohnt.“ „Es ist zauberhaft!“, haucht Shizuka. An jeder Wand des Zimmers schimmern nun regenbogenfarbene Glitzerpünktchen und kaum einer kann sein Erstaunen in Worte fassen. „Wo hast du die bloß her?“, staunt Anzu, „Die muss ein Vermögen gekostet haben.“ „War nicht leicht die zu finden“, gesteht Bakura, „Ich bin durch die ganze Stadt gelaufen. Ich hab sie dann in einem alten Pfandleihhaus gefunden. Reines Glück!“ „Das kannst du laut sagen, Kumpel!“, murmelt Honda. „Und nun? Wollen wir sie denn nicht aufsetzen?“, wirft Mai die Frage in den Raum. „Na klar, doch!“, meint Jonouchi, „Gib her! Ich mach das schon!“ „Kommt ja nicht in Frage!“, protestiert Honda, „Dir würd ich das Ding nicht ums Verrecken in die Hand geben. Was du in die Finger kriegst, geht nur zu Bruch!“ „Ach ja? Du kannst das wohl besser was?“ „Könnt ihr beiden Kindsköpfe nicht einmal mit dem Streiten aufhören?“, geht Anzu dazwischen, „Wenn hier einer das Recht hat, den Stern aufzusetzen, dann ja wohl Bakura.“ Aufmunternd nickt sie dem hellhaarigen, jungen Mann zu. „Na schön!“, gibt Bakura sich geschlagen. Vorsichtig nimmt der die Baumspitze aus der Schachtel und geht zum Weihnachtsbaum hinüber. Mit äußerster Sorgfalt streckt er den Baumschmuck zur Spitze hinauf, während ihm alle Anwesenden wie gebannt beobachten. Keiner wagt ein Wort zu sagen aus Furcht, Bakura könnte das kostbare Kleinod fallen lassen. Es fehlen wirklich nur wenige Zentimeter doch er kommt einfach nicht dran. „Darf... ich behilflich sein?“, ungewöhnlich zurückhaltend ist Seto Kaiba an ihn herangetreten. Nun blickt er den jungen Mann mit einem hoffnungsvollen Lächeln an und nickt ihm aufmuntern zu. Ziemlich verwirrt schaut Bakura zurück. Was ist denn mit Kaiba los? Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen er geniert sich. Doch dann nickt Bakura mit einem freundlichen Lächeln und überreicht dem hochgewachsenen, jungen Mann die Kristallspitze. Für einen Moment schluckt Seto schwer. Hier in seiner Hand hält er eine Baumspitze, die dem Schmuck aus seiner Kindheit bis ins kleinste Detail gleicht. Sein Herz pocht bis zum Hals und er spürt wie seine Finger ein wenig vor Ergriffenheit zittern. Doch behutsam schließt er die andere Hand darum, um das kostbare Stück nur ja nicht fallen zu lassen. Sein Blick geht hinüber zu Mokuba. Der kleine Junge steht mit großen Augen und bebender Unterlippe da und Seto kann sehen, wie ihm die Tränen über das Gesicht laufen. Es besteht kein Zweifel, auch sein Bruder hat den Stern von damals erkannt. Er schenkt ihm ein aufmunterndes Lächeln und dann streckt er mit sicherem Griff die Hand aus und steckt den Stern auf die Spitze des Baumes. Hell strahlt die Baumspitze auf und alle Umstehenden schauen ergriffen auf das funkenversprühende Lichtspiel. Leise tritt Seto neben seinen Bruder und fährt ihm sanft mit der Hand durch die strubbeligen Haare. Dann spürt er plötzlich wie Mokuba seine Hand ergreift und ohne ein weiteres Wort zu sagen, ergreift er sie ebenfalls und drückt sie fest. Es ist seltsam, es kommt ihm so vor, als wäre er wieder elf Jahre alt und würde voll kindlichem Erstaunen vor dem Weihnachtsbaum im Wohnzimmer seiner Eltern stehen. Kann das sein? Ist das Hoffnung? Es muss so sein. Das Wissen mit seinem Bruder zusammen eine so wunderschöne Sache zu teilen, wiegt für ihn alles Schlimme auf, was er in den letzten Stunden erlebt hat, zusammen mit dem festen Entschluss, es niemals so weit kommen zu lassen. Epilog: -------- Ein wenig abseits von der andächtigen Gruppe, jedoch für sie völlig unsichtbar, steht Yami-Yugi und beobachtet mit einem zufriedenen Lächeln die Szene. Plötzlich gesellt sich eine weitere Person zu ihm. Ohne ein Wort zu sagen tritt sie hinter ihn und verschränkt gelassen die Arme. „Ah! Da bist du ja wieder!“, meint Yami-Yugi ohne sich umzudrehen. „Ja, ganz recht, da bin ich wieder“, bestätigt Yami-Bakura mit schiefen Lächeln, „Und wie ich sehe, ist Kaiba auch schon hier.“ „Was hat dich so lange aufgehalten?“, fragt Yami-Yugi mit einer Spur von Ironie. Yami-Bakura zieht eine Braue hoch: „Hast du eine Ahnung wie schwer es war, so ein Ding aufzutreiben?“ Den Blick noch immer der Szenerie zugewandt, schiebt Yami-Yugi seine Hände in die Hosentasche: „Wie hast du das bloß angestellt, ihn hierher zu bekommen?“ Yami-Bakura grinst hämisch: „Das werd ich dir bestimmt nicht erzählen, aber eines kannst du mir glauben, es hat mich einiges an Überwindung gekostet!“ Bei dem Gedanken daran läuft ihm ein Schauer der Abscheu durch den Körper und er schüttelt sich angewidert. „Du hast ihm Angst gemacht, oder?“, fragt Yami-Yugi leicht besorgt. Yami-Bakura schmunzelt bösartig: „Vielleicht ein kleines bisschen!“ Yami-Yugi schüttelt missbilligend den Kopf doch dann verzieht er anerkennend den Mundwinkel: „Ich hätte echt nicht gedacht, dass du ihn hierher bekommst!“ Nun hellt sich Yami-Bakuras Mine auf „Das bringt mich doch gleich wieder auf unsere kleine Wette zurück!“, grinst er triumphierend. „Wette?“, Yami-Yugi zieht erstaunt die Augenbrauen hoch, „Was für eine Wette?“ Augenblicklich verzieht sich Yami-Bakuras Gesicht zu einer verärgerten Fratze und er ballt die Faust: „Hey, willst du mich vielleicht verarschen? Du Dreckskerl, du weißt ganz genau welche Wette ich meine!“ Doch Yami-Yugi zuckt nur mit den Achseln: „Echt, keinen Schimmer!“ Nur ganz allmählich und mit größter Selbstdisziplin kann Yami-Bakura seinen Wutanfall wieder unter Kontrolle bringen. „Wenn du gestattest“, quetscht er zwischen den Zähnen hervor, „dann helfe ich deinem Gedächtnis mal ein wenig auf die Sprünge! Du weißt, ich habe ein stichhaltiges Beweismittel!“ Ohne weitere Worte zu verschwenden, greift seine Hand nach seinem Millenniumsring und plötzlich senkt sich ein Nebel über die Szenerie. Als das Bild wieder klarer wird, erkennt man Yugis Wohnzimmer, doch durch das Fenster scheint noch die Nachmittagssonne und es fehlt noch der Großteil der Dekoration. Gerade sieht man Bakura wie er sich am Weihnachtsbaum zuschaffen macht, als Yugi in seinem dicken Wintermantel das Haus betritt. Niedergeschlagen lässt er sich am Tisch nieder. „Hey, was ist den los, Yugi?“, fragt Bakura besorgt. Yugi verzieht betrübt das Gesicht. „Ach, weißt du, ich hab doch Kaiba zu unserer Weihnachtsfeier eingeladen. Nun war ich grad bei ihm und... er hat keine Zeit. Nein, eigentlich hat er keine Lust! Ich weiß einfach nicht was ich noch versuchen soll. Er ist so schrecklich unnahbar. Ich mach mir einfach Sorgen um ihn. Ich würde doch so gerne dieses Jahr mit allen meinen Freunden feiern!“, er seufzt, „Ach man, das verdirbt mir noch die ganze Weihnachtsfreude. Jonouchi hat vorhin auch schon angerufen und gesagt er verspätet sich wohl. Es ist einfach wie verhext!“ Während Bakura noch bemüht ist, seinen Freund zu trösten, sieht man plötzlich ein Stück entfernt Yami-Yugi stehen. Kopfschüttelnd beobachtet er seinen Partner. „Armer Yugi! Dieser Kaiba ist aber auch wirklich ne harte Nuss! Was der sich mal in den Kopf gesetzt hat, davon ist er nicht mehr abzubringen. Kein lebendes Wesen wird den jemals zu dieser Weihnachtsfeier bringen und selbst wenn, hat er nie im Leben Spaß daran, da verwette ich mein Millenniumspuzzle drauf!“ Urplötzlich taucht auf einmal eine weißhaarige Gestalt hinter ihm auf: „Hab ich da gerade Millenniumspuzzle gehört?“ Yami-Yugi dreht sich um: „Ach, du bist das!“ „Lenk nicht ab!“, hebt Yami-Bakura mahnend den Zeigefinger, „Was hast du da grade noch gesagt?“ „Ich sagte, kein lebendes Wesen wird Kaiba je dazu bringen, zu dieser Feier zu erscheinen und dann auch noch Spaß dabei zu haben, da verwette ich mein Millenniumspuzzle drauf!“ „Wir sind aber heute ziemlich einsatzfreudig, was?“, grinst Yami-Bakura ungeniert, „Muss wohl an der gefühlsduseligen Atmosphäre heute liegen.“ „Ach, lass die blöden Witze!“, meint Yami-Yugi. „Glaubst du echt ich mach Witze?“, empört sich Yami-Bakura. „Als ob du Kaiba hierher kriegen könntest!“, meint Yami-Yugi abfällig. „Ach, du meinst, dass kann ich nicht, was?“ „Nie im Leben!“ „Phö, ich werd’s dir beweisen! Ich werd dir den Kerl herschaffen, verlass dich drauf!“ „Das schaffst du nie!“ „Wetten, dass doch?“ „Wetten, dass nicht?“ „Ok, die Wette gilt, Pharao! Mach dich auf deine erste große Niederlage gefasst!“ Mit diesen Worten löst sich die wutschnaubende Gestalt in Luft auf und nur wenige Augenblicke später wird der junge Bakura im Wohnzimmer steif wie eine Puppe. Ohne sich umzudrehen geht er hinüber zur Garderobe und nimmt seinen Mantel. „Tut mir leid, Yugi! Mir fällt grad ein, dass ich noch was Wichtiges vergessen habe. Ich muss unbedingt noch was für den Weihnachtsbaum besorgen. Bin heut Abend wieder da!“ Mit diesen Worten verlässt er das Haus und mit dem Klappen der Tür endet auch die Illusion und die beiden unsichtbaren Gestalten befinden sich wieder im abendlichen Wohnzimmer der Mutos. „Na?“, fragt Yami-Bakura ungeduldig, „Reicht das? Weißt du jetzt welche Wette ich meine?“ Nun scheint es Yami-Yugi leicht zu dämmern: „Ach die Wette meinst du! Die hatte ich schon fast vergessen.“ Dann beobachtet er weiter schweigend das Geschehen im Wohnzimmer. Still verstreichen die Sekunden. Langsam wird Yami-Bakura ungeduldig und auch zunehmend gereizt. „Und? Was ist jetzt?“ „Oh, ach so!“, meint Yami-Yugi plötzlich, „Stimmt, du hast gewonnen, ich gebe es zu. Gratuliere!“ Ein wenig perplex starrt Yami-Bakura den schlanken Geist vor ihm an. „Ist das alles?“, fragt er schließlich, „Davon kann ich mir nix kaufen. Rück gefälligst das Millenniumspuzzle raus!“ Nun dreht Yami-Yugi sich erstaunt zu ihm um: „Mein Puzzle?“, dann scheinbar urplötzlich scheint es ihm zu dämmern, „Ach so! Aber wir haben doch niemals um mein Puzzle gewettet!“, bei diesen Worten zwinkert er ihm zu und lächelt. Yami-Bakura explodiert: „Sag mal bist du gehirnexorziert? Wir haben das doch gerade eben erst gesehen! Und du hast selber zugegeben, dass ich die Wette gewonnen habe.“ „Hey, schrei doch nicht gleich so!“, meint Yami-Yugi betont gelassen, „Bei unserer Wette ging es nur darum ob du Kaiba zu Yugis Weihnachtsfeier bringen kannst. Einen Wetteinsatz haben wir überhaupt nicht festgesetzt.“ „Erzähl keinen Müll!“, ereifert sich Yami-Bakura, „Du hast gesagt du verwettest dein Millenniumspuzzle, das waren deine Worte!“ „Ja!“, bestätigt Yami-Yugi ruhig, „Aber ich sagte auch, dass kein lebendes Wesen es fertig bringen würde, und du bist genau so wenig lebendig wie ich , mein Freund! Also hättest du diese Wette sowieso nicht gewinnen können! Wir beide haben nur gewettet, ob du ihn herbringen kannst, mit dem Millenniumspuzzle hatte das nichts zu tun!“ Mit einem munteren Lächeln dreht sich Yami-Yugi wieder um. Hinter ihm steht Yami-Bakura und glotzt ihm ungläubig auf den Rücken. Eine ganze Weile sagt er kein Wort. Doch dann verzieht sich seine Mine zu einem verächtlichen Grinsen: „Du hast mich ausgetrickst! Du hast mich ganz einfach verarscht!“ Noch immer hat Yami-Yugi ihm den Rücken zugekehrt aber er lächelt. „Yupp! Hab ich!“ Yami-Bakura stemmt den Arm in die Seite und blickt mit ungläubiger Mine zu Boden. „Ich fasse es nicht!“ „Mach dir nichts draus!“, meint Yami-Yugi mitfühlend und beobachtet weiter mit verschränkten Armen die Szenerie vor sich, „Das kann jedem mal passieren! Ach, und Bakura?“ „Was?“, kommt es unwirsch zurück. Yami-Yugis Lächeln wird breiter: „Danke noch mal, dass du mir bei Yugis Geschenk geholfen hast!“ Yami-Bakura entgleisen die Gesichtszüge. Entgeistert starrt er Yami-Yugi an. „Geschenk?“ „Ja, klar!“, bestätigt Yami-Yugi mit einem verstohlenen Grinsen, „Er wollte doch unbedingt mit allen seinen Freunden feiern. Das war es doch was er sich wirklich gewünscht hat. Und seien wir mal ehrlich, was hätte ich ihm denn sonst schenken können?“ Noch immer starrt Yami-Bakura ihn völlig perplex an: „Geschenk?“ „Sieh’s mal positiv! So kommt Kaiba wenigstens zu einer schönen Feier und Jonouchi auch, nebenbei bemerkt. Du hast da wirklich ganze Arbeit geleistet. Gut gemacht!“ Mit offenem Mund und erhobenem Zeigefinger steht Yami-Bakura da. Ungläubig starrt er in die Gegend. Schließlich nach einer langen Pause des Schweigens verzieht sich sein Gesicht und er verfällt in ein leises, fassungsloses Lachen über sich selbst: „Tss, ist es denn die Möglichkeit!“, kopfschüttelnd grinst er vor sich hin, „Und ich hab dir dabei auch noch geholfen! Du wolltest Yugi eine Weihnachtsfreude machen und ich sollte dabei die Drecksarbeit erledigen. Und die falsche Wette um das Millenniumspuzzle war bloß ein Köder auf den ich dann auch prompt reingefallen bin.“ Über Yami-Yugis Gesicht zieht sich nun ein seliges, kleines Lächeln und er scheint auf einmal etwas unheimlich Interessantes an der Decke zu finden. Währenddessen lacht Yami-Bakura weiter in sich hinein. Noch immer völlig überrumpelt fasst er sich an die Stirn. „Du hast mich nach Strich und Faden ausgenutzt und ich hab es nicht gemerkt! Du hast mich eiskalt übern Tisch gezogen!“ Noch immer steht Yami-Yugi mit dem Rücken zu ihm, doch dass er zufrieden lächelt, sieht man ihm auch von hinten an. Kopfschüttelnd schaut Yami-Bakura zu ihm hinüber und lächelt geschlagen. „Du Aas!“ Yami-Yugis Mundwinkel steigen weiter an. Mit einem verträumten Lächeln auf den Lippen schaut er zur Decke. „Ich weiß!“ Doch von diesem kleinen, unsichtbaren Szenario bekommen Yugi und seine Freunde nichts mit, denn während Yami-Bakura im stillen weiter auf den trickreichen Pharao flucht und Yami-Yugi sich weiterhin mit selbstzufriedenem Grinsen darüber freut, seinem Dauerkontrahenten gehörig ein Schnippchen geschlagen zu haben und zugleich noch etwas Gutes bewirkt zu haben, erfreuen sich die jungen Leute weiterhin an ihrem Weihnachtsfest. Unter der besinnlichen Stimmung die der Weihnachtsbaum verbreitet, sind Jonouchi und die anderen wieder dazu übergegangen, die restlichen Geschenke auszutauschen. Aus ein paar Schritt Entfernung beobachtet Kaiba wie Shizuka ihrem Bruder ein großes Packet überreicht in dem sich ein dicker, flauschiger Pulli befindet auf dem ein knuddeliger, kleiner Hund mit aufgeklebten Kulleraugen zu sehen ist. Die Freude im Gesicht des blonden Jungen ist nicht ein bisschen aufgesetzt; das erkennt Kaiba sogar von hier aus. Dann überreicht Jonouchi ein wenig verlegen seiner Schwester ihr Geschenk und als sie den pastellfarbenen Seidenschal in Händen hält, fällt sie überglücklich ihrem Bruder um den Hals. Ein leichtes Lächeln umspielt Seto Kaibas Lippen während er es beobachtet. Wer hätte gedacht, dass ich Jonouchi mal etwas Gutes gönnen würde, denkt er bei sich. „Guck mal, Seto!“, meint nun Mokuba neben ihm, „Ich hab ein Duellmonsters-Starterdeck von Yugi bekommen. Er meinte, er hätte mich noch nie spielen gesehen und war einfach der Meinung, ich könnte ein paar gute Karten für den Anfang gebrauchen. Du würdest mir schon zeigen, wie man sie richtig benutzt und sich ein eigenes Deck baut. Das machst du doch, oder? Zunächst ist Seto erstaunt. Obwohl sein Bruder immer bei den Turnieren dabei war, hatte er zuvor niemals den Wunsch geäußert, Duellmonsters lernen zu wollen. Vielleicht, weil er dachte, sein Bruder wäre zu beschäftigt um es ihm beizubringen, oder vielleicht auch weil er befürchtete, dass er in ihm dann einen Konkurrenten sehen würde und vielleicht hatte er ja sogar recht mit der Annahme. Doch dann wird sein Gesicht wieder mild. Das wird sich jetzt ändern! „Wenn du das gerne möchtest, Mokuba.“ Das Gesicht des Jungen strahlt auf und Seto Kaiba wird es erneut bedenklich warm ums Herz. Viel zu lange hat er diesem Gefühl keinen Raum gegeben, doch heute wird er seine Seelenfestung verlassen. Heute wird er sich gestatten zu fühlen, heute wird er verletzlich sein, denn heute ist Weihnachten und heute ist das in Ordnung. Seto lächelt ein wenig. Das Gefühl ist schön. Zum ersten Mal seit langem ist er wirklich glücklich. Danke Yugi! Auch die anderen scheinen so zu empfinden und niemand zieht ihn wegen seinem ungewohnten Verhalten auf. Im Gegenteil sie scheinen ihn heute tatsächlich als Freund zu betrachten. Sie sitzen nur im Wohnzimmer, packen Geschenke aus, futtern Plätzchen, hören Weihnachtsmusik, schwatzen und lachen und bewundern den Weihnachtsbaum dessen Spitze in bunten Glanzfassetten funkelt. Schließlich meint Yugis Mutter: „Also dieses Weihnachten ist wirklich sehr besinnlich dieses Jahr. Ich freu mich, dass ihr alle hier seid! Ich wünsch euch allen gesegnete Weihnachen!“ Zustimmende Rufe sind die Folge. Nur Seto Kaiba muss schmunzeln. Stimmt ja, so endet das Buch: „Gott segne jeden von uns!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)