Seto Kaiba und der Geist der Weihnacht von Weissquell (Ein Yugioh-Weihnachstlied in Prosa) ================================================================================ Kapitel 8: Schuld und Sühne --------------------------- Mit lautlosen Schritten schreitet der Bakura-Geist den Gang entlang. Zögernd folgt Kaiba ihm. Ihm ist äußerst unbehaglich zumute. Wenn er recht vermutet, findet er Jonouchi hier im Gefängnis und das gibt ihm kein gutes Gefühl. Vor nicht langer Zeit hätte er dies mit einem Achselzucken abgetan. Jonouchi sitzt im Gefängnis? Wen kümmerts? Das war doch früher oder später eh zu erwarten! Aber nun nicht mehr. Nun geht von der hinteren Zelle, auf die der Geist zusteuert, eine fast magische Anziehungskraft aus und Seto Kaiba kann nicht anders als seinem schemenhaften Begleiter zu folgen. Je näher er der vergitterten Zelle kommt um so mehr vernimmt er nun Stimmen die daraus hervordringen. Noch sind sie zu leise um etwas verstehen zu können, aber je näher sie der Zelle kommen umso deutlicher werden die Worte. Schließlich stehen sie direkt davor und nun kann Kaiba auch erkennen, wem die beiden Stimmen gehören. Das Innere der Gefängniszelle ist recht spartanisch eingerichtet. Außer einem Bett, einem kleinen Tisch mit Stühlen, einem kleinen Schrank und einem Blickschutz mit dem Abort dahinter, befindet sich nichts weiter in dem Raum. Die beiden Personen die gerade an dem kleinen Tisch sitzen und sich unterhalten, kennt Seto Kaiba nur zu gut, und obwohl er das schon beinah zu sehen erwartet hat, gibt der Anblick ihm doch einen leichten Stich ins Herz. Dort am Tisch sitzt Jonouchi in einer schlichten, grauen Gefängniskluft. Seine blonden Haare sind länger, als Kaiba es in Erinnerung hat und sie sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Über sein Kinn zieht sich ein stoppeliger Dreitagebart und der junge Mann hat dunkle Ringe unter den Augen und blickt ziemlich trübsinnig drein. Wie klischeehaft!, will Kaiba schon sagen, doch im gleichen Moment erinnert er sich daran, dass das alles die Realität ist und er verbeißt sich das Kommentar gerade noch. Stattdessen fällt sein Blick auf die andere Gestalt am Tisch. Es ist Yugi, auch er scheint um ein paar Jahre älter zu sein, ansonsten hat er sich äußerlich nicht verändert. Gerade jetzt ist er mit Jonouchi in eine leises Gespräch vertieft. „Es tut mir leid, dass ich es erst jetzt geschafft habe“, sagt Yugi gerade, „Ich musste meiner Mutter erst noch bei den Weihnachtsvorbereitungen behilflich sein. Vorher konnte ich nicht weg.“ „Macht doch nichts, Yugi“, meint Jonouchi leise, „Ich freu mich schon, dass du überhaupt gekommen bist. Ich bekomm nicht viel Besuch.“ Yugi schaut ein wenig unbehaglich zu Boden: „Du bist noch immer mein Freund, Jonouchi, egal was die anderen sagen. Ich lass dich nicht im Stich!“ „Danke, Yugi!“, murmelt Jonouchi, „Aber ich kann schon verstehen, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollen.“ Ein wenig unsicher sucht Yugi nach den richtigen Worten. „Sag doch so was nicht! Es haben dich noch nicht alle abgeschrieben“, er wirft einen raschen Blick zur Zellentür, es ist niemand zu sehen. Nun holt er aus seiner Hosentasche einen Brief hervor und schiebt ihn seinem Freund hinüber. „Ich war vorhin noch bei Shizuka“, raunt Yugi, „Sie bat mir, dir das mitzunehmen. Sie kann ja leider nicht persönlich kommen.“ Ruckartig setzt sich der blonde, junge Mann auf und nimmt rasch den Brief an sich. „Willst du ihn nicht aufmachen?“, fragt Yugi. „Nein, das mach ich nachher in Ruhe, wenn du nichts dagegen hast“, erklärt Jonouchi, „Du warst also bei Shizuka? Wie geht es ihr?“ „Na ja“, meint Yugi, „Nicht sehr gut. Sie vermisst dich noch immer, denk ich, auch wenn sie es nicht gesagt hat. Aber ich weiß, dass sie immer sehr an dir gehangen hat. Und du an ihr. Darum bat sie mich, dir den Brief zu geben ohne, dass ihre Mutter es mitbekommt.“ Der Junge in der Gefängniskluft ballt mit unterdrückter Wut die Faust um den Brief. „Mutter tut alles, um sie von mir fernzuhalten. Dabei hab ich mich schon mehrfach entschuldigt. Was soll ich denn noch machen?“ Eine leicht verzweifelte Mine huscht über sein Gesicht, „Ich vermisse Shizuka einfach sehr, aber ich kann das Geschehene nicht rückgängig machen. Ich muss jetzt eben meine Strafe erdulden. Aber unter uns gesagt, Yugi, die Trennung von ihr ist noch immer am härtesten.“ Aufmerksam beobachtet Seto Kaiba das Geschehen. Wieder spürt er einen harten Knoten in seiner Brust. Dieser kleine Trottel scheint doch tatsächlich sehr an seiner kleinen Schwester zu hängen. Aber warum hat er daran nicht gedacht bevor er kriminell geworden ist und was um alles in der Welt hat er denn nun angestellt? Nun ergreift Yugi wieder das Wort. „Das glaube ich dir, Jonouchi. Aber ich verstehe es immer noch nicht. Du hast lebenslänglich bekommen, weil du dich geweigert hast, eine Aussage zu machen und die Geschworenen nahmen deshalb an, dass du keinerlei Reue zeigst. Sogar Anzu und Honda denken, dass du es mit Absicht getan hast. Aber das kann ich mir einfach nicht vorstellen bei dir“, fast beschwörend schaut Yugi seinen Freund an, „Willst du mir nicht endlich erzählen was wirklich passiert ist?“ Für einen kurzen Moment scheint Jonouchi mit sich zu ringen, doch letztendlich lässt er die Schultern hängen. „Das nützt zwar jetzt auch nichts mehr, aber von mir aus. Aber schwöre mir, das du das niemandem erzählst!“ Sein Freund nickt ernst: „Versprochen!“ Seto Kaiba lässt die beiden jungen Männer nicht aus den Augen. Der Geist neben ihm lächelt nur kalt zu ihm hinüber, doch Kaiba schenkt ihm keine Beachtung. Wie gebannt hängt er nun an Jonouchis Lippen. Leicht geduckt stützt Jonouchi sich auf den Tisch auf und beginnt seine Erzählung. „Das Ganze hat nicht erst vor drei Jahren angefangen. Vater war schon immer... schwierig. Nein, um ehrlich zu sein, manchmal war er auch ziemlich brutal.“ „Ja“, nickt Yugi, „Das sagte dein Anwalt auch, aber das wurde nicht als mildernde Umstände gewertet. Dabei hätte man doch verstehen können, dass du das Ganze irgendwann nicht mehr ausgehalten hast...“ „Ich habe meinen Vater nicht mit Absicht umgebracht!“, zischt Jonouchi aufgebracht und fast verzweifelt, „Es war ein Versehen! Das musst du mir glauben, Yugi“ „Ich glaube dir ja!“, erwidert Yugi aufrichtig, „Aber warum hast du das denn nicht dem Richter erklärt? Was ist denn bloß passiert, um Himmels Willen?“ Jonouchi sinkt wieder in sich zusammen. „Erinnerst du dich noch an damals? Kurz vorher hatte die Kaiba-Corp dieses Duellmonsters-Turnier angesetzt. Duellmonsters-Allstars oder wie das hieß. Als Preisgeld winkte über fünf Millionen. Glaub mir, ich hatte nie vor, meinem Vater was zu tun! Wenn ich einen anderen Weg gewusst hätte, dann wäre ich ihn gegangen. Ich hätte mir eine eigene Wohnung gesucht und wäre ausgezogen, aber... ich hatte das Geld nicht dafür. „Und dann sah ich das Preisgeld von dem Turnier in der Zeitung. Das war meine Chance! Mir war klar, dass ich da mitmachen musste, wenn ich es jemals schaffen wollte, von ihm wegzukommen.“ Hier hält Jonouchi kurz inne und schluckt einmal vernehmlich, dann fährt er fort. „Ich habe mich also angemeldet. Für die Anmeldegebühr ist mein ganzes Erspartes draufgegangen. Das Turnier sollte kurz vor Shizukas Geburtstag stattfinden. Ich dachte mir, wenn ich gewinnen würde, dann könnte ich ihr endlich mal etwas richtig Schönes schenken. Du weißt doch, dass ich mal gar nicht so schlecht bei Duellmonsters war. Irgendeinen Preis hätte ich sicher gewonnen, aber es kam ja anders, wie du weißt. Kurz vor dem Turnier passierte ja dann diese Sache mit Kaiba.“ Seto Kaiba reißt die Augen auf: „Es ist was passiert? Was für eine Sache? Was ist mit mir passiert?“ Sein Herz schlägt bis zum Hals und sein Puls rast. Seine aufgewühlten Gedanken zwingen ihn in eine äußerst unangenehme Denkrichtung. Nein, er will das nicht denken. Mit aller Kraft weigert er sich, den Gedanken zuende zu denken. Nein, das ist nur eine Geschichte! Ein dummes Buch! Wie kann das die Realität sein? Ohne darüber nachzudenken, macht er zwei Schritte nach vorne und durchdringt dabei das Gitter. Nun steht er in der Zelle, direkt vor den beiden jungen Männern und sein Gesicht ist bleich. „Sag schon, was ist mit mir passiert?“, flüstert er. „Du bist tot, Seto!“ Die Stimme des Geistes klingt kalt und unbarmherzig. In Kaibas Brust krampft sich alles zusammen. Das kann nicht sein! Das ist seine Zukunft? Wie konnte das nur passieren? „Was...?“, Setos Stimme ist nur noch ein Hauchen. Alle Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen. Er fühlt sich entsetzlich elend und am liebsten würde er sich kurz hinsetzen, doch hier ist nichts was ihn tragen könnte. Doch Jonouchis Stimme lässt ihn wieder aufhorchen. Vielleicht erfährt er aus dieser Erzählung mehr darüber. „Sie konnten ja nicht herausbekommen wer der Schütze war, der ihn da auf offener Straße erschossen hat, also haben sie beschlossen, Nachforschungen anzustellen. Aber deshalb haben sie das Turnier andauernd verschoben und schließlich ganz abgesagt. „Und dann saß ich da. Die Chancen auf das große Geld waren dahin. Ich bin sicher, dass ich gewonnen hätte. Aber stattdessen war ich pleite, weil sie wegen der Umstrukturierung in der Firma das Startgeld nicht zurückgeben konnten. Eine lächerliche Ausrede, wenn du mich fragst. Kommen die nicht auf die Idee, dass es Leute gibt, die das Geld brauchen?“ Jonouchi schnaubt einmal verächtlich auf. Doch dann schluckt er noch einmal und schaut seinen Freund traurig an. „Ich war verzweifelt! Jetzt saß ich noch immer bei ihm fest und es sah nicht so aus, dass sich das jemals ändern würde. Kannst du dir vorstellen, wie man sich dann fühlt? Und hinzu kam noch, dass Shizuka am nächsten Tag Geburtstag hatte. Ich wollte ihr doch ein schönes Geschenk kaufen. Sie soll sich doch keine Sorgen um mich machen. Sie ist so ein sensibler Mensch. Sie sollte doch denken, dass bei mir alles in Ordnung ist. Also hab ich etwas getan, was ich sonst nie tun würde. Und hätte ich gewusst, was daraus wurde, hätte ich es bestimmt nicht getan. Ich nahm Geld aus der Brieftasche meines Vaters, um ihr ein Geschenk zu kaufen.“ Jonouchi lässt die Schultern hängen. Einen Momentlang schaut Yugi ihn schweigend an, dann sagt er: „Das sagte doch auch der Staatsanwalt. Er hat dich dabei erwischt und du hast ihn daraufhin niedergeschlagen.“ Jonouchis Kopf sinkt noch etwas tiefer. „Er hat mich... überrascht“, murmelt er, „Ich hab ihn gar nicht kommen gesehen. Ehe ich mich versah, schlug er auch schon mit der Flasche auf mich ein. Er... schrie rum, was ich mir denn erlauben würde und dass er mich dafür totschlagen würde. Ich hab... Angst bekommen. „Ich konnte ihm gerade so ausweichen und dann hat er die Flasche fallengelassen. Ich hab sie gerade noch zu fassen bekommen bevor er mir an die Gurgel gehen konnte. Er... hätte mich erwürgt, da bin ich sicher. Also nahm ich die Flasche und... Das Ding ist gleich zersplittert und er hatte überall Blut. Überall Blut... auf der Kleidung, in seinem Gesicht, auf meinen Händen... überall!“ Der junge Mann zittert leicht bei diesen Worten. „Und dann... hat er mich gepackt und wollte mich runterziehen. Sein Gesicht sah so schrecklich aus. Voller Blut und Splitter und er sah so wütend aus. Ich dachte, jetzt bringt er mich um! Also hab ich wie wild auf ihn eingetreten, bis er sich nicht mehr gerührt hat. „Was dann passiert ist, weiß ich nicht mehr so genau. Ich kann mich nur dran erinnern, dass ich eine ganze Weile vor ihm auf dem Boden gehockt habe und beobachtet habe, wie die Blutpfütze um seinen Kopf immer größer wurde. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich saß einfach nur da und schaute ihn an. Und ich wusste: Das ist mein Ende! Da komm ich nie wieder raus!“ Der junge Mann verstummt. Schweigend beobachtet sein Freund ihn. Auch Kaiba hat der Erzählung gelauscht ohne ein Wort von sich zu geben. Es fallen ihm einfach keine passenden Worte ein. Um ihn dreht sich alles. Was für ein Horror! Gerade erst hat er von seinem eigenen Tod erfahren und nun wird er Ohrenzeuge eines Gewaltverbrechens in das dieser Jonouchi verstrickt ist. Und dafür soll er verantwortlich sein? Er?! Das ist einfach zu viel für ihn. Die Tatsache, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr lebt, muss er erst mal verdauen. Und dieses Gespräch hat zudem keine zufriedenstellenden Antworten geliefert sondern höchstens neue Fragen aufgeworfen. „Gefällt dir was du siehst, Seto?“, wendet sich nun der Geist wieder an ihn. Kaiba wirft ihm einen bitterbösen Blick zu: „Rate mal!“ Der Bakura-Geist verschränkt die Arme. „Erstaunlich wozu Menschen fähig sind, wenn der Druck nur groß genug ist, nicht wahr?“ Kaiba presst die Lippen aufeinander. „Das ist nicht Jonouchi. Das ist nicht seine Art. Er ist ein Großmaul, aber kein Mörder!“ Der Geist grinst: „Wie du siehst, ist er es doch! Und offenbar ist Yugi der einzige Mensch, der ihn tatsächlich für unschuldig hält. Sogar seine Freunde haben sich von ihm abgewandt.“ Kaiba schluckt schwer. „Nein!“, sagt er leise, „Er hat noch immer seine Schwester, die zu ihm hält.“ Der Geist schaut ihn schweigend an und dann verzieht sich sein Mund zu einem unheilvollen Lächeln. Inzwischen hat Yugi seine Fassungslosigkeit abgeschüttelt. „Jonouchi“, wendet er sich nun an seinen Freund, „was du da erzählst bedeutet doch, dass es Notwehr war! Du solltest in Berufung gehen, vielleicht verkürzen sie deine Strafe ja. Warum hast du das denn nicht gleich erzählt?“ Jonouchi setzt sich wieder auf. Seine Augen sind gerötet. „Das konnte ich doch Shizuka nicht antun“, flüstert er, „Sie würde sich riesige Vorwürfe machen, wenn sie erfährt, dass ich das Geld nur für sie gestohlen habe. Sie würde sich die Schuld an der ganzen Sache geben. Nein, es ist besser, wenn ich die Schuld auf mich nehme und sie dafür ein unbekümmertes Leben führen kann. „Das hab ich auch alles meiner Mutter gesagt. Ich hab versucht ihr alles zu erklären, aber sie lässt Shizuka noch immer nicht zu mir. Heute morgen war sie hier und ich habe sie gebeten Shizuka von mir zu grüßen, aber...“, er bricht ab. „Aber was?“, fragt Yugi behutsam. Jonouchi atmet einmal vernehmlich durch, dann meint er: „Sie will nicht, dass Shizuka jemals wieder etwas mit mir zu tun hat. Sie sagt, meine Anhänglichkeit zu ihr, wäre der Grund für meine Tat gewesen und ich soll sie besser vergessen. Sie will nicht, dass Shizuka durch mich ins Unglück gestürzt wird. „Ich meine, dass kann ich ja verstehen. Ich würde mich ja von ihr völlig fernhalten, wenn es zu ihrem Besten ist, aber... ich vermisse sie einfach so sehr. Ich steh das hier nur durch, weil ich weiß, dass sie noch immer an mich denkt, und es ihr gut geht. Dann weiß ich, dass ich das Richtige getan habe. Außerdem ist Shizuka in einem halben Jahr volljährig und dann kann sie mich so oft besuchen wie sie will.“ Seine Augen leuchten auf und um seinen Mund legt sich ein leichtes Lächeln. „Beeindruckend, nicht wahr, Seto?“, der Geist schielt zu Kaiba hinüber, „Ob du es willst oder nicht, dieser Jonouchi ist und bleibt eben ein anständiger Kerl. Und wenn ich das mal sagen darf, er ist vielleicht arm und untalentiert und er sitzt im Gefängnis wegen Mord, aber trotzdem hat er wesentlich mehr Größe als du! Und er liebt seine Schwester abgöttisch. Er nimmt für sie sogar eine lebenslange Haftstrafe in Kauf, und was machst du? Du scheuchst deinen kleinen Bruder von dir fort und weigerst dich aus irgendeinem bescheuerten Grund mit ihm Weihnachten zu feiern.“ „Ich mach es wieder gut!“, murmelt Kaiba. Der Geist stellt sich mit verschränkten Armen vor ihn: „Und wie willst du das bitte anstellen? Du bist tot, schon vergessen?“ „Erinnere mich nicht daran!“, meint Kaiba schwach, „Es ist genau wie im Buch. Auch Scrooge erfuhr schließlich von seinem Tod und das machte aus ihm einen anderen Menschen. Aber wenn es für mich sowieso kein Zurück mehr gibt, was für einen Grund gibt es dann noch für mich, etwas ändern zu wollen?“ Der Geist schaut ihn skeptisch an: „Was denn Seto, gibst du immer so schnell auf? Was ist denn aus dem harten unbeugsamen Geschäftsmann geworden? Das ist aber nicht der Seto Kaiba den ich kenne! Dieser Seto Kaiba macht sich nichts aus Drohungen. Er hat viel zu viel Einfluss um sich einschüchtern zu lassen, er hat viel zu wenig Skrupel um Rücksicht auf seine fleißige, aber ausgepowerte Mitarbeiterin zu nehmen, er hat viel zu wenig Mitgefühl um Anteil am Geschick eines großmäuligen, nervtötenden, trotteligen Versagers zu nehmen und er hat viel zu viel zu tun, um mit seinem kleinen Bruder Weihnachten zu feiern. Sag mir, wo ist dieser Seto Kaiba geblieben?“ Niedergeschlagen steht Seto Kaiba da. Einen langen Moment bringt er keinen Ton hervor, doch dann sagt er: „Er... ist tot!“ „Ganz recht, Seto!“, setzt der Geist nach, „Tot! Und das geschieht ihm auch ganz recht. Soll ich dir sagen warum er erschossen wurde?“ „Ich will es nicht wissen“, meint Kaiba kraftlos. „Ich sage es dir aber trotzdem“, entgegnet der Bakura-Geist unbarmherzig, „Eine ganze Weile später fand man heraus, dass es ein Angestellter der Kaiba-Corp war. Er war mit den unzumutbaren Arbeitsbedingungen nicht mehr fertig geworden und nachdem du deine Sekretärin entlassen hattest und durch eine etwas resolutere Person ersetzt hast, gab es niemanden mehr der zwischen ihm und dir vermittelt hätte. Wenn du es genau wissen willst, diese freundliche Dame sagte ihm glaub ich soviel wie: „Was fällt ihnen ein, sich zu beschweren! Das ist ihr verdammter Job, den sie da machen. Entweder sie machen die unbezahlten Überstunden oder sie können sich einen neuen Job suchen. Der Chef kann keine Faulpelze gebrauchen, und ihre finanzielle Situation ist ihm ebenfalls gleichgültig. Wenn Kaiba-sama sagt ‚Spring!’ haben sie zu fragen ‚Wie hoch?’. Und nun tun sie gefälligst ihre Arbeit!“, der Geist streckt sich, „Wahrscheinlich war er einfach nur ein wenig zu sensibel, dass er sich das so zu Herzen nahm, dass er beschloss dich dafür zu erschießen, und sich dann anschließend selbst das Leben zu nehmen. „Eine wirklich charmante Person, die du da eingestellt hast. Tja, wenn du die andere behalten hättest, wäre es vielleicht anders gekommen. Du siehst also, Seto, du bist ganz allein Schuld an deinem Schicksal. Und damit auch an Jonouchis. Es wäre nie so weit gekommen, wenn das Turnier stattgefunden hätte.“ „Das kann man nicht wissen!“, ruft Kaiba abwehrend aus, „Warum soll immer ich Schuld daran sein? Das hat er ganz alleine zu verantworten. Ich bin doch nicht Schuld an seinen Entscheidungen. Es ist nicht meine Schuld! Es ist nicht meine Schuld!“ Kraftlos versagt ihm die Stimme. Er kann nur noch stumm den Kopf schütteln. Doch er lässt Jonouchi nicht aus den Augen. Nun erhebt Yugi sich. „Ich fürchte ich muss jetzt wieder los, Jonouchi“, meint er betrübt, „Ich werde die anderen von dir grüßen.“ „Bitte sag ihnen nichts davon!“, beschwört Jonouchi ihn, „Ich will ihr Mitleid nicht! Wenn sie jetzt schon nicht zu mir halten, brauch ich ihre Freundschaft auch nicht wenn sie es erfahren.“ Sein Blick ist entschlossen. Yugi nickt langsam. „Also schön! Ich wünsch dir noch ein schönes Fest und lass dich jetzt allein mit dem Brief deiner Schwester!“ Er lächelt schwach. Dann winkt er noch einmal und dann ruft er den Wachposten. Nachdem Yugi gegangen ist und die Wache wieder verschwunden ist, fällt Jonouchis Blick wieder auf den Brief in ihrer Hand. Mit vorsichtigen Fingern beginnt er das zerdrückte Kuvert aufzufummeln. Das Grinsen des Geistes wird breiter: „Das wird dir gefallen, Seto!“ Kaiba fasst sich erschöpft mit den Fingerspitzen an die Stirn: „Wenn du so was sagst, weiß ich schon, dass es mir sicher nicht gefallen wird.“ Kalt lächelt Bakura ihn an: „Wie recht du doch hast!“ Lautlos tritt er hinter den blonden, jungen Mann. „Wenn du gestattest, werd ich dir den Brief mal vorlesen!“ Monoton beginnt der Geist zu lesen und mit jedem Wort weiten sich Kaibas Augen mehr vor Entsetzen, ebenso wie die von Jonouchi. „Mein geliebter Bruder! Es fällt mir schwer, die passenden Worte zu finden. Mutter hat mir erzählt, dass du Vater umgebracht hast, weil du Geld gestohlen hast, um mir ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Und dabei hat er dich erwischt. Als ich das hörte, konnte ich es zuerst nicht glauben. Aber mit der Zeit wurde mir klar, dass es die Wahrheit war. „Du hättest das doch nicht tun brauchen. Du hättest mir doch einfach sagen können, dass du kein Geld hast. Ich liebe dich doch, mein Bruder! Du brauchst nicht immer Rücksicht auf mich nehmen. Ich weiß doch, dass Vater dich schlägt. Aber du bist immer so rücksichtsvoll und immer um meine Sicherheit besorgt. Einen besseren Bruder kann ich mir nicht wünschen.“ Seto Kaibas Blick geht zu Jonouchi hinüber der junge Mann hält den Brief verkrampft in den Händen und stille Tränen laufen ihm über das Gesicht. Aber der Geist liest weiter: „Mutter sagt, dass du völlig auf mich fixiert bist und ich mich deshalb von dir fernhalten soll, um dich nicht noch zu schlimmeren Untaten anzuregen. Aber ich weiß, dass du das alles nur tust um mich zu schützen. „Trotzdem hat es mich schwer getroffen, als ich erfuhr, dass du im Grunde durch mich zum Mörder wurdest. Das hat den Knoten in meiner Brust nur noch schwerer gemacht. Es tut mir furchtbar leid, aber er schnürt mir allmählich die Luft ab. Es vergeht kein Tag an dem ich nicht an dich denke, und deswegen weine. Ich kann einfach nicht mehr!“ Kaiba reißt die Augen auf, als er das hört. Was hat das zu bedeuten? Auch Jonouchi hat sich kerzengrade in seinem Stuhl aufgesetzt und starrt entsetzt auf die Zeilen. „Hinter ihm ertönt die kalte Stimme des Geistes der schonungslos der Öffentlichkeit den Briefinhalt enthüllt: „Wenn du diese Zeilen liest, bin ich schon nicht mehr am Leben. Ich tue das nicht, weil ich mir die Schuld für dein Verbrechen gebe. Denke bitte nicht, dass das der Grund dafür ist! Aber ich vermisse dich einfach zu sehr und ein weiteres Weihnachtsfest, das wir nicht zusammen verbringen können, ist einfach mehr als ich ertragen kann! „Allein der Gedanke daran ist für mich schlimmer als der Tod! Deshalb fürchte ich mich nicht. Bitte gib Mutter nicht die Schuld daran. Sie versucht nur, mich zu schützen. Aber ich ertrage es nicht länger, von dir getrennt zu sein. Ich liebe dich, Katsuya. Leb wohl!“ Im ersten Moment herrscht Stille in der Zelle. Keiner sagt ein Wort. Völlig entgeistert starrt Kaiba Jonouchi an. Er kann einfach nicht fassen, was er gerade gehört hat. Jonouchi sitzt da wie vor den Kopf geschlagen. Mit zitternden Händen und bebender Lippe sitzt er da und sein Gesicht ist so bleich wie eine Wand. „Das kann nicht sein!“, haucht er, „Shizuka! Was machst du denn? Was soll das bedeuten? Das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr!“, seine Stimme wird lauter, „Das ist nicht waaahr!“, der Aufschrei geht in einem gequälten Wimmern unter. Schwerfällig und taumelnd erhebt Jonouchi sich, dabei stößt er den Stuhl um. „Oh bitte, nein!“, er starrt auf die Zeilen, „Das kannst du mir nicht antun! Shizuka, das kannst du mir nicht antun! Bitte sag, dass du das nicht getan hast!“ Hilflos und ungläubig schüttelt er den Kopf; dabei laufen ihm bittere Tränen über die Wange. Wie besinnungslos läuft er zum Gitter hinüber. „Hey, ich muss sofort telefonieren!“, schreit er, „Lasst mich hier raus! Das ist ein Notfall!“ Doch vom anderen Ende des Flures kommt nur eine Stimme die ihn zur Ruhe mahnt. „Lasst mich sofort telefonieren! Es geht um Leben und Tod!“, verzweifelt rüttelt er an den Gitterstäben, „Bitte!“ Aber niemand scheint ihn zu beachten. Nach einer Weile sinkt er kraftlos an den Stäben hinunter. Wie ein Häufchen Elend kauert er da und hat den Kopf gesenkt. Nur seine Brust zuckt immer wieder vernehmlich und unter seinen Fransen ist ein ersticktes Schluchzen zu hören. „Shizuka!“, wimmert er, „Es tut mir leid! Es tut mir alles so schrecklich leid! Warum hab ich diesen Brief bloß nicht gleich aufgemacht? Ich wollte dich doch beschützen. Das ist alles meine Schuld! Warum hast du das nur getan? In einem halben Jahr hättest du mich doch besuchen können. Ich vermiss dich, Shizuka! Ich vermiss dich so schrecklich!“ Der Rest geht in haltlosem Weinen unter. Mit um die Knie geschlungenen Armen kauert Jonouchi am Gitter und unter leichtem Wiegen ergießt sich eine unstillbare Flut an heißen Tränen in den Stoff seiner Hose und steigert sich zu einem immer lauter werdenden, hoffnungslosen Schluchzen. Regungslos steht Seto Kaiba da und beobachtet ihn schweigend. Ihm fällt kein Wort dazu ein. Sein Gesicht ist bleich und unter seinen blauen Augen liegen inzwischen auch schon dunkle Ringe. Schon lange kann er das Ganze nicht mehr teilnahmslos betrachten und diese Tatsache macht ihm unheimliche Angst. Jonouchi hat es wirklich nicht leicht. Er meint es nur gut, aber immer wieder geht alles schief und trotzdem hat er sich bisher nicht unterkriegen lassen. Bisher hat er alles erduldet. Für seine Freunde und für seine Schwester. Aber nun? Wird er das hier auch einfach wegstecken können. Seto bezweifelt es. Er bezweifelt es stark! Das hier wäre für jeden zu viel. Sogar für einen so zähen Hund wie Jonouchi. Eine unglaubliche Müdigkeit und Traurigkeit macht sich in Seto breit. Er mag nicht mehr. Er hat endgültig genug gesehen! Der Kloß in seinem Hals ist steinhart und in seiner Brust schmerzt es. Er will das hier nicht sehen! Er erträgt das nicht. Wenn ich an seiner Stelle wäre, ich wüsste nicht wie ich dann reagieren würde!, denkt er bei sich. Vielleicht sind wir beide uns ja doch nicht so unähnlich. „Womit hat er das verdient?“, fragt Seto unwillkürlich laut. „Das hat er nicht!“, gibt der Geist Antwort, „Gerade das macht es so hart! Zu unrecht bestraft werden, ist keine saubere Sache. Es bringt nur Leid und Schmerz. Womit hatte Mokuba es verdient, dass du ihn fortgescheucht hast und er alleine Weihnachten feiern musste?“ „Er hatte es nicht verdient!“, gibt Seto leise zu, „Warum war ich bloß so hart zu ihm? Er wollte doch nur mit mir feiern und ich hab ihn schwer enttäuscht.“ „Und das war nicht das erste Mal!“, fügt Bakura hinzu, „Auch früher schon hast du ihn immer von dir ferngehalten. Immer wenn er dir im Weg war, hast du ihn fortgeschickt. Glaubst du, das geht an einem kleinen Jungen spurlos vorüber? Nein, das tut es nicht! Oder hast du die Schere vergessen? Ehe er sie fortgeworfen hat, musste einiges an Vertrauensbruch geschehen.“ „Es.. tut mir leid!“, der junge Firmenchef lässt die Schultern hängen. Eine stählerne Klaue presst ihm die Luft ab. „Dafür ist es jetzt zu spät, Seto! Es gibt nichts, was du jetzt noch tun kannst! Deine Reise zu den Schatten ist fast beendet. Aber vorher darfst du dir gern noch ansehen, was du hinterlässt.“ In einem wortlosen Schrecken schüttelt Seto den Kopf. Nein, das will er nicht wissen. Alles nur das nicht! Lass mich in Ruhe! Geh fort von mir!, will er schreien, doch er bekommt keinen Ton heraus. Schon tritt der bleiche Geist mit den toten, schwarzen Augen auf ihn zu und lächelt sein unheilvolles Lächeln. „Komm, Seto, Schau dir dein Vermächtnis an. Es ist wirklich beeindruckend!“ „Nein!“, flüstert Seto, „Bitte nicht! Bitte, bitte nicht! Es ist genug!“ Kraftlos knicken seine Knie ein. Unwillkürlich befindet er sich auf Augenhöhe mit Jonouchi. Fast scheint es, als ob der junge Mann ihm direkt ins Gesicht schaut. In diesen tränennassen Augen liegt eine solche Hoffnungslosigkeit, dass es Seto eiskalt den Rücken herunterläuft. Schwer muss er schlucken. „Jonouchi...“, flüstert er, doch er verstummt. Selbst wenn er ihn hören könnte, was sollte er ihm schon sagen? „Nicht sentimental werden, Seto!“, unterbricht ihn Bakuras harte Stimme, „Heb dir dein Mitleid besser für dich selber auf! Komm schon, lass uns gehen!“ Mit diesen Worten hebt er seine geöffnete Hand und im gleichen Maß wie sich seine Hand zur Faust ballt, wird die Szenerie um Seto immer mehr zusammengeknüllt wie ein Stück Papier. Doch während um sie her die Finsternis immer mehr zunimmt, behält Seto Jonouchi solange es noch geht im Auge, bis er ganz verschwunden ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)