Seto Kaiba und der Geist der Weihnacht von Weissquell (Ein Yugioh-Weihnachstlied in Prosa) ================================================================================ Kapitel 5: Die Erkenntnis ------------------------- Nachdem die Konturen der Umgebung wieder zu sehen sind, schaut Kaiba sich um. Sie befinden sich in einer verschneiten Straße mit vielen, heruntergekommenen Mehrfamilienbungalows. "Und wo sind wir jetzt?", fragt Kaiba verächtlich, "Ach, lass mich raten! Jetzt kommt die Szene mit dem hart schuftenden Jonouchi der selbst an diesem kalten Weihnachtsabend, emsig seinen Pizzadienst versieht", seine Stimme trieft vor Ironie, "Und wir dürfen bestaunen wie es ihm trotzdem noch gelingt sich irgendwie ein schönes Fest zu bereiten. Und wahrscheinlich kreuzt er zum Happyend doch noch bei den anderen Nervensägen auf." Doch die Gestalt des yugi-ähnlichen Weihnachtsgeistes steht nur mit verschränkten Armen da und mustert ihn abschätzend. Seto Kaiba stutzt. Kommt es ihm nur so vor oder ist Yugi gewachsen? Diesen Eindruck hatte er früher schon manchmal gehabt aber irgendwie tritt es heute deutlicher hervor. Der schlanke, junge Mann mit der ungewöhnlichen Frisur und den hypnotischen, violetten Augen wirft ihm einen beunruhigend durchdringenden Blick zu. "Spar dir deinen Sarkasmus, Kaiba!", meint er ernst, "Er ist völlig unangebracht!" Unwillkürlich verstummt Kaiba. Dann meint er: "Schon gut! Bringen wir's hinter uns. Wo soll's denn hingehen?" "Hier entlang!", meint Yugi und winkt ihm, ihm zu folgen. Missmutig trottet Kaiba ihm hinterher. Vor einem Haus mit einer vereisten Treppe und Metallgeländern bleibt er kurz stehen. "Willst du wissen, wer hier wohnt?", fragt er. "Du wirst es mir sicher gleich sagen", gibt Kaiba zurück. "Sieh selbst!", meint Yugi und steigt die Stufen hoch. Wieder folgt Kaiba ihm und irgendwie hat er langsam das Gefühl, dass er diese ganze Angelegenheit gehörig leid ist. Wenn jetzt nicht endlich bald Schluss ist damit...! Lautlos dringt Yugi durch die Haustür und lautlos folgt Kaiba ihm. Sie stehen in einem kleinen, dunklen Flur durch die linke Tür kann man ins Wohnzimmer spähen. Es brennt kein Licht, nur der Fernseher flackert gespenstisch vor sich hin. In dem großen Sessel davor scheint jemand zu sitzen. Kaiba zieht die Nase kraus. "Oh man, ist ja nicht zum Aushalten hier drinnen! Wird hier jemals gelüftet? Hier riecht es wie in einer Kneipe." "Ich staune, dass du weißt wie es in einer Kneipe riecht, Kaiba", kommt es unbeeindruckt von dem Geist der ohne sich umzudrehen den Flur entlanggeht. Schließlich bleibt er vor einer Tür auf der rechten Seite stehen und verschränkt die Arme während er mit schweigsamer Mine hineinschaut. Kaiba schließt zu ihm auf und folgt seinem Blick. Es ist eine kleine Küche mit einer kleinen Esszeile, ein paar Küchenschränken und einer ziemlich antiken Mikrowelle. In der Mitte steht ein ziemlich schmuddeliger und abgewetzter Küchentisch mit zwei Stühlen und auf einem der Stühle entdeckt Kaiba eine bekannte Person. Es ist Jonouchi der im spärlichen Licht der Deckenlampe hochkonzentriert mit einer Schere, einer Rolle Garn und einer großen Papiertüte voller Pommes beschäftigt ist. Kaiba stellt fest, dass ihn das doch ein wenig überrascht. Hiermit hat er nun doch nicht gerechnet. Was hat das hier zu bedeuten? "Das ist Jonouchi!", stellt er fest. "Ganz recht!", bestätigt der Geist, ohne den Blick von dem blonden, jungen Mann zu wenden, "Das hier ist sein Zuhause." Kaiba schüttelt ein wenig ungläubig den Kopf: "Aber was um alles in der Welt macht er da?" "Sieht man das nicht", kommt die ruhige Antwort, "Er bastelt Weihnachtssterne!" "Aus... Pommes!?", stellt Kaiba trocken fest, "Ich wusste schon immer, dass der Knabe n Schatten hat!" Kopfschüttelnd beobacht er wie Jonouchi in mühsamer Fummelarbeit immer je zwei Pommes überkreuz zusammenbindet und auf einem Extrateller ablegt. Er scheint so tief in seine Arbeit versunken, dass er alles um sich her vergessen hat. Kaiba kann es noch immer nicht glauben. "Was soll der Schwachsinn?", fragt er. "Das ist Katsuyas Vorstellung von einer weihnachtlichen Atmosphäre, Kaiba", sagt Yugi leise, "Nicht alle Menschen sind so gut betucht wie du, oder wie Yugi und seine Freunde. "Alles was er sich als Weihnachtsessen leisten kann ist eine Tüte Pommes und ein halbes Hähnchen. Nicht sehr weihnachtlich oder? Also bemüht er sich, es etwas festlicher zu gestalten. Es ist gar nicht so leicht die Dinger so zusammenzubinden, du solltest es mal ausprobieren. Du kannst also sehen, wie ernst es ihm damit ist." "So ein hirnrissiger Unsinn!", meint Kaiba abfällig, "Wenn es ihm so wichtig ist, soll er halt zu Yugi und den anderen gehen. Die warten doch eh auf ihn. Wozu der Unsinn mit den Pommes und warum behauptet er überhaupt, er müsse Überstunden machen?" Diesmal ist es Yugi der verächtlich ausschnaubt: "Was glaubst du wohl?" Gerade erhebt sich Jonouchi und reckt sich. "Fertig!", pustet er leise aus. Hastig angelt er sich eine Platte aus einem Schrank und schüttelt das Grillhähnchen aus der Tüte darauf. Dann stellt er sie neben die Mikrowelle. Die Sternpommes stellt er daneben zusammen mit einer Flasche Ketchup auf die mit schwarzem Edding ein paar Sterne, Glocken und Stechpalmzweige aufgemalt sind. Dann huscht er rasch aus der Küche, vorbei an Kaiba und Yugi und verschwindet für einen kurzen Moment auf leisen Sohlen in einem anderen Zimmer. Als er wieder zum Vorschein kommt, hält er hinter seinem Rücken ein kleines, dünnes Päckchen. Leise schleicht er nun durch den Flur zur Garderobe und schnappt sich seine Jacke. Hastig wirft er sich die Jacke über und strebt auf die Haustür zu. "Ich geh noch mal kurz weg!", ruft er nun laut, "Hab noch was vergessen!" Schon will er nach der Türklinke greifen, als ihn eine ärgerliche, unangenehme Stimme zusammenfahren lässt: "Was glaubst du, wo du schon wieder hinwillst?" Nur wenige Momente später taucht in der Wohnzimmertür ein rundes, puterrotes Gesicht auf. Es gehört zu einem ziemlich fetten Mann in schmutzigen Jogginghosen und einem fleckigen, nach Schweiß müffelnden Unterhemd, das mehr von dem gewaltigen Bierbauch darunter preisgibt als verdeckt. Auf dem Kopf macht sich eine mächtige Halbglatze breit und lediglich ein dünner Kranz aus dunklen Haaren streckt sich von einem Ohr zum anderen. Die dunklen Augenbrauen sind buschig und um die dicke Boxernase liegt ein rötlicher Schimmer. Mit ziemlich verärgertem Gesichtsausdruck mustert er den blonden, jungen Mann vor sich. "Ständig treibst du dich irgendwo rum", beschwert er sich, "Heute ist Weihnachten, da wirst du gefälligst mal zu hause bleiben!" Jonouchi senkt den Blick. So unauffällig wie möglich schiebt er sein kleines Päckchen in die Hosentasche. "Überhaupt!", meckert er Mann weiter, "Was is eigentlich mit dem Weihnachtsessen?" "Steht in der Küche!", gibt Jonouchi leise Antwort. Noch immer meidet er den Blick seines Vaters. Schwerfällig schlurft der Mann nun an ihm vorbei in Richtung Küche; in der einen Hand hält er lose eine fast leere Schnapsflasche. Unsicher folgt Jonouchi ihm. Missmutig schlurft der Mann zu der Anrichte hinüber. Dann hat er die Pommes entdeckt. "Was issen das für'n Scheiß?", patzt er ungehalten hervor und hält einen der Pommes hoch, "Nennst du so was Weihnachtsessen?", seine Stimme wird laut. Ein wenig kleinlaut ist Jonouchi zu ihm in die Küche getreten. "Mehr als Hähnchen mit Pommes war eben nicht drin!", murmelt er entschuldigend. Wütend fährt sein Vater herum: "Was? Jetzt bin ich wohl Schuld daran, dass wir nicht mehr Geld haben, wie?" Mit einem Abflug von Jähzorn holt er aus und schleudert die Schnapsflasche in Jonouchis Richtung. Direkt neben ihm an der Wand trifft sie auf und zerspringt in unzählige Splitter. Es ist zufällig genau die Stelle an der Seto Kaiba gerade steht, doch die Splitter machen ihm nichts weiter aus. Jonouchi jedoch dreht nur leicht den Kopf weg, als hätte er geahnt, dass ihn das Geschoss verfehlt. Ein Glassplitter streifen dennoch seine Wange und hinterläst eine dünne, rote Linie. Ohne mit der Wimper zu zucken nimmt er die Schimpfkanone seines Vaters hin, die jetzt über ihn hereinbricht, aber irgendwie liegt eine tiefe Hoffnungslosigkeit in seinen Augen. "Glaubst du vielleicht es ist heutzutage so einfach, Arbeit zu finden? Also pass gefälligst auf was du sagst, du kleiner Pisser!", schreit der grobe Kerl und steht dabei nun ziemlich dicht vor seinem Sohn. Ärgerlich packt er ihn am Kragen und hält ihn fest. Trotzig erwidert Jonouchi nun seinen Blick. "Schon gut, reg dich nicht auf!", meint er ruhig. Doch das versetzt den kräftigen Mann nur einmal mehr in Rage. "Was?", schreit er aus, "Werd bloß nicht frech!", und mit einem kräftigen Schwinger seiner Faust verpasst er seinem Sohn einen heftigen Schlag ins Gesicht. Aufstöhnend knicken Jonouchis Knie ein und er findet sich auf dem Boden wieder. Schmerzerfüllt hält er sich das Gesicht und den nächsten Schlag der ihn am Kopf trifft, kann er nur geringfügig abwehren. Schließlich scheint sein Vater ein Einsehen zu haben. Ärgerlich schnaufend steht er über seinem am Boden kauernden Sohn. "Du bist erbärmlich, Katsuya!", spuckt er aus, "Du bist eine echte Memme, ein kompletter Versager!" Jonouchi starrt zu Boden. Sein Gesicht ist von seinen zerzausten Ponyfransen verdeckt, aber er ballt krampfhaft die Fäuste und er zittert leicht. "Aus dir wird niemals etwas Vernünftiges werden, egal was du versuchst!", grollt der Mann verächtlich, "Du bist und bleibst ein Versager! Wer sonst würde sich so einen Scheiß mit Pommes ausdenken? Wer soll die denn jetzt noch essen, nachdem du alle angegrabbelt hast?" "Ich... hab mir die Hände gewaschen!", kommt es leise aber fest von Jonouchi. "Drauf geschissen!", wettert sein Vater los und dann ergreift die Platte mit dem halben Hähnchen und dann die mit den Pommes und schleudert sie auf seinen am Boden hockenden Sohn. Das aufklatschende Hähnchen hinterlässt mehrere unschöne Fettspuren an der Wand und rutscht dann vor Jonouchi zu Boden. Er rührt sich nicht, noch immer hält er den Kopf gesenkt. Zornesrot funkelt ihn sein Vater an: "Wisch das weg! Und dann scher dich auf dein Zimmer!" Dann schlurft er aus der Küche. Doch in der Tür dreht er sich noch einmal um: "Und wehe, du verlässt heute noch einmal das Haus!" Und dann ist er verschwunden. Ganz langsam nur kommt wieder Bewegung in Jonouchi. Man kann hören wie er einmal tief durchatmet; wieder krampfen sich seine Finger zur Faust. Dann ganz langsam erhebt er sich und beginnt mit hängendem Kopf den Boden von Hähnchen und Pommes und die Wand von den Fettflecken zu befreien. "Was für ein melodramatischer Druck auf die Tränendrüse!", meint Kaiba abfällig, "Ihr lasst euch ja echt was einfallen. Meint ihr wirklich, ich hab jetzt Mitleid mit ihm? Da wäre mir ja die Idee mit dem Pizzaausfahren noch lieber gewesen. Aber dieses Szenario ist ja nun wirklich vollkommen überzeichnet, ich bitte dich!" Dabei schaut er zu Yugi hinüber, doch der mustert ihn nur schweigend. Schließlich fragt er: "Kaiba, wie lange kennst du Jonouchi schon?" "Was hat das denn jetzt damit zu tun?" "Beantworte meine Frage!" Kaiba überlegt kurz: "Keine Ahnung. Schon ne Weile." Doch Yugi fragt weiter: "Wie gut kennst du Jonouchi? Ihr standet euch nie besonders nah, oder? Du hast es immer vermieden ihn zur Kenntnis zu nehmen und er hat dir immer wieder die Stirn geboten. Immer wieder versuchte er sich mit dir zu messen. Niemals wollte er hinter dir zurückstehen. Immer wieder hat er versucht dir zu zeigen was er wert ist, selbst du musst das bemerkt haben." "Und wenn schon!", meint Kaiba. Yugi fährt fort: "Selbst wenn du ihn einen Versager genannt hast, oder ,unfähig', oder ,Spatzenhirn', oder ,Köter'..., er hat immer wieder versucht dich vom Gegenteil zu überzeigen. Sein Stolz hat nichts anderes zugelassen." Kaiba schaut wieder zu dem schweigsamen Jungen hinüber, der gerade mit einem schmutzigen Lappen das Fett von der Wand wischt. "Worauf willst du hinaus?", fragt er ungeduldig. Yugi legt den Kopf schief; noch immer hat er die Arme verschränkt. "Kaiba... Angenommen dies hier wäre tatsächlich eine Virtuelle Projektion die sich Yugi und seine Freunde ausgedacht haben... Glaubst du allen Ernstes, dass Jonouchi diesem Szenario zugestimmt hätte. Sogar seinen Freunden hat er lieber erzählt, dass er Überstunden macht, anstatt zugeben zu müssen, dass sein Vater ihn nicht weglässt. Glaubst du wirklich, dass er wünschen würde, dass ausgerechnet du, das hier über ihn erfährst? Oder glaubst du, dass Yugi seinem Freund eine solche Demütigung zumuten würde. Glaubst du das wirklich?" Kaiba erstarrt. Seine Augen weiten sich. So hat er das Ganze bisher nun noch nicht betrachtet und sein Herz klopft plötzlich bis zum Hals. Von einem Moment auf den anderen ist ihm sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen. Aber... das kann doch gar nicht sein! Leise wiederholt Yugi: "Wie gut kennst du Jonouchi, Kaiba?" Unwillkürlich wandern Kaibas Augen zurück zu Jonouchi der noch immer mit dem Lappen beschäftig ist und wie ein Häufchen Elend auf dem Küchenboden hockt. Nein, das kann einfach nicht sein! Das kann nicht wirklich passieren! Aber Yugi hat Recht! Niemals würde Jonouchi zulassen, dass er so etwas zu sehen bekommen würde und sei es nur eine Holoprojektion! Aber das würde andererseits bedeuten..., dass das alles bisher keine Holographie war! Aber was denn sonst? Für eine Halluzination ist es zu real. Es kann doch unmöglich die Realität sein, oder? Aber das hieße ja...! Bei dem Gedanken werden Seto Kaiba die Knie weich. Eine ganze Weile bringt er einfach kein Wort heraus während er versucht, der neuen Erkenntnis in seinem Weltbild Raum zu verschaffen. "Das hier ist die Realität?", bringt er schließlich hervor. "Siehst du es endlich auch ein?", fragt der Geist ruhig, aber mit noch immer tadelndem Blick. "Das kann nicht sein!", versucht Kaiba es noch mal, "Jonouchi wäre nie so zimperlich. Dieser Typ ist doch ständig auf Ärger aus. Und seine große Klappe ist doch schon rekordverdächtig. Warum lässt er sich das dann gefallen. Warum setzt er sich nicht einfach zur Wehr?" "Sich zur Wehr setzen?", fragt der Geist erstaunt, "Aber Kaiba! Das würde bedeuten seinen eigenen Vater zu schlagen. So viel Anstand besitzt sogar Jonouchi." Kaiba zuckt leicht zusammen. "Außerdem würde es ihm mehr Ärger als Nutzen bringen", fährt Yugi fort, "Wenn er sich so verhalten würde, fänden seine Eltern mit Sicherheit Mittel und Wege, ihm die Treffen mit seiner kleinen Schwester vollständig zu unterbinden, und das will er auf keinen Fall riskieren." Schweigend schaut Kaiba wieder zu Jonouchi hinüber "Aber vielleicht ist das ja nur ein ziemlich lächerlicher Grund", setzt der Geist nun achselzuckend nach, "Vielleicht sollte er das wirklich nicht immer mit sich machen lassen. Vielleicht hattest du Recht, Kaiba, vielleicht ist er schwach, eine Memme, ein Hund, eine Maus, ein Versager! Waren das nicht deine Worte? Wahrscheinlich wird er immer so ein Versager bleiben, ganz gleich was er tut; das sagt sogar sein Vater. Offenbar habt ihr beide da mehr Durchblick als er." Kaibas Kiefer sind fest aufeinandergebissen und noch immer wirkt er ziemlich blass. Schließlich sagt er leise: "Vielleicht ist er ein Versager." Und zum ersten Mal schleicht sich eine Spur von Betroffenheit in Kaibas sonst so starre Maske der Gelassenheit. "Aber...", fährt er dann fort, "...das hat er nicht verdient!" Sein Blick will nicht von Jonouchi weichen. Yugi hat ihn dabei nicht aus den Augen gelassen. Dann macht er ein paar Schritte auf Jonouchi zu und hockt sich dann neben ihm. "Vielleicht nicht. Das hier mag dir zwar überzeichnet und melodramatisch vorkommen, Kaiba, aber die Realität ist eben kein Bilderbuch wo alles nach Plan läuft. Sie hat erschreckend harte Seiten, die man sich am liebsten nicht mal zusammenspinnen möchte. Man möchte sie am liebsten so umschreiben, dass sie stets auf ein Happyend hinauslaufen, aber so gnädig ist die Realität oft nicht. Durch die Hartherzigkeit und den Egoismus der Menschen passieren viele unschöne Dinge auf der Welt und meistens müssen gerade die darunter leiden, die am wenigsten dafür können oder etwas Besseres verdienen." Bei diesen Worten ist Kaiba sehr still geworden und er schluckt schwer. Nun legt sich wieder ein sanftes Lächeln um Yugis Lippen und er erhebt sich wieder: "Kaiba, auch dir hat man in deinem Leben viel Unrecht getan und dich um viele schöne Dinge gebracht, aber deshalb dein Herz zu verhärten und sich nicht zu gestatten, je wieder Schönes zu erleben, aus Furcht es könnte einem wieder genommen werden, ist genau so falsch! "Die Welt hat nämlich nicht nur schlimme Dinge und Enttäuschung zu bieten, sondern auch Vieles was schön ist. Besonders heute bemühen sich viele Menschen, ein kleines bisschen Licht in ihren sorgenvollen Alltag zu bringen. Und glaub mir, nicht alles davon ist nur aufgesetzt. Einige Menschen sind noch zu wirklicher Freude und Freundschaft im Stande. Sei bloß froh, dass du ein paar davon kennst!" Wieder muss Kaiba schwer schlucken. Ihm kommt es so vor, als würde ihm plötzlich irgendetwas die Luft zuschnüren. In diesem Moment steht Jonouchi auf, spült den Lappen aus und schleicht aus der Küche. Nachdenklich folgt Seto Kaiba ihm. Der junge Mann geht ins Badezimmer und betrachtet sich im Spiegelschrank über dem Waschbecken. Über sein linkes Auge zieht sich bereits ein dickes Feilchen und noch immer sind ein paar leichte Blutspuren von den Glassplittern zu sehen. "Verdammt!", murmelt er und dann wischt er sich das Gesicht mit Wasser ab. Als nächstes lässt er kaltes Wasser über einen Waschlappen laufen und dann schlurft er zurück in sein Zimmer, wobei er sich den kühlen Lappen gegen das schmerzende Auge drückt. Dort angekommen lässt er sich seufzend auf sein Bett plumpsen. Die alten Sprungfedern quietschen erbärmlich. Durch das Fenster fällt ein wenig Licht in das Zimmer. Einmal atmet Jonouchi schwer durch, dann angelt er sich einen kleinen Fotorahmen unter seiner Matratze hervor. Es zeigt seine Schwester Shizuka die ihn fröhlich anlächelt. Er schleudert den Waschlappen in eine Ecke und betrachtet schweigend das Bild. Dann streicht er sanft mit dem Finger über das Bild. "Fröhliche Weihnachten, Schwesterchen!", flüstert er, "Leider kann ich dir dein Geschenk nicht persönlich geben. Ich hoffe du feierst trotzdem schön mit Yugi und den anderen... Was... gäbe ich darum wenn... ich jetzt bei dir sein könnte!" Dann urplötzlich verziehen sich seine Mundwinkel und er vergräbt den Kopf auf den Knien während ihm die Tränen über das Gesicht laufen. "Verdammt...!", quetscht er hervor und dann lässt er seinem Kummer freien Lauf, während seine andere Hand verzweifelt das kleine, weiche Päckchen umschließen. "Es ist übrigens ein Seidenschal", bemerkt Yugi neben Kaiba, "Er hat lange darauf gespart und sein letztes Geld dafür ausgegeben. Seine kleine Schwester bedeutet ihm alles." Kaiba steht schweigend in der Tür und kann seinen Blick nicht von Jonouchi wenden. Er kann sich nicht helfen aber auf einmal kommt er sich hier wie ein ungebetener Eindringling vor, der gerade ein großes Sakrileg begangen hat indem er Zeuge dieser Ereignisse wurde. Dieses Gefühl ist ihm neu und fremd und es behagt ihm gar nicht. "Wahrscheinlich seid ihr euch doch recht unähnlich", merkt der Geist noch einmal an, "Jonouchi und du, ihr habt beide jüngere Geschwister die euch das Wichtigste auf der Welt sind und die ihr über alles liebt. Aber so sehr sich auch Jonouchi zerreißen möchte, um mit seiner Schwester zusammen zu sein, er kann es nicht weil seine Eltern getrennt leben und sich spinnefeind sind und alles tun, um den Umgang der beiden miteinander zu verhindern. "Du hingegen, hast vielleicht deine Eltern verloren, aber du kannst deinen Bruder jederzeit bei dir haben, wenn du willst. Immerhin bist du ein einflussreicher Mann und es gibt niemanden der die Vorschriften macht und doch ziehst du es vor, dich am Weihnachtsabend hinter Arbeit zu vergraben und sie als schwache Ausrede dafür zu benutzen, nicht mit deinem Bruder zusammen Weihnachten feiern zu müssen. Katsuya würde sich einen Arm ausreißen um an deiner Stelle zu sein, und sei es nur aus diesem einen einzigen Grund! Du machst dir gar keine Vorstellungen davon, was für ein glücklicher Mensch du bist, oder was du für einer sein könntest, wenn du nicht immer alles was wirklich wichtig und richtig ist, verächtlich von dir wegstoßen würdest!" Kaiba schweigt noch immer. Dann wendet er Yugi langsam den Kopf zu. Als er spricht ist seine Stimme ziemlich bitter und betrübt: "Du bist ganz schön hart, weißt du das eigentlich?" Unbeirrt erwidert der Geist seinen Blick: "Ich sage dir nur wie es ist. Ich spreche das aus, was sich nie jemand getraut hat, dir zu sagen. Ich bin nicht verantwortlich dafür, dass es so gekommen ist. Wenn du einen Schuldigen suchst, bist du bei mir falsch! Aber ich werde alles in meiner Macht stehende tun um dich aus deiner völlig deplazierten Blasiertheit aufzurütteln. Wenn du nicht einmal für Jonouchi ein wenig Mitgefühl aufbringen kannst, bist du auf dem besten Wege, genau so zu werden wie dein Stiefvater und... auch genau so zu enden!" "Alles bloß das nicht!", funkelt Kaiba bitter, "Ich werde niemals so wie dieser Dreckskerl sein! Uns trennen Welten!" "Inzwischen schon!", meint der Geist leicht sarkastisch und fährt dann aber fort, "Aber wie wenig du dich doch kennst, Kaiba. Unsere Reise ist fast vorbei, aber eine Sache habe ich noch für dich. Wollen doch mal sehen, was du nun darüber denkst." Mit einem Mal beschleicht Seto Kaiba eine ungute Ahnung. Ganz sicher wird ihm nicht gefallen was er als nächstes sehen wird. Ein enormes Unbehagen überfällt ihn plötzlich und er spürt einen unangenehmen Knoten in seiner Brust. Entschlossen fasst der Geist nach seinem Millenniumspuzzle. "Ähm... warte mal!", ruft Kaiba unsicher, "Ich glaub das ist wirklich nicht nötig. Können wir es nicht dabei belassen?" Skeptisch schaut Yugi ihn von der Seite an: "Was denn, Kaiba? Angst? Aber du doch wohl nicht!" "Ach Unsinn!", wehrt Seto Kaiba ab, doch das Herz klopft ihm bis zum Hals. Irgendwie war das alles so viel einfacher zu verkraften, als man es noch guten Gewissens für eine Holographie halten konnte. "Ich denke nur, für heute reicht es. Es wird immer später und ich muss noch arbeiten. Können wir nicht ein andermal weitermachen?" Belustigt schmunzelt der Geist. "Ein andermal? Ach Kaiba, du bist gut! Ich bin der Geist der gegenwärtigen Weihnachten, schon vergessen? Und heute ist was? Na also! Das Ganze geht heute Abend über die Bühne ob es dir passt oder nicht!" "Aber, ich denke nicht, dass ich noch mehr sehen müsste", versucht er sich erneut herauszuwinden, "Ich denke ich hab kapiert was ihr mir klar machen wolltet. Lassen wir's gut sein!" "Und was für Konsequenzen wirst du in Zukunft daraus ziehen?", fragt Yugi ihn direkt. Der junge, braunhaarige Mann weicht seinem Blick nicht aus, aber er bekommt unwillkürlich feuchte Hände und er schweigt. "Dacht ich mir!", meint Yugi ernst, "Keine Chance, Kaiba, so kommst du mir nicht davon!" Wieder fasst er nach seinem Puzzle. "Moment, Yugi!", ruft Kaiba hastig, "Sag mir wenigstens ob...", doch schon hüllt ihn erneut ein goldener Lichtschimmer ein und verschluckt jedes weitere Wort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)