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Fanart

ADHD-no-Jutsu   [Zeichner-Galerie] Upload: 11.09.2016 02:52

Endlich sah Nadir den Himmel über den Rand der Mauer und zog sich hoch. Er beachtete die Soldaten nicht, wie sie ihn von der anderen Seite verbellten - er musste zu seiner Schwester. Beinahe kam er auf der schmalen Betonmauer aus dem Gleichgewicht, schaffte es aber doch noch nahe genug an Nasreen heran, um ihre Hand zu greifen.
"Ekelpack," krächzte er, "Was tust du? Was um Gottes Willen tust du?"
"Niemand will mich hier," flüsterte Nasreen. "Kann ich's doch genau so gut da draußen versuchen."
Nadir schaute über die Mauer hinweg, geblendet von der Befremdlichkeit dieses Landes, das so nah und doch so weit weg war. "Da draußen? Hörst du sie etwa nicht? Ich meine, die erschießen dich. Und wenn nicht, stürzt du bloß in den Tod."
Ihr Gesicht verzog sich und ihr liefen Tränen über die Wangen. "Na und?" weinte sie. "Du hast ne andere. Alle haben jemand, nur ich nicht!"
"Wirst du schon noch!" Er konnte ihr nichts versprechen, aber in diesem Moment musste er. Egal, was. "Lass uns da zuhause drüber reden. Bitte, lass mich dir runter helfen." Ein Licht aus dem Wachturm weiter rechts blendete Nadir. Richtete der Soldat etwa sein Gewehr auf sie? Vorsichtig hob Nadir seine zitternden Hände. "Nasreen, ich bitte dich," rief er über den aufkommenden Wind.
"Vergiss es, ich finde jemanden der mich liebt, da draußen," schrie sie zurück. "Du sagtest, ich könnte jeden abkriegen!"
Das hatte Nadir tatsächlich irgendwann einmal gesagt, und es vielleicht auch so gemeint. Wo war also Herr Jeder, wenn man ihn brauchte? "Seelchen," flehte er, "Dann such dir doch einen in Al Shama. Ich meine, was willst du mit einem Juden*?" Seine Schultern sackten und er senkte die Hände. Der Soldat konnte ihn mal. "Bitte, Ekelpack, lass uns nach hause gehen."
"Ich will nicht allein sein," heulte Nasreen.
"Das versteh ich doch, Ekelpack," sagte Nadir, nicht sicher, ob sie ihn über den Wind hören konnte. "So ging's mir auch oft in den letzten Jahren. Ich dachte, mein Leben ist nicht lebenswert und würde nur schlimmer werden, und dass mich nie jemand genug lieben würde, um mich vor mir selbst zu schützen. Und dass es zu dumm ist, dass es hier keine Busse mehr gibt, die mich überfahren können. Weißt du, ich bin nicht so mutig. Ich meine, wenn's nicht für dich wäre, würde ich nie hier hoch klettern."
Nasreen blinzelte zu ihm herauf. "Dann lass uns zusammen springen."
Nadir warf einen Blick von der Mauer. Würden sie bei der Landung umkommen, erbärmlich in einem Krüppelhaufen krepieren, oder gar nicht erst den Boden berühren, während der Wind ihnen durch eine million Einschusslöcher eine Grabrede pfeift? Alles gleichermaßen grauenvolle, und, wie Nadir auf einmal klar wurde, gleichermaßen realistische Szenarien, diesen Tag zu beenden. Welcher Tag war es überhaupt? An der Abwesenheit religiöser Soldaten zu urteilen, Freitag.
"Siehst du, Ekelpack," sagte er, "Im Moment bin ich dankbar für alles, was mir passiert ist. Sonst wäre ich jeztt nicht hier, um alles daran zu setzen, dass du heute nach hause zu Papa gehst. Ich meine, ich wäre immer noch das Jesus-Bubi und würde dir Psalme die Mauer hoch brüllen, die du da oben gar nicht hören würdest. Und ich würde hilflos dabei zusehen, wie du springst, weil ich zu scheiß behütet wäre um zu verstehen, was du durchmachst."
Nadir zappelte von einem Fuß auf den anderen, als sich in ihm etwas löste. Etwas zog an ihm, und nicht von der richtigen Seite der Mauer. 'Ich will heute nicht an meiner Stelle sein. Scheiße, ich will hier an niemands Stelle sein.' Wie eine Welle ergriff ihn plötzlich ein Gefühl von Frieden und wusch etwas von seinen müden Schultern, dessen Wert darin lag, es loszulassen. Er hatte diese Welle schon lange heranrollen sehen und sich mit dem bisschen Willenskraft, die seine Dämonen ihm gelassen hatten, dagegen gewehrt.
"Eckelpack?" Er griff eine Strähne von ihrem langen, braunen Haar und wickelte sie um seinen Finger. Für immer hätte er damit spielen können, aber der Wind blies sie aus seiner Hand. "Egal, was heute passiert, denk immer daran, dass du keine Schuld hast." Seine Stimme bebte. Seine emotionale Belastbarkeit war am Ende und er verfluchte sich selbst dafür, vor seiner Schwester zu weinen, wenn er stark für sie sein musste.

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Grauenvoll ins Deutsche übersetzt aus meinem bald die Verlagstouren machenden Roman :D

*nicht judenfeindlich gemeint, bin selbst halb jüdisch. Die Geschichte spielt in einem Ghetto, einer Art Gaza-Streifen, in einem Israel, wo alle Araber und Palästinenser hinter hohen Mauern versauern. Das alles nur, damit der Staat Israel endlich 100% jüdisch ist, wie die Rechtsextremisten hier es sich wünschen (ich lebe in Israel).
Themen:
Eigene Serie, Gefühle, Familie

Stile:
Computer Grafik

Charaktere:
Eigener Charakter

Unterthemen:
Liebe

Beschwerde


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